Die „Küche der Morgenröte" erobert die Kochtöpfe in aller Welt. Der neue Trend verbindet alte Traditionen mit frischen Ideen.
Autorin: Claudia Rawer, 08/19
Die multikulturell geprägte Esskultur aus dem Nahen Osten bringt neue Aromen und bereichernde Geschmackserlebnisse zu uns. Die Küche der Levante, wie sie meist genannt wird, kommt aus der Region der östlichen Mittelmeerküste, aus Syrien, dem Libanon, Jordanien, Israel und Palästina.
Zwischen Damaskus und Jerusalem kommen unterschiedlichste Traditionen und Einflüsse zusammen. Dass die Küche dieser Region heute so angesagt ist, liegt vor allem daran, dass sie auf unkomplizierte Weise gesunde Vielfalt auf unsere Teller bringt. Sie ist überwiegend vegetarisch geprägt, die Hauptrolle spielen Gemüse und Fisch. Sie benutzt weniger Fett als die meisten traditionellen Küchen Mitteleuropas, dafür aber gesunde Pflanzenöle, und verzichtet auf Zusatzstoffe. Und die Hauptsache: Sie legt grössten Wert auf frische, reife, aromatische Zutaten.
Nun muss man ja nicht alles mit- und nachmachen, was «im Trend» ist. Aber sich mit dieser Variante der Mittelmeerküche zu beschäftigen, lohnt sich. Auf dem Markt einen Korb voll frischer Zutaten besorgen, neue Gewürze und interessante Geschmackskombinationen kennenlernen, ein bisschen Experimentierfreude – schon sind wir drin in der Lust am Kochen.
Gemüse und Früchte wie Auberginen, Blumenkohl, Bohnen aller Arten einschliesslich Faves (dicke Bohnen), Fenchel, rote, grüne und schwarze Linsen, aber auch Kichererbsen und Süsskartoffeln, die in der arabisch-israelischen Küche gerne verwendet werden, sind uns ja schon lange vertraut.
Wir kennen Bulgur und Couscous, Safran und Sesam, frische Feigen und Granatäpfel. Auch Kardamom, Koriander und Kreuzkümmel samt ihren gesundheitlichen Vorteilen sind längst keine Neuheit mehr. Entscheidend ist hier die Art der Zubereitung. Geröstete Aubergine mit Granatapfelkernen und Safranjoghurt, neue Kartoffeln mit Meerrettich und Sauerampfer oder gebratener Blumenkohl mit Tomaten, Dill und Kapern (alles Ottolenghi-Rezepte) – das klingt doch frisch und appetitanregend.
Die Vielfalt macht's, und hier fällt gern das Stichwort «Mezze». Häufig heisst es, Mezze seien «orientalische Vorspeisen», wie die italienischen Antipasti. Aber es geht eigentlich mehr um die Art des Auftischens und des Geniessens. Das arabische «mazmaza» heisst nämlich «Naschen», im Sinne von «langsam essen». Die Teller, Schüsselchen und Schälchen werden in der Mitte des Tisches angerichtet, damit alle zugreifen und sich beim genussvollen Knabbern unterhalten können.
Heute versteht man unter «Mezze» oft nicht mehr nur Kleinigkeiten für den ersten Hunger, sondern eine Hauptspeise für mehrere Personen mit allen möglichen Variationen. Eine klassische Speisefolge wie in Europa kannte man in der Küche der Levante sowieso nicht; so ist einfach die Auswahl an Mezze grösser geworden und für jeden etwas dabei.
Was dabei auf den Tisch kommt, ist Lust und Laune (und dem Können der Köche) überlassen. Es müssen nicht mehr nur die Klassiker der Levante-Küche sein wie Hummus, gefüllte Weinblätter oder Falafel. Gerne dürfen abwechslungsreiche Salate dabei sein, beispielsweise mit dicken Bohnen, gehobeltem Fenchel, Gurken, gebratenem Spargel, Radieschen und vielen Kräutern. Auch Feigen, Granatapfelkerne und saftige Pfirsiche bringen Frische in den Salat. Ganz einfach und überraschend fein sind mit Zitrone, Olivenöl und Kräutern angemachte Kichererbsen oder Bohnen.
Die klassische marokkanische Suppe Harira mit Kichererbsen, Spinat und Lammfleisch ist perfekt für einen kalten Winterabend; zu anderen Zeiten kommen warme oder kalte Suppen mit roten Linsen, Mangold, Spinat, Paprika oder Tomaten in die Mezze-Schüssel. Sommerlichen Suppen wird gerne Joghurt zugegeben. Gebratene Sardinen oder Meerbrasse (Dorade), Meeresfrüchte wie Garnelen und Jakobsmuscheln, kleine Töpfchen mit Gemüse- oder (Süss-)Kartoffelgratin, orientalisch gewürzt, Ofen-tomaten oder Kibbeh sowie allerlei Saucen und Dips zum Würzen und Tunken – alles ist erlaubt.
Lange bevor gesunde Ernährung zum Trendthema wurde, war Alfred Vogel der Meinung, dass die Ernährung die Basis für unsere Gesundheit bildet – und dass, ohne dabei auf den Genuss zu verzichten.
Die Rezeptideen von Assata Walter sind deshalb nicht nur saisonal, frisch und leicht umzusetzen, sie enhalten auch immer einen Ernährungstipp, der Ihnen hilft, sich natürlich und gesund zu ernähren.
... ist auf diese moderne Art nicht schwer. Einfach zuzubereitende Rezepte gibt es zuhauf, auch im Internet; für frische Inspirationen sind die genannten Kochbücher und andere ihrer Art eine erfreuliche Lektüre. Eine Hauptrolle in der Levante-Küche spielt das liebevolle, appetitliche Anrichten der kleinen Portionen. Fladenbrot (Pitabrot) zur Begleitung ist ein Muss. Gerade jetzt im Sommer bieten sich Getränke wie kalter Pfefferminztee oder erfrischender Ayran (aus Joghurt) dazu an.
Baharat ist eine Gewürzmischung aus dem arabischen Raum. Hauptbestandteile sind Kardamom, Koriander, Kreuzkümmel, Nelken, Muskatnuss, Paprika, Pfeffer und Zimt. Wie Curry hat Baharat jedoch keine festgelegte Zusammensetzung, sondern wird in vielen regionalen Varianten verwendet. Er würzt Fisch- und Fleischgerichte, aber beispielsweise auch einen Mokka.
Harissa ist eine scharfe Würzpaste aus Chilis, Knoblauch, Koriander, Olivenöl und Salz, eventuell auch Zitrone. Im Nahen Osten isst man Harissa sogar zum Frühstück, als Brotaufstrich, doch wer Schärfe nicht gut verträgt, muss aufpassen.
Sumach, auch Gewürz- oder Gerbersumach genannt, besteht aus den zerstossenen oder geriebenen Beeren des mediterranen Essig- oder Färberbaums (Rhus coriaria). Das dunkelrote Pulver schmeckt kräftig aromatisch, fruchtig und säuerlich und wird ähnlich wie Zitrone genutzt. Es verfeinert Dips, Salate und Schmortöpfe aller Art. Hochwertiger Sumach wird ohne Salz angeboten, doch zum Würzen, auch bei Tisch, meist mit Salz vermischt.
Za'atar (auch Satar, Zaatar) ist eine Gewürzmischung, deren Hauptzutat der Syrische Oregano ist. Er wird auch als Syrischer Majoran, wilder Thymian (arabisch Satar) und Biblischer Ysop bezeichnet, ist aber weder Thymian (Thymus) noch Ysop (Hyssopus), sondern ein Kraut aus der Oregano-Familie (Origanum syriacum). Dazu kommen gerösteter Sesam, Sumach und Salz. Je nach Region können auch Anis, Fenchel oder Koriander sowie Sonnenblumenkerne und Nüsse dazukommen. Traditionell wird Za'atar mit Olivenöl gemischt und vor dem Backen auf Fladenbrot gestrichen. Fre(e)keh ist unreif geernteter Weizen, der getrocknet und geröstet wird, was ihm ein nussiges, etwas rauchiges Aroma verleiht. Inzwischen – unnötigerweise – als Superfood gefeiert, ist Freekeh eine schmackhafte Getreidevariante, die man auch durch Grünkern (aus Dinkel) ersetzen kann.
Joghurt: Die Köche der Levante raten zu Schafs- und Ziegenmilchjoghurt wegen des «phantastisch kräftigen Geschmacks». Griechischer Joghurt (10 Prozent Fettgehalt) ist eine wohlschmeckende Alternative.
Hummus, die Spezialität aus pürierten Kichererbsen, Sesampaste (Tahini), Olivenöl und Zitronensaft, gewürzt mit Knoblauch und Kreuzkümmel, sowie Falafel, die schmackhaften Bällchen aus Bohnen oder Kichererbsen, Kräutern und Gewürzen, werden den meisten schon bekannt sein.
Shakshuka, ursprünglich aus der nordafrikanischen Küche stammend, ist ein neuer Hit der Levante-Kochkunst und gilt auch als israelisches Nationalgericht. Es wird von den Israelis zu jeder Tageszeit verspeist. Shakshuka sind pochierte Eier in einer dicken Sauce aus Tomaten, Chili und Zwiebeln, gewürzt mit Knoblauch und Kreuzkümmel. Es gibt auch Varianten mit Auberginen, Paprika oder Spinat sowie Feta.
Baba Ghanoush ist ein Püree aus (gerösteten) Auberginen mit Sesampaste, Knoblauch, Kreuzkümmel, Zaatar und Zitronensaft.
Mutabbal, der oft noch mit dickem Joghurt verrührt wird, ist ganz ähnlich. Beide Dips bestechen nicht gerade durch ihre Farbe, schmecken jedoch sehr fein zu Falafel oder Kibbeh, wovon es auch vegetarische Varianten gibt. Oft sind Granatapfel- und Pinienkerne dabei. Kibbeh werden frittiert, gebraten oder auf Spiessen über dem Feuer geröstet.
Ful oder Foul aus dicken Bohnen ist im ganzen Nahen Osten ein beliebtes, sehr sättigendes Frühstück. Die gekochten und mit Kreuzkümmel und Knoblauch gewürzten Favebohnen, manchmal grob püriert, werden mit Tomaten, Frühlingszwiebeln, Oliven und Fladenbrot serviert. Recht ähnlich ist Balila, das aber aus Kichererbsen zubereitet wird.
Tabouleh, ein weiteres typisch levantinisches Gericht, ist nicht mit dem nordafrikanischen Tabouleh aus Couscous zu verwechseln. Der erfrischende libanesische Salat besteht aus viel feingehackter Petersilie und wenig feinem Bulgur, die mit Tomaten, Frühlingszwiebeln und frischer Minze vermischt und mit Olivenöl, Zitronensaft und einem Hauch Zimt gewürzt werden.