Kräuter schmecken frisch am besten. Doch auch verarbeitet sind sie wertvoll in Speisen, Kosmetika und Heilmitteln. Tipps zur Bewahrung der Pflanzenkraft.
Autorin: Gisela Dürselen
Für die Konservierung der gesunden Inhaltsstoffe gibt es mehrere Möglichkeiten. Man kann ganze Pflanzen oder Teile von Pflanzen einfrieren oder für Tee, Inhalationen und Gewürze trocknen. Man kann Wirkstoffe herauslösen durch Dampf für Hydrolate oder durch Einlegen der Kräuter in Wasser, Öl bzw. Alkohol. Man kann Kräuter auch fermentieren oder damit Sirup, Salz, Essig und Dips aromatisieren.
Nicht jede Methode eigne sich für jede Art gleichermassen, erklärt Martina Rocco, die an der Kräuterakademie im Kanton St. Gallen einen Abschluss zur Kräuterfachfrau gemacht und 2009 ihre Naturkosmetik-Linie «Kräuterzauber» entworfen hat. «Pflanzen wie Aloe Vera und Kubanischer Oregano mit ihren fleischigen Blättern und einem hohen Wassergehalt lassen sich schlecht einfrieren. Pfefferminze verstärkt durch Trocknen ihr Aroma; viele andere hingegen verlieren es.»
Für Tinkturen verwendet Martina Rocco nur frische Pflanzen, weil sich so die Substanzen besser herauslösen lassen als aus getrockneten. Tinkturen werden auch Extrakte genannt, weil dabei die pflanzlichen Wirkstoffe mithilfe eines Lösungsmittels, meist mit Alkohol, extrahiert werden.
Neben Kosmetika stellt Martina Rocco in ihrem Atelier auch heilsame Mittel für Menschen her, die mit unterschiedlichen Beschwerden zu ihr kommen: für Leute mit Neurodermitis, denen Kortison nicht hilft oder Menschen mit Narben, bei denen Säurecremes nichts nützen. Ihnen tun manchmal Kräuterölauszüge gut. Dafür mischt Martina Rocco verschiedene Basisöle, die wie Schwarzkümmel- und Distelöl gut zusammenspielen, gibt ihre individuell abgestimmten Mischungen aus frischen Kräutern hinein und lässt das Ganze für sechs bis acht Wochen auf der Fensterbank ruhen. Das Behältnis wird nach einer Woche gut geschüttelt, um Schimmel durch Kondenswasser zu vermeiden. Das Aroma verstärkt Rocco mit ätherischen Ölen, je nach gewünschtem Effekt z.B. aus der Echten Kamille, aus Schafgarbe oder Weihrauch.
Ölauszüge können aber auch warm hergestellt werden. «Die Kaltproduktion ist schonender, die warme geht schneller», sagt Maria Blassnigg. Die Apothekerin arbeitet im Engadin, hat Kurse in Ethnobotanik und Ethnomedizin besucht und ist seit gut zwei Jahren Dozentin an der Kräuterakademie. Für ein warm hergestelltes Lavendelblütenöl empfiehlt Maria Blassnigg folgendes Vorgehen: «Man nehme eine Handvoll frischer oder auch getrockneter Blüten und bedecke sie in einem Glas mit einem natürlichen Öl wie zum Beispiel Oliven- oder Sesamöl.» Olivenöl sei ein Klassiker für Heilmittel und habe eine sehr lange Tradition in der Verwendung für arzneiliche Zubereitungen. Durch seinen hohen Polyphenolgehalt und sein Fettsäuremuster sei es im Vergleich zu weniger stabilen Ölen relativ lange haltbar und vertrage auch sanftes Erhitzen.
Das Blütenölgemisch erwärmt Maria Blassnigg circa ein bis zwei Stunden lang auf ungefähr 50 bis 60 °C und lässt es vor dem Abseihen noch etwas ziehen. «Bei der Verwendung von frischen Pflanzen darf das Gefäss während des Erwärmens nicht geschlossen werden, damit Feuchtigkeit entweichen kann. Nach dem Abseihen und Abfüllen hingegen sollten die Behälter dicht verschlossen werden.»
Lavendel helfe bei Verbrennungen und Insektenstichen, eine Zugabe des ätherischen Öls im Badewasser wirke beruhigend, und die Pflanzendroge könne auch als Tee getrunken werden. Der Ölauszug sei sehr mild. Wer darum Duft und Wirkung noch steigern wolle, könne das Blütenöl mit ätherischen Ölen anreichern, um es anschliessend direkt einzureiben oder als Grundlage für weitere Produkte wie Cremes und Salben zu verwenden.
Auch mit anderen Pflanzen kann so vorgegangen werden. Ein Ölauszug aus Ringelblumenblüten wird z.B. für die Herstellung einer entzündungshemmenden Ringelblumen-Heilsalbe verwendet, die Kräuterexperin Maria Blassnigg zufolge ein wichtiger Bestandteil jeder Kräuter-Hausapotheke ist. In der inhabergeführten Apotheke in Samedan, in der sie arbeitet, werde Ringelblumensalbe für alle möglichen Hautprobleme empfohlen und sei auch für Kinder sehr gut geeignet.
Eine Renaissance erleben derzeit zwei weitere Arten der Kräuterkonservierung: Die Fermentierung und die Beigabe von Kräutern zu einem Oxymel, der auch Sauerhonig genannt wird. Bei der Fermentation von Kräutern sei die Kombination mit Gemüse beliebt, sagt Maria Blassnigg. Es müsse nur darauf geachtet werden, dass alles komplett mit Flüssigkeit bedeckt sei, weil sonst Schimmel entstehen könne. Kräuterfachfrau Martina Rocco bevorzugt eine andere Art der Kräuterfermentation: Sie setzt ihre Pflanzen mit einem Kombuchapilz an und stellt so schmackhafte Getränke her.
Der Oxymel ist ein Honig-Essig-Gemisch, dem je nach gewünschtem Effekt verschiedene Kräuter (oder Blüten) zugefügt werden. Das Wort stammt aus dem Altgriechischen und bedeutet Säure und Honig. Als Heilmittel wurde Oxymel schon von Hippocrates empfohlen, und auch in persischen pharmazeutischen Schriften des Mittelalters ist der Oxymel mit zahlreichen Anwendungsmöglichkeiten beschrieben.
2012 veröffentlichte eine Gruppe iranischer Forscher eine Untersuchung zum Oxymel im mittelalterlichen Persien. Demnach wurde das Honig-Essig-Gemisch damals sowohl pur als auch in Verbindung mit Arzneipflanzen verabreicht und bis heute wird es als traditionelles Heilmittel genutzt. Insgesamt fanden die Forscher über 1200 verschiedene Oxymel-Rezepte für unterschiedliche Indikationen, die von Verdauungsbeschwerden über Fieber bis hin zu Atembeschwerden reichen.
Das historische Grundrezept ist den Forschern zufolge denkbar einfach: eine Einheit Essig, zwei Einheiten Honig und vier Einheiten Wasser werden gekocht, bis nur noch ein Viertel des Gemisches übrigbleibt; dann wird von der fertigen Flüssigkeit der Schaum abgeschöpft. Heutzutage ist Oxymel vor allem als immunstimulierendes Stärkungsmittel bekannt, wobei das Honig-Essig-Kräutergemisch kalt angesetzt wird. Die Auswahl der Kräuter hängt laut Martina Rocco davon ab, «was man erreichen will und was welche Pflanze kann». Vor dem Verzehr lässt sie die Mischung mindestens zwei Wochen lang ruhen, und um zu vermeiden, dass zu viel Essigsäure aufgenommen wird. Die Fachfrau rät, täglich maximal zwei Esslöffel einzunehmen.
Wichtig für die heilende Kraft pflanzlicher Mittel ist ein hoher Wirkstoffgehalt der Pflanzen – und dafür ist neben Standort und Klima die Erntezeit entscheidend. Denn die meisten Kräuter brauchen ausreichend Licht und Wärme. «Nicht zufällig schmecken und duften viele Kräuter aus dem licht- und wärmeverwöhnten Mittelmeerraum besonders würzig», sagt Maria Blassnigg. Darum würden Kräuter je nach Region und Klima zwischen Mitte August bis September, am besten mittags und bei anhaltend schönem Wetter, geerntet.
Zu den Ausnahmen gehören Rosenblüten. «Sie werden am frühen Morgen geerntet, sobald der Tau abgetrocknet ist, denn dann ist ihr ätherischer Ölgehalt am grössten und der Duft am stärksten», so Blassnigg. Wurzeln hingegen werden erst dann geerntet, wenn sich die Pflanze zurückgezogen und ihre ganze Kraft in die unterirdischen Teile gesteckt hat. Dabei sollten jedoch immer genug Pflanzen stehen bleiben, um den Bestand nicht zu gefährden, rät die Apothekerin. «Blüten können von Hand gezupft werden; andere, grössere Pflanzenteile werden schonend durch einen glatten, sauberen Schnitt geerntet, denn Quetschen schadet sowohl Pflanzen als auch Wirkstoffen, weil dabei Zellen zerstört werden und Luft an die wertvollen Inhaltsstoffe gelangen kann.» Anschliessend sollten die gesammelten Kräuter locker in einen Korb oder Beutel aus atmungsaktivem Material gelegt und rasch transportiert werden.
Ein Spaziergang durch die Natur könne mit dem Blick auf wilde Kräuter zur spannenden Entdeckungsreise werden, sagt Maria Blassnigg. Denn unter den heimischen Pflanzen gebe es so manches inzwischen fast unbekannte Kraut, das einst in der Volksheilkunde zu den altbewährten Mitteln zählte. Dazu gehörten verschiedene wilde Minzen, die auf Nadelbäumen wachsende und wie ein natürliches Antibiotikum wirkende Bartflechte sowie Bergthymian, der bei Atemwegserkrankungen ähnlich wie Echter Thymian wirken soll, ebenso das als Stinkstorchschnabel bezeichnete Ruprechtskraut, dessen Kräutertinktur Maria Blassnigg zum Auftragen bei Insektenstichen empfiehlt.
Wer das Glück hat, einen eigenen Garten zu besitzen, dürfe auch nichtheimische Pflanzen einbeziehen und brauche sich bei den heimischen Arten keine Standorte merken, sondern könne sich das gewünschte Sortiment auf kleinem Raum selbst zusammenstellen. Im Vergleich zum Sammeln in der Natur minimiere sich dadurch die Verwechslungsgefahr, denn üblicherweise wüssten Gärtnerin und Gärtner, wo welche Pflanzen stehen, so Maria Blassnigg.
Der privaten Experimentierfreude beim Verarbeiten von Kräutern sind allerdings klare Grenzen gesetzt. Denn viele sind zwar hochwirksam, «harmlos aber nicht immer», sagt Maria Blassnigg. So sei es z.B. wichtig zu wissen, was nur äusserlich und was auch innerlich angewendet werden dürfe. Auch könnten manche Pflanzen und Wirkstoffe für bestimmte Personengruppen gefährlich werden, etwa Wermuth und Beifuss sowie starke ätherische Öle für Schwangere.
Als Faustregel gilt deshalb für Maria Blassnigg: «Nur ernten, was ungiftig und zu 100 Prozent auch in seiner Verwendung bekannt ist.»
Zuletzt aktualisiert: 06-10-2022