Ausserhalb seiner angestammten Heimat Mundhöhle hat der Speichel einen schlechten Ruf. Ausspucken ist verpönt, vom Anspucken gar nicht zu reden. Dabei ist die wässrig-schleimige Substanz wegen ihrer vielen guten Seiten unverzichtbar und darüber hinaus ein interessanter Stoff für die Forschung.
Die Speichelproduktion eines gesunden Erwachsenen beträgt knapp einen Liter pro Tag. Bei der Nahrungsaufnahme ist die Produktion am stärksten, zu anderen Zeiten dagegen wird weniger Speichel hergestellt, einen vollständigen Stillstand gibt es jedoch nie. Bei körperlicher Ruhe werden kleine Mengen vorwiegend relativ dickflüssigen Speichels produziert. Kommt es zur Stimulation durch bestimmte Reize wird dünnflüssigerer Speichel in grösseren Mengen abgesondert. Als Stimulantien wirken der Anblick von Lebensmitteln sowie Geschmacks- und Geruchsempfindungen, Kontakt von Nahrung mit der Mundschleimhaut und Kaubewegungen.
Zu 99 Prozent aus Wasser. Aber der Rest hat es in sich: Mineralstoffe, Spurenelemente, Proteine, Enzyme, Puffersubstanzen, bakterizide und fungizide Stoffe, Immunglobuline und freie Aminosäuren spielen wunderbar zusammen, um die Nahrung zu verdünnen, anzudauen und rutschfähig zu machen, die Zähne zu schützen, Säuren zu neutralisieren, Bakterien und Pilze zu bekämpfen, die Mundschleimhaut gesund zu erhalten und Infekte abzuwehren. Speichel enthält ausserdem abgeschilferte Hautzellen der Mundschleimhaut (DNA, RNA), Viren, Keime, Hormone und Blutgruppensubstanzen, die eine Bestimmung der Blutgruppe zulassen.
Wo wird Speichel produziert? Das Gemisch aus dünnflüssigen, dickflüssigen und schleimigen Substanzen wird in zahlreichen Speicheldrüsen produziert. Die beiden grössten sind die Ohrspeicheldrüsen (das sind die, die bei Mumps anschwellen). Sie stellen dünnflüssigen Speichel her, doch nur dann, wenn wir Kauen oder Lutschen (so genannter stimulierter Speichel). Die Unterkieferspeicheldrüse sondert dickflüssige und schleimige Spucke ab – doch erst dann, wenn sie durch bestimmte Reize dazu angeregt wird. Zusammen sorgen diese drei für 95 Prozent des Speichels. Die Unterzungenspeicheldrüse garantiert den permanenten Fluss eines eher schleimigen Speichels. An der Produktion beteiligt sind zudem mehrere kleine Speicheldrüsen, die über die ganze Mundhöhle (Zunge, Gaumen, Lippen, Wangen) verteilt sind.
Doch die Zusammensetzung des Speichels verändert sich mit dem Alter – zumindest bei Frauen. US-Forscher untersuchten mehrere hundert verschiedene Proteine (Eiweisse) im Speichel von Frauen zwischen 20 und 30 Jahren sowie zwischen 50 und 65 Jahren. Dabei fanden sie heraus, dass von 532 Eiweissen, die im Organismus an so unterschiedlichen Aufgaben wie der Immunabwehr, der Regulation von Verdauungsprozessen oder der Übermittlung von Signalen beteiligt sind, nur 266 sowohl bei den jüngeren als auch den älteren Frauen vorkamen. Weitere je 266 verschiedene Proteine waren nur in der einen oder der anderen Gruppe nachweisbar. Die grössten Unterschiede wurden bei an Immunreaktionen beteiligten Eiweissen gefunden, deren Anteil bei den älteren Frauen deutlich höher war. In dieser Verschiebung spiegele sich die Entwicklung des weiblichen Organismus über die Wechseljahre hinweg wider, erklären die Forscher.
Spucke umspült und reinigt (bis zu einem gewissen Grad) die Zähne. Nach dem Essen bauen Bakterien im Mund den in der Nahrung enthaltenen Zucker zu Säure ab. Säuren sind aber die Feinde des Zahnschmelzes. Der Speichel verdünnt und neutralisiert diese schädlichen Säuren und fördert darüber hinaus sogar den Wiedereinbau (Remineralisation) verschiedener Mineralien wie zum Beispiel Kalzium und Phosphat, die der Zahnschmelz zu seiner Härtung braucht. Ein einfaches Verfahren, das eine Hilfe für den Zahnarzt ist. Das Ergebnis liegt nach wenigen Tagen vor und zeigt in einer Momentaufnahme, wie viele Karieskeime der Speichel enthält. So kann die Zahnärztin das aktuelle Kariesrisiko einschätzen, aber nicht vorhersehen, wie es in Zukunft aussehen wird.
Trotz all seiner Qualitäten ist das System nicht vor Gefährdung gefeit. In den Drüsengängen kann es zur Bildung von Speichelsteinen kommen und in deren Gefolge zu einer Entzündung der Speicheldrüsen. Die betroffene Speicheldrüse schwillt dabei schmerzhaft an. Bei Rissen der Ausführungsgänge fliesst Speichel in das umgebende Gewebe, und es entwickeln sich möglicherweise Zysten. Zudem gibt es gutartige und bösartige Tumore der Speicheldrüsen. Auch ohne dass krankhafte Faktoren zugrundeliegen, kann die Funktion des Speichels gestört werden. Bei unregelmässiger und übermässiger Nahrungsaufnahme, vielen (süssen und klebrigen) Zwischenmahlzeiten, sauren Erfrischungsgetränken und mangelhafter Mundhygiene ist der Speichel nicht mehr in der Lage, die «Fehler» auszugleichen.
… wird der Mund trocken. Vorübergehende Mundtrockenheit kann beispielsweise durch Prüfungsangst oder die Ausschüttung von Adrenalin bei Stress vorkommen. In vielen Fällen liegt die Ursache für den Rückgang des Speichelflusses in der Nebenwirkung eines Medikamentes.
Das Alter an sich führt nicht zu einem nennenswerten Rückgang des Speichelflusses. Dass ältere Menschen trotzdem oft an Mundtrockenheit leiden, liegt in erster Linie daran, dass sie schlecht kauen (können), was häufig zu einer eingeschränkten Funktion der Speicheldrüsen führt.
Das regt den Speichelfluss an:
Mundtrockenheit ist auch eine der häufigsten Nebenwirkungen von Strahlen- oder Chemotherapie gegen Kopf- und Halstumoren. Aufgrund der reduzierten Speichelproduktion können Schluckbeschwerden und Entzündungen des Zahnfleisches auftreten. Zyprische Forscher berichten in einer kleinen Studie, dass eine Mundspülung aus 20 ml Thymianhonig auf 100 ml Wasser die Mundtrockenheit signifikant zu lindern vermochte. Die Patienten sollten die jeweilige Mundspüllösung im Mund hin- und herbewegen, so dass Mundhöhle und Rachen gut benetzt wurden. Sowohl der objektive wie auch der subjektive Schweregrad der Xerostomie konnte im Vergleich zu einer Kontrollgruppe signifikant herabgesetzt werden. Ob auch andere Honigsorten diesen Effekt haben können, müssen weitere Studien zeigen. Thymianhonig in Bio-Qualität ist beispielsweise aus Spanien, Griechenland oder Zypern erhältlich. Thymian wächst ursprünglich in Regionen mit trockenen, warmen und kargen Karstfelsen sowie auf Flächen der Macchien im Mittelmeerraum, gedeiht aber auch hierzulande gut.
Bei Hormonstörungen, Kinderwunsch, in der Schwangerschaft, in den Wechseljahren oder bei chronischem Stress werden Speichel-Hormontests angeboten. Morgens, mittags und abends spuckt man in drei Reagenzgläser etwas Speichel, der dann in spezialisierten Labors auf den Gehalt verschiedener Hormone untersucht werden kann. Dieses Verfahren zur Messung bioaktiver steroider Hormone ist einfacher und genauer als die früher praktizierten Bluttests, sollte vom Arzt ausgewertet werden. Bisher diente Medizinern vor allem das Blut und seine Inhaltsstoffe für die Analyse von Krankheiten. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass auch der Speichel wichtige Informationen hergibt. Speichelproben haben den Vorteil, dass der von vielen Patienten ungeliebte Pieks bei der Blutentnahme entfällt. Zudem ist Speichel einfach zu sammeln, acht Tage haltbar und im Gegensatz zu Blut nicht infektiös. Das HI-Virus ist über den Speichel ebenso sicher nachzuweisen wie durch eine Blutuntersuchung. «Stille» Herzinfarkte (mit normalem EKG) lassen sich mit einer Speichelprobe und einem kürzlich von texanischen Forschern entwickelten Biochip in wenigen Minuten einfach und sicher diagnostizieren. US-Forscher entwickelten einen Speicheltest, mit dessen Hilfe frühzeitig Marker für Krebs des Mund- bzw. Rachenraums entdeckt werden können. Speicheltests gegen Lungen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs sind in Vorbereitung.
Im Speichel stecken viele antimikrobiell wirkende Substanzen, welche den Körper vor eindringenden Keimen schützen. Doch auch die in der Nahrung enthaltenen Geschmacksstoffe tragen dazu bei, dass die molekularen Abwehrkräfte im Speichel geweckt werden. Forscher der TU München und des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie haben herausgefunden, dass Zitronensäure und 6-Gingerol, ein Molekül, das Ingwer seine Schärfe gibt, unser Immunsystem aktivieren. So steigerte Gingerol die Aktivität eines Enzyms, was dazu führte, dass sich die Menge eines im Speichel befindlichen antimikrobiell und fungizid wirkenden Stoffs verdreifachte. Zitronensäure sorgte gar für die zehnfache Menge eines ähnlichen Stoffs.