Der schmerzhafte Gelenkverschleiss wird immer häufiger und trifft zunehmend auch jüngere Menschen. Mediziner plädieren dafür, Arthrose stärker als bisher als vermeidbare Erkrankung zu begreifen, der man vorbeugen kann.
Autorin: Claudia Rawer, 06/19
Gelenke sind eine geniale Sache. Wir besitzen etwa 140 davon, darunter die sechs grossen: Schulter-, Ellenbogen-, Hand-, Hüft-, Knie- und Sprunggelenk. Sie ermöglichen uns weiträumige und winzig kleine Bewegungen vom raumgreifenden Laufen bis zum Winken mit dem kleinen Finger. Der Mensch kann springen, tanzen, sich bücken und beugen – dank eines ausgeklügelten Zusammenspiels von Gelenken, Sehnen und Muskeln. Sich bewegen zu können, halten wir für fast selbstverständlich. Doch wenn das Wunderwerk Gelenk zu schmerzen beginnt, ist es nichts mehr mit dem Hüftschwung und dem flotten Traben. Seine Komponenten müssen perfekt zusammenarbeiten, um uns komplexe und schmerzfreie Bewegung zu erlauben.
Gelenke bestehen aus zwei Knochenflächen, Gelenkkopf und -pfanne, die perfekt aufeinanderpassen und mit Knorpel überzogen sind. Zwischen ihnen liegt ein Hohlraum, der mit klarer Flüssigkeit gefüllt ist.
Diese Gelenkschmiere deren wichtigster Bestandteil körpereigene Hyaluronsäure ist, verhindert, dass sich die Knochenflächen aneinanderreiben und federt Stösse ab. Ausserdem versorgt sie den Gelenkknorpel mit Nährstoffen wie Aminosäuren und Glukose. Um im wahrsten Sinne des Wortes gelenkig zu bleiben, also Arthrose vorzubeugen, müssen unsere Knochenscharniere regelmässig bewegt werden. Nur dann werden sie gut durchblutet und die Knorpelschicht über die Gelenkschmiere ausreichend mit Nährstoffen versorgt. So paradox es klingt, führt die ständige Bewegung, die unsere Gelenke im Laufe eines Lebens mitmachen, auch zu einer Abnutzung der Knorpelschichten.
Besonders wenn noch andere Faktoren hinzukommen, kann das Gelenk durch den normalen Knorpelabbau geschädigt werden. Dies können z.B. eine erbliche Disposition sein, Übergewicht, berufliche Tätigkeiten und Sport mit einseitigen Belastungen, Verletzungen, Erkrankungen wie Diabetes Typ 2 oder Rheuma. Dann spricht man von einer Arthrose, die sich typischerweise zu Beginn in Gelenkschmerzen und Steifigkeit äussert. Der sogenannte Anlaufschmerz nach Ruhephasen, z.B. bei den ersten Schritten nach dem Aufstehen aus dem Bett oder vom Stuhl, ist ein plötzlicher, scharfer Schmerz, der normalerweise bei weiterer Bewegung ebenso wie die Steifigkeit nachlässt.
Weitere Symptome für eine Arthrose sind:
Entstehen kann eine Arthrose in jedem Gelenk. Am häufigsten tritt sie jedoch an den grossen Gelenken auf, die durch falsche Bewegungen oder Körpergewicht stark belastet werden, an Knie (Gonarthrose) und Hüfte (Coxarthrose). Häufig betroffen sind auch die kleineren Gelenke an den Händen bzw. Fingern, die kleinen Wirbelsäulengelenke und das Grundgelenk an der grossen Zehe.
Heilbar ist Arthrose nicht. Mit Physiotherapie und anderen Massnahmen sowie Änderungen am Lebensstil lassen sich aber die Symptome verbessern, und der Verlauf lässt sich lange Zeit aufhalten. Bei fortgeschrittener Arthrose wird oft mittels Operation das erkrankte Gelenk durch ein künstliches ersetzt. Doch ist das im Grund die letzte Lösung – besser, es kommt erst gar nicht so weit. Und dafür kann man einiges selbst tun.
Obwohl die Abnutzung der Gelenke im Laufe der Zeit normal ist, leiden keineswegs alle älteren Menschen unter der Verschleisskrankheit. Doch sie ist häufig: Ab dem 60. Lebensjahr sind z.B. in Deutschland mehr als die Hälfte der Frauen und ein Drittel der Männer betroffen. Was aber zu denken gibt: Laut einer Studie der Harvard University (USA) haben sich die Fälle von Kniearthrosen seit der frühindustriellen Zeit bis heute verdoppelt. Die Forscher, die für ihre Arbeit mehr als 1500 Skelette untersucht hatten, waren von ihren Ergebnissen wohl selbst überrascht: «Unsere Analyse widerspricht der Ansicht, dass die Fälle von Kniearthrose in jüngerer Zeit ... zunehmen, weil die Menschen länger leben oder öfter übergewichtig sind. Wir müssen zusätzliche, wahrscheinlich vermeidbare Risiken untersuchen, die im letzten halben Jahrhundert allgegenwärtig geworden sind», heisst es in der Studie.
Natürlich spielt das Alter eine Rolle bei der Entstehung einer Arthrose. Doch die Wissenschaftler aus Harvard nennen eine ganze Reihe weiterer Risikofaktoren, die bei der Häufung der Fälle mitspielen könnten, z.B. das Laufen auf harten Oberflächen und falsches Schuhwerk.
Sehr deutlich werden sie bei den Themen Bewegung und ungesunder Ernährung. Körperliche Inaktivität sei in den letzten Jahrzehnten «zur Epidemie geworden», was zu einer dünneren und schlechter ernährten Knorpelschicht in den Gelenken sowie zu schwächeren Muskeln führe. Matte Muskeln aber können die Gelenke nicht mehr ausreichend stabilisieren und schützen. Zu wenig Bewegung und eine Ernährung mit zu vielen hochverarbeiteten, kurzkettigen Kohlenhydraten sorgen für eine chronische Entzündung, übermässiges Körpergewicht tut das Seine. Um Prävention zu ermöglichen, müsse man mehr über diese Faktoren herausfinden, sagen die Forscher um Studienleiter Ian Wallace. Europäische Experten stimmen zu. Prof. Karl-Dieter Heller, Chefarzt der Orthopädischen Klinik Braunschweig und einer der Top-Mediziner für Knie- und Hüftchirurgie in Deutschland, nennt die Studie «hochinteressant » und ihren Ansatz bezüglich der Risiken von zu wenig Bewegung und einseitiger Ernährung plausibel. Die Zahl der OPs nehme auch in Deutschland stark zu, sagte er der Presse, und «bei den Knien werden die Patienten immer jünger. Schon etwa 20 Prozent sind unter 60 Jahre».
Drei Grundregeln beim Essen sollte man beherzigen, wenn man Arthrose vorbeugen will oder schon von der Erkrankung betroffen ist: Übergewicht vermeiden bzw. abbauen, sich ausgewogen, vielseitig und gesund ernähren, Lebensmittel meiden, die Entzündungen fördern.
Zu viele Pfunde gelten als einer der wichtigsten Risikofaktoren für die Entstehung von Arthrose. Der Abbau von Übergewicht ist daher eine zentrale Massnahme zur Vorbeugung bzw. Linderung der arthrotischen Schmerzen. Allgemein wird eine ausgewogene Ernährung mit vielen Vitaminen, Mineralstoffen, pflanzlichen Antioxidanzien und den richtigen Fetten empfohlen, im Grossen und Ganzen eine Mischkost, wie sie schon lange als «Mittelmeer-Diät» bekannt ist. Dabei ist die Bezeichnung «Diät» irreführend, denn es handelt sich eigentlich um eine Ernährungsform, die uns ein Leben lang schlank und gesund halten kann. Aber auch abnehmen kann man mit Mittelmeerkost:
Eine aktuelle Untersuchung, die fünf Langzeitstudien zu Diäten und Gewichtsabnahme systematisch überprüfte, bescheinigt ihr, sie sei neueren Abnehmstrategien gleichwertig (der «Low-Carb»-Diät) oder sogar überlegen («Low-Fat»). Das gilt für die Gewichtsverringerung wie für die Senkung der Risiken für Herz-Kreislauf- und Gefässerkrankungen.
Nicht umsonst wohl landeten bei einer Studie zur Weltgesundheit aus dem Jahr 2018 (Bloomberg Report) Spanien und Italien auf den ersten beiden Plätzen und zwei weitere Mittelmeerländer unter dem ersten Dutzend (Israel Rang 10, Frankreich Platz 12).
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Bewegung und Sport – das sind bei Arthrose zentrale, aber heikle Themen. Zum einen führt ein Mangel an Bewegung zu einem stark erhöhten Risiko, an einer Arthrose zu erkranken. Zum anderen können falsche Formen der Bewegung Arthrose fördern. Schmerzen die Gelenke bereits, führt das bei vielen Patienten dazu, dass sie sich (noch) weniger bewegen. In Folge baut der unterbelastete Knorpel weiter ab, die Symptome verschlimmern sich.
Arthrose-Vorbeugung beginnt im Prinzip schon im Kindesalter. Untersuchungen zeigen, dass Kinder, die sich viel bewegen, ein grösseres Knorpelvolumen aufbauen als inaktive Gleichaltrige. Sport im Erwachsenenalter bewirkt, dass der Knorpel stabiler und für Verletzungen weniger anfällig wird und die haltenden und stützenden Muskeln sich besser entwickeln. Man sollte sich aber eine Sportart aussuchen, die das auf gelenkschonende Art leistet.
Sogenannte «Stop-and-go»-Sportarten mit schnellen und abrupten Bewegungen bergen nur ein erhöhtes Arthrose-Risiko, wenn man sie nach langer Pause oder zum ersten Mal ohne entsprechenden Muskelaufbau ausübt. Studien zeigen, dass Fuss- und Handball, (Eis-)Hockey, Basket- und Volleyball, Tennis, alpiner Skilauf oder Kampfsport bei Geübten nicht das Risiko für Arthrose erhöhen. Es sollte damit aber langsam und schrittweise begonnen werden, damit Muskeln aufgebaut und die Gelenke sich an die Belastungen gewöhnen können.
Anders sieht das wohl im Profisport aus. Hier ist jede Gelenkverletzung ein Risiko für eine spätere Erkrankung. Nicht umsonst leiden viele Profi- und Extremsportler bereits in jungen Jahren unter Arthrose. Prominente Beispiele sind der Ski-Olympiasieger Markus Wasmeier, der zwei künstliche Hüftgelenke erhielt, als er noch keine 50 war, und Tennisspieler Boris Becker, der seine mit 43 und 47 Jahren erhielt.
Prinzipiell eignen sich alle «sanften» (Ausdauer-) Sportarten, um als Mensch mit Arthrose in Bewegung zu bleiben. Doch Achtung: Nicht alle eignen sich für jede Arthroseform. So kann das Radfahren, besonders auf unebenen Feld- und Waldwegen, eine Handgelenksarthrose verschlimmern, das Kraulschwimmen eine Schulterarthrose.
Halten Sie sich an die Grundregel: «Bewegen ja, belasten nein.» Dann finden Sie auch die richtige Bewegungsform, mit der Sie und Ihre schmerzenden Gelenke sich wohl(er) fühlen.