Wie ernährt man sich im Alter richtig? Experten raten zu «bedarfsgerechter Ernährung» für ältere Menschen. Doch was versteht man darunter?
Text: Andrea Pauli, 03/20
Dass mit zunehmendem Alter die Kräfte nachlassen, spürt jeder früher oder später. Also genehmigt man sich einfach etwas mehr auf dem Teller? Von wegen! Leider sinkt auch der Grundbedarf. Mit 40 geht's statistisch gesehen schon los, ab da benötigt der Mensch ständig weniger Energie. Nach dem 55. Lebensjahr nimmt der Bedarf entschieden ab: alle zehn Jahre um gute 8 Prozent. Das bedeutet: Pro Lebensjahrzehnt braucht man rund 100 Kilokalorien (kcal) weniger. Ernährungswissenschaftler stellen allerdings fest: Gesunde Senioren nehmen heutzutage deutlich mehr Energie auf, als sie verbrauchen (mangels Bewegung, durch Abbau von Muskelmasse): Rund 800 kcal zu viel werden offenbar verspeist.
Womit aber keineswegs gesagt ist, dass damit der Bedarf an lebenswichtigen Nährstoffen wie Eiweiss, Vitaminen und Mineralstoffen tatsächlich gedeckt ist. Doch was ist denn nun «bedarfsgerecht»?
Das lässt sich leider nicht generell sagen – Senioren stellen hinsichtlich ernährungsmedizinischer Besonderheiten eben keine einheitliche Gruppe dar. Bei den «jungen Alten» liegt das Augenmerk meist eher auf der Vermeidung respektive Reduktion von Übergewicht. Bei gebrechlichen und hochbetagten Menschen hingegen wird häufig eine Mangelernährung zum Problem, die mit einem erhöhten Sterberisiko einhergehen kann.
Alter allein ist selbstredend auch keine feste Grösse: Der Energiebedarf eines 80-jährigen, munteren Rentners liegt klar über dem eines bettlägerigen, multimorbiden (von mehreren Krankheiten gleichzeitig betroffenen) Altersgenossen.
Grundsätzlich, sagen Experten, können drei Kategorien unterschieden werden:
Entscheidend ist die Verteilung der Hauptnährstoffe im Verhältnis zur Gesamtenergiezufuhr. Um alle essenziellen Nährstoffe zu sich zu nehmen, muss man es bei niedrigerer Energiezufuhr schaffen, Lebensmittel mit einer höheren Nährstoffdichte zu verzehren. Wie das geht? Indem man vor allem frisches, saisonales Obst und Gemüse, Kartoffeln und Vollkornprodukte isst (anstatt Fertiggerichte und Süsses). Die empfohlenen Lebensmittel enthalten nicht nur hochmolekulare Kohlenhydrate, sondern auch reichlich Ballaststoffe. (Letztere sind übrigens bei weitverbreiteter Verstopfung von älteren Frauen besonders hilfreich.) Der tägliche Ballaststoffanteil (Nahrungsfasergehalt) sollte mindestens 30 g betragen. Das kann durch den Verzehr von drei Portionen Getreideprodukten (Vollkorn), Kartoffeln oder Hülsenfrüchten und fünf Portionen Gemüse und Früchte pro Tag erreicht werden.
Beispiele für den Nahrungsfasergehalt (in Gramm):
Die Gewichtszunahme hängt im Alter entscheidend mit der Qualität der verzehrten Kohlenhydrate zusammen. Das fanden Forscher der Harvard University in Boston im Rahmen dreier grösserer US-Studien heraus. Die Probanden, die zu Beginn nicht älter als 65 Jahre waren, legten alle vier Jahre um 1,5 kg zu. Nach 24 Jahren betrug die Gewichtszunahme fast 9 Kilogramm. Wer dabei Lebensmittel mit hohem glykämischem Index konsumierte, hatte auch einen grösseren Gewichtsanstieg. Wer z. B. über die empfohlene Aufnahmemenge hinaus täglich 100 g Stärke oder Zucker zusätzlich zu sich nahm, hatte nach vier Jahren durchschnittlich 1,5 bzw. 0,9 kg mehr auf den Rippen. Umgekehrt wirkte sich ein Anstieg der Ballaststoffration um 10 g pro Tag mit einer um 0,8 kg geringeren Gewichtszunahme aus.
Der Bedarf an Kohlenhydraten wird mit mindestens 250 g am Tag angegeben.
Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass ältere Menschen (ab 65), bezogen auf ihr Körpergewicht, offenbar mehr Protein benötigen als jüngere. Damit lasse sich dem Muskelabbau begegnen, die Immunkompetenz des Organismus stärken und die Wundheilung unterstützen. Die Extraportion Eiweiss muss nicht unbedingt aus der Proteinquelle Fleisch stammen – hochwertige Milchprodukte mit hohem Leucingehalt (z.B. Hartkäse) und pflanzliche Proteine (z.B. Hülsenfrüchte) könnten den Bedarf ebenso decken. Die Kombination verschiedener pflanzlicher Proteine, z.B. Getreide mit Nüssen oder Hülsenfrüchten, verbessert die Proteinqualität. Wissenschaftler raten, die Proteinzufuhr gleichmässig auf die drei Hauptmahlzeiten zu verteilen. Doch wo steckt wie viel Protein drin?
Ein paar Beispiele – je 10 g Protein sind enthalten in:
In puncto Fette raten Experten zu folgendem Mix: Täglich 2–3 EL hochwertiges, kaltgepresstes Pflanzenöl (z.B. Olivenöl), täglich 1 Portion (20–30 g) ungesalzene Nüsse, Samen oder Kerne; zusätzlich können sparsam Butter und Rahm (Sahne) verwendet werden (ca. 1 EL/10 g pro Tag).
Die aufgeführten Mengen und Werte orientieren sich an gesunden älteren Menschen.
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Auch wenn der Energiebedarf im Alter aufgrund abnehmender Muskelmasse und verlangsamten Stoffwechsels sinkt: Der Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen (Mikronährstoffen) bleibt gleich oder steigt sogar an. Das Essen muss also viele Vitamine und Mineralstoffe enthalten, damit keine Mangelernährung auftritt.
Eine kritische oder grenzwertige Versorgung älterer Menschen stellen Wissenschaftler besonders fest bei: Vitamin D, Calcium, Vitamin B12 und Folat.
Vitamin D ist wichtig für die Regulation des Calcium- und Phosphatstoffwechsels und folglich für die Knochengesundheit. Calcium ist in erster Linie essenziell für die Knochengesundheit. Die Aufnahme von Calcium in den Knochen ist allerdings von Vitamin D abhängig. Oft befürworten Mediziner darum eine Supplementierung (Ergänzung) von Calcium und Vitamin D. Gerade, weil die körpereigene Produktion von Vitamin D bei Älteren abnimmt, sich die Aufnahme von Calcium im Darm reduziert und die Ausscheidung über die Nieren erhöht ist.
Gute Quellen für Vitamin D: fettreiche Fische wie Lachs oder Makrele, Pilze, Eigelb, Eier.
Gute Quellen für Calcium: Milch und Milchprodukte, Dörrbohnen, Spinat, calciumreiche Mineralwässer.
Vitamin B12 wird zur Blutbildung und zum Abbau einzelner Fettsäuren benötigt. Aus der Nahrung kann es nur mithilfe einer in der Magenschleimhaut gebildeten Substanz (dem Intrinsic-Faktor) aufgenommen werden. Im Alter mangelt es vielen Personen durch Entzündungen der Magenschleimhaut häufig am Intrinsic-Faktor. Auch bestimmte Krankheiten oder Medikamente können die Aufnahme vom B12 im oberen Verdauungstrakt beeinträchtigen.
Gute Quellen für Vitamin B12: Fisch, Eier, Käse, Milchprodukte, Leber, Fleisch.
Folat hat eine wichtige Funktion bei der Zellteilung und -neubildung, ebenso beim Stoffwechsel bestimmter Aminosäuren. Aufgrund ungenügender Zufuhr, bestimmter Medikamente oder chronischen Alkoholkonsums kann im Alter ein Folatmangel auftreten.
Gute Quellen für Folat: grünes Gemüse, Bohnen, Kichererbsen, Früchte, Sprossen, Leber, Nüsse, Eier.
Folate reagieren empfindlich auf Hitze (Kochen), folglich empfehlen sich Salate/Rohkost. (Folsäure bezeichnet übrigens ein synthetisch hergestelltes Produkt.)
Aufgepasst: Einfach mal «auf Verdacht» sollte man Mikronährstoffe in Form von Nahrungsergänzungsmitteln nicht einnehmen. Am besten, man bespricht sich mit seiner Hausärztin.
Wie schnell und in welchem Ausmass Mikronährstoffe aus einer Mahlzeit ins Blut gelangen und ob dieser Prozess altersabhängig ist, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland im «Journal Nutrients» zusammengefasst. Nachdem sie bei Probanden die Basiskonzentrationen von verschiedenen Mikronährstoffen gemessen hatten, wurde diesen eine Testmahlzeit verabreicht: ein Brotaufstrich u.a. aus Karotten, Tomaten, Rapsöl und Weizenkeimen sowie ein Smoothie aus schwarzem Johannisbeer-, Apfel- und Möhrensaft.
Das Ergebnis: Die Konzentrationen des essenziellen Spurenelements Zink und des Carotinoids Lycopin sind bei älteren Menschen generell niedriger als bei jüngeren. Nach der Nahrungsaufnahme schwankten besonders Zink und Vitamin C, was aber eher auf individuelle als auf altersbedingte Unterschiede zurückzuführen ist. Die Konzentration von Vitamin C liess sich relativ einfach mit einem Glas schwarzen Johannisbeer- oder Apfelsafts steigern. Die Konzentration von Selen war bei älteren Teilnehmenden höher als bei jüngeren; beobachtet wurden zeitabhängige Unterschiede. Das Verhältnis von Kupfer und Zink unterschied sich altersabhängig, was auf deren Rolle als Biomarker für das Altern hinweist. Mit Blick aufs Eisen gab es bei den Ausgangswerten keine altersabhängigen Unterschiede, jedoch Veränderungen nach der Nahrungsaufnahme. Fazit: In Kliniken und Pflegeheimen sollte man gezielt darauf achten, dass aktuelle Erkenntnisse zur Nährstoffzufuhr auch berücksichtigt werden.