Gifte und Schadstoffe in den eigenen vier Wänden wünscht sich keiner. Trotzdem wächst die Zahl derer, die unter gebäudebedingten Beschwerden leiden. Baupioniere halten mit erstaunlichen Innovationen dagegen.
Autorin: Petra Horat Gutmann, 09/20
Trendforscher haben es kommen sehen, und nun hat das «Holz-Zeitalter» begonnen: In allen Klimazonen der Welt sind in den letzten Jahren topmoderne Häuser entstanden, die vorwiegend aus Holz gefertigt sind. Ein- und Mehrfamilienhäuser, Kitas, Schulen, Industriebauten und Bürohäuser. Darunter imposante Hochhäuser, wie zum Beispiel das «HoHo» in Wien (84 Meter) oder das «Mjøstårnet» im norwegischen Brumunddal (85 Meter).
Auch in der Schweiz bestehen mittlerweile zehn Prozent der Neubauten vorwiegend aus Holz. In Österreich sind es zwölf Prozent, in Deutschland sogar gegen 18 Prozent – Tendenz in allen drei Ländern steigend. Die Vorteile von Holz liegen auf der Hand: Das Naturmaterial ist ein CO2-Speicher; jährlich wächst auf der nördlichen Erdhalbkugel ein Mehrfaches an Holz nach als im Wohnungsbau benötigt wird. Und dank neuer Fertigungstechniken kann man mit Holz enorm vielseitig, hochpräzise und rascher bauen als mit Beton und Stein.
Hinzu kommt, dass sich die meisten Menschen «im Holz» wohlfühlen. Studien belegen, dass eine Umgebung mit viel Holz die Herztätigkeit und das Nervensystem beruhigt.
Nur eines wird in der aktuellen Holz-Euphorie meist übersehen: Dass das massenweise verbaute Holz mit Chemikalien behandelt und «veredelt» ist und damit zur potenziellen Schadstoffquelle für Hausbewohner wird.
Die Neubauten sind zwar nachhaltig und energieeffizient, doch wirklich wohngesund sind sie nicht. Unter den immer dichter werdenden Gebäudehüllen braut sich einiges zusammen. Bauschaum, Bodenbeläge, Fugenkleber und Mörtel, Holzwerkstoffplatten und Wandfarben – sie alle dünsten aus. Wie baubiologische Messungen zeigen, sind versteckter Schimmel und «dicke Luft» in Neubauten weit verbreitet.
Derweil steigt die Zahl der Menschen mit gebäudebedingten Erkrankungen weiter an. Besonders häufig sind Reizungen der Schleimhaut von Augen, Nase, Rachen und Bronchien sowie Kopfschmerzen. Schadsubstanzen aus Bauprodukten gelten zudem als Mitursache schwerer Erkrankungen wie Asthma, Allergien, Krebs und Schädigungen des Nervensystems. Forscher haben herausgefunden, dass umwelt- und gebäudebedingte Erkrankungen meist durch eine chronische Exposition gegenüber Substanzen in eher geringen Dosen entstehen. Und dass sie in der Regel das Resultat einer Kombinationswirkung mehrerer Schadstoffe sind.
Viele Menschen mit gebäudebedingten Beschwerden suchen während Jahren oder gar Jahrzehnten nach Wohnräumen, in denen die Beschwerden abklingen. Ein Glück, dass inzwischen einige wohngesunde Leuchtturmprojekte entstanden sind. Sie bieten dank rekordtiefer Schadstoffwerte auch Allergikern ein Zuhause, die keine flüchtigen organischen Stoffe (VOCs) ertragen, wie sie aus Span- und Sperrholzplatten, Farben, Lacken und Leimen ausdünsten.
Was ist in diesen Häusern anders? Auffallend ist, dass in den meisten unbehandelte Naturmaterialien verbaut werden. Zum Beispiel Eiche für Fenster, Böden und Türen. Eiche ist so hart, dass es keine Holzschutzmittel benötigt. Auch die Innenwände sind meist mit unbehandelten Naturmaterialien verkleidet. Beispielweise mit Öko-Gipsfaserplatten und ökologisch gebrannten Hohllochziegeln. Gedämmt wird fast nie mit Kunststoff (z.B. Styropor), sondern mit Öko-Holzfasern, Schilfrohr-Lehmplatten und Bioschafwolle.
Sowohl Schafwolle als auch Lehm können Feuchtigkeit aufnehmen und wieder abgeben, sie regulieren also das Raumklima. Ausserdem binden beide Naturstoffe Schadsubstanzen. Hochwertiger Lehm wird deshalb immer häufiger auch für den Innenputz in modernen, wohngesunden Häusern eingesetzt.
Wegweisend im Bereich des gesunden Wohnungsbaus sind die «Holz100-Häuser». Ihr geistiger Vater, Erwin Thoma, begann vor 30 Jahren mit dem wohngesunden Hausbau. Den Anstoss dazu gaben seine Kinder, die erst dann von chronischem Husten und Atemwegsbeschwerden genasen, als der Papa die verleimten Spanplatten im Einfamilienhaus durch Massivholz ersetzte. Der österreichische Förster fackelte nicht lange und gründete ein Unternehmen für ökologischen Holzbau. Zehn Jahre lang tüftelte und forschte Erwin Thoma, bis er ein perfektes System aus massivem, reinem Vollholz entwickelt hatte.
Inzwischen sind «Holz100-Häuser» weltweit tausendfach montiert. Sie erhalten Bestnoten in puncto Wärme- und Kälteschutz, Robustheit, Brand- und Erdbebensicherheit. Und sind im wahrsten Sinne «nachhaltig», das heisst rückbaubar, ohne dass Sondermüll anfällt.
Auf Kunststoffe, Kleber und Chemie wird in «Holz100-Häusern» verzichtet. Holzschutzmittel? Nicht nötig. Das verbaute offenporige Holz nimmt Wasser auf und gibt Wasser ab, trocknet also ganz natürlich. Das macht den Einsatz von Spezialfolien oder Beschichtungen gegen Feuchtigkeit, Insekten und Pilze überflüssig.
Erwin Thomas Holzbaukunst hat in der Schweiz erste Nachahmer gefunden, die ebenfalls unbehandeltes Massivholz auf ähnliche Weise verbauen. Thoma aber geht noch einen Schritt weiter: Er setzt ausschliesslich auf Mondholz, weil dieses robuster, langlebiger und im Verhalten «ruhiger» sei. Holz, das nur in der Saftruhe und unter Berücksichtigung der Mondphasen gefällt wurde, war einst das bevorzugte Baumaterial von Häusern, die den Jahrhunderten trotzten. Aber auch von Kriegsschiffen, die sich keinen Befall durch Bohrmuscheln «erlauben» konnten.
Heute jedoch wird die uralte Praxis von vielen Förstern und Baufachleuten belächelt. Möglicherweise zu Unrecht? Studien des Bieler Holzschutzforschers Prof. Ernst Zürcher zeigen, dass es eine Wechselwirkung zwischen der Qualität des Holzes, dem Zeitpunkt der Fällung und den Mondphasen gibt. Und zwar hinsichtlich Wasserverlust, Dichte und Schwindverhalten.
Noch sind «Holz100-Häuser» ein Luxus, den sich nur wenige leisten können. Massivholz ist ein Nischenprodukt, und Mondholz erst recht. Das hat zehn bis 15 Prozent höhere Baukosten zur Folge.
Mit dem Hausbau alleine ist es zudem nicht getan. Auch der perfekteste häusliche Schutz-Kokon wird ad absurdum geführt, wenn das fertige Haus mit synthetischen Einrichtungsgegenständen (Vorhänge, Lampen, Teppiche usw.) und Möbeln aus Spanplatten und Sperrholz gefüllt wird.
Derweil steigt die Zahl der Betroffenen, die fast keine Emissionen mehr ertragen. Weder Wohngifte noch parfümierte Waschmittel, keine Abgase, keinen Elektrosmog, keinen Zigarettenrauch und weitere Stoffe mehr. Am schwersten trifft es MCS-Betroffene, also Menschen mit multipler Chemikalien-Unverträglichkeit. Auch für sie wurden in den vergangenen Jahren erste Pilotprojekte gebaut. Eines der eindrücklichsten ist das «MCS-Haus» im zürcherischen Leimbach.
Bereits die gesuchte Parzelle musste strenge Anforderungen hinsichtlich Lärmbelastung, Luftverunreinreinigung, Elektrosmog und Wasseradern erfüllen. Sämtliche Baumaterialien wurden vorgängig von MCS-Betroffenen getestet.
Das ursprünglich vorgesehene Holz kam nicht infrage, weil es Formaldehyd und andere Substanzen ausgaste. So fiel die Wahl schliesslich auf Hart-PVC und weitere emissionsarme Baumaterialien wie hochgebrannte Backsteine, Kalkputze und Platten aus Feinsteinzeug.
Auch bezüglich Elektrosmog ist das Haus ein Vorzeigeobjekt: Glasfaserstäbe in den Wänden der Wohn- und Schlafräume schirmen elektromagnetische Wellen wirkungsvoll ab. Fazit? Die Bewohner des MCS-Hauses am Uetliberg haben eine Oase gefunden, in der es sich gut leben lässt.
Nachhaltig: Der Begriff Nachhaltigkeit kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft und bedeutete anfangs, dass nicht mehr Bäume geschlagen als wiederaufgeforstet werden können. Heute gilt, dass eine nachhaltige Handlung weder der Natur noch künftigen Generationen Schaden zufügen darf.
Ökologisch: Im Mittelpunkt stehen die Schonung der Ressourcen durch nachwachsende Baustoffe, kurze Transportwege und die Wiederverwendbarkeit der Baumaterialien. Ökologische Baustoffe enthalten weniger Chemikalien als konventionelle. Ökologisch ist jedoch nicht gleich wohngesund.
Wohngesund: Wohngesundes Bauen reduziert Einflüsse, die krank machen oder der Gesundheit abträglich sind. Wichtigste Massnahmen: Ausschliessen von biologischen und physikalischen Belastungen (Schimmel, Schall, Elektrosmog etc.) sowie Einsatz von emissionsfreien Baumaterialien. Ein wohngesundes Raumklima ist individuell: Manche z.B. ertragen die Ausdünstung eines Naturmaterials wie Holz im Innenbereich nicht, einen emissionsfreien Kunststoff dagegen schon.
«Schadstofffrei», «ökologisch», «VOC-frei» – viele Anbieter von Bauprodukten nehmen es mit ihren Aussagen zur Wohngesundheit nicht genau. «Greenwashing» (so tun, als ob das Produkt ökologisch sei) ist weit verbreitet, auch bei Öko-Labels für Baumaterialien.
Etliche können nur Laborprüfwerte für Formaldehyd und VOCs (flüchtige organische Verbindungen) vorweisen und geben sich für alle anderen Schadstoffe mit ungeprüften Herstellererklärungen zufrieden.
Manche Gütesiegel achten mehr auf die Umweltverträglichkeit als auf die menschliche Gesundheit. Einige wenige berücksichtigen beides, z.B. die Labels «eco» und «nature plus» (auch in der Schweiz).