Ihre Wurzeln hat die Pflanzenheilkunde in der Tradition, also in einem reichen Schatz an Erfahrungswissen. Ein Museum? Nein, die moderne Phytotherapie verbindet die traditionelle Pflanzenheilkunde mit den Ergebnissen aktueller Arzneipflanzenforschung und nimmt Innovationen in Angriff.
Autorin: Ingrid Zehnder-Rawer
Der Unternehmensbereich «Forschung und Entwicklung» befasst sich mit der Entwicklung von markt- und behördengerechten Heilmitteln. Das Ziel der wissenschaftlichen Arbeit ist der Nachweis und die Dokumentation der guten Qualität, Wirksamkeit und Verträglichkeit.
Bei den bewährten Frischpflanzenpräparaten/Naturstoffen gilt es, die Inhaltsstoffe und das Wirkprofil noch genauer zu analysieren sowie neue Therapiebereiche zu erschliessen.
Das erfordert nicht nur fachliche Kompetenz und finanzielle Anstrengungen, sondern auch Zeit, denn die gesetzlichen Vorschriften verlangen umfangreiche Dokumentationen und Untersuchungen, damit schliesslich zum Wohle des Patienten ein sicheres und wirksames Produkt auf dem Markt zur Verfügung steht.
Bevor eine Tinktur in der Flasche und die Tablette im Glas sind und auf dem Markt als Heilmittel verkauft werden dürfen, sind viele Hürden zu überwinden. Sie alle haben nur ein Ziel: das Wohl und die Sicherheit des Patienten bzw. des Verbrauchers zu gewährleisten – soweit das nach menschlichem Ermessen möglich ist.
Im Bereich Herstellung von Frischpflanzentinkturen erfahren Sie alles über die Voraussetzungen für die gleichbleibende Qualität eines pflanzlichen Arzneimittels, nämlich die Standardisierung, die beim Anbau der Frischpflanze beginnt und über validierte Produktionsverfahren zu einem Heilmittel führt, welches die Inhaltsstoffe der Frischpflanze in einer stabilen Zusammensetzung beinhaltet.
Doch was sind die Voraussetzungen, die ein Produkt erfüllen muss, um als Heilmittel auf dem Markt zugelassen zu werden?
Die Behörden, welche die Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit eines Arzneimittels beurteilen – also für die Zulassung, die Registrierung zuständig sind – haben Regelwerke aufgestellt, nach denen sich die Produzenten zu richten haben.
Für rezeptfreie Fertigarzneimittel ist seit 2004 in der Europäischen Union die Richtlinie «Traditional Herbal Medical Produkt Directive» (THMPD) in Kraft. Sie regelt die Zulassung für traditionelle pflanzliche medizinische Produkte (im Allgemeinen handelt es sich um Monopräparate) in einem vereinfachten Verfahren. Für die Registrierung sind ein Gutachten sowie ein Registrierungs-Dossier notwendig; klinische Daten werden nicht benötigt. 2011 lief eine Übergangsfrist von sieben Jahren aus, die vor allem EU-Staaten betraf, in denen es bis dahin keine Regulierung für traditionelle pflanzliche Heilmittel gab. Seit dieser Zeit dürfen in der EU nur noch behördlich registrierte traditionelle Pflanzenarzneien auf den Markt gebracht werden.
In der Schweiz ist eine vereinfachte Zulassung von Phytoarzneimitteln mit bekannten Wirkstoffen möglich, wenn der Nachweis der therapeutischen Sicherheit und Wirksamkeit durch ausreichende Belege in der veröffentlichten Literatur und mindestens eine klinische Studie (Anwendungsbeleg) erbracht werden kann.
Bei Kombinationsarzneimitteln ist die Analytik oft erheblich anspruchsvoller als bei Monopräparaten. Der Beleg der Wirksamkeit und Sicherheit muss daher meist auf der Basis eigener Untersuchungen und Prüfungen erfolgen.
Für pflanzliche Heilmittel mit Indikation (zur «Stärkung der Abwehrkräfte», bei «Herz-Kreislaufbeschwerden» etc.) gelten die gleichen Richtlinien wie für chemisch-synthetische Medikamente.
Zum Nachweis der Wirksamkeit und Unbedenklichkeit werden physikalische, chemische, (mikro-)biologische, toxikologische, pharmakologische und klinische Untersuchungen gefordert. Statthaft sind einmal schriftliche Belege aus der bereits vorhandenen wissenschaftlichen Literatur, zum Zweiten müssen fehlende Daten zur Pharmakologie der Pflanzenprodukte erhoben werden, und zum Dritten werden klinische Untersuchungen am Menschen gefordert. Die wissenschaftliche Reproduzierbarkeit wird dabei durch placebokontrollierte, randomisierte Doppelblindstudien sichergestellt.
Einleuchtend, dass solche Aufwendungen Kosten in Millionenhöhe verursachen, ganz abgesehen davon, dass es in den meisten Fällen nicht mit einer Studie getan ist und nicht jede pharmakologische oder klinische Untersuchung ein greifbares Ergebnis zeitigen kann. Die finanzielle Last liegt auf den Schultern weniger mittelständischer Unternehmen, die sich diesen Forschungsaufwand leisten – und auch das nur bei Produkten, die entsprechende Umsätze erwarten lassen.
Auf dem Gebiet der Pharmakologie gilt es herauszufinden, was der Körper mit dem Arzneimittel (Pharmakokinetik) und was das Arzneimittel mit dem Körper macht (Pharmakodynamik). Es ist eine Tatsache, dass – anders als bei chemisch definierten Heilmitteln – die pharmakologischen Untersuchungen bei pflanzlichen Wirkstoffen rasch an Grenzen stossen. Oft ist es unmöglich, ein Vielstoffgemisch eindeutig zu charakterisieren. Zum Glück weiss ja man meist aus der Tradition bereits, wie eine Heilpflanze auf den Menschen wirkt. Immerhin, durch Untersuchungen an isolierten Zellen kann man z.B. erforschen, ob und wie verschiedene Pflanzenextrakte bei rheumatischen Entzündungen wirken, und man kann mit viel Erfahrung unter Umständen sogar erste Anhaltspunkte für eine sinnvolle Dosierung gewinnen.
Nachdem die erforderlichen pharmakologischen Daten in Bezug auf Wirksamkeit und Verträglichkeit in Zellsystemen erhoben wurden, folgen die Studien am Menschen. Nach Vorstudien wird an einer grösseren Zahl von Patienten mit einem spezifischen Krankheitsbild das Heilmittel auf seine Wirksamkeit geprüft. Dann wird eine bestimmte Anzahl zufällig ausgewählter Versuchspersonen in zwei Gruppen aufgeteilt: die «Placebo-Gruppe» bekommt ein Scheinmedikament, die Angehörigen der zweiten, der «Verum-Gruppe» erhalten das zu prüfende Heilmittel. Man nennt dieses Vorgehen: eine Arznei wird im Vergleich zu Placebo getestet. Es gibt aber auch Prüfverfahren im Vergleich zu Standardtherapien; sie sind angebracht, wenn die Patienten so krank sind, dass es unethisch wäre, während des Untersuchungszeitraums eine angemessene Behandlung zu unterlassen. Die Studien finden unter der Aufsicht eines oder mehrerer Ärzte statt, wobei meist Doppelblindstudien durchgeführt werden. Nach Abschluss des zuvor festgelegten Zeitraums ergibt die statistische Auswertung der Daten, ob das neue Heilmittel besser wirkt als Placebo oder die herkömmliche Behandlung.
Die Methode, wirksame Inhaltsstoffe in reiner kristalliner Form zu isolieren, eignet sich jedoch ganz überwiegend nur für die stark oder forte wirksamen Heilpflanzen, bei denen ein oder sehr wenige Inhaltsstoffe die Wirkung ausmachen.
Forte-Pflanzenheilmittel haben Nebenwirkungen, manche sind äusserst giftig. Deshalb ist es sicher sinnvoller, bestimmte Herzrhythmusstörungen mit isolierten, genau dosierbaren Digitalispräparaten zu behandeln statt mit einem Tee aus rotem Fingerhut. Die Gratwanderung zwischen heilender und giftiger Dosis wäre viel zu riskant.
Der Nachteil dieser Verfahrensweise liegt darin, dass bei vielen altbewährten Heilpflanzen, bei denen kein einzelner signifikanter Inhaltsstoff isoliert werden konnte, die Wirksamkeit infrage gestellt wurde. Dieser Geringschätzung fielen vor allem die zahlreichen, schwach oder mite wirkenden Pflanzen mit ihren sehr komplexen Inhaltsstoffen zum Opfer.
Bei den meisten schwach oder mild wirkenden Heilpflanzen fehlt eine Reinsubstanz, welche allein oder hauptsächlich die Wirkung bestimmt. Gerade die Mite-Pflanzenheilmittel sind aber ein Beispiel dafür, dass es sich in sehr vielen Fällen um ein ganzes Ensemble von Wirkstoffen handelt, bei dem die einzelnen Komponenten ineinandergreifen und den heilenden Effekt erst in ihrer Gesamtheit hervorbringen. Dabei wäre es völlig falsch, schwach wirkend mit unwirksam gleichzusetzen – vielmehr bedeutet es, dass von der Heilpflanze keine unmittelbar intensive Wirkung zu erwarten ist (wie bei einer Digitalisspritze) und sie auch über längere Zeit ohne Schaden eingenommen werden kann.
Ob Herzschwäche oder Hauterkrankung, Nieren- und Blasenleiden, Rheuma und andere Gelenkerkrankungen, Wechseljahrsbeschwerden, Stoffwechselerkrankungen, Schmerzen, Depressionen, Durchblutungsstörungen, Erkältungen, gutartige Prostatavergrösserungen, Magen-/Darmleiden, Schlafproblemen oder Nervosität – gegen zahlreiche Leiden, chronische oder akute, ist ein Kraut gewachsen.
Obwohl Phytopharmaka (HMPs, Herbal Medicinal Products, wie man in der internationalen Fachsprache sagt) in der ärztlichen Versorgung der Patienten (noch) eine untergeordnete Rolle spielen, macht sich in den letzten Jahren überall auf der Welt ein Umdenken breit: Es wird anerkannt, dass die Phytotherapie ihre Stärken hat und sich synthetische Medikamente und Heilpflanzenpräparate ergänzen können und müssen.
Übrigens tragen keineswegs allein die Ärzte die Verantwortung dafür, dass schnell und stark wirkende Präparate (mit den unvermeidlichen Nebenwirkungen und Resistenzen) bevorzugt werden, denn auch die Patienten drängen oftmals auf prompte Reparaturen und schnelle Lösungen, ohne nach den Nebenwirkungen zu fragen oder gar nach den Ursachen der Erkrankung zu forschen.
Ein reiner Wirkstoff besteht aus einer einzigen Substanz (einem chemischen Molekül), die sich durch physikalische Methoden nicht weiter reinigen lässt. Solche Wirkstoffe haben genau bekannte physikalische oder pharmakologische Wirkungen (und Nebenwirkungen).
Eine Pflanze enthält aber Hunderte, ja Tausende von chemischen Verbindungen, die im Zusammenspiel in synergetischer Weise wirken. Viele herkömmliche Testverfahren sind deshalb mit der Komplexität der Pflanzenpräparate überfordert, und es ist ungeheuer schwierig, die lang erprobte Wirksamkeit exakt zu beweisen. So konnte bis heute beispielsweise das «Geheimnis» der beruhigenden Wirkung des Baldrians (Valeriana off.) oder der Passionsblume (Passiflora incarnata) nicht völlig entschlüsselt werden.
Die Isolation und Untersuchung einzelner Wirkstoffe zeigt immer nur einen Teil der Gesamtwirkung, denn alle anderen vorhandenen – und seien sie scheinbar noch so unwichtig – beeinflussen die Art, die Dauer und sogar den Zeitpunkt der Wirkung. «Ausser den besonders wirksamen Inhaltsstoffen haben auch die Nebenwirkstoffe und die Ballaststoffe Anteil an der guten Wirkung und Verträglichkeit von pflanzlichen Arzneien», so Prof. Dr. med. Reinhard Saller, der erste Inhaber eines Lehrstuhls für Naturheilkunde an einer Schweizerischen Universität (Zürich).
«Jede Pflanze stellt etwas Fertiges, in sich Abgeschlossenes dar; denn es handelt sich dabei um ein Rezept, dem Intelligenz, Voraussicht und weise Planung zugrunde liegt. Für den Wert der einzelnen Pflanze entsteht ein Risiko, wenn man ihr zweckmässig überlegtes Gefüge auseinanderreisst.»
Zahlreiche Arzneipflanzen enthalten, wie wir gesehen haben, eine Mischung aus sehr vielen Stoffen. Um die Sache noch komplizierter zu machen: Diese Wirkstoffgemische sind auch bei einer bestimmten Pflanze keineswegs konstant. Die Erfahrung zeigt, dass die Pflanzenqualität, der Boden, das Wetter und der Erntezeitpunkt auf die Inhaltsstoffe Einfluss nehmen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen: Selbst eine einzelne Pflanze kann ein etwas anderes Spektrum an Inhaltsstoffen aufweisen als die benachbarte Pflanze, die auf dem gleichen Feld unter den gleichen Bedingungen heranwächst.
Wie unter diesen Voraussetzungen qualitativ hochstehende, gleichbleibend wirksame und sichere Heilmittel entstehen, die den Anforderungen des Verbrauchers gerecht werden, und welche Rolle dabei die «Philosophie» von Alfred Vogel spielt, werden wir in den weiteren Folgen dieser Serie erläutern.