Der Klimawandel verändert nicht nur Ökosysteme, Wirtschaft und Gesellschaft. Er beeinträchtigt auch massgeblich das menschliche Wohlbefinden. Was sind die Risiken, und wer ist besonders gefährdet?
Autorin: Gisela Dürselen
Im September 2021 erschien weltweit ein gemeinsamer Leitartikel von über 220 medizinischen Fachverlagen, in dem vor katastrophalen Gesundheitsschäden durch die Erderhitzung und den Verlust der Artenvielfalt gewarnt wird. In ihrem Dringlichkeitsappell fordern die Wissenschaftler zum sofortigen Handeln auf, um den globalen Temperaturanstieg auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen und die Zerstörung der Biodiversität zu stoppen.
Bereits jetzt seien die Auswirkungen global spürbar. Der Rückgang an Ernteerträgen bei den wichtigsten Feldfrüchten aufgrund von Extremwetterereignissen, des Verlusts an fruchtbarem Boden und sinkender Grundwasserspiegel führten zu einem Rückschritt beim Kampf gegen Unterernährung. Die Destabilisierung von Ökosystemen untergrabe weltweit die Wasser- und Nahrungsmittelsicherheit und erhöhe das Risiko für weitere Pandemien. Betroffen seien nicht nur die Ärmsten – kein Land sei ausgenommen, egal wie reich es sei.
Doch Pflanzen weisen auch eine überraschend grosse Anpassungsfähigkeit unter extremen Bedingungen auf. Zu diesem Schluss kommt eine grosse internationale Studie im Fachblatt «Nature», für die 120 Forschende aus 27 Ländern acht Jahre lang Proben von insgesamt über 300 Pflanzenarten sammelten. Die Isolierung der Pflanzen in Trockengebieten scheint den Wettbewerb zwischen den Arten zunächst zu verringern, so dass diese eine weltweit einzigartige Vielfalt an Formen und Funktionen sowie ein breites Spektrum an individuellen Anpassungsstrategien entwickeln, die mit steigender Trockenheit sogar zunimmt. Einige Pflanzen haben z.B. einen hohen Kalziumgehalt entwickelt, der die Zellwände als Schutz vor Austrocknung stärkt. Andere enthalten hohe Salzkonzentrationen, die die Transpiration verringern.
Inwieweit dieser Prozess auch längerfristig und bei weiter steigenden Temperaturen anhält, ist aber noch nicht erforscht.
Zu den Beteiligten an der Aktion gehören so renommierte Fachverlage wie das «British Medical Journal» und «Lancet». Bereits 2015 hatte eine Fachkommission von «Lancet» konstatiert, dass der Klimawandel «die grösste Gefahr für die menschliche Gesundheit im 21. Jahrhundert» darstelle. Die Fachzeitschrift hat zu diesem Thema die Forschungskooperative «Lancet Countdown» gegründet, die jedes Jahr einen Bericht zu Gesundheit und Klima veröffentlicht. In ihrem jüngsten Report von 2020 stellten die Wissenschaftler fest, dass sich der Zustand bei allen der über 40 untersuchten Indikatoren merklich verschlechtert habe.
Direkte Gesundheitsrisiken entstehen nicht nur durch Stürme, Hochwasser und Erdrutsche. Die Gruppe «Lancet Countdown» geht davon aus, dass Hitzewellen in der EU bis zum Jahr 2030 zusätzliche 30 000 Todesfälle verursachen könnten. Diese Einschätzung untermauert eine internationale Studie, bei der Daten zu hitzebedingten Todesfällen aus 43 Ländern zwischen 1991 und 2018 analysiert wurden. In der von der Universität Bern und der London School of Hygiene & Tropical Medicine koordinierten und im Mai 2021 in der Fachzeitschrift «Nature Climate Change» veröffentlichten Studie ist zu lesen, dass im beobachteten Zeitraum 37 Prozent der durch Hitze verursachten Todesfälle auf Klimaveränderungen zurückgingen.
Erstautorin des Fachartikels ist Prof. Ana Maria Vicedo Cabrera, die Leiterin der Forschungsgruppe «Klimawandel und Gesundheit» am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern. Ihrer Meinung nach wird das Gesundheitssystem eine herausragende Rolle für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger spielen, wenn in den kommenden Jahren die Umweltfolgen spürbarer werden. Zwischen Klimawandel, Zoonosen und Pandemien gebe es einen klaren Zusammenhang: «Alle drei sind das Resultat menschlicher Einwirkung auf die Natur, die dadurch unter Druck gerät», sagt die Umweltepidemiologin.
In der Schweiz sind die Folgen des Klimawandels von Region zu Region unterschiedlich. Ein klarer Trend zeichnet sich jedoch ab: Laut den Klimamodellen von MeteoSchweiz steigt die mittlere Temperatur bis 2060 um zwei Grad Celsius, wenn der Ausstoss an Treibhausgasen weltweit massiv reduziert wird – ohne Klimaschutzmassnahmen könnte die mittlere Temperatur in der Schweiz um bis zu fünf Grad steigen. Dieser Unterschied ist nicht nur ein technischer: Unter Wissenschaftlern wird zunehmend diskutiert, ab welchem Punkt die Anpassungsfähigkeiten vieler Gesellschaften überfordert werden und der Klimawandel durch Migration und neue Konflikte zum Sicherheitsrisiko werden könnte.
Um die gesundheitlichen Folgen eines sich verändernden Klimas für die Schweiz abzuschätzen, haben Mitarbeiter des Schweizerischen Tropen- und Public- Health-Instituts (Swiss TPH) und der Universität Basel 2020 die Gesundheitsdaten aus vergangenen Hitzesommern ausgewertet. Das Ergebnis: Hitzewellen, aber auch einzelne Hitzetage, haben landesweit zu einer Zunahme von Notfall-Spitaleintritten und der Sterblichkeit geführt. Im Tessin, der wärmsten Grossregion in der Schweiz, lag die Übersterblichkeit im Sommer 2019 bei 12 Prozent.
Häufige Auslöser für Spitaleintritte waren neben typischen Diagnosen wie Hitzschlag und Herz-Kreislauf-Beschwerden auch Magen- und Darminfekte. Diese wurden vermutlich durch Krankheitserreger ausgelöst, die sich bei hohen Temperaturen leichter vermehren. Die Untersuchung des TPH ergab weiter, dass die Sterblichkeit ab einer Tageshöchsttemperatur von 30 Grad Celsius mit jedem Grad zunimmt. Warme Nächte seien ein zusätzliches Risiko, weil der Körper durch die fehlende Abkühlung nicht mehr richtig regenerieren könne.
Hitze vermindert nachweislich Arbeitsleistung und Konzentration. Weil bei steigenden Temperaturen auch die bodennahen, atemwegreizenden Ozonwerte steigen, nehmen laut TPH Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Beschwerden zu.
Zu den Risikogruppen gehörten neben den chronisch Kranken auch Kleinkinder und Schwangere, weil bei ihnen der Organismus schlechter mit solchen Bedingungen zurechtkommt. Ältere Menschen hätten ein mehrfaches Risiko: Sie trinken oft zu wenig, sind oft körperlich oder mental eingeschränkt und leiden auch häufig an chronischen Krankheiten. Darum gehört zur täglichen Routine meist die Medikamenteneinnahme.
Arzneimittel jedoch bergen eine weitere Gefahr. Denn manche reagieren bei Hitze anders als bei gemässigten Temperaturen. Das als Verein eingetragene Netzwerk «Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit» (KLUG) warnt in einem Hintergrundpapier die Ärzteschaft und hat eine Liste mit Substanzen erstellt, bei denen die Dosis der Temperatur angepasst werden sollte. Zu den gelisteten Therapeutika gehören eine Reihe von Betablockern für Herzkranke, entwässernde Diuretika, Antidepressiva und Pflaster gegen starke Schmerzen.
Zu den indirekten gesundheitlichen Bedrohungen durch den Klimawandel gehören laut KLUG sich verändernde Ökosysteme:
In milden Wintern stechen nun Zecken, und sie wandern in höhere Lagen ein.
In heissen Sommern haben hochallergene Pflanzen wie die Beifuss-Ambrosie (Ambrosia artemisiifolia) eine verlängerte Pollenflugzeit. Dies sei besonders in Gebieten mit starker Luftverschmutzung ein Problem, weil Pollen mit Stoffen wie Feinstaub und bodennahem Ozon reagierten, was das Allergiepotenzial der Pollen noch steigere.
In Badegewässern können sich nach den Erkenntnissen von KLUG giftige Blaualgen bilden oder die natürlicherweise vorkommenden Vibrio-Bakterien vermehren, welche schwere Wundinfektionen und Durchfall auslösen können.
Auch Pflanzen, Parasiten und Insekten, die in Mitteleuropa ursprünglich nicht heimisch waren, wandern KLUG zufolge immer mehr in gemässigte Breiten ein, etablieren sich dort und verursachen bis dato nicht vorkommende Allergien und Krankheiten. Ein Beispiel dafür ist die Tigermücke: Ursprünglich im asiatischen Raum beheimatet, ist sie inzwischen überall in Südeuropa vertreten und nun auch in verschiedenen mitteleuropäischen Gebieten gesichtet worden. Die Tigermücke ist Überträgerin verschiedener Erreger wie Dengue- und Zika-Viren, die bisher nur aus den Tropen bekannt waren. In der Schweiz wurde die Mücke erstmals 2003 im Kanton Tessin gesichtet; mittlerweile ist sie auch im Raum Basel nachgewiesen.
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Nicht zuletzt beeinflusst der Klimawandel laut KLUG auch die menschliche Psyche, denn durch anhaltend hohe Temperaturen schütte der Körper vermehrt Stresshormone aus. Mehrere internationale Studien fanden Hinweise darauf, dass sogar die blosse Wahrnehmung globaler Bedrohung das emotionale Wohlbefinden erheblich beeinträchtigen kann. In den USA gibt es für dieses Phänomen einen Namen: Öko-Angst (eco-anciety). Nach einer Erhebung im Jahr 2018 der US-amerikanischen Yale Universität und George Mason Universität gaben fast 70 Prozent der 1114 befragten Erwachsenen an, sie seien wegen des Klimawandels besorgt; fast jede dritte Person antwortete, sie sei sehr besorgt.
Die wissenschaftlichen Prognosen für die Folgen des Klimawandels sind inzwischen ziemlich exakt. Dennoch bleiben Unsicherheiten im Detail: Die Zusammenhänge sind komplex, jede Region ist unterschiedlich betroffen, und unsicher ist auch, wie gut es gelingt, den Ausstoss an Treibhausgasen zu vermindern. Umso wichtiger wird die Vorsorge.
Denn die Menschheit ist nicht komplett hilflos – mit entschlossenem Handeln können die Folgen des jetzt schon Unvermeidlichen zumindest abgemildert werden: Städte können umgebaut und so widerstandsfähiger gegenüber Extremwetter werden, und Aktionspläne für Hitzeperioden lassen die Todeszahlen sinken.
Die europäische Wissensplattform «Climate-Adapt» hat nun eine eigene Beobachtungsstelle zur Gesundheit, die Länderprofile, Beobachtungsberichte und Studienergebnisse veröffentlicht. Auch die Aktionspläne von Ländern wie Deutschland, Österreich und der Schweiz rücken das Thema Gesundheit vermehrt in den Blickpunkt: Der zweite Schweizer Aktionsplan 2020–2025 enthält erweiterte Hitze-Frühwarnsysteme. Städte wie Zürich richten ein Hitzetelefon ein, und in manchen Gegenden gibt es ein Netz an Ehrenamtlichen, die Risikopersonen an Hitzetagen betreuen. Ein zentraler Punkt der Vorsorge ist die Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger zum richtigen Verhalten bei hohen Temperaturen.
Es gibt erste Hinweise, dass eine breit angelegte Vorsorge die Gesundheitsrisiken tatsächlich senken kann. Die Auswertung der Schweizer Daten zu den hitzebedingten Todesfällen ergab, dass in den beiden Hitzewellen 2019 nach Inkrafttreten diverser Massnahmen die Übersterblichkeit geringer war als in den vorangegangenen Hitzesommern.
Immer klarer wird jedoch auch, dass regionale und lokale Antworten zwar helfen, aber nicht genügen. Prof. Ana Maria Vicedo Cabrera von der Universität Bern sagt, aus der Covid-19-Pandemie seien die Lehren für den Klimawandel zu ziehen: Es brauche globale Antworten auf solch beispiellose Bedrohungen, und es sei wichtig, die Gesundheitssysteme zu stärken. Denn es habe sich gezeigt, dass die Ressourcen der aktuellen Systeme begrenzt seien. «Aus dem, was heute geschieht, müssen Politiker lernen, um für die Zukunft vorbereitet zu sein.»
Zuletzt aktualisiert: 20-09-2024