Ayurveda, die traditionelle indische Medizin, begreift die Wechseljahre als einen Übergang zwischen zwei Lebensphasen – der aktiven Zeit sowie der Zeit des Loslassens und des sich Besinnens auf das Wesentliche. Dieser Übergang ist für jede Frau anstrengend, aber mit typgerechter Ernährung, Entspannung und Bewegung lassen sich Beschwerden gut in den Griff bekommen.
Autorin: Annette Willaredt
Ayurveda heisst Wissen vom Leben. Die traditionelle indische Medizin ist eines des ältesten Medizinsysteme der Welt. Wie auch in der europäischen Naturheilkunde stehen im Ayurveda bei Beschwerden oder Erkrankungen nicht die Symptome im Vordergrund, sondern der Mensch als Individuum mit Körper, Geist und Seele. Ganz zentral im Ayurveda ist die Lehre von den drei Konstitutionstypen, den Doshas. Sie heissen Vata, Pitta und Kapha.
Frauen vom Vata-Typ sind schlank, feingliedrig, haben eine eher schwache Körperkraft und wenig Ausdauer. Die Verdauung ist unregelmässig. Der Geist ist beweglich, Vata-Menschen bewegen sich viel, reisen gerne und vertragen Wind und Kälte nicht gut.
Pitta-Frauen haben einen muskulösen Körperbau, sind kräftig und leistungsfähig. Der Stoffwechsel ist aktiv, die Verdauung funktioniert gut und regelmässig. Sie sind intelligent, regen sich schnell auf und werden auch leicht ärgerlich. Hitze und direkte Sonne mag der Pitta-Typ nicht.
Kapha-Typen haben einen eher stämmigen, stabilen Körperbau. Sie sind stark und ausdauernd, aber etwas phlegmatisch. Die Verdauung und der ganze Stoffwechsel sind langsam. Der Verstand ist bedächtig, aber gründlich. Feucht-kalte Witterung und Regen mag dieser Typ nicht.
Diese drei Doshas finden sich bei jedem Menschen in einer ganz individuellen Mischung. So hat beispielsweise die eine Frau viel Pitta und ein bisschen Vata, die andere hat etwa gleichviel Vata und Kapha, die dritte etwas Pitta, viel Vata und dazu etwas Kapha. Wohlbefinden und Gesundheit bedeuten, dass die von Geburt an angelegten Doshas im Gleichgewicht sind. Störungen, also ein Überschuss von einem oder mehreren Dohas, können durch äussere Einflüsse wie z.B. Ernährung oder eine stressige Umgebung ausgelöst werden. Aber auch seelische Prozesse oder körperliche Veränderungen können schuld sein. Tritt eine Störung auf, leidet zuerst das Befinden, man fühlt sich nicht so richtig wohl in seiner Haut und ist unausgeglichen. Wird nicht frühzeitig eingegriffen, kann es auf lange Sicht zu Erkrankungen kommen.
Die verschiedenen Konstitutionstypen im Ayurveda: Kapha, Pitta und Vatta.
Im Ayurveda wird davon ausgegangen, dass sich in den Wechseljahren abhängig von der Grundkonstitution ganz bestimmte Probleme zeigen. Ist Vata gestört, kommt es zu Schlafstörungen, trockener Haut und trockenen Schleimhäuten, Energieverlust, Stimmungsschwankungen, Nervosität, Rückenschmerzen, Schwindel, Konzentrationsstörungen und oft auch Verstopfung.
Bei einer Pitta-Störung treten Hitzewallungen, Hautirritationen, Entzündungen, Reizbarkeit, brennende Schmerzen, Ungeduld und depressive Verstimmungen auf. Zu Beginn der hormonellen Umstellung kommt es hier auch zu starken, schmerzhaften Blutungen.
Wechseljahressymptome bei unausgeglichenem Kapha sind vermehrte Wassereinlagerungen, Antriebslosigkeit, Gewichtszunahme, Trägheit, dumpfe Schmerzen, Müdigkeit und ebenfalls depressive Verstimmungen. Ein Ayurveda-Arzt wird immer zuerst die Grundkonstitution ermitteln. Neben dem Gespräch wird dazu die Betrachtung der Zunge und die Pulsdiagnose eingesetzt. Im nächsten Schritt geht es darum zu klären, bei welchen Doshas ein Überschuss vorliegt. Darauf baut dann ein individueller Therapieplan auf.
Jede Frau kann auch selbst viel dafür tun, ihre Doshas wieder ins Gleichgewicht zu bringen. In den Wechseljahren gilt ein besonderes Augenmerk Vata. Treten in dieser Phase Beschwerden auf, ist dieses Dosha immer gestört, weil es für den Wandel von der aktiven Frau in der Lebensmitte (Pitta) zur reifen Frau steht. Um Vata zu reduzieren, gilt es, Regelmässigkeit in den Alltag zu bringen.Das heisst: regelmässige Essens- und Schlafenszeiten, regelmässige Arbeit, regelmässige Sportzeiten usw. Wärmendes wie Massagen mit warmem Öl tun dem Körper jetzt gut.
Bei Beschwerden wie Schlafstörungen, Nervosität und trockenen Schleimhäuten sollten kalte Speisen wie Salate, Rohkost und Eis gemieden werden. Nicht zu empfehlen sind ausserdem alle Kohlarten, Kaffee, Schwarztee und Weisswein. Einen positiven Effekt haben hingegen warme Speisen, z.B. ein frisch gekochter Haferbrei zum Frühstück, eine Süssspeise wir Milchreis oder eine Suppe zum Abendessen. Ratsam sind ausserdem Gerichte mit Fisch und Geflügel. Die besten Gewürze sind Ingwer, Koriander, Kümmel, Kardamom, Zimt und Vanille.
Hitzewallungen sind typisch für ein Ungleichgewicht bei Pitta. Um gegenzusteuern, sollte auf Alkohol, Kaffee und Schwarztee verzichtet werden. Auch Scharfes wie Chilis oder Ingwer gilt es zu meiden. Abgeraten wird von rotem Gemüse, Süssigkeiten, sehr Saurem, stark Gesalzenem und rotem Fleisch. Positiven Einfluss haben alle grünen Gemüse, Speisen mit vielen Bitterstoffen wie Artischocken oder Chicorée, Linsen, süsses Obst, Milchprodukte (ausser saurem Joghurt) und alle Getreidearten ausser Roggen. Im Ayurveda setzt man ausserdem auf Fussmassagen mit Ghee (geklärter Butter). Sie harmonisieren den Körper und leiten Hitze aus. Empfohlen werden alle reinigenden Massnahmen wie Bäder mit Basenpulver, Einläufe oder ayurvedische Kräutermassagen.
Bei Trägheit, Müdigkeit und deutlicher Gewichtszunahme gilt es, den verlangsamten Stoffwechsel wieder anzuregen. Dabei helfen können Rohkost, Beeren, Hülsenfrüchte sowie scharfe, wärmende Gewürze wie Chili, Ingwer und Zimt. Sehr zu empfehlen sind auch warme Getränke. Im Ayurveda wird generell dazu geraten, viel warmes Wasser zu trinken, eventuell mit etwas Ingwer. Für Kapha-Typen gilt das doppelt. Gut bekommen Kapha-Frauen Buchweizen, Hirse und Gerste. Gemieden werden sollten alle fettigen und öligen Speisen. Das gilt auch für Milch und Milchprodukte sowie Süssigkeiten. Wie beim Pitta-Typ sind zusätzlich reinigende Massnahmen sinnvoll.
Eine wichtige Säule in der ayurvedischen Medizin ist die regelmässige Bewegung. Sie kräftigt die Muskeln, stärkt die Knochen, reduziert Körperfett, verbessert die Verdauung (Agni) und den Schlaf und verzögert das Altern. Ayurvedische Texte fassen alle diese Vorteile mit Sthiratva = Stabilität zusammen. Sportliche Betätigung sollte immer ausgewogen sein; Überanstrengung bringt den Organismus genauso aus dem Gleichgewicht wie Nichtstun. Für Vata-Typen sind langsame, leichte Sportarten ideal. Dazu zählen z.B. Wandern, Walken, Tanzen oder Radfahren.
Pitta-Typen können sich etwas mehr zumuten. Gut tun ihnen Wassersport, Joggen, Skifahren, Klettern und alle Ballsportarten.
Kapha-Typen profitieren von Langstreckenlauf, Rudern oder Bergwandern. Für alle Typen empfehlenswert sind Entspannungs-Übungen, denn dabei geht es nicht nur um den Körper. Weil immer auch der Fokus auf der Atmung liegt, wird dadurch Einfluss auf den Parasympathikus genommen, den unwillkürlichen Teil des Nervensystems. Und dieser reguliert auch Verdauung und Stoffwechsel. Ganz eng verbunden mit der ayurvedischen Lehre ist ausserdem die Meditation. Sie gilt als beste Möglichkeit, sich zu entspannen. Bei regelmässiger Praxis werden Aufmerksamkeit und Konzentrationsvermögen gestärkt.
Zum Thema Wechseljahre und Ayurveda gibt es nur wenig Literatur. Ein empfehlenswertes Buch ist „Mit Ayurveda durch die Wechseljahre" von Kerstin Rosenberg und Petra Wolfinger, Südwest Verlag, 2019.
Welche Ayurveda-Heilpflanzen bei Wechseljahrbeschwerden eingesetzt werden, lesen Sie hier.