Sind Obst, Gemüse und Getreide heutzutage überhaupt noch vitaminreich genug? Wie die Bodengesundheit und die Nährstoffdichte von Lebensmitteln zusammenhängen.
Autorin: Tine Bielecki
Immer wieder hört man, unsere Böden seien so ausgelaugt, dass kein wirklich vitamin- und nährstoffreiches Gemüse, Obst oder Getreide mehr gedeihen könne. Aber stimmt das wirklich? «Der ökologisch vitale Boden erneuert stets seine Ertragsfähigkeit. Beachten wir seine Bedürfnisse zu wenig, leidet er darunter. Er verliert an Lebendigkeit, wird witterungs- und erosionsempfindlicher, und die Ernten werden geringer. Schäden lassen sich im Biolandbau rein technisch kaum überspielen», schreibt das Schweizer Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) in seinem Dossier über die «Grundlagen zur Bodenfruchtbarkeit».
Der Blick über die Grenze gibt auch zu denken: Das deutsche Bundesumweltamt hatte 2015 einen alarmierenden Hintergrundbericht zur Landwirtschaft in Deutschland veröffentlicht. Darin stand, dass der übermässige Einsatz von Mineraldüngern, Gülle und Pestiziden die Böden auf Dauer krank mache. Zudem schädige er Grundwasser, Klima und Artenvielfalt auf den Feldern.
Wenn wir langfristig ertragreiche Ernten wünschen, muss folglich die Beziehung zum Boden überdacht werden. Es geht nicht nur um einen hohen Ertrag, sondern auch um vitale Pflanzen. «Der Nährstoffgehalt des Erntegutes hängt immer mit der Aktivität und Lebendigkeit des Bodens zusammen», sagt die Schweizerin Barbara Wenz. Sie arbeitet als freiberufliche Beraterin, unter anderem für Demeter Schweiz, und lehrt europaweit regenerative Landwirtschaft. Kultivierte Bodenfruchtbarkeit braucht viel Pflege. Und sie ist komplex. Eine Wissenschaft für sich, vom Konsumenten unterschätzt.
Bei der regenerativen Landwirtschaft geht es darum, den Boden zu unterstützen – und nicht nur die Pflanze zu düngen. «Um nährstoffreiche Nahrungsmittel zu erzeugen, braucht es einen lebendigen, mikrobiell vielseitigen Boden, damit die Pflanzen sich aus dem aktiven Bodenstoffwechsel ernähren können. Wenn mineralisch gedüngt wird nach dem Bedarf der Pflanzen, werden diese Zusammenhänge viel zu wenig berücksichtigt», sagt sie. «Beim mineralischen Düngen werden vor allem die Mengenelemente wie Stickstoff, Kalium und Phosphor dem Boden zugefügt, damit die Pflanzen wachsen. Dies allerdings erzeugt Überschüsse, die den Bodenstoffwechsel ausbremsen. Wichtige Spurenelemente, wie beispielsweise Selen und Mangan, werden dann blockiert und können von den Pflanzen nicht aufgenommen werden.»
Boden ist nicht einfach Boden. Er ist ein Mix aus der chemischen Zusammensetzung, dem physikalischen Zustand und der Biologie des Bodens. Zu der chemischen Zusammensetzung zählt beispielsweise der Gehalt an Stickstoff, Kohlenstoff, Phosphor, Selen, Mangan, Spurenelementen und vielem mehr. Dieser Gehalt muss in einem bestimmten Verhältnis stehen. Die grössten Anteile davon sind Magnesium und Kalzium. «Eine ideale chemische Zusammensetzung wären beispielsweise 68 Prozent Kalzium und 12 Prozent Magnesium», erklärt Wenz. «Das müssen Landwirte immer bedenken: Hat man einen Kalziumüberschuss-Boden, ist Kalzium für die Pflanze nicht gut verfügbar.» Im Bodenstoffwechsel verhalte es sich so, dass Elemente, welche im Überschuss vorhanden sind, für die Pflanzen nicht genügend verfügbar sind und den Bodenstoffwechsel blockieren.
Im Zuge der Industrialisierung und Mechanisierung wurde vergessen, was für einen gesunden Boden ausschlaggebend ist. Stattdessen wurde in den Pflanzenertrag investiert. Mit intensiver Düngung wurden die Pflanzen gefüttert und das schien ertragreich. Dabei hat der Boden doch die Fähigkeit, sich selbst zu regenerieren, wenn wir ihn in seiner Lebendigkeit unterstützen!
Die Einflüsse von Klimawandel und Schadstoffen können von einem belebten Boden besser gepuffert werden, sagt Wenz. Durch den Bewuchs mit Pflanzen baut sich der Boden selbst auf. Wild- und Beikräuter können noch unter den widrigsten Umständen wachsen. Kulturpflanzen brauchen jedoch mehr als einen Boden, der sich selbst überlassen ist. Wenz erläutert das am Beispiel von Getreide, das besonders im Jungstadium Kalzium benötige. Das sei im Frühling, wenn der Boden noch kalt ist, schlecht verfügbar. Und so gelte es, unterstützende Massnahmen vorzunehmen, wie etwa eine vitalisierende Blattspritzung mit Kalzium. Nur so entstehe die so wichtige Pingpong-Wirkung zwischen dem Boden und der Pflanze.
«Man kann den Bodenstoffwechsel anregen, so dass vollwertige Pflanzen entstehen und gleichzeitig Humus aufgebaut wird», sagt Barbara Wenz. Es sei wichtig, dass man den Boden als lebendigen Organismus verstehe und die gewählten Anbau-Massnahmen so wähle, dass sie dem Aufbau dienlich sind.
Bei Agroscope, dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung, beschäftigt sich Prof. Dr. Marcel van der Heijden, Forschungsgruppenleiter Pflanzen-Boden-Interaktionen und Professor für Agrarökologie an der Universität Zürich, mit den Mykorrhiza (Wurzelpilzen). Das ist eine Lebensgemeinschaft von Bodenpilzen, die mit 80 Prozent aller Pflanzenwurzeln eine Symbiose eingehen. Die Pflanze gibt Zucker und Fettsäure an den Pilz ab, und umgekehrt nimmt der Pilz Nährstoffe wie Phosphat, aber auch Mikroelemente wie Kupfer oder Eisen auf und gibt diese an die Pflanze weiter. Ausserdem macht er Wasser für die Pflanzen leichter verfügbar. Und die Pflanzen sind klug: Keimlinge gehen schon in den ersten Tagen nach dem Keimen Verbindungen mit Pilzen ein. Es gibt etwa 50 000 Pilzarten, die sich mit Pflanzen vergesellschaften können. Eine bestimmte Gruppe von Mykorrhiza-Pilzen ist schon 500 Millionen Jahre alt und bildet eine Symbiose mit etwa 60 Prozent der Landpflanzen, darunter Mais-, Soja, Getreide, aber auch bei Tomaten- und Salatgewächsen und vielen tropische Pflanzen.
«Die Pilze bieten Schutz gegen Stress und bewahren die Pflanzen vor Pilzkrankheiten. Insbesondere in weniger gedüngten Ökosystemen sind diese Pilze sehr wichtig», erklärt van der Heijden und bestätigt gleichzeitig: Bodenbearbeitung stört das Pilzgeflecht im Boden. «Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt: Wird sehr intensiv gewirtschaftet, viel gepflügt, viel mit Mineraldünger gedüngt, dann werden die Pilze und ihre Vielfalt stark reduziert», resümiert er.
Mittlerweile gibt es auch «Feldimpfungen» mit Mykorrhiza-Pilzen. Die Idee dahinter sei, weniger düngen zu müssen. Die Forscher entdeckten, dass die «Impfungen» zudem einen Schutz gegen Pathogene (Krankheitserreger) für die Pflanzen bilden können. Auf Maisfeldern habe das einen positiven Einfluss auf den Ertrag gehabt. Man habe aber auch festgestellt, so van der Heijden, dass von 30 getesteten kommerziellen Produkten, die für die «Impfungen» zur Verfügung stehen, nur 20 Prozent effizient seien.
Trotz Industrialisierung und wachsendem wirtschaftlichen Druck gibt es immer mehr Landwirte, die ein Interesse an einem langfristig gesunden Boden haben, weil sie auch nachfolgenden Generationen die Grundlage zur Produktion gesunder Lebensmittel bieten wollen. «Viele Landwirte haben erkannt, dass ein nackter Boden nicht gut ist. Die Bestrebungen, den Boden im Winter zu bedecken und – nachdem das Getreide geerntet ist – noch etwas anderes auf dem Acker wachsen zu lassen, sind da», sagt Wissenschaftler van der Heijden. Weshalb das so wichtig ist, erläutert Barbara Wenz: «In einem nackten Boden verhungert die Mannschaft», sagt sie. In einer Handvoll Erde gebe es mehr Lebewesen als Menschen auf der Erde. Das bezeichnet Wenz als die «Mannschaft des Bodens». Dazu zählen besonders für unser blosses Auge nicht sichtbare Lebewesen, aber natürlich auch Regenwürmer, die gemeinsam mit Insektenlarven die obersten Bodenschichten auf der Suche nach Pflanzenmaterial durchwühlen und so den Boden durchlüften und Raum für die Poren geben. Durch die industrielle Wirtschaftsweise und insbesondere die schweren Maschinen reduziere sich die Anzahl der lebenden Organismen im Boden, sagt Wenz. Doch um Humus aufzubauen, brauche es eine intakte Mannschaft.
Aber woran erkennt man nun, ob das gekaufte Obst und Gemüse aus einem Boden mit «gesunder Mannschaft» kommt, und ob es nährstoffreich und gehaltvoll ist? «Schmackhaftigkeit und Haltbarkeit – das ist ein gutes Indiz für den Nährstoffgehalt. Was wässrig schmeckt, das enthält auch weniger Leben, weniger Nährstoffe», sagt Barbara Wenz.
Von «lebendigen Lebensmitteln» spricht Nora Inäbnit, Ernährungscoach aus Schönried im Berner Oberland, und meint damit eben nährstoffreiche Gemüse, Früchte und Getreide. Wer darauf achte, was er kaufe, saisonale und möglichst regionale Produkte wähle, liege darum richtig. Ist ja auch klar, dass die übergrosse Himbeere aus dem Discounter im Dezember weniger Nährstoffe hat als jene aus dem eigenen Garten im Hochsommer.
Konkret lässt sich für Konsumenten leider nur schwer herausfinden, welche Nährstoffgehalte genau in unseren Nahrungsmitteln stecken. Sie sind bei Obst, Gemüse und Getreide von vielen Faktoren abhängig: Sorte, Klima, Boden, Düngung, Lichteinfluss und vielem mehr. Auch davon, wie wir sie in der heimischen Küche verarbeiten. Wer viel Gemüse und Obst in Rohkostform zu sich nehme, sei gut versorgt, so Inäbnit.
Barbara Wenz hat eine Zukunftsvision für die Landwirtschaft: Es gebe Bestrebungen, dass das Gemüse nicht mehr nach Gewicht, sondern nach Nährstoffgehalten bezahlt werde. «Das wäre eigentlich richtig», ist sie überzeugt. Bis dahin müssen wir uns auf unsere Geschmackserlebnisse verlassen oder natürlich, wenn möglich, auf den Landwirt unseres Vertrauens.
Zuletzt aktualisiert: 30-05-2023