Von Schränken über Kissen und Duftkugeln bis hin zu Würsten: Mit der heilsamen Wirkung der Zirbelkiefer schmückt sich mittlerweile eine Vielzahl von Produkten. Was ist dran an diesem Trend?
Autorin: Andrea Pauli, 10.19
Getäferte Zimmer, Betten, Truhen, Schränke, Kinderwiegen: Gebrauchsgegenstände aus Arvenholz (Zirbenholz, lat.: Pinus cembra) sind in Alpenregionen seit Jahrhunderten gebräuchlich. Heutzutage verwandelt sich die «Königin der Alpen» auch gerne mal in Kugeln, Schalen, Handyhüllen, Brotboxen, Akupunkturstäbchen, Aromakissen, Anhänger, Duftkerzen, Karaffendeckel, Badezuber, Smartphone-Ladegeräte und vieles mehr.
Zwei Zürcher kreierten eine Arven-Bratwurst, die ihr Aroma einem Sud aus Arvenspänen und einer Gewürzmischung mit Arvenschnaps verdankt. Im Engadin erfreut sich Arven-Nüssli-Salsiz grosser Beliebtheit.
Arvenartikel, so viel steht fest, sind das Trendprodukt der Wellnessbranche. Kein Handwerkermarkt oder Bioladen kommt mehr ohne Arvenprodukte aus. Dabei lässt sich zweierlei beobachten: Zum einen eine Preissteigerung aufgrund erhöhter Nachfrage. Pro Rundholzkubikmeter zahlt man heute in Deutschland und Österreich bis zu 500 Euro, das Dreifache des Werts von vor zehn Jahren. Auf der anderen Seite ist festzustellen, dass speziell Zubereitungen von ätherischem Zirbenöl, Arvenkissen und Zirbenflocken trotz der nicht eben übermässig üppigen alpinen Arvenbestände regelrecht Massenware geworden sind. Man darf getrost davon ausgehen, dass dabei nicht immer alles Pinus cembra ist, was markant duftet.
Doch weshalb eigentlich ist das Holz so ein Trendsetter geworden? In der Tat steckt viel Gutes in dem Baum. «Hauptwirkstoff der Zirbe ist die in Holz, Rinde, Nadeln und Knospen enthaltene phenolische Substanz Pinosylvin. Diese schützt den Baum vor Fäulnis und zeigt im therapeutischen Spektrum antifungale (pilzabtötende) und antibakterielle Eigenschaften», erklärt Ingenieurin und Heilpraktikerin Astrid Süßmuth, die sich intensiv mit dem Gehölz beschäftigt und mit dem aktuellen Forschungsstand auseinandergesetzt hat.
Analysen der Zirbennadeln konnten eine Vielzahl von Inhaltsstoffen identifizieren. Neben Wachs, Stärke, Ascorbinsäue, Chlorophyll und Carotinoiden enthalten die Nadeln die Flavonoide Kaempferol und das als Bestandteil von Propolis bekannte Pinocembrin. Beide wirken im Organismus antientzündlich, kardio- und neuroprotektiv (Herz und Nerven schützend). Der Gehalt an Spurenelementen nimmt mit zunehmenden Nadelalter ab, der Kalziumgehalt bleibt jedoch beständig.
Aus dem ätherischen Öl von Zirbennadeln konnten in einer grundlegenden Arbeit u.a. sieben unterschiedliche Monoterpene isoliert werden (Terpene sind eine weit verbreitete, sehr grosse Gruppe von Naturstoffen. Ihre Wirkungen sind vielfältig, sie können z.B. das Schmerzempfinden beeinflussen). In Versuchsreihen wurde zudem eine antimikrobielle Wirkung von Rinden- und Nadelextrakten beispielsweise gegenüber Escherichia coli (Bakterium, das Durchfall auslösen kann) oder Candida albicans (Hefepilz) nachgewiesen, so Süssmuth.
In der Volksheilkunde findet Pinus cembra traditionell Verwendung. «Ätherisches Zirbenöl wird vor allem in der Behandlung von organischen wie seelischen Erkrankungen im Zusammenhang mit einer dauerhaften Stressbelastung eingesetzt. Gerade bei den ersten Alarmsignalen chronischer Stresseinwirkung wie Konzentrations- und Atemschwäche, Lustlosigkeit, Nervosität und Schlafstörungen hat sich die Zirbe als Therapeutikum bewährt», erläutert Heilpraktikerin Süßmuth.
Inhaliertes Zirbenöl fördert die vertiefte Atmung bei Erkältung und Nebenhöhlenerkrankungen. Bei rheumatischen Beschwerden, Muskel- und Gelenkschmerzen kann Zirbenöl Einreibungen oder Bädern beigegeben werden. «Volksmedizinisch wird ein starker Aufguss aus unreifen Zirbenzapfen zubereitet, der als Badezusatz allgemein entspannen und zu ruhigerem Schlaf verhelfen soll. Bei Muskelkater, Verkrampfungen und neuralgischen Beschwerden wirken Umschläge mit Zirbenwasser (5 Tropfen Öl auf 1 l handwarmes Wasser) schmerzlindernd und entspannend», berichtet die Naturheilkundlerin. Eine innere Einnahme ist nicht empfehlenswert.
Als Genuss- wie Heilmittel allerdings gilt im Alpenraum der «Zirmschnaps», der bei Magenverstimmung und Übelkeit eingesetzt wird. Dazu setzt man unreife, zerschnittende Zirbenzapfen (Bild S. 28 unten) in Obstbrand an. Die alkoholfreie Variante ist Zirbenzapfenhonig, für den die unreifen, zerteilten Zapfen in Honig ausgezogen werden. Bis in die 1930er-Jahre hinein verwendete man auch «Zirbenmilch» als Stärkungskur. «Bedauerlicherweise ist die Verwendung des Pressöls aus den Zirbennüssen (die eigentlich Samen sind) weder wissenschaftlich untersucht noch volksmedizinisch erhalten», so Süßmuth.
Interessant ist, dass es bis auf eine Ausnahme keine Langzeitstudien zur Wirksamkeit von Arvenpräparaten in der therapeutischen Praxis gibt, Produzenten und Anbieter dennoch gerne von «wissenschaftlich bewiesen» sprechen, wenn es um den Nutzen ihrer Zirbenartikel geht. Und alle beziehen sich auf diese einzige Studie: Das Joanneum Research Institut evaluierte 2003 die Auswirkungen eines Zirbenholzumfeldes auf Kreislauf, Schlaf, Befinden und vegetative Regulation. Der Studie zufolge führt ein Aufenthalt in einem Zirbenzimmer im Gegensatz zu einem Raum mit reinem Holzdekor bei 31 Studienteilnehmern in körperlichen und mentalen Belastungssituationen zu einer niedrigeren Herzrate. Ein weiterführender Test zur Schlafqualität mit 15 Personen zeigte, dass das Herz um täglich 3500 Schläge entlastet wird.
Prof. Gerald Gartlehner, Leiter des Departements für Evidenzbasierte Medizin an der Donau-Uni Krems, beurteilt die Ergebnisse des Joanneum-Instituts skeptisch: «Die Studie kann uns nicht beweisen, dass Zirbenholzmöbel tatsächlich gut für die Gesundheit sind und den Schlaf verbessern. Doch das war möglicherweise auch gar nicht das Ziel, sonst wäre die Studie in einem anerkannten wissenschaftlichen Journal veröffentlicht worden. Bedingung für eine solche Veröffentlichung ist allerdings, dass andere Wissenschaftler die Daten gegenchecken.»
Abgesehen davon waren die Projektpartner respektive Auftraggeber der Studie holzverarbeitende Betriebe aus Österreich, Tirol und der Schweiz.
Den vollmundigen Versprechungen mancher Anbieter von Arvenprodukten darf man durchaus mit kritischer Haltung begegnen. Dass Pinus cembra in ihrer volksmedizinisch bewährten Verwendung eine wohltuende Wirkung haben kann, ist davon unbenommen.