Die bitteren Bestandteile von Pflanzen sind keine Nährstoffe. Man bezeichnet sie als sekundäre Pflanzenstoffe, darin bilden die Bitterstoffe eine eigene Wirkstoffklasse. Chicorée, Artischocke, Ingwer oder Tausendgüldenkraut sind Pflanzen mit hohem Bitterstoffgehalt.
Bitterstoffe sind wichtige sekundäre Pflanzenstoffe, die für eine rasch einsetzende Verdauung und damit auch für ein schneller einsetzendes Sättigungsgefühl sorgen. Zu der Wirkstoffklasse innerhalb der sekundären Pflanzenstoffe gehört beispielsweise der in den Enzianwurzeln enthaltene Bitterstoff Genitiopircin, das Absinthin im Wermut, das Vulgarin im Beifuss sowie die im Hopfen enthaltenen Bitterstoffe Humulon und Lupulon. Gemüse und Kräuter mit Bitterstoffen eigenen sich deshalb auch gut für die schlanke Linie.
«Wer ein Gärtlein hat, soll darin einen Salbeistock, einen Wermutstock und einen Enzianstock pflanzen», riet der heilkundige Pfarrer Kneipp. Es ist kein Zufall, dass Sebastian Kneipp ausgerechnet diese drei Heilpflanzen für die Gartenapotheke empfiehlt: Sie enthalten zahlreiche Bitterstoffe, wobei Enzian und Wermut sogar zu den bitterstoffhaltigsten Pflanzen der elt gehören.
Die daraus gewonnenen Bittermittel oder Amara werden in der ayurvedischen, chinesischen und traditionellen europäischen Medizin seit Jahrhunderten eingesetzt. Auch Naturarzt Alfred Vogel konnte vielen helfen, indem er Leber-, Galle- und Magen-Darm-Beschwerden mit Bittermitteln behandelte.
Früher – bis ins 20. Jahrhundert hinein – verzehrte man täglich ansehnliche Portionen bitterstoffhaltiger Salate, Gemüse und Wildpflanzen. Im Vergleich dazu bringt es der moderne Durchschnittskonsument auf eine klägliche Tagesration.
Daran ist die moderne Lebensmittelindustrie nicht unschuldig: Sie hat den Bitterstoffgehalt von Gemüsen und Salaten mittels Züchtung reduziert, damit sie sich in grösseren Mengen verkaufen, und den Siegeszug des Süssen auf Kosten des Bitteren nach Kräften gefördert. Mit dem Resultat, dass die natürlichen Bitterstoffe heute weitgehend aus unserem Alltag verschwunden sind. Einzig in der mediterranen Küche konnten sich die gesunden Naturstoffe dank Artischocken, Olivenöl und bitteren Küchenkräutern einigermassen halten.
Chemisch betrachtet bilden die Bitterstoffe keine einheitliche Gruppe, doch pharmakologisch lassen sie sich in fünf Hauptgruppen unterteilen: Zu den Amara pura (oder Amara tonica) gehört der einheimische Gelbe Enzian, eine der stärksten Bitterstoffpflanzen überhaupt. Das in seiner Wurzel enthaltene Amarogentin schmeckt noch in einer Verdünnung von 1 : 58000000 bitter, d.h., ein Gramm dieser Substanz in 58000 Liter Wasser verleiht der gesamten riesigen Flüssigkeitsmenge einen bitteren Geschmack. Kein Wunder, ist diese eindrucksvolle, bis zu 60 Jahre alt werdende Pflanze ein wichtiger Lieferant von Bitterstoff-Arzneien.
Weitere Vertreter der Amara-pura-Gruppe sind unter anderem Andorn, Tausendgüldenkraut, Bitterklee, Chinarinde und die afrikanische Teufelskralle.
Die Amara aromatica enthalten neben Bitterstoffen vor allem ätherische Öle. Diese erweitern das Wirkungsspektrum der Bitterstoffe, z.B. durch einen krampflösenden, entzündungshemmenden oder antimikrobiellen Effekt. Zu den Amara aromatica gehören unter anderen Benediktenkraut, Engelwurz, Kalmuswurzel, Löwenzahn, Schafgarbe, Beifusskraut, Wermutkraut und Pomeranzenschalen.
Typisch für die Gruppe der Amara acria sind scharfe Inhaltsstoffe, wie wir sie in zahlreichen Gewürzpflanzen finden, z.B. im Ingwer, in Galgant und Senf. Dagegen sind bei den Amara adstringentia die Gerbstoffe mit ihren zusammenziehenden, wundheilenden Eigenschaften tonangebend (z.B. Chinarinde) und bei den Amara mucilaginosa die Schleimstoffe (z.B. Isländisch Moos).
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Bitteres löst zunächst Abwehr aus. Das gilt für den Gaumen genauso wie fürs menschliche Gemüt. Allerdings zeigt sich im Leben oft, dass ein bitteres Erlebnis durchaus heilkräftige Veränderungen in Gang setzen kann. Auf das Bittere in unserer Nahrung trifft dies in besonderem Masse zu.
Stellen Sie sich vor, Sie essen einen Portulaksalat und eine grosse Portion Käse-Rahm-Nudeln. Während Sie mit Kauen beschäftigt sind, reizen die im Portulak verborgenen Bitterstoffe die zwischen den Geschmacksknospen liegenden Nervenzellen am Zungengrund. Das vegetative Nervensystem reagiert, indem es die Speichel- und Magensaftproduktion hochfährt.
Eine erfreuliche Reaktion, denn nun können die im Speichel enthaltenen Amylasen Bissen für Bissen Ihres Mittagessens enzymatisch zerlegen, so dass dieses optimal «vorverdaut» in den Magen gelangt. Dort bewirken die Bitterstoffe eine vermehrte Freisetzung von Magensaft und eine Mehrdurchblutung der Magenschleimhaut. Als Folge davon werden Nudeln & Co. gründlicher und dazu noch rascher verarbeitet als bei einer bitterstofflosen Mahlzeit.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Bitterstoffe den ganzen Magen-Darm-Trakt tonisieren. Die Darmperistaltik wird lebhafter; Magen, Leber, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse und Darm vermehren ihre Verdauungssäfte.
Wen könnte es angesichts dieser Wirkungen erstaunen, dass Bittermittel bei einer Vielzahl von Verdauungsstörungen helfen? Dazu zählen Appetitlosigkeit, Aufstossen, Blähungen, Schwäche der Verdauungsdrüsen von Magen und Darm, Krampfneigung und Erschlaffung der Verdauungsorgane, Leberfunktionsschwäche, Störungen der Gallenblasen- und Bauchspeicheldrüsenfunktion, Un-tersäuerung des Magens, Verstopfung, Völlegefühl und Meteorismus (übermässige Winde).
Darüber hinaus entfalten Bittermittel eine anregende und kräftigende Wirkung auf den ganzen Organismus. So mancher chronisch müde und schlappe Patient hat dank einer Bitterarznei wieder neuen Elan gefunden, z.B. weil Bitterstoffe die Aufnahme von Nähr- und Vitalstoffen aus dem Darm begünstigen.
Auch bei Hautbeschwerden wie Ekzemen, Akne oder Hautunreinheiten kann sich eine Kur mit Amara lohnen.
Dass die Gesundheit von Haut und Darm eng zusammenhängt, wird in der Naturheilpraxis seit langem beobachtet. So können Bitterstoffe, verbunden mit einer Darmsanierung und Ernährungsoptimierung, auch Hautkrankheiten zum Verschwinden bringen. Ähnliche «Fernwirkungen» liegen vor, wenn Bitterstoffe Beschwerden wie Fettstoffwechselstörungen, funktionelle Herz-Kreislaufbeschwerden oder depressive Verstimmungen mildern.
Im Mittelalter gab es ein Elixier «ad longam vitam», das eine Reihe von Bitterkräutern enthielt, darunter Enzianwurzel und Angelikawurzel. Die Klostermediziner brauten es für die Erhaltung eines langen, gesunden Lebens. Nichts spricht dagegen, Bitterstoffe auch im 21. Jahrhundert als «Jugendlichkeits-Tonikum» einzusetzen. Manche Naturärzte empfehlen gar, Bitterstoffe ab 50 kurweise einzunehmen, um die Produktion des Magensafts anzukurbeln, die mit fortschreitendem Alter nachlässt.
Eine angenehme Nebenwirkung der Amara ist ihr gewichtsreduzierender Effekt. Bitteres soll die Lust auf Süsses dämpfen. Das glaubten schon die alten Chinesen und so gelten die Bitterstoffe in der Traditionellen Chinesischen Medizin bis heute als Gegenspieler des Süssen. So geben die Chinesen ihren Süssigkeiten in weiser Voraussicht oftmals bittere Gewürze wie Ingwer bei.
Bitterstoff-Arzneien werden in der Regel gut vertragen und können über längere Zeit hinweg eingenommen werden (nie jedoch, wenn Sie an einem Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwür leiden!). Ob Tee, Tinktur, Extrakt, Frischpflanzensaft oder Fertigarznei, jede Bitterstoffpflanze besitzt ihr spezifisches Wirkprofil, weshalb auch die Höhe der Dosis und die Einnahmezeit eine wichtige Rolle spielen. So können z.B. kleine Dosen die Entleerung des Magens beschleunigen, grosse Dosen hingegen das Gegenteil bewirken.
Das für Sie optimale Bittermittel berücksichtigt zudem Ihr Alter, Ihren Gesundheitszustand und Ihre Bedürfnisse. Sie sind punkto Heilpflanzen nicht ganz sattelfest? Dann holen Sie am besten den Rat eines erfahrenen Drogisten, Apothekers, Heilpraktikers oder Naturarztes ein, bevor Sie eine Bitterstoff-Kur starten.
Rezepttipp:
Chicorée (oder Treibzichorie) ist eine Varietät der Wegwarte, der erst durch eine spezielle Lagerung der Wegwartenwurzel entsteht. Chicorée gibt Salaten einen fein-bitteren Geschmack und wirkt durch die Bitterstoffe verdauungsfördernd. Chicorée: Bitterstoffreiches Gemüse
Ob Aloe, Beifuss, Hopfen oder Quendel, es gibt viele Gemüse, Kräuter und Heilpflanzen, die Bitterstoffe enthalten.
Seit Jahrtausenden haben Bitterstoffe bei unseren Vorfahren als natürliche Fettverbrenner gewirkt, da Salate, Gemüse, Wurzeln und Kräuter noch wesentlich reicher an Bitterstoffen waren. Der griechische Arzt Hippokrates (460-377 v.Chr.) empfahl Fasten und bittere Kräuter als Vorbeuge- und Heilmethode gegen vielerlei Beschwerden.
Die bekannteste Kräuterfrau des Mittelalters Hildegard von Bingen (1098 - 1179), war eine grosse Befürworterin von anregenden und regulierenden natürlichen Bitterstoffen. In vielen Rezepten dieser Zeit finden sich entsprechende Kräuterbeigaben. Sie erkannte zum Beispiel, wie heilsam die Früchte der Mariendistel bei Krankheiten der Leber sind.
Paracelsus (1493-1541) verkündete im Mittelalter: «Der Tod sitzt im Darm» und stellte im 16. Jahrhundert sein Elixier für ein langes Leben zusammen. Es enthielt Bitterwurzeln, die kombiniert waren mit Aloe, Myrrhe und Safran. Diese Mischung ist übrigens auch das Grundrezept des heutigen «Schwedenbitters».
Maria Treben hat das Kräuterelixier durch ihre Veröffentlichung der «Apotheke Gottes» in der ganzen Welt berühmt gemacht. Kräuter mit bitteren Wirkstoffen gehören zu den ältesten und bekanntesten Heilpflanzen überhaupt.
Der indische Ayurveda kennt rund 5000, die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) sogar 6000 Pflanzen, denen eine gesundheitsfördernde Wirkung zugesprochen wird. In der TCHM schätzt man Bitterstoffe von jeher als erfrischend, anregend, Energie spendend – und wärmend. Die herben Stoffe sind generell in der chinesischen wie auch in der vorbildlichen mediterranen Küche stärker vertreten, als bei uns. In der modernen pharmazeutischen Industrie werden allenfalls 250 Pflanzen medizinisch genutzt. Zum Beispiel die Chinarinde, die gelbe Enzianwurzel, Pommeranzenschalen und Tausendgüldenkraut.