Für die Wechseljahre gibt es zwei völlig verschiedene Drehbücher. Im ersten wird die Hauptrolle von einer genervten, zickigen Endvierzigerin gespielt, die häufig grundlos heulend zusammenbricht, weil ihre Hormone verrückt spielen. Der Gegenentwurf handelt von einer überaus schwungvollen Frau um die Fünfzig, die – endlich, endlich – Zeit hat, zu sich selbst zu finden und alle die Projekte zu verwirklichen und die Hobbies anzupacken, die sie bisher vernachlässigen musste.
Autorin: Ingrid Zehnder-Rawer
Geht's nicht auch – in beiden Szenarien – eine Nummer kleiner? Zu lesen, die Wechseljahre seien weitgehend unproblematisch und eröffneten – bei einigermassen gutem Willen der Betroffenen – neue, phantastische Lebenschancen, macht mich genauso unsicher und zornig wie das Horrorbild der Wechseljahre als der Anfang vom Ende, als erstem Schritt auf dem langen Marsch zum ausgetrockneten, buckligen, windeltragenden Hutzelweibchen.
Früher waren die Zeiten zwar nicht einfacher, aber mit dem Klimakterium waren eindeutig auch Entlastungsmomente verbunden. Die Frauen waren froh, die Monatsblutungen mit all den unangenehmen Begleitumständen los zu sein, mussten sich nicht mehr vor unerwünschten Schwangerschaften fürchten oder gaben eine bereits versandete Sexualität endgültig auf, sie hatten nicht mehr für den Nachwuchs zu sorgen und befreiten sich vom Zwang, gängigen Schönheitsidealen zu entsprechen.
Heute sollen die Frauen, die oft noch halberwachsene Kinder im Haus haben, nicht nur ihre weibliche Attraktivität bewahren, mit Schwung und Elan zu neuen Ufern aufbrechen, sondern auch noch die Wechseljahresbeschwerden der freudigen Herzens auf sich nehmen. Geht es nach Julia Onken, der Feuerzeichenfrau, soll frau «den Körper sonnenhaft durchglühen lassen», die «Glut (der Hitzewallungen) vollumfänglich spüren» und selbst Margret Minker, sonst so sachliche Medizinjournalistin, hat «oft sogar Spass an innerer Hitze», da sie «recht kälteempfindlich» ist.
Kritisch in der Bedeutung von gefährlich, bedrohlich? Kaum. Eher kritisch im Sinne von Bilanz ziehen, Manöverkritik üben, Möglichkeiten des weiteren Lebenswegs prüfen. Dazu braucht man Zeit - und man sollte den Mut haben, sich die Zeit auch zu lassen. Wehren Sie sich gegen jeden Druck von aussen – Gelassenheit gibt innere Kraft, und die brauchen Sie.
So wie die Hormonsubstitution, die alle kaum wahrgenommenen Beschwerden wegdrückt, warten kann, so stehen auch die gut gemeinten Vorschläge für einen Programm-, Tapeten- oder Partner-Wechsel ganz gut auf der Warteliste. Lassen wir dem Körper und der Seele Zeit, eine Krise - eine Reifungskrise - zu bewältigen. Es ist nicht einzusehen, dass das alles ganz schnell, elegant und unbemerkt vonstatten gehen muss. Frauen im kritischen Alter sollen, dürfen, müssen ihre Emotionen, Unsicherheiten und Ängste nicht von vornherein unterdrücken.
Germaine Greer, die amerikanische Feministin, hat über die Wechseljahre geschrieben: «Es ist eine äusserst schwierige Zeit, in der eine Frau nach 35 Jahren der Kapitulation und Maskerade als sie selbst wiedergeboren wird.» Greer, mittlerweile Ende Fünfzig, müsste ja Erfahrung haben, aber mir ist völlig unklar, wie das gehen soll, denn schliesslich möchte ich mich mit Fünfzig nicht als puberierende Jugendliche wiederfinden (zumal diese Zeit auch nicht gerade einfach war).
Andere Autorinnen hoffen, die Laune der betroffenen Frauen mit beschwörenden Formeln wie «Keine Angst vor Fünfzig», «Wechseljahre, na und?» oder «Verliebt mit 50» zu heben. Ich habe mich mit Fünfzig nicht neu verliebt, ich sitze immer noch auf dem gleichen Bürostuhl, meine Seidenmalfarben vertrocknen nach wie vor im Keller, weder Gedächtnistraining noch Computerkurs reizen mich. Habe ich versagt, meine Wechseljahre sozusagen sinnlos verplempert? Liegt es an meiner mangelnden Übersicht, dass ich Sätze wie «Frau bleibt Frau, auch wenn die Östrogenproduktion in den Eierstöcken allmählich versiegt» (aus der Broschüre eines Pharmaherstellers über Wechseljahre) so albern wie wenig tröstlich finde?
Dieser Verdacht liegt nahe, liest man die vollständige Aufzählung aller Beschwerden, mit denen eine Frau in und nach den Wechseljahren rechnen muss. (Zum Glück wissen wir es am Schluss alle besser.)
Und doch: die Beschwerdenliste ist beeindruckend. Die geballte Aufzählung beginnt mit neurovegetativen Störungen, also solchen, die mit dem Nervensystem zusammenhängen: Schweissausbrüche, Hitzewallungen, Schlaflosigkeit, Empfindungsstörungen in Armen und Beinen, Schwindelgefühle, Schwächezustände, Gelenk- und Muskelschmerzen, Einschlafen und Kribbeln der Gliedmassen, Kopfweh, Herzklopfen. Die Aufreihung geht weiter mit: Beeinträchtigungen von Blase und Scheide, nämlich Harnleiter- und Blasenentzündungen, unwillkürlicher Abgang von Urin bei Lachen, Niesen, Husten, schwerem Heben (Stress-Inkontinenz), Reizblase, Juckreiz, geschrumpfte, trockene Schleimhäute und Scheidenentzündungen.
Dazu kommen: trockene Bindehäute in den Augen, die nicht nur, aber vor allem beim Tragen von Kontaktlinsen Beschwerden verursachen. Die Symptome umfassen auch Haut- und Haar Veränderungen: die Haut wird dünner, trockener und bekommt daher mehr Falten. Auf mancher Oberlippe spriessen Haare, während das Kopfhaar dünner wird. Am augenfälligsten, vor allem für die Mitmenschen, sind die psychischen Störungen: Reizbarkeit, Nervosität, Müdigkeit, Antriebsmangel, Depressionen. Bleibt noch das erhöhte Risiko eines Herzinfarkts und die Aussicht auf Osteoporose (Knochenschwund).
Hätte jede Frau sämtliche Beschwerden auf einmal, müsste man von einem schweren Leiden sprechen. Tatsächlich ist es aber so, dass viele fast oder gar keine Probleme haben, andere, trotz einiger Beschwerden, ganz gut über die Runden kommen und nur ein Teil so starke Symptome hat, dass eine Behandlung unumgänglich ist. Die oft empfohlene Einnahme von Hormonen ist kein problemloser «Jungbrunnen», wie häufig versprochen, und jede Frau muss bei Abwägung der Risiken sowie der Vor- und Nachteile ihre eigene Entscheidung treffen. Jedenfalls muss man sich darüber klar sein, dass es sich nicht um einen Hormonmangel handelt, sondern um einen ganz normalen, natürlichen Abbauprozess.
Glücklicherweise gibt es die Möglichkeit, auf sanftere Alternativen zurückzugreifen. Innere Unruhe lässt sich durch Zubereitungen mit Hopfen, Baldrian, Kava-Kava oder Melisse lindern. Johanniskraut (Hypericum perforatum) wirkt antidepressiv und hebt die Stimmung.
In der Homöopathie wird bei Stimmungsschwankungen und Gefühlen von Trauer und Verlust auch die Ignatiusbohne (Ignatia) eingesetzt. Zustände von Gereiztheit oder Antriebslosigkeit sprechen gut auf das homöopathische Mittel Sepia an. Bei vegetativen Störungen wie fliegende Hitze und Wallungen helfen natürliches Vitamin E (u.a. in Weizenkeimöl), Salbeitee oder-Frischpflanzentinktur und die homöopathischen Mittel Sanguinaria (Blutwurzel), Lachesis (Buschmeister) sowie Sepia (Tintenfisch). Hormonschwankungen lassen sich positiv durch die Silberkerze (Cimicifuga), Nachtkerzenöl und Frauenmanteltee beeinflussen. Weissdorn (Crataegus) hilft bei Herzklopfen, Beklemmungsgefühlen und Rhythmusstörungen.
Da während der Wechseljahre meist einige Symptome nebeneinander auftreten, ist es oft einfacher und bequemer, kombinierte Präparate zu nehmen.
Es hat auch vor den Wechseljahren viele Situationen gegeben, die dem seelischen, emotionalen und körperlichen Wohlergehen zusetzten. Und immer haben Sie die Herausforderung angenommen. Machen Sie sich auch im kritischen Alter nicht verrückt, hoffen Sie weder auf einen fulminanten Neustart nach dem Muster der Feministinnen, noch auf die oft propagierte «Ganzwerdung» (oder waren Sie bislang eine halbe Portion?). Verweigern Sie die Rolle der zickigen «Alten», suchen Sie neue Wege für sich selbst, aber glauben Sie nicht, alles ändern zu müssen. Wenn die Wechseljahre auch schwierig sein können, sie sind kein kontinuierlicher Strom von Problemen, und es besteht kein Grund, das ganze Leben umzukrempeln.
Sprechen Sie über Ihre Schwierigkeiten und Ihr Befinden mit Menschen, denen Sie vertrauen. Reden Sie mit Ihrem Partner über Ihre Gefühle, sagen Sie Ihren Kindern, wie Ihnen zumute ist, tauschen Sie sich mit gleichaltrigen Freundinnen aus. Sie werden sehen, dass alles einfacher wird. Der männliche Partner durchlebt ebenfalls so etwas wie Wechseljahre / Midlife-crisis, die Kinder kennen die scheinbar grundlosen Phasen von Verzweiflung und Aggression aus der Pubertät, und die Freundin schlägt vielleicht regelmässige gemeinsame Aktivitäten zum Anregen und Ablenken, Trainieren und Faulenzen vor.