Keine Butter, keine Milch, keine Eier, kein Käse, kein Fleisch, kein Fisch, kein Honig, keine Daunendecken, kein Leder! Für die meisten Bewohner der Schweiz und der umliegenden Länder klingt der Aufruf zum Verzicht auf die genannten Produkte so fremd und unverständlich wie eine Unterhaltung auf Kisuaheli. «Die Veganer, ein Haufen von Verrückten!», denkt sich so mancher.
Doch selbst «eingefleischte» Karnivoren werden nachdenklich, wenn die Veganer mit der Massentierhaltung eines ihrer Hauptargumente ins Feld führen: Dass Nutztiere in fabrikähnlichen Hallen leben, dass sie auf Hochleistung getrimmt und viel zu jung geschlachtet werden, das wollen die wenigsten Fleischesser, Käsefreunde und Kuhmilchtrinker.
Genauso wenig wie die klimaschädigende Wirkung der intensiven Vieh- und Landwirtschaft. Kein Wunder wird die vegane Kost von ihren Anhängern selbstbewusst als «Peacefood» bezeichnet. Pudding-Veganer? Besser nicht!
Die Crux dabei: Die meisten Menschen im Westen betrachten Fleisch, Milch, Käse & Co. als unverzichtbare Quellen für Kraft und Leistungsfähigkeit. Sind sie das tatsächlich?
Einer, der sich seit vielen Jahren mit dieser Frage beschäftigt, ist Prof. Claus Leitzmann. Der Ernährungsforscher und Experte für Vollwertkost sagt: «Vegane Ernährung ist ausreichend, wenn man eine vielseitige pflanzliche Kost verzehrt und Vitamin B12 zu sich nimmt. Aus gesundheitlicher Sicht sollte diese Ernährungsform jedoch nur von Menschen mit guten Ernährungskenntnissen praktiziert werden.»
Das bedeutet: Wer vegan leben und dabei gesund und leistungsfähig bleiben will, darf sich nicht wie ein «Pudding-Veganer» aufführen, der den Verzicht auf tierische Produkte mit dem Verzehr rauer Mengen Brot, Teigwaren und Süssigkeiten kompensiert. Unter einer «vielseitigen pflanzlichen Ernährung» verstehen Experten wie Claus Leitzmann vielmehr den täglichen Verzehr von unterschiedlichem Gemüse, Salat, Obst, Vollkorngetreide, Hülsenfrüchten, Nüssen und Samen.
Eine vollwertig-vegane Kost liefert denn auch deutlich mehr Ballaststoffe, Kalium, Magnesium, Vitamin C, Vitamin E, Folsäure sowie sekundäre Pflanzenstoffe als die Mischkost aus pflanzlichen und tierischen Quellen. Auch der verschwindend geringe Cholesteringehalt der veganen Ernährungsweise fällt positiv auf. Sogar die massvoll reduzierte Aufnahme von Proteinen kann vorteilhaft sein, weil die Basalmembranen der Kapillaren durch ein Zuviel an tierischem Eiweiss genauso verdicken bzw. «verschlacken» wie durch ein Zuviel an Cholesterin.
Somit profitieren vollwertig ernährte Veganer von den gleichen Vorteilen wie gesundheitsbewusste (Lakto-Ovo)-Vegetarier: einem vorbeugenden Effekt gegen Übergewicht, Arteriosklerose, Bluthochdruck, Typ-2-Diabetes, Gicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Von Interesse ist auch die komplementärmedizinische Beobachtung, dass manche Gesundheitsbeschwerden ausheilen, sobald tierische Produkte wegfallen – besonders häufig Allergien, Hautkrankheiten und chronische Nebenhöhlenentzündungen.
Wahrscheinlich ist laut Studien zu krankheitsverursachenden Faktoren zudem ein geringeres Risiko für bestimmte Krebsarten, vor allem der Verdauungsorgane.
Das klingt gut. Wenn die Sache doch nur nicht einen Haken hätte!
Wie Studien zeigen, wird vegane Ernährung im Alltag oft suboptimal umgesetzt: Besonders vegane Kinder sind mitunter zu eiweissarm ernährt, ihr Kalzium- und Zinkspiegel ist tendenziell zu tief – gleiches wurde bei vegan lebenden Schwangeren, Stillenden und älteren Menschen beobachtet.
Viele gut informierte Veganer schlucken deshalb Supplemente. Eine sinnvolle Massnahme – ganz besonders im Hinblick auf Vitamin B12. Denn: «Die meisten Pflanzen enthalten B12-Vitamere, die für den Menschen nicht oder nur sehr begrenzt verwertbar sind, ja sogar die Aufnahme des für den Menschen wirksamen Vitamin B12 behindern», erklärt Ernährungsforscher Leitzmann. Daraus folgt: Die oft beworbenen «B12-Lieferanten» Bierhefe, Gerstengras, Getreidekeimlinge, Sauerkraut, Sojaprodukte wie Miso, Tempeh und Tamari sowie die meisten Mikroalgen sind für den Menschen keine ausreichend zuverlässigen Vitamin-B12-Quellen.
Laut Professor Leitzmann sind es denn auch die «unzureichend beratenen Leute, die den teilweise schlechten Ruf der Veganer verursachen, wenn sie mit ihren Kindern beim Arzt wegen Mangelerscheinungen vorstellig werden.» Glücklicherweise seien solche Fälle aber selten und würden davon ablenken, «dass täglich Tausende von Fleischessern an ernährungsbedingten Krankheiten sterben.»
TIPP: Nähr- und Vitalstoff-Check für Veganer
Mit anderen Worten: Wer sich langfristig vegan ernähren will, sollte sich gründlich informieren und die gewonnenen Kenntnisse im Alltag konsequent umsetzen.
Dazu gehören Kenntnisse der Referenzwerte für die tägliche Nährstoffzufuhr, des Nähr- und Vitalstoffgehalts häufig verzehrter Lebensmittel sowie bestimmter Wechselwirkungen zwischen den Lebensmitteln bzw. deren Inhaltsstoffen. So lässt sich beispielsweise die Resorption von Eisen durch Vitamin C um bis zu 300 Prozent steigern.
In Reformhäusern, Bio-Läden und im Internet gibt es eine riesige Auswahl an veganen Produkten. Deren Qualität reicht von «gummiartig-künstlich» schmeckenden Fleisch- und Wurstersatzprodukten bis hin zu richtig schmackhaften Kreationen, etwa Bio-Butter aus Kokos- und Palmfett oder Milch und Sahne aus Getreide, Reis und Mandeln.
Das Angebot wird laut Leitzmann weiter wachsen, beispielsweise bei Produkten aus der europäischen Süsslupine, die mit 40 Prozent hochwertigem Eiweiss eine vielversprechende Alternative zur Sojabohne darstellt.* Oder beim Hanf, «dessen Samen in puncto Proteingehalt und Bioverfügbarkeit zwischen Milch und Fleisch liegen».
Erfreulich ist auch, dass vegane Profiköche in der Regel keine (teuren) Convenience-Produkte empfehlen, sondern mit vielfältigen «Rohmaterialien» in Bioqualität arbeiten. Für kochinteressierte Mischköstler ist es eine Bereicherung, wie phantasievoll in der veganen Küche frische Kräuter, Gewürze, einheimische und fremdländische Getreide, Tofu, bekannte und fast vergessene Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst, Nüsse, Nussmus und Samen variiert werden.
Das wachsende Interesse an veganer Ernährung hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass immer mehr vegane Köche bodenständig, mit viel Begeisterung und ohne moralingeprägten Habitus auftreten. Das macht neugierig und weckt die Hoffnung, bei minimalem Lustverzicht etwas für Umwelt und Tiere zu tun – nach dem Motto «Besser ab und zu vegan als gar nicht!»
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