Dem Traditionellen Indischen Medizinsystem liegt ein umfassendes Behandlungskonzept zugrunde. Dessen Wirksamkeit wird zunehmend auch durch Studien belegt.
Autorin: Andrea Pauli, 07-08.17
Von warmem Öl umflossen. Von kundigen Händen gelockert. Von feinem Kräuterdampf umhüllt. Mit exotischen Gewürzen verwöhnt. Ayurveda! Das Wohlfühlprogramm ist indes nur ein Teil dieser ganzheitlichen Heilkunde. Wer sich der komplexen Therapie unterzieht, wird auch mit anstrengenden Reinigungsmethoden konfrontiert: medizinischem Erbrechen (Vamana), Abführen (Virecana), Einläufen (Basti), Nasen- und Stirnhöhlenbehandlungen (Nasya) und Aderlass (Rakta Moksa).
Zunehmend erhält die jahrtausendealte Lehre in Europa die Anerkennung als komplementäre Medizin, die ihr in den Ursprungsländern Indien und Sri Lanka seit jeher entgegengebracht wird.
Basis der gesunden Lebensführung im Ayurveda ist die Ernährung: Konkret heisst das, Energie zu sparen. Denn in den meisten Ernährungslehren wird so getan, als ob das, was man in den Mund hineingibt, dem Körper sofort zur Verfügung steht. Das Gegenteil ist der Fall, denn der Körper muss nach einer Mahlzeit erst mal ganz viel Energie investieren, um die Nahrung aufzuspalten.
Die Ayurveda Ernährung fragt also nicht wie die moderne Ernährungstherapie: Was sind da für Wirk- und Nährstoffe drin? Sie fragt vielmehr: Wie sieht die Energiebilanz verschiedener Lebensmittel aus? Der Patient soll durch die Ayurveda Ernährung nicht belastet werden, sondern Energie sparen, denn nur so werden Kräfte frei, die der Körper für Selbstheilungsprozesse nutzen kann.
Die wichtigsten Punkte in der Ayurveda Ernährung sind für Elmar Stapelfeldt M.A., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Berliner Immanuel Krankenhaus in der Abteilung für Naturheilkunde, folgende:
Gewürze sind in der Ayurveda Ernährung von grosser Bedeutung. Das Spektrum ihrer Anwendbarkeit ist weit gefasst, denn Gewürze wirken auf den gesamten Organismus, insbesondere den Verdauungstrakt.
Einen Ayurveda-Behandlungs- und Forschungsschwerpunkt hat das Immanuel-Krankenhaus in Berlin, gleichzeitig auch Standort der Charité-Stiftungsprofessur für klinische Naturheilkunde. Die grösste Studie bislang im Bereich Kniegelenksarthrose ist abgeschlossen. Darin wurden zwei verschiedene Behandlungsformen miteinander verglichen, eine traditionelle Ayurveda-Behandlung und eine in Deutschland aktuell übliche konventionelle medizinische Behandlung nach derzeitigem Standard.
Die Wirkung war überraschend gut: Gemessen an einem international anerkannten Index für klinische Veränderungen von Arthrosebeschwerden, gab es bei den meisten Teilnehmern einen Ausgangswert von 90 Punkten. In der Ayurveda-Gruppe fiel er um 60 Punkte, bei der konventionellen Gruppe um 30 Punkte. Beide Ergebnisse sind für die Verbesserung der empfundenen Schmerzen beim Patienten ein extrem guter Wert, der über schulmedizinische Massnahmen so gar nicht erzielbar ist.
In der Essener Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin wurde die Traditionelle Indische Medizin (TIM) kommt das Gros der Patienten aufgrund von Gelenkbeschwerden. «Wir können chronische Krankheiten sehr gut behandeln», sagt Dr. Syal Kumar. «Rheuma-Patienten z.B. brauchen nach der Behandlung keine Medikamente oder Schmerzmittel mehr.» Auch in der Behandlung von Bandscheibenvorfällen, Kopfschmerzen, Hautkrankheiten, Magen-Darm-Problemen und psychischen Schwierigkeiten habe man sehr gute Erfahrungen gemacht.
Entscheidend, so Dr. Kumar, sei die Zwei-Phasen-Behandlung: erst Ernährung und Kräuterpräparat, danach Panchakarma. Nach Konsultation und Diagnose und je nach Chronik der Krankheit wird die Behandlung durchgeführt. Der Arzt verordnet die entsprechenden Präparate (Dekokt, fermentiertes Präparat und/oder Tabletten); zusätzlich gibt es spezifische Einschränkungen bezüglich Ernährung und Aktivitäten. Ist die Krankheit abgeklungen, werden weitere Präparate zur Stärkung des Immunsystems verordnet. Haben Medikamente und Ernährungsumstellung nicht geholfen, werden sie verändert. Diese erste Phase der Behandlung dauert ein bis drei Monate.
Hat der Patient nach Phase eins noch immer Beschwerden, wird in drei Stufen das sogenannte Panchakarma durchgeführt, um die gestörten Doshas (fundamentale Elemente, die unsere anatomischen und physiologischen Abläufe bestimmen) wieder in Balance zu bringen.
I. Pre Panchakarma: Ölung (Snehana) und Schwitzen (Swedana), zur Eliminierung der Toxine aus dem Körper. Die Ölung kann intern und extern erfolgen. 300 verschiedene Öle stehen zur Verfügung, jedes davon ist eine Kombination aus zehn bis 80 Pflanzen, individuell auf den Patienten abgestimmt.
II. Panchakarma: Gezieltes Erbrechen mithilfe bestimmter Kräuterpräparate, Abführen, Kräuter- und Öleinlauf, Einführen von Öl in die Nase und Blutreinigungstherapie (z.B. durch Blutegel). Nicht jede dieser Anwendungen ist für jeden Patienten geeignet, es werden also nicht unbedingt alle durchgeführt.
III. Post Panchakarma: Während einer bestimmten Dauer werden immunregulierende Heilkräuter-Arzneien eingesetzt; dazu kommen eine spezielle Diät und Bewegungsvorgaben.
Basis der gesunden Lebensführung im Ayurveda ist die Ernährung. Empfohlen wird, alles zu kochen, also immer warm, dabei aber leicht verdaulich und vor allem regelmässig zu essen – das spart Energie. Denn der Körper muss nach einer Mahlzeit die Wirk- und Nährstoffe aus dem Verbund der komplexen Nahrungsmittel herauslösen. Die „eingesparte“ Energie kann der Organismus dann für seine Selbstheilungsprozesse nutzen.
Die Ernährungsratschläge können sich während der Ayurveda-Therapie durchaus ändern, je nachdem, wie der Heilungsprozess verläuft und wie sich die Wechselwirkung zwischen der Ernährung und den ayurvedischen Medikamenten gestaltet. Neben der Ernährung sind auch Gewürze von Bedeutung in der ayurvedischen Praxis. Gewürze wirken auf den gesamten Organismus, insbesondere den Verdauungstrakt, zeigen mitunter antimikrobielle, fungizide und entzündungshemmende Wirkungen, können sich durch schmerzstillende, krampf- oder schleimlösende Eigenschaften auszeichnen und werden zur Senkung von Fieber ebenso genutzt wie zur Senkung des Blutdrucks. Der behandelnde Therapeut muss genau wissen, welches Gewürz in welcher Konzentration den gewünschten Effekt erzielt.
Einen noch stärkeren Einfluss als Nahrungsmittel und Gewürze haben ayurvedische Heilpflanzen auf den Körper. Circa 3000 Heilpflanzen sind bekannt und Bestandteil der ayurvedischen Pharmakologie. Klassische, seit Jahrtausenden verwendete Zubereitungen bestehen in der Regel aus einer Vielzahl von Pflanzen – das können bis zu 60 Zutaten in diversen Anteilen und Mengen sein. Diese Komplexpräparate «funktionieren» nach einem ausgewogenen Mechanismus, wobei ein oder zwei der enthaltenen Pflanzen eine aktive Rolle spielen, während die übrigen unterstützend wirken respektive als Katalysatoren dienen, etwa, um für gute Aufnahme zu sorgen oder Schadstoffe aus dem Körper auszuleiten. Der Ansatz ist also, eine höhere Wirkungsintensität herzustellen, indem man viele Heilpflanzen in einer Rezeptur miteinander verbindet.