Viele einheimische Bäume haben es zunehmend schwer: Steigende Temperaturen, wochenlange Trockenzeiten und Schädlinge machen ihnen zu schaffen. Deshalb suchen Experten eifrig nach klimafitten Exemplaren.
Autorin: Petra Horat Gutmann, 10.18
Die Einwohner von Sion wurden in den vergangenen Jahren Zeugen eines wundersamen Vorgangs: Mitten in der Stadt entstanden plötzlich Wasserspiele, der dunkle Asphalt wurde hier und dort durch hellen Sand und weissen Kies ersetzt, entlang der Strassen tauchten fremdländische Bäume auf: Zerreichen (Quercus cerris) aus Südosteuropa, Gleditschien (Gleditsia) aus Amerika und weitere mehr.
Die Veränderungen haben einen Grund: Die Durchschnittstemperatur in der Walliser Stadt ist in den letzten 20 Jahren um 1 °C gestiegen, mehr als in jeder anderen Schweizer Stadt. Verdichtetes Bauen, wenig Grün und immer häufigere Hitzewellen verwandeln das Stadtzentrum jeden Sommer in einen Glutofen. Die Stadtplaner haben auf eine einfache, aber effiziente Massnahme gesetzt, um die Lufttemperatur runterzukühlen: Mehr Blau und Grün statt Grau.
Die Situation in Sion vermittelt einen Vorgeschmack auf das, was die nördlicher gelegenen Städte der Schweiz und Deutschlands erwartet: Ein Temperaturanstieg von bis zu 4 °C kommt laut Klimaforschern in den nächsten 30 bis 60 Jahren auf uns zu. Im Frühling wird es mehr Überschwemmungen geben, weil der Niederschlag als Regen fällt statt als Schnee, im Sommer mehr Phasen von längerer Trockenheit und lokaler Wasserknappheit. Etwa so warm wie in Kroatien, zwei Breitengrade südlicher, soll es in unseren Regionen werden.
Mit dem trockenen Klima haben viele einheimische Bäume ein Problem. Bereits jetzt steht fest: «Die Vitalität der Schweizer Bäume ist aufgrund des Klimawandels geschwächt bis leicht geschädigt», sagt Peter Kuhn, Leiter des Baumkompetenzzentrums in Bern. Betroffen seien viele weit verbreitete Hauptbäume wie Buche, Esche, Fichte, Spitz- und Berg-ahorn, gewöhnliche Rosskastanie und Sommerlinde. In Deutschland sieht es ähnlich aus.
Etliche Hauptbäume leiden unter Schädlingen, die, einmal niedergelassen, kaum mehr wegzubringen sind. Dabei wäre reichlich Wasser wichtig, um die Schädlinge abzuwehren. So pflegt zum Beispiel die Fichte den Borkenkäfer in ihrem Harz zu ertränken. Mangelt es an Wasser, gewinnt der Schädling Oberhand.
Besonders hart trifft es viele Stadtbäume. Extreme Standortbedingungen haben sie vorgeschwächt: knapper Wurzelraum, versiegelter Boden, wärmerückstrahlende Asphaltflächen und Hausfassaden, Autoabgase, Streusalz und verkehrsbedingte Bodenvibration. Kein Wunder, dass viele Stadtbäume nur 25 bis 50 Prozent ihres potenziellen Alters erreichen.
Eine Stadt ohne Bäume? Das will niemand. Also müssen intelligente Lösungen her. Die Suche nach den klimafitten Bäumen von morgen ist in vollem Gange. In Deutschland beispielsweise testet die Bayerische Landesanstalt für Wein- und Gartenbau (LWG) Hunderte von Bäumen auf ihre Klimatauglichkeit. Darunter zahlreiche aus den gemässigten bis subtropischen Regionen Amerikas, Asiens und Afrikas: Schnur- und Magnolienbäume aus Japan, Silberlinden aus Südosteuropa, Manna-Eschen aus dem Balkan und viele weitere. Die gesuchten Bäume müssen sowohl mit trockenen Sommern als auch mit kontinental kalten Wintern klarkommen.
Mit Nachdruck wird auch südlich der Grenze geforscht: Mehrere Schweizer Städte haben die «Klimafitness» ihres Baumbestandes analysiert. Unter ihnen die Bundeshauptstadt Bern, mit über 22 000 registrierten Bäumen eine besonders grüne Stadt. Jedes Jahr ersetzen die dortigen Stadtgärtner rund 200 Bäume durch widerstandsfähigere Baumarten.
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Unter den neu gepflanzten Gehölzen befinden sich auch einheimische Bäume, die mit der zunehmenden Trockenheit gut klarkommen. Beispielsweise der im Jura weit verbreitete Schneeballblättrige Ahorn (Acer opalus), bestimmte Wildformen der Linde (Tilia), der Feldahorn (Acer campestre), die Blumenesche (Fraxinus ornus) oder der südlich der Alpen heimische Zürgelbaum (Celtis australis). Damit die Bäume noch robuster werden, ziehen die Stadtgärtner sie aus lokalen Samen. Aber auch trockenheitsliebende Exoten sollen in der Zukunft mehr Platz in Bern und weiteren Städten finden: Etwa der Französische Ahorn (Acer monspessulanum), die Gummiulme (Eucommia ulmoides) aus China, der japanische Wollapfelbaum (Malus tschonoskii), die Zerreiche (Quercus cerris) und die Mongolische Linde (Tilia mongolica). Manche der neuen Baumarten sind selbst für städtische Extremstandorte geeignet – unter ihnen der bereits erwähnte Zürgelbaum, die Hopfenbuche (Ostrya carpinifolia), der Blasenbaum (Koelreuteria paniculata) und die Japanische Zelkove (Zelkova serrata).
Einst war die Gummiulme (Eucommia ulmoides) alias «Chinesischer Guttaperchabaum» in weiten Gebieten Europas verbreitet. Blätter und Rinde enthalten einen gummiartigen Milchsaft. Steigende Temperaturen verträgt sie, vor allem, wenn sie an einer windgeschützten Stelle wachsen darf. Ihr Wurzelwerk ist eher flach und weniger sturmfest.
Die wärmeliebende Winterlinde (Tilia cordata, Bild) kommt gut mit einem trockeneren Klima zurecht. Ihre Blütenpracht macht sie zu einem wertvollen Insektenmagnet. Auch die Silberlinde (Tilia tomentosa) aus Südosteuropa fühlt sich in unseren wärmer werdenden Breitengraden rundum wohl.
Die nordamerikanische Douglasie (Pseudotsuga menziesii) besitzt überdurchschnittliche Wuchskraft, ist widerstandsfähig, trockenheitstolerant und liefert wertvolles Bauholz. Sie gehört als einer der wenigen Nadelbäume zu den «Klimagewinnern». In der Schweiz und Deutschland gibt es einige stattliche Exemplare (um 1900 gepflanzt).
Alle mitteleuropäischen Eichenarten trotzen Stürmen, Hitze, Kälte und Trockenheit. Sie bilden ein tiefes, starkes Wurzelwerk und haben ideale Voraussetzungen, um sich in den kommenden Jahren stärker zu verbreiten. Besonders hitzeresistent sind: Zerreiche (Quercus cerris, Bild), Trauben- und Flaumeneiche (Quercus petraea und Quercus pubescens).
Die eindrucksvolle Hopfenbuche (Ostrya carpinifolia) ist winterhart und gedeiht selbst an städtischen Standorten gut. In der freien Natur bevorzugt -sie kalkreichen Boden und eine sonnige Lage.
Die Suche nach den Bäumen der Zukunft ist eine langfristige Detektivarbeit. Denn jede Baumart hat spezifische Eigenheiten, Stärken und Schwächen. «Die Silberlinde zum Beispiel ist rundum klimafit und wächst sogar an städtischen Extremstandorten gut», erklärt Peter Kuhn. «Doch sie neigt zu Astbruchgefahr, was den Pflegeaufwand erhöht». Auch die Zerreiche und die Kobushi-Magnolie (Magnolia kobus) seien trockenheitstolerant, würden aber empfindlich auf verdichtete Böden und Streusalz reagieren. Diese und viele weitere Faktoren müssen die Baum-Profis sorgfältig abwägen, damit jeder Baum einen optimalen Platz findet.
Fest steht auch, dass die Bäume der Zukunft liebevoller gepflegt werden sollten als ihre Vorfahren. Das beginnt schon bei den Baumgruben: Künftig soll strenger darüber gewacht werden, dass Jungbäume ausreichend grosse und gut drainierte Wurzelräume erhalten. Auch Wurzelbrücken unter den Strassen hindurch sollen bei Bedarf vermehrt angelegt werden. Hinzu kommen neuartige Bodengranulate aus Naturmaterialien wie gebrochenem Kies, Sand und Humus. Sie optimieren die Drainage im Wurzelbereich, durchlüften verdichtete Böden und binden ein Minimum an Streusalz.
Weitere Tricks werden den Klimawandel abfedern. Besonders wichtig ist das gezielte Anlegen von Pflanzengemeinschaften. Bereits heute setzen zukunftsorientierte Gärtner immer häufiger Begleitpflanzen zu den Bäumen. «Für einen Baum sind solche Pflanzen keine Konkurrenz, im Gegenteil! Sie regen die Bäume dazu an, ihre Wurzeln tiefer in den Boden zu graben», erklärt der Pflanzenspezialist Axel Heinrich, der an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil an den grünen Oasen von morgen forscht. «Ausserdem fallen die Blätter, Blüten, Pollen und der Nektar der Begleitpflanzen zu Boden und ernähren dort Hunderttausende von Mikroorganismen, was wiederum die Bodenqualität und die Vitalität der Bäume fördert.»
Das motiviert dazu, im eigenen Garten ebenfalls mehr Begleitpflanzen unter den Bäumen anzusiedeln. Hierfür sind allerdings ein paar Richtlinien zu beachten, wie Axel Heinrich empfiehlt. Erstens: Eine möglichst grosse Vielfalt von trockenheitstoleranten Begleitpflanzen anstreben! Ideal ist ein Mix aus Früh-, Sommer- und Spätblühern, die den Baum praktisch rund ums Jahr mit neuspriessender Biomasse umwachsen: von winterblühender Nieswurz und Schneeglöckchen über sommerblühende Katzenminze, Silberstrauch und Co. bis hin zu weit in den Herbst hinein blühenden Anemonen, Waldastern, Pracht- und Königskerzen oder Verbenen.
Zweitens: Höhengestaffelte Begleitpflanzen sind optimal. Am besten niedrige Gewächse wie Steinquendel, Katzenminze, Thymian, Habichtskräuter, Walderdbeere und mittelhohe wie Ysop, Lavendel oder Ochsenauge mit Pflanzen kombinieren, die bedeutend grösser sind, beispielsweise Fenchel, Prachtkerzen, Verbenen. Auch Sträucher wie Essig-Rose, Sauerdorn, Silberstrauch oder Kärntner Spierstrauch sind langlebige Partner. Zu beachten: Sonnenanbeter gehören auf die Südwestseite, Schattenliebhaber auf die Nordostseite des Baumes.
Drittens: Allfällige Lücken in der Pflanzendecke fortlaufend schliessen, indem Samen von rasch keimenden Kräutern und Blumen wie der Akelei oder Zitronenmelisse ausgebracht werden.
Stellt sich schliesslich die Frage, welche Hecken und Bäume im privaten Garten für den Klimawandel am besten gewappnet sind. Am leichtesten werden es Pflanzen mit eher festen und kleinen Blättern haben, die wenig Wasser verdunsten. Auf den Klimawandel gut vorbereitet sind beispielsweise Perückenstrauch (Cotinus coggygria), Kugelsteppenkirsche (Prunus fruticosa), Kornelkirsche (Cornus mas), amerikanische Papau (Asimina) und Maulbeerbaum (Morus). Die drei letztgenannten bringen sogar essbare Früchte hervor.
Auch Rosmarinblättrige Weide (Salix rosmarinifolia) und der Tulpenbaum (Liriodendron tulipifera) fühlen sich in einem trockeneren Klima wohl.
Einzig bei den Nadelbäumen bleibt die Auswahl klein: «Am ehesten wird die Säulenkiefer (Pinus sylvestris) den Klimasprung schaffen», sagt Axel Heinrich. «Grundsätzlich gilt jedoch, dass sich alle einheimischen Nadelbäume mit den steigenden Temperaturen und den knapper werdenden Wasserreserven dorthin zurückziehen werden, wo sie sich am wohlsten fühlen, das heisst ganz besonders ins Gebirge.»