Manchmal sollten wir besser nach oben blicken: auf die Baumwipfel hoch über unseren Köpfen. Auch «Dr. med. Wald» hat heilkräftiges Potenzial – teils seit Jahrhunderten genutzt, teils neu entdeckt. Wir porträtieren für Sie fünf Baumarten mit unterschiedlichsten heilkräftigen Eigenschaften.
Birkenblätter sind in der Naturheilkunde zur Durchspülungstherapie bei bakteriellen Infektionen der Harnwege sowie bei Nierengriess anerkannt. Ganz neu: Forscher bestätigten in einer ganzen Reihe von klinischen Studien eine beschleunigte Wundheilung. 2016 liess die Europäische Kommission eine Salbe mit dem Birkenstoff Betulin zur Behandlung von Hautwunden zu.
Schlank und an der weissen Rinde gut zu erkennen, ist die Hängebirke (Betula pendula, auch Sand- oder Weissbirke), in ganz Europa und Westasien verbreitet. Sie blüht im Frühjahr mit den charakteristischen hängenden «Kätzchen». Die dreieckigen Blätter sind am Rand gezähnt und laufen spitz zu. Mit zunehmendem Alter wird die papierglatte Rinde schwarzfleckig, rauer und schält sich in Streifen ab. Birken werden 15 bis 25 Meter hoch und maximal 150 Jahre alt.
Die Birke ist ein Baum voller Charme. Nicht umsonst sinnierte der Schriftsteller Kurt Tucholsky, was am Blattgeriesel der Birke so Besonderes sei: «Nur die Blätter der Birke tun dies; bei den andren Bäumen bewegen sie sich im Winde, zittern, rascheln, die Äste schwanken, mir fehlt kein Synonym, ich habe sie alle. Aber bei den Birken, da ist es etwas andres, das sind weibliche Bäume...».
Birkenblätter enthalten grosse Mengen an Flavonoiden, insbesondere Quercetin, weitere sekundäre Pflanzenstoffe wie die Terpene Betulin, Betulinsäure und Lupeol sowie Saponine, Gerbstoffe, ätherische Öle und Vitamin C.
Phytosterine aus der Rinde werden therapeutisch zur Cholesterinsenkung eingesetzt. Besondere Bedeutung kommt dem Haupt-Triterpen der Birke, dem Betulin, zu. Es macht die Rinde was- serabweisend und damit witterungsbeständig, vermindert Wasserverlust und schützt den Baum vor Tierfrass. Auch der Mensch nutzt die wasserabweisende Wirkung: Birkenrinde wird z. B. zum Dachdecken und beim Bau von Kanus verwendet.
Dass die Birke gut zur Haut ist, ist nicht neu (vgl. z.B. «Kleine Outdoor-Apotheke»). Neu ist der wissenschaftliche Nachweis dieser Wirkung. In klinischen Studien beschleunigte eine Salbe mit der Substanz Betulin die Heilung von dermalen Wunden signifikant. (Dermis: die unter der Aussenhaut = Epidermis liegende tiefere Hautschicht.) Mit der Birkensalbe lassen sich also nicht etwa nur oberflächliche Verletzungen behandeln, sondern auch schwerwiegende wie Verbrennungen 2. Grades, Wunden durch Hauttransplantationen, aus ästhetischen Behandlungen (Laser, Dermabrasion, chemische Peelings) oder offene Stellen, die durch das «Wundliegen» (Dekubitus) entstehen.
Die Entwickler erhielten für «Episalvan®» den Innovations-Preis der Gesellschaft für Phytotherapie. Traditionell werden, wie bereits erwähnt, Extrakte (auch Tees) aus Birkenblättern bei Harnwegs- und Nierenerkrankungen verwendet. In der Rheumatherapie wird der Birke unterstützende Wirkung, allerdings eine eher kurzfristige Linderung der Beschwerden zugeschrieben.
Die Gewöhnliche Rosskastanie (Aesculus hippocastanum) ist ein klassischer Park- und Alleebaum. Mittlerweile gilt sie als gefährdet, da ein Bakterium namens Pseudomonas syringae grassiert (seit 2006 in Deutschland, seit 2015 in der Schweiz). Es führt häufig zum Absterben der Bäume; Gegenmassnahmen gibt es (noch) nicht. Die Rosskastanie war Arzneipflanze des Jahres 2008.
Die Rosskastanie kann 30 Meter Höhe und ein Alter von bis zu 300 Jahren erreichen. Auffällig sind die grossen, fingerförmigen Laubblätter, an der Oberseite sattgrün glänzend, an der Unterseite hellgrün mit filzigen Blattadern. Die Rinde, in der Jugend braun und glatt, färbt sich bei älteren Exemplaren graubraun und blättert in Schuppen ab. Aus dem Balkan stammend, wurde der Baum erst ab 1576 von Konstantinopel (Istanbul) aus in Mitteleuropa eingeführt.
Ein Baum für Jung und Alt, ein Baum für alle Lebenslagen: Im Frühjahr freut sich alle Welt an den herrlichen weissen Blütenkerzen, übrigens auch eine sehr gute Bienenweide; im Sommer spendet die Rosskastanie in Parks und Biergärten willkommenen Schatten; später schenkt sie uns die glatten, glänzenden Früchte, aus denen Generationen von Kindern Herbstschmuck gebastelt haben.
Ihr Holz dient als Möbelfurnier und für Schnitzereien; Fruchtschalen und Rinde wurden zum Färben eingesetzt. Heute werden aus der Rosskastanie vor allem Grundstoffe für die pharmazeutische Industrie gewonnen.
Zu den Inhaltsstoffen der Rosskastanie gehören Aesculin und Fraxin (beides Glukoside, die hauptsächlich in der Rinde vorkommen), Flavonoide, Gerb- und Bitterstoffe sowie Phytosterine. Der Hauptwirkstoff Aescin, der aus den Früchten gewonnen wird, ist eine komplexe Mischung aus über 30 Einzelsubstanzen (Saponinen).
Aescin dichtet die Venenwände ab, indem es deren Durchlässigkeit (Permeabilität) verändert, und verhindert so, dass sich Wasser im Gewebe ansammelt. Ausserdem wirkt es leicht entzündungshemmend, antioxidativ und venenstärkend. Arzneimittel aus Rosskastaniensamen werden daher hauptsächlich zur innerlichen und äusserlichen Behandlung von Leiden wie Venenschwäche, Krampfadern, Schwellungen, Schmerzen und Schweregefühl in den Beinen eingesetzt. Weitere Anwendungsgebiete sind Hämorrhoiden und Sportverletzungen. Nebenwirkungen sind selten.
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Der Exot unter den heilkräftigen Bäumen ist die Sägepalme (Serenoa repens), die nur im Südosten der USA, hauptsächlich in Florida, vorkommt. Aus ihren Früchten werden Phytopharmaka gegen Prostatabeschwerden gewonnen. Schon die Seminolen, Ureinwohner Floridas, nutzten sie als Heil-, aber auch als Nahrungsmittel. In Europa wurde die Nutzung der Sägepalme als Heilpflanze erst im 20. Jahrhundert bekannt.
Serenoa repens oder Sabal gehört zu den Palmengewächsen, nicht zu den Bäumen. Auffällig sind die riesigen, fächerförmigen Blattwedel an den kleinen, manchmal kriechend wachsenden, manchmal unterirdisch liegenden Stämmchen. Die Blattränder sind mit zahlreichen Zähnchen besetzt – daher der Name Sägepalme. Die hohen, aufrechten Blütenstände mit den duftenden weissen Blüten stehen zwischen den Laubblättern; die ovalen bis kugeligen Früchte sind bis zu zwei Zentimeter lang und dunkelrot, reif fast schwarz gefärbt.
Die Sägepalme ist eine wehrhafte und robuste Pflanze und lässt sich so schnell nicht kleinkriegen. Sie ist an die häufigen Feuer während ihrer Wachstumssaison angepasst und übersteht sowohl anhaltende Dürre als auch Überflutungen. Inhaltsstoffe: Medizinisch kommen ausschliesslich die Früchte zum Einsatz. Sie enthalten Phytosterole, also pflanzliche Hormone, wobei die Substanz Beta-Sitosterol dominiert. Daneben finden sich Flavonoide, mittelkettige Fettsäuren wie z.B. Laurinsäure, weitere Fette und ätherische Öle.
Sägepalmenfrüchte werden bei Beschwerden beim Wasserlassen und bei gutartigen Vergrösserungen der Vorsteherdrüse (benigne Prostatahyperplasie) eingesetzt. Als Wirkmechanismus wird eine Drosselung der Dihydrotestosteron- Produktion durch das Beta-Sitosterol angenommen. Die Therapie mit Sägepalmen-Extrakten kann die Prostatavergrösserung zwar nicht beheben, aber die Beschwerden doch deutlich lindern. Mittelbar kann die Sägepalme auch bei sexuellen Funktionsstörungen hilfreich sein. Nebenwirkungen sind sehr selten.
Wie Alfred Vogel schon so hübsch sagte: Tannenbäume husten nicht. Aus jungen Trieben von Nadelbäumen entsteht ein lindernder Sirup bei Husten und Heiserkeit. Fichtennadelöl ist Bestandteil des erfrischenden Einreibemittels Franzbranntwein, duftende Nadelbaumextrakte tun im Badewasser gut. Fichte und Tanne sind, wie auch die (Latschen-) Kiefer, schon seit langer Zeit Teil der Hausapotheke.
Fichten (Picea abies, Baum des Jahres 2017) und Tannen (Abies alba) lassen sich am besten an Nadeln und Zapfen unterscheiden. Die Zapfen der Weisstanne wachsen aufrecht, während Fichtenzapfen hängen. Von den Zapfen der Tanne fallen stets einzelne Schuppen ab – weswegen man keine vollständigen «Tannenzapfen» auf dem Waldboden findet, sondern nur Fichtenzapfen. Und: «Die Fichte sticht, die Tanne nicht.» Fichtennadeln sind spitz, Tannennadeln fühlen sich weicher an. Die immergrünen, winterharten Tannen und Fichten zählen mit Wuchshöhen bis zu 60, 70 Meter zu den mächtigsten heimischen Bäumen. Beide wachsen schnell und können bis zu 600 Jahre alt werden.
Das dunkle Nadelkleid wirkt ein wenig düster. Nadelwälder sind im Gegensatz zu sonnendurchfluteten Laubwäldern oft dunkel und ein bisschen unheimlich. Schon im Mittelalter wurde der Name «Schwarzwald» (Silva nigra) für einen tannen- bzw. fichtenreichen Wald verwendet. Doch durch das schnelle Wachstum und den meist sehr geraden Wuchs leisten die Nadelbäume schon seit Jahrtausenden dem Menschen gute Dienste, ob als Feuerholz, als Bau- und Tischlerholz für Balken, Planken, Masten, Türen, Fenster und Möbel, zur Herstellung von Dachgebälk oder für spektakuläre Konstruktionen wie das 16 000 Quadratmeter grosse «Expo-Dach» (Hannover, 2000).
Das Geheimnis der Nadelbäume sind die ätherischen Öle der Nadeln, vor allem der jungen, hellgrünen Triebe, unter anderem mit den Bestandteilen Borneol, Camphen, Limonen und Pinen. Sie wirken auswurffördernd, antimikrobiell und durchblutungsfördernd.
Der Absud aus frischen Trieben von Fichte oder Tanne ist ein altes Naturheilmittel. Sebastian Kneipp empfahl den schleimlösenden Tannentee besonders Menschen, deren Stimmbänder stark beansprucht werden, also Rednern, Sängern oder Lehrern. Alfred Vogel schwor auf das Kauen frischer Fichtensprossen bei rauem Hals oder einem Anflug von Husten und entwickelte den Hustensirup «Santasapina» sowie die wohltuenden «Santasapina Bonbons». Fichtennadelbäder wurden im 19. Jahrhundert zur Behandlung von chronischer Bronchitis angewendet. Die wärmende und durchblutungsfördernde Wirkung lindert Muskel- und Gelenkbeschwerden. Franzbranntwein ist auch für Sport- und Bindegewebsmassagen geeignet. Das Kauen von Tannenharz soll das Zahnfleisch kräftigen; sein Einsatz als Wundheilmittel (Hildegard von Bingen) wird heute jedoch nicht mehr empfohlen.
Ginkgo biloba ist ursprünglich in China und Japan zuhause. In Europa kennt man ihn erst seit dem 18. Jahrhundert; Dichterfürst und Botaniker Goethe zeigte sich so beeindruckt von dem Gewächs, dass er ein Gedicht über das Ginkgoblatt schrieb. Alfred Vogel liebte den eigentümlichen Ginkgo so sehr, dass er sich ein eigenes Exemplar von einer Japanreise mitbrachte und in seinen Garten pflanzte.
Der Ginkgo sieht aus wie ein Laubbaum, ist aber botanisch eher mit den Nadelhölzern verwandt. Der Stamm wird bis zu 40 Meter hoch und kann einen Umfang von bis zu vier Meter erreichen.
Ginkgo ist zweihäusig (d.h., es gibt weibliche und männliche Exemplare) und kann, ein wahrer Methusalem unter den Bäumen, 1000 bis 2000 Jahre alt werden. Aufgrund der charakteristischen Blattform heisst er auch Fächerblattbaum. Der widerstandsfähige, auch gegenüber Luftschadstoffen unempndliche, gegen Insektenfrass sowie Pilze, Bakterien und Viren weitgehend resistente Baum ist als Strassen- und Parkbaum beliebt. Leider wussten die Stadtplaner früherer Zeiten noch nicht, dass die wie Mirabellen aussehenden Früchte der weiblichen Bäume im reifen Zustand einen widerlichen Geruch verbreiten (irgendwo zwischen Käse, Schweiss und Verwesung). Heute werden nur noch männliche Bäume gepflanzt.
Der attraktive Ginkgo, einziger seiner Art, ist immer noch ein wenig geheimnisvoll. Seine fast herzförmigen, geteilten Blätter inspirierten Dichter, Philosophen und Schmuckdesigner. Zum Jahrtausendwechsel erklärte das deutsche «Kuratorium Baum des Jahres» Ginkgo biloba zum Mahnmal für Umweltschutz und Frieden und zum Baum des Jahrtausends.
Pharmazeutisch werden nur die Blätter genutzt. Sie enthalten sekundäre Pflanzenstoffe von hohem Stellenwert für den Menschen, v.a. Flavonoide wie Quercetin und Terpene bzw. Diterpene (insbesondere die Ginkgolide A, B und C), das Abbauprodukt der Ginkgolide, das Sesquiterpen Bilobalid, sowie Steroide. An Säuren sind Ascorbinsäure (Vitamin C), China- und Ginkgolsäure zu nennen.
Für die Phytotherapie ist der Ginkgo eine wichtige Pflanze. In Laborversuchen sind nervenschützende, durchblutungsfördernde und die Fliesseigenschaften des Blutes verbessernde Effekte nachgewiesen. Dafür ist wohl das Zusammenwirken von Flavonoiden und Ginkgoliden verantwortlich. Extrakte in Tropfen- oder Tablettenform werden zur Linderung der Beschwerden bei Arteriosklerose verwendet, bei Gedächtnis- und Hirnleistungsstörungen wie Vergesslichkeit, Merkschwäche und Konzentrationsstörungen. Die positive Wirkung auf die Durchblutung der kleineren Blutgefässe hilft bei Schwindel, Ohrgeräuschen (Tinnitus) und der Schaufensterkrankheit (PAVK).
Nicht alle Wirkungen sind eindeutig belegt; insbesondere der Einsatz bei einer Alzheimer-Erkrankung steht immer wieder in der Diskussion. Leider scheitern auch grosse Untersuchungen häufig an Fehlern und Schwächen (zuletzt die französische Studie «GuidAge»). Dennoch urteilt die unabhängige Schweizer Internet-Plattform «PharmaWiki»: «(Die) Wirkung als Schutz vor einer Alzheimer- oder Demenz-Erkrankung wird zwar immer wieder bestritten, doch die verbesserte Mikrozirkulation hat gerade für ältere Patienten, bei denen Durchblutungsstörungen häufig sind, unbestreitbare Vorteile.» Bei der Einnahme von Ginkgo-Extrakten ist zu beachten, dass sie meist nicht sofort wirken, sondern erst nach mehreren Wochen. Wer blutverdünnende Medikamente einnimmt, sollte sie nur in Absprache mit dem Arzt anwenden und z. B. vor Operatio- nen absetzen. Schwangere sollten auf Ginkgo verzichten.
Ginkgo-Tee ist übrigens zu therapeutischen Zwecken ungeeignet: Die wirksamen Stoffe werden kaum gelöst; ausserdem können als bedenklich geltende Ginkgolsäuren vorkommen (in pharmazeutischen Zubereitungen wird der zulässige Gehalt beschränkt). Auch Ginkgo-basierte Nahrungsergänzungsmittel, etwa aus Supermärkten, sind untauglich und oft nicht genügend kontrolliert.