Wo Bäume sind, geht es uns gut. Warum das Waldesgrün so heilsam ist, beschäftigt Forscher weltweit. Neuere wissenschaftliche Studien bieten Erklärungen für die gesundheitsfördernde Wirkung.
Judith Dominguez, 11.16
Bäume sind wunderbare Lebewesen. Gross und kräftig, erscheinen sie als Inbegriff von Natur und Gesundheit. Bäume spenden essbare Samen und reife Früchte, ihr Holz knistert heimelig im Kaminfeuer. Früher war Holz ein unentbehrlicher Bau- und Brennstoff, ohne den sich die Gesellschaft wohl kaum so enorm entwickelt hätte. Bäume leisten einen Beitrag zum Klimaschutz, indem sie Kohlenstoff speichern. Seit Urzeiten sind sie «Gefährten» der Menschen, und ohne sie wäre unsere Welt ein Stück ärmer.
Bäume sind nach biologischer Definition Holzgewächse mit einem dominanten Haupttrieb. Stehen mehrere nahe beieinander, heisst dieses Naturphänomen Wald. Doch ein Wald ist viel mehr als eine Ansammlung von Bäumen. Ein Wald ist ein Ökosystem, in dem sich Bodenkräuter und niedrige Büsche im Schatten der dichten Baumkronen besonders wohlfühlen. In einem Wald leben zahlreiche Tiere, die sich von den Früchten der Natur ernähren. Ein Wald ist ein Erlebnisraum vom Feinsten. Ein Erhoungsgebiet für stressgeplagte Erwachsene und neugierige Kinder. Allein schon das gedämpfte Licht unter dem Kronendach wirkt beruhigend.
Den Körper regelmässig in Schwung bringen, ist ein wichtiger Faktor für die Gesundheit und sich im Freien zu bewegen, gilt als besonders gesund. Zum einen, weil wir mit unserer modernen Lebensweise mehr sitzen als gehen, zum anderen aber auch, weil wir im Wald die Natur mit allen Sinnen wahrnehmen. Es lohnt sich, langsam durch den Wald zu bummeln, sich Zeit zu lassen, genau hinzusehen und zu beobachten.
Bäume kennen auch keine Eile. Die heimische Buche zum Beispiel geniesst bis zu 150 Jahre Kindheit, bevor sie ihre ersten Samen reifen lässt.
Einige Mutterbäume (ältere, regelmässig fruchtende Waldbäume) lassen die Früchte gleich an Ort und Stelle fallen, so dass sich ihre «Jungen» im Schutze des schattigen Kronendaches zu zarten Sprösslingen entwickeln.
Ein Mutterbaum hegt und pflegt seine «Kleinen» ein Leben lang, fanden Forscher heraus. Ist der Mutterbaum schliesslich alt und morsch geworden und stürzt um, wird einer der Jungbäume dessen Platz einnehmen. Das kann mehrere Menschenleben lang dauern, denn Bäume wachsen und altern überaus langsam. Der studierte Forstwirtschaftler Peter Wohlleben hat das im Bestseller «Das geheime Leben der Bäume» einfühlsam beschrieben.
Die eigenen Probleme schrumpfen im Angesicht des natürlichen Kreislaufes von Werden und Vergehen, der in einem Wald besonders schön zu beobachten ist. Und wer glaubt, ein schweisstreibender Spurt sei gesünder als gemächliches Schlendern, der irrt.
Nicht das Sich-körperlich-verausgaben bewirkt den Gesundheitseffekt, vielmehr ist der Wald selbst die Medizin. Wer zudem hin und wieder stehen bleibt, sieht, was dem Dahineilenden verborgen bleibt. Die Natur zu beobachten, ist Balsam für die Seele. Wer sich lange im Wald aufhält, zwischendurch einem Eichelhäher nachschaut oder schillernde Prachtkäfer betrachtet, tut etwas fürs Gemüt.
Die Blattkrone der Waldbäume filtert die Luft – bei uns in der Nase kommt das wohltuend an. Denn die Waldluft ist schadstoffarm, gut angefeuchtet, von hohem Sauerstoffgehalt und von Staub und Russ gereinigt. So staubarm wie im Wald ist es sonst nur im Gebirge oder am Meer. Ein paar tiefe Atemzüge fördern also unsere Gesundheit.
Die Luft im Wald verströmt zudem diesen typischen, unverwechselbaren Duft nach feuchter Erde, Pilzen, Tannennadeln und vermoderten Blättern. Und sie ist voll von gasförmigen Duftstoffen, die der Wald an die Atmosphäre abgibt. Bestimmte Bestandteile der Baumharze, die Terpene (ätherische Öle), verflüchtigen sich. In einigen Verbindungen werden sie gasförmig und gelangen durch die Spaltöffnungen der Blätter in die Luft. Diese Duftstoffe fördern die «Riechatmung» und verleihen der Waldluft ihre typische Würze. Besonders Nadelhölzer, aber auch Eichen und Buchen produzieren sie.
Was dem Wald eine wirksame List, kann uns Menschen förderlich sein: die Produktion von Abwehrstoffen, die Bäume aktivieren, um Schädlinge fernzuhalten. Knabbert ein Tier an einem Blatt, saugt ein anderes an der Rinde oder sticht eines in die Knospe, wird der Baum aktiv. Und weil Bäume soziale Wesen sind, warnen sie mit Hilfe beachtlicher Mengen an «Alarm»-Duftstoffen auch gleich noch ihre Artgenossen. So beginnen auch diese, Abwehrstoffe zu produzieren und an die Luft abzugeben. Solche Stoffe, die Pflanzen zur Schädlingsabwehr produzieren und die in den Terpenen enthalten sind, nennen die Biologen Phytonzide. Die Endung -zid kommt von lat. «caedere» (fällen, töten), Phyton (griech.) heisst «Pflanze».
Phytonzide sind pflanzliche Wirkstoffkomplexe, die zwischen den Arten vermitteln. Wissenschaftlern zufolge steht fest, dass diese Stoffe ein wichtiger Faktor der Pflanzenimmunität sind und sich unter anderem durch eine antibiotische Wirkung auszeichnen. Phytonzide bremsen also den Befall durch unerwünschte Gäste. Das haben findige Öko-Bauern längst entdeckt und nutzen diese abwehrenden Pflanzenstoffe darum als Schädlingsbekämpfungsmittel im biologischen Landbau.
Japanische Forscher (Nippon Medical School Tokio) wiesen nach, dass die Phytonzide, welche wir bei einem ausgedehnten Waldspaziergang tief einatmen, eine positive Wirkung auf das menschliche Immunsystem haben. Nicht nur Bäume wissen sich nämlich gegen Schädlinge zu wehren, sondern auch wir Menschen.
Das Immunsystem unterhält einen ganzen Trupp «Killerzellen», die in unserem Körper wie Soldaten unterwegs sind und jeden Eindringling zu eliminieren versuchen, zum Beispiel Krankheitserreger wie Bakterien und Pilze. Auch auf Zellveränderungen reagieren diese Killerzellen, etwa beim Entstehen von Krebs.
Die japanischen Forscher vermuten, dass die Phytonzide der Waldbäume unsere Killerzellen aktivieren und darum regelmässige Waldspaziergänge das Risiko, an Herzinfarkt, Diabetes und möglicherweise Krebs zu erkranken, senken. Wer nur einen Tag im Wald verbringt, hat sieben Tage lang eine erhöhte Anzahl an stärker aktivierten Killerzellen im Blut, stellten die Wissenschaftler der Nippon Medical School fest. Ein vielversprechender Therapieansatz, der in den nächsten Jahren sicherlich intensiv erforscht werden wird. In einer Studie mit mehreren Hundert Versuchspersonen wurde zudem nachgewiesen, dass Waldspaziergänge Blutdruck und Herzfrequenz senken; darüber hinaus ist die Adrenalin-Ausschüttung und damit der individuelle Stresspegel sehr niedrig. Das bestätigt ein Forscherteam der MedUni Wien. Die Wissenschaftler haben in Zusammenarbeit mit der Universität für Bodenkultur alle Erkenntnisse zur Gesundheitswirkung von Waldlandschaften zwischen 1993 und 2013 zusammengetragen.
Das Resümee ist überaus erfreulich: Regelmässige Aufenthalte im Wald tragen zur Regeneration bei, verbessern die Schlafqualität und harmonisieren das Nervensystem. Vom Stresshormon Kortisol werde weniger, von den Stimmungshormonen Serotonin und Dopamin hingegen mehr ausgeschüttet. Das Beste: Diese Wirkung tritt schon bei einem kurzen Waldspaziergang von gerade mal zehn Minuten ein.
Auch in Korea wird emsig zum Thema Wald und Gesundheit geforscht. Eine Studie der Yonsei-Universität in Seoul konnte zeigen, dass sich nach einem einstündigen Waldspaziergang die Lungenfunktion und die Beweglichkeit der Arterien stärker verbessern als nach einem Bummel durch die Stadt.
Auf weitere Resultate brauchen wir gar nicht mal zu warten, denn der Wald steht jedem offen. Die Schweiz und Deutschland sind zu einem Drittel mit Wald bewachsen, Österreich sogar beinahe zur Hälfte. Es ist folglich genug «Auslauf» für alle da, die etwas für ihre Gesundheit tun möchten.
Zudem tut ein Spaziergang nicht nur dem Körper, sondern auch der Seele gut. Weil wir – das bestätigen auch Forscher – am besten regenerieren, wenn wir die Sinne frei schweben, das beruhigende Grün auf uns wirken lassen und uns den Düften, Geräuschen und Eigenheiten des Waldes hingeben. Nicht umsonst ist das bereits 1982 von der japanischen Forstbehörde eingeführte «Waldbaden» (Shinrin-yoku) eine wissenschaftlich anerkannte Methode zur Erholung.
Experimente mit Wiesen haben bereits gezeigt, dass die Produktivität (Wachstum, Ertrag) desto grösser ausfällt, je artenreicher sie sind. Auch für Wälder konnte dieser Zusammenhang bestätigt werden, wie eine Studie aus China unter Beteiligung der Universität Zürich belegt. Nach acht Jahren speicherte der artenreiche Wald doppelt so viel Kohlenstoff pro Hektar wie eine Monokultur. Allein in China wurden zwischen 2010 und 2015 aus Klimaschutzgründen 1,5 Millionen Hektar Wald neu angepflanzt – allerdings hauptsächlich Monokulturen. Erst mit einem artenreichen Wald jedoch kann die Fähigkeit zur Speicherung von Kohlenstoff voll ausgenutzt werden.