Rund fünfzehn bis zwanzig Prozent der Menschen leiden an wiederkehrenden Verdauungsproblemen – oft ist ein so genannter Reizdarm die Ursache. Nur ein Teil der Leidenden sucht fachkundige Hilfe. Dabei lassen sich die Reizdarm-Beschwerden wirkungsvoll durch Naturheilmittel behandeln und lindern.
Wenn Markus N. das Haus verlässt, kontrolliert er stets, ob er alles eingesteckt hat: Agenda, Handy, Taschentuch, Wohnungsschlüssel – und ein schnell wirkendes Medikament gegen Durchfall. Der 44-Jährige leidet an einem so genannten Colon irritabile. Seine Erkrankung ist auch unter verschiedenen anderen Namen bekannt: Reizkolon, Reizdarm-Syndrom (RDS), funktionelle Störung des Magen-Darm-Trakts oder «irritable bowel syndrome» (IBS).
Ein Reizdarm ist eine jener Krankheiten, die sich nicht bei allen Betroffenen mit den gleichen Beschwerden bemerkbar machen. Weil sich ihre Anzeichen beispielsweise mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten oder einem Darminfekt überschneiden können, dauert es oft lange, bis sie richtig diagnostiziert und entsprechend behandelt wird. Die Erkrankung galt lange Zeit als psychosomatisches Leiden ohne organische Grundlage. Reizdarm-Patienten haben deshalb häufig einen langen Leidensweg hinter sich, bis sie kompetente Hilfe erhalten.
Wie wird das Reizdarmsyndrom definiert?
Wechsel der Stuhlgewohnheiten, schmerzhafte Oberbauchkrämpfe und Blähungen, die länger als drei Monate dauern und die Lebenqualität relevant beeinträchtigen; definitiver diagnostischer Ausschluss anderer gastrointestinaler bzw. gynäkologischer Erkrankungen.
Doch es tut sich etwas. Die aktualisierte S3-Leitlinie enthält viele neue Empfehlungen zum Reizdarmsyndrom. Und hartnäckige Forscher kommen den auslösenden Faktoren zunehmend auf die Spur. Die Behandlung des Reizdarmsyndroms bedarf einer interdisziplinären Zusammenarbeit, da für eine Diagnose andere Krankheiten ausgeschlossen werden müssen. An der kürzlich überarbeiteten Leitlinie waren denn auch 22 Fachgesellschaften beteiligt. Die Experten empfehlen, auf sogenannte FODMAP (fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole) zu verzichten bzw. deren Konsum einzuschränken. Diese Stoffe zählen zu einer Gruppe von Kohlenhydraten und Zuckeralkoholen, die in vielen Nahrungsmitteln vorkommen und im Dünndarm nur schlecht resorbiert werden. Die Phytotherapie sowie komplementäre Verfahren haben in der Leitlinie eine Aufwertung erfahren, was sich beispielsweise in der Empfehlung für Pfefferminzöl gegen Schmerzen und Blähungen sowie für warme Kümmelauflagen gegen generelle Symptome widerspiegelt.
Manche Betroffene leiden vor allem an Verstopfung, andere sind eher vom Gegenteil betroffen, wie Markus N. Wenn er ein Zwicken und Rumoren im Bauch spürt, muss er rasch zu seinen Tabletten greifen, es machen sich erste Anzeichen von Durchfall bemerkbar. Bei anderen Erkrankten stehen vor allem Blähungen, Druckgefühle oder Bauchkrämpfe im Vordergrund. Auch übermässige Magengeräusche wie Gurren und Glucksen können mit einem Reizdarm zusammenhängen, und die Symptome können immer wieder wechseln.
Während bei den einen Patienten die Beschwerden häufig und in kurzen Abständen auftreten, haben andere manchmal jahrelang Ruhe. So erging es Iris W. Die Reinigungsfachkraft erwachte nachts mit einem starken Druckgefühl im Bauch. In den folgenden Tagen fühlte sie sich trotz Schonkost nicht viel besser. Besorgt konsultierte sie einen Facharzt für Magen-Darmleiden. Dieser untersuchte sie eingehend und liess sich auch über ihre aktuelle Lebenssituation informieren. Anschliessend schaute er sich mit einer Sonde den Dickdarm von innen an.
Er konnte sie beruhigen: Sie litt nicht an einem Tumor, wie sie gefürchtet hatte. In ihrem Darm herrschte lediglich ein zünftiger, aber letztendlich harmloser Aufruhr.
Im Gespräch mit dem Arzt stellte sich heraus, dass die Symptome ziemlich genau dann begonnen hatten, als der Alleinerziehenden die pubertätsbedingten Probleme ihrer Tochter über den Kopf wuchsen. Es fiel ihr auch ein, dass sie vor Jahren schon einmal über Wochen unter Verdauungsstörungen gelitten hatte – damals war ihre Ehe in die Brüche gegangen. Seinerzeit liess sie sich nicht ärztlich abklären und behandeln, sondern versuchte mit Tee, Zwieback und Gemüsebrühe über die Runden zu kommen. Schliesslich hörte das Bauchrumoren von selbst wieder auf.
Dass, wie bei der 42-jährigen Iris W., die Beschwerden vor allem in schwierigen Lebenssituationen auftreten, kann für einen Reizdarm typisch sein. Stress und Ärger können die Symptome erheblich verstärken.
Die Forschung geht von genetischen Einflüssen als zusätzlichem Auslöser aus. In manchen Familien treten Probleme mit der Verdauung gehäuft auf. Weshalb allerdings Frauen ungefähr dreifach so häufig an einem Reizdarm erkranken wie Männer, ist bisher ungeklärt. Rätselhaft ist auch, wieso viele Reizdarm-Patienten gleichzeitig unter depressiven Verstimmungen und/oder Angstzuständen leiden. Auch Migräne und Rückenprobleme sowie Konzentrationsschwierigkeiten und Schlafstörungen kommen bei diesen Menschen gehäuft vor. Spekuliert wird über einen Zusammenhang mit einem Nervenbotenstoff, der auch die Darmsteuerung beeinflusst.
Mediziner gehen davon aus, dass bei Reizdarm-Betroffenen die Steuerung der Verdauung übersensibel und störungsanfälliger reagiert als beim übrigen Teil der Bevölkerung. Wie neuere Forschungen zeigen, ist auch die Darmflora nicht in der richtigen Ausgewogenheit vorhanden. Rund 100 Billionen Bakterien aus mehreren hundert Arten besiedeln die rund 400 Quadratmeter grossen, stark gefalteten Darmwände. Dort unterstützen sie unter anderem das Immunsystem, übernehmen Aufgaben bei der Verdauung und beeinflussen die rhythmischen Bewegungen des Darms. Wenn bestimmte Mikrobentypen überhandnehmen, kann es zu Verdauungsbeschwerden kommen.
Die konventionelle Medizin findet für den Systemkomplex Blähungen, Bauchschmerzen und Veränderung der Stuhlgewohnheiten oft keine nachweisbare Erklärung und stuft ihn darum als «funktionell» ein, meint: Es ist keine organische Ursache erkennbar. Der Reizdarmforscher Prof. Michael Schemann, Humanbiologe an der Technischen Universität München, ist anderer Meinung: «Patienten gehen zum Arzt, weil sie Beschwerden im Darm haben. Also muss da auch was sein.» Mit einem internationalen Wissenschaftlerteam entnahm er der Innenauskleidung des Verdauungsschlauchs Proben und unterzog sie einer aufwendigen mikroskopischen Untersuchung. Und siehe da: Die Nervenaktivität in der Darmschleimhaut von Reizdarmpatienten ist gegenüber der von gesunden Menschen erhöht! Diesen Übereifer der Zellen stossen bestimme Eiweissstoffe an. Diese finden sich in einem bestimmten Mengenverhältnis und in spezifischer Zusammensetzung nur im Darm von RDS-Betroffenen (allerdings nicht bei jedem). Die Entdeckung dieses Eiweissmusters kann als konkreter Nachweis für eine organische Ursache der Verdauungsstörung angesehen werden. Dieser «Biomarker» könnte sich künftig für eine Diagnose des Reizdarms eignen. Vorläufig ist er allerdings nur in der Forschung einsetzbar. Im Labor gelang es dem Team um den Forscher der TU München auch, die Tätigkeit der Eiweissstoffe mithilfe probiotischer Darmbakterien zu blockieren. Das könnte der Ansatz für eine neue Therapie sein.
Dass das Reizdarmsyndrom organisch bedingt ist, legen auch Untersuchungen nahe, bei denen Probanden eine Lösung mit Stoffen gegeben wurde, die Blähungen auslösen. Im MRT untersuchte man sie auf den Flüssigkeitsgehalt und das Volumen an Gasen im Darmbereich. Ergebnis: Die Zunahme von Luft und Flüssigkeit war bei beiden Gruppen gleich stark ausgeprägt. Die Wahrnehmung der davon ausgelösten Symptome jedoch nicht – die fiel bei RDS-Patienten erheblich stärker aus als bei Gesunden. Untersuchungen wie die Dehnung des Darms mittels eines Ballons (Ballondilatation) weisen in die gleiche Richtung. Dabei wird ein kleiner Ballon eingeführt und so lange aufgepumpt, bis es für den Probanden unangenehm wird. Personen mit RDS empfanden dies deutlich früher als schmerzhaft.
Das heisst nun nicht, dass Reizdarm-Betroffene einfach wehleidiger sind. Experten sprechen vielmehr von einer viszeralen Hypersensitivität, einer gesteigerten Sensitivität der Nerven in der Schleimhaut, vermutlich aufgrund einer erhöhten Darmdurchlässigkeit (intestinale Permeabilität). Die Empfindlichkeitsschwelle der Darmschleimhaut ist folglich verschoben, Betroffene weisen eine veränderte zentrale Reizverarbeitung und eine Störung der Aktivierung der hemmenden absteigenden Nervenbahnen auf.
RDS-Patienten weisen gegenüber Gesunden eine veränderte Darmflora auf.
Reizdarmbeschwerden stehen also im Zusammenhang mit einer Störung der Koordination von Magen-Darm-Trakt und zentralem Nervensystem. Man geht zudem davon aus, dass der Neurotransmitter Serotonin eine wichtige Rolle bei der Übertragung viszeraler (die Eingeweide betreffenden) Schmerzen und bei der Steuerung der Darmfunktion spielt. Auslöser bzw. Risikofaktoren für eine hypersensitive Darmwand können eine vorangegangene Magen-Darm-Grippe (Gastroenteritis) und die Einnahme von Antibiotika sein. Je länger und schwerer die Gastroenteritis war, desto höher scheint die Gefährdung für ein Reizdarmsyndrom zu sein. Jede Antibiotikatherapie hinterlässt zudem Schäden in der Besiedlung der Darmschleimhaut. Moderne molekulargenetische Verfahren zeigten bei einer Analyse des Mikrobioms eine regelrechte «Kerbe», welche Antibiotika hinterlassen haben.
Im Fokus der Reizdarmforscher steht darum auch die Darmflora, die gegenüber der von Gesunden oft verändert ist. So fehlen z.B. Bakterien vom Bifidostamm, Enterobakterien hingegen nahmen zu. Bei RDS-Patienten mit Neigung zu Verstopfung (Obstipations-Typ) wurde mittels molekularbiologischer Methoden zudem vermehrt ein methanproduzierendes Bakterium, Methanobacter smithii, nachgewiesen, das zu einer verminderten Darmbewegung führt.
Auf die Spur von Nahrungsmittelunverträglichkeiten begab sich Prof. Annette Fritscher-Ravens (Leiterin Interdisziplinäre Endoskopie am Uniklinikum Kiel, seit ihrer Emeritierung gastroenterologische Fachärztin in London) aufgrund ihrer Beobachtungen im klinischen Alltag. Erstmals verwendete sie dazu die konfokale Laser-Endoskopie. Untersucht wurden Reizdarmpatienten, die meist schon eine Verbindung ihrer Symptome mit der Nahrungsaufnahme vermuteten. Und so ging man vor: Die untersuchte Person erhielt intravenös einen fluoreszierenden Farbstoff, danach wurde über die Speiseröhre ein mit einem Laser versehenes spezielles Endoskop in den Dünndarm vorgeschoben. Trifft der Laserstrahl auf den Farbstoff, hat man die Möglichkeit, die Oberfläche des Darms bis auf das 1000-fache zu vergrössern. Das Herausragende an dieser Untersuchungsmethode, die Prof. Fritscher-Ravens und ihr Team als Erste anwandten, ist, dass man den Darm dabei in Echtzeit beobachten und auch kleinste Veränderungen unmittelbar verfolgen kann. Den Dünndarm in den Fokus nahm die Wissenschaftlerin, weil dort das darmassoziierte Immunsystem sitzt und man Immunreaktionen im Verdauungssystem beobachten wollte. Über den Arbeitskanal des Endoskops wurden die häufigsten unverträglichen Nahrungsmittel, z.B. Milch, Soja, Hefe, Weizen aufgebracht; anschliessend beobachtete man die Darmschleimhaut.
Faszinierend: Rund 70 Prozent der Probanden reagierten auf eines der zugeführten Lebensmittel. Unter dem Mikroskop liess sich beobachten, dass die Verbindungen zwischen den Oberflächenzellen der Darmschleimhaut – die man sich quasi als «Halteschrauben» für wichtige Funktionen vorstellen kann – regelrecht aufgesprengt wurden. 60 Prozent der Probanden reagierten heftig auf Weizen, danach folgten Milch, Hefe und Soja. Prof. Fritscher-Ravens und ihr Team bezeichnen die Reaktionen als «atypische Allergien». Warum?
Eine Allergie wird als IgE-basiert (durch Antikörper vom Typ Immunglobulin E vermittelte Überempfindlichkeitsreaktion) definiert, «das kann man messen», erläutert die Wissenschaftlerin. Die Reaktionen, die sie bei der speziellen Laser-Endoskopie beobachtete, waren jedoch nicht Ig-E-basiert. Es zeigten sich zwar Symptome einer Allergie, jedoch nicht die entsprechenden Parameter, also eine «atypische Allergie».
Das aufschlussreiche diagnostische Verfahren müsste eigentlich nicht mehr nur auf die Forschung beschränkt bleiben. «Es wird mittlerweile durch die Kathetertechnik deutlich vereinfacht», so Prof. Fritscher-Ravens. Leider wird es von den Krankenkassen nicht anerkannt und somit nicht gezahlt. Was nun jeder zur ersten Abklärung selbst tun kann und «das ist auch Goldstandard: eine Ausschlussdiät durchführen», so Prof. Fritscher-Ravens. Meint: Sich selbst ganz rigoros drei bis vier Tage auf eine Kartoffel- oder Reisdiät setzen, dazu Wasser oder Pfefferminztee trinken. Werden die Reizdarmbeschwerden deutlich besser, ist anzunehmen, dass sie von einem Lebensmittel herrühren.
Manche Ärzte, die mit einem Reizkolon zu wenig erfahren sind, halten die Erkrankten für Hypochonder, die in jeder körperlichen Missempfindung gleich ein Anzeichen einer ernsten Krankheit sehen. Doch damit tun sie den Reizdarm-Betroffenen Unrecht: Für sie bedeutet ihr Leiden meist eine erhebliche Einschränkung der Lebensqualität. Aus Angst vor anschliessenden Beschwerden müssen sie etwa Einladungen zum Essen mit Verwandten absagen und auch bei geselligen Anlässen passen. Weil sie Blähungen oder Durchfall fürchten, verzichten manche aus Scham auch auf Theater- und Kursbesuche.
Studien zeigen, dass ein Reizdarm zwar oft mit Depressionen, chronischem Stress und Angstattacken einhergeht, doch die Krankheit selbst ist kein psychisches Leiden. Einer Umfrage zufolge fühlte sich die Hälfte der Betroffenen durch die RDS-Symptome stark in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass das unweigerlich auf die Stimmung schlägt. Und warum scheint die Reizdarmproblematik deutlich mehr Frauen als Männer zu betreffen? «Frauen gehen eher zum Arzt, weil sie ein hypersensitives Nervensystem im Bauch haben», so Fritscher-Ravens, «sie zeigen sich durch hormonelle Muster deutlich empfindlicher.» Doch sie beobachtet, dass mittlerweile vermehrt auch Männer mit einer Reizdarmproblematik die Praxis aufsuchen.
Weil die Ursache des Reizdarms bisher nicht vollständig geklärt ist, gibt es auch keine Behandlung, die am Ursprung ansetzt. Doch dank neuerer Forschung haben die Chancen auf eine baldige Entwicklung entsprechender Heilmittel zugenommen. Bereits jetzt sind krampflösende und verdauungsunterstützende Medikamente erhältlich. Weitere wirken gegen einzelne Beschwerden wie etwa übermässige Gasansammlungen oder Störungen in der Darmflora. In Apotheken, Drogerien und Reformhäusern kann man sich entsprechend beraten lassen.
Grundsätzlich gilt es zu bedenken, dass es individuelle Unterschiede gibt, nicht alle Reizkolon-Patienten sprechen gleich gut auf entsprechende Heilmittel an. Mit anderen Worten: Tipps aus dem Bekanntenkreis führen nicht bei allen Betroffenen zum gleichen Erfolg. Während beispielsweise regelmässiger Verzehr von Naturjogurt bei manchen die Verdauung fördert, bekommen andere davon lediglich vermehrt Blähungen.
Man darf angesichts der spannenden Studienergebnisse festhalten: An der Entstehung des Reizdarmsyndroms sind vermutlich mehrere Faktoren beteiligt, mit jeweils unterschiedlichen Auswirkungen. Die Forschung ist hier noch lange nicht am Ende. Therapiert werden möchten die Betroffenen gleichwohl, und das nicht erst in ferner Zukunft. Stand der Dinge ist jedoch: Es gibt (noch) keine Standardtherapie bei Reizdarmsyndrom. Was es gibt, sind verschiedene Behandlungsansätze. Prof. Fritscher-Ravens begrüsst zwar, dass diese beschwerdelindernd seien. «An die Ursachen gehen sie allerdings nicht».
Die Beschwerden lassen sich mit Arzneien aus der Natur erheblich lindern. Zu Pulver gemahlene indische Flohsamenschalen (Plantago ovata) wirken als natürlicher Stuhlregulator sowohl bei Verstopfung wie auch bei Durchfall. Sie quellen im Verdauungstrakt auf und sondern Schleimstoffe ab, dadurch wird die Verdauung erleichtert. Zusätzlicher Vorteil: Das Wachstum nützlicher Bakterien wird gefördert, gleichzeitig sinkt auch der Cholesterinspiegel. Flohsamen-Produkte sind im Fachhandel erhältlich.
Mit einem pflanzlichen Heilmittel lässt sich offenbar eine passable Beschwerdefreiheit erzielen. Es handelt sich dabei um ein Kombinationspräparat aus Myrrhe, Kamillenöl in getrockneter Form und Kaffeekohle (aus grünen, getrockneten Kaffeebohnen gewonnen, die durch intensives Rösten verkohlt und anschliessend zu Pulver zermahlen werden). Die Heilpflanzen greifen an verschiedenen Punkten im Verdauungstrakt an und verstärken sich gegenseitig in ihrer Wirkung (sinnvoll besonders beim Durchfall-Typ, RDS-D und beim Mischtyp, RDS-M). Diese Empfehlung gaben Ärzte und Wissenschaftler an einem Kongress. Am Immanuel Krankenhaus Berlin/Charité läuft dazu auch gerade eine Studie an.
In der Therapie des Reizdarmsyndroms spielt zudem Minze eine bedeutende Rolle. Eine Metaanalyse kam zum Ergebnis: Pfefferminzöl in magensaftresistenten Kapseln kann kurzfristig zur Linderung der RDS-Symptomatik und vor allem der Bauchschmerzen effektiv eingesetzt werden. Zur Langzeit-Anwendung fehlen allerdings die Daten. Pfefferminze wirkt krampflösend und beruhigend.
Weitere hilfreiche Heiltees sind: beruhigende und entzündungshemmende Kamilleblüten, verdauungsfördernde und blähungsreduzierende Kümmelsamen, entkrampfende Anisfrüchte sowie Magen und Darm beruhigende Fenchelsamen. Manchen Betroffenen helfen auch Tees aus Ingwer, Wermut, Schafgarbe oder Gewürznelken. Wegen ihres intensiven Aromas sind sie allerdings gewöhnungsbedürftig. Bei Durchfall bewährt sich übrigens auch Schwarztee.
Vielfach werden RDS-Betroffenen probiotische Medikamente verschrieben, also lebende Mikroorganismen (Bakterien und Hefen). In puncto Schmerz- besserung zeigten in Studien Bifidobacterium infantis und Lactobacillus plantarum positive Wirkung bzw. eine verbesserte Magen-Darm-Funktion. An der Uni Mailand stellte man fest, dass der Bakterienstamm B. bifidum MIMBb75 aufgrund seiner Klebeeigenschaft Reizdarmsymptome deutlich verringern kann. Vereinfacht gesagt, legt sich das Bakterium dabei wie ein Schutzfilm auf die gereizte Darmwand.
In Berlin setzen Prof. Andreas Michalsen und sein Team (Charité – Universitätsmedizin Berlin und Immanuel Krankenhaus, Abt. f. Naturheilkunde) auf eine Kombination von Fastentherapie und ayurvedischer Ernährung oder naturheilkundlich orientierter, vollwertiger Schonkost. Unterschiedliche Fastenformen, z.B. Buchinger-Fasten, F.X. Mayr-Fasten oder Intervallfasten zeigen immer wieder erstaunliche Erfolge bei Reizdarmbetroffenen. Bewährt habe sich, die Kostumstellung durch ein Heilfasten einzuleiten. Danach kann das Konzept mit ayurvedischer Ernährung folgen, bei der fast alle Speisen erhitzt und schonend zubereitet werden. Durch gezielten Einsatz von Gewürzen werde die Verdaulichkeit gefördert. In einer gerade abgeschlossenen Studie habe man hervorragende Ergebnisse mit dem ayurvedischen Ernährungskonzept gesehen, so Prof. Michalsen. Elemente der ayurvedischen Ernährung hat die vollwertige, wärmende Schonkost. Dabei wird Rohkost weitgehend gemieden. Durch die pflanzenbasierte Ausrichtung ist eine ausreichende Versorgung mit sekundären Pflanzenstoffen dennoch sichergestellt.
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Bei Reizdarm-Beschwerden helfen oft auch Veränderungen im Alltag: Für die Mahlzeiten muss man sich genügend Zeit nehmen. Hastiges Herunterstürzen eines Espressos im Stehen zum Frühstück oder das rasche Verdrücken eines Sandwichs zwischen zwei Sitzungen bekommen einem empfindlichen Magen und Darm sicher nicht. Gründliches Kauen der Speisen, wie Alfred Vogel es immer empfahl, nimmt den nachfolgenden Stationen nicht nur viel Arbeit ab, es fördert auch die Ausschüttung von unterstützenden Verdauungssäften.
Wenn die Ernährung auf fünf kleinere Portionen über den Tag verteilt wird, werden dem Darm weniger überfordernde Höchstleistungen abverlangt. Genügend Entspannung, beispielsweise bei Spaziergängen, mit beruhigender Musik oder mit Übungen wie z.B. Tai Chi, wirkt sich harmonisierend auf die Verdauung aus. Stress und Hektik sollte man sich nur in Ausnahmefällen zumuten.
«Belastende» Nahrungsmittel wie Knoblauch, Zwiebeln, scharfe Gewürze sowie Bohnen und Kohlgemüse sollten Reizdarmpatienten nur in geringen Mengen konsumieren. Ballaststoffe sind sehr wichtig, aber man darf es nicht übertreiben: Andernfalls kann der Nahrungsbrei vom überlasteten Dickdarm in den Dünndarm zurückfliessen, die Folge sind schmerzhafte Entzündungen.
Viel Flüssigkeit wirkt verdauungsunterstützend; zwei Liter stilles Mineralwasser und/oder Kräutertee sollten pro Tag konsumiert werden. Alkoholische Getränke und Kaffee dürfen sich Reizdarm-Patienten höchstens in geringem Masse gönnen.
Da nicht bei allen Betroffenen die gleichen Speisen und Getränke zu Beschwerden führen, ist es sinnvoll, während ein bis zwei Wochen alles zu notieren, was man zu sich nimmt, und darauf zu achten, wann es vermehrt zu Krämpfen oder zu Durchfall kommt.
Bei manchen Reizdarmpatienten werden die Beschwerden durch grössere Mengen am Süssem, Fettigem oder durch Milchprodukte ausgelöst. Mit einer vorübergehenden Überwachung der eigenen Ernährung kommt man solchen Auslösern auf die Spur.
Behandlungsansatz FODMAP-arme Diät
Mittlerweile wurde eine Reihe klinischer Studien zur Low-FODMAP-Diät bei Reizdarmpatienten veröffentlicht, die alle zeigen, dass die Beschwerden nachlassen. Sie ist eine der wenigen Ernährungsformen, die sich evidenzbasiert als wirksamer Behandlungsansatz erwiesen hat. Diese Diät sollte man jedoch auf keinen Fall als lebenslange Ernährungsempfehlung verstehen – sonst droht Mangelernährung. Es empfiehlt sich unbedingt eine Begleitung durch eine ausgebildete Ernährungsberaterin.
Mit der Wirksamkeit der Ganzkörper-Hyperthermie, einer Wärmebehandlung mit UV-freier Rotlichtbestrahlung, hat sich eine Pilotstudie unter Leitung von Dr. Rainer Stange (Charité – Universitätsmedizin Berlin und Immanuel Krankenhaus, Abt. f. Naturheilkunde) beschäftigt. Eingesetzt wurde wassergefiltertes Infrarot A (wIRA). Die Ergebnisse waren vielversprechend: Die meisten Studienteilnehmer, vorwiegend jüngere Frauen, stellten eine Verbesserung ihres Reizdarmsyndroms durch sechs Hyperthermiebehandlungen à 45 Minuten innerhalb von fünf Wochen fest. Auf die Idee, die sonst bei Arthrose und Schmerzzuständen sehr erfolgreiche Wärmebehandlung auch für RDS einzusetzen, sei man aufgrund Beobachtungen zur Konstitution gekommen: «Reizdarmpatienten suchen die Wärme», so Dr. Stange. Da die Behandlung relativ aufwendig (ergo: teuer) ist, sei noch offen, ob sie sich zur Behandlung des RDS durchsetzen wird.
Einer Untersuchung der Medizinischen Universität Wien zufolge hilft Reizdarmpatienten auch eine darmbezogene Bauchhypnose. In kontrollierten Studien linderte das Verfahren bei 65 bis 80 Prozent der Teilnehmer Schmerzen. Auch Fachärzte für psychosomatische Medizin an der Universitätsklinik Saarbrücken setzen auf die Methode, die eigens für Reizdarmkranke entwickelt wurde. Eine Therapieeinheit dauert ca. 25 Minuten, sechs bis zwölf davon werden empfohlen. Zu Hause sollten die Patienten die Bauchhypnose, angeleitet durch CDs, dann selbstständig fortsetzen. Fachleute sehen die Methode als sinnvolle Ergänzung zu anderen Therapien.
Studien gibt es auch zum Einsatz von Akupunktur: Sie kann bei Patienten mit Reizdarmsyndrom das vegetative Nervensystem beeinflussen und Stress abbauen. Nachgewiesen wurde ein positiver Effekt auf das parasympathische Nervensystem: Durch Messungen im Speichel der Patienten fanden Heidelberger Wissenschaftler heraus, dass unter Akupunktur der Parasympathikus (Teil des unwillkürlichen = vegetativen Nervensystems, gilt als «Ruhenerv») gestärkt wird und der Spiegel des Stresshormons Cortisol absinkt.
Und noch ein wichtiger Hinweis: Nur ungefähr die Hälfte aller Menschen mit Reizdarm-Symptomen verlangt nach ärztlichem Rat, die anderen versuchen ohne Hilfe und professionelle Behandlung über die Runden zu kommen. Zwar sind die Beschwerden dieser Krankheit lästig, aber harmlos. Gleichwohl sollten wiederkehrende Bauchbeschwerden von einer medizinischen Fachperson abgeklärt werden, denn sie können auch Anzeichen einer schwerwiegenderen Krankheit sein, die rechtzeitig behandelt werden muss.