Der Schweizer Naturarzt und Pionier der Naturheilkunde Alfred Vogel (1902-1996) wollte immer die «ganze» Pflanze, d.h. die Gesamtheit aller in einer Pflanze vorhandenen Stoffe. Denn er war überzeugt, dass in der Pflanze bzw. dem medizinisch wirksamen Pflanzenteil (z.B. Wurzel) nicht nur ein oder mehrere Stoffe wichtig seien, sondern jeder Stoff seine Rolle spiele.
Autorin: Ingrid Zehnder-Rawer
Vielleicht kann der Vergleich mit einem Orchesterstück dies verdeutlichen. Darf man die Pauke, den Gong oder die Triangel einfach weglassen, weil die Hauptakzente auf dem Klavier und den Stimmen der Geigen liegen und auch die Hörner und die Blasinstrumente wichtig sind? Für Alfred Vogel gab es kein verzichtbares Beiwerk, keinen Wirkstoff und auch keinen Begleitstoff ohne Wert. Wenn wir die Rolle der «Triangel» in der Pflanze nicht benennen und definieren können, dann liegt es daran, dass wir Menschen einfach (noch) nicht genug wissen.
Dies schliesst selbstverständlich nicht aus, dass Stoffe, die für die Pflanze lebenswichtig sind, für den Menschen aber gefährlich werden können, eliminiert werden müssen (etwa lebertoxische Pyrrolizidinalkaloide).
«Sorgfalt, Fingerspitzengefühl, volles Verständnis und reichlich Liebe zu den Pflanzen, aber auch ein reges Interesse für das Heil der Leidenden sind notwendig, um die verschiedenen Mühen auf sich zu nehmen, die mit der Herstellung hochwertiger Erzeugnisse verbunden sind. Oft heisst es bis hoch hinauf in die Bergtäler zu gehen, um die Heilpflanzen im richtigen, vollaktiven Stadium einsammeln und möglichst noch am gleichen Tage verarbeiten zu können. Schonungsvoll, ohne Erhitzung müssen die Extrakte hergestellt werden, auf eine Weise, die es ermöglicht, sämtliche Stoffe auszuziehen, damit sie darin im gleichen Verhältnis vorhanden sind wie zuvor in der Pflanze selbst.»
Alfred Vogel, 1964
In Befolgung dieser Philosophie ist ein möglichst breites Spektrum an Inhaltsstoffen in die Pflanzentinktur «hinüberzuretten». Alle Inhaltsstoffe, auch jene, welche noch nicht bekannt sind, können für die insgesamt gute Wirksamkeit einer Pflanzenmedizin verantwortlich sein. Der Fachausdruck dafür ist: Gesamtextrakt. Mittlerweile häufen sich die klinischen und ärztlichen Erfahrungen, die darauf hinweisen, dass gerade solche Wirkstoffkomplexe besondere Vorzüge besitzen, manchmal weniger hinsichtlich der Intensität der Wirkung als der besseren Verträglichkeit und Resorption wegen.
Verarbeitung von Tausendgüldenkraut (Centaurium erythraea RAFN).
Pflanzen sind eine lebendige Materie und können nicht normiert werden wie synthetisch hergestellte Produkte. Naturprodukte haben es so an sich, dass ihre Qualität schwankt. Beim Wein ist man sich bewusst, dass jeder Jahrgang eine etwas andere Qualität haben kann. Wir haben schon davon gesprochen, dass auch die Inhaltsstoffe der Pflanzen nicht immer haargenau gleich sind – der Konsument hat aber den berechtigten Anspruch auf eine gleichbleibende medizinische Wirkung. Wie lässt sich die natürliche Tatsache der Variabilität mit der Forderung nach stets gleicher Heilkraft vereinbaren?
Um ein weitgehend homogenes Arzneipflanzenmaterial zu erhalten und eine möglichst gleichbleibende Wirkung zu erzielen, werden verschiedene Schritte unternommen. Es fängt schon beim Samen an, denn durch eigene Saatgutvermehrung steht immer dieselbe Samenqualität zur Verfügung. Auch die Wahl des Anbauortes und des Erntezeitpunkts kann dazu beitragen, dass der Gehalt der Inhaltsstoffe nur geringen Schwankungen unterworfen ist.
Neben den Anzucht- und Anbaubedingungen, die vorzugsweise von gleicher Güte sein sollten, ist man durch die immer gleiche Behandlung und Verarbeitung des Pflanzenmaterials (validierte Herstellungsverfahren) bemüht, die natürlichen Schwankungen der Stoffgemische in möglichst engen Grenzen zu halten.
Für die Qualität der Präparate ist nicht nur der Rohstoff entscheidend, sondern auch die sorgfältige Herstellung auf allen Produktionsstufen. Wie die Fabrikation aller anderen Medikamente unterliegt auch die Herstellung von Pflanzenheilmitteln amtlichen Regeln, die man als «Good Manufacturing Practice (GMP)» bezeichnet. Unter «GMP/Guter Herstellungspraxis» versteht man europäische/globale Richtlinien zur Qualitätssicherung in der Produktion von Arzneimitteln (sowie Nahrungsmitteln und Nahrungsergänzungsmitteln). Sie gewährleisten die gleichbleibende Qualität der Produkte.
Die GMP-konforme Herstellung ist von eminenter Bedeutung, denn nur auf diese Art hergestellte Arzneimittel dürfen für den Schweizer Markt freigegeben bzw. ins Ausland ausgeführt werden. Das trifft natürlich auch auf die A.Vogel-Heilmittel zu, die in viele Länder der Welt exportiert werden.
Ausgehend von der frischen Pflanze bis zum Endprodukt bedeutet Standardisierung die Qualitätsvereinheitlichung auf allen Stufen der Herstellung, die notwendig ist, um einen definierten Standard (Spezifikation) zu erreichen.
Die Standardisierung ist ein recht komplizierter und aufwendiger Vorgang, der bei jeder Pflanzenart wieder völlig verschieden ausfallen kann.
Die Grundlage der Standardisierung sind Messungen, welche dank moderner Labormethoden heute möglich sind. Sind die für die Wirksamkeit massgebenden Inhaltsstoffe noch nicht oder nicht ausreichend bekannt, orientiert man sich zur Beurteilung der pharmazeutischen Qualität an den für die Pflanze spezifischen Inhaltsstoffen, den sogenannten Leitsubstanzen. Solche Leitsubstanzen sind chemische Verbindungen, die typisch für die Pflanze sind und einen wesentlichen Anteil an der Wirkung haben. Sie sind Hilfsmittel für die chemische Analyse, dienen also Kontrollzwecken.
Kennt man bei einer Pflanze die wirksamkeitsbestimmende Substanz(gruppe), so schliesst sich an die Standardisierung die sogenannte Normierung an. Dabei handelt es sich in der Regel um die Einstellung (Normierung) auf einen festgelegten Normwert, um eine gleichbleibende Wirkung zu erzielen.
In der Qualitätskontrolle werden alle Pflanzenlieferungen (Chargen) analysiert und nach vorgegebenen Anforderungen (Spezifikationen) beschrieben. Die Spezifikationen ergeben sich aus den Analyseresultaten verschiedener Leitsubstanzen, die über mehrere Jahre gesammelt wurden. Die einzelnen, genau bezeichneten Chargen werden in grossen Tanklagern aufbewahrt. Schwankungen zwischen den einzelnen Chargen werden durch gezieltes Mischen nivelliert, d.h. die Extrakte werden standardisiert. Mischt man beispielsweise einen Extrakt mit einem relativ hohen Anteil einer Leitsubstanz mit einem Extrakt mit einem niedrigen Anteil dieser Leitsubstanz, erhält man einen bestimmten Mittelwert, der sich allerdings innerhalb festgelegter Grenzen bewegen muss. Dieses ideale Mischungsverhältnis muss sich auf alle definierten Leitsubstanzen erstrecken.