Mit dem sogenannten «eingeklemmten Nerv» tut sich die Heilkunde nicht leicht. Ist es ein «Hexenschuss», der Ischias oder ein Bandscheibenvorfall? Was ist der Unterschied?
Autor: Adrian Zeller
Ein dumpfer Druck im Hinterkopf, ein heftiger Schmerz im Bein, steife Schultern oder ein Taubheitsgefühl im Wechsel mit Kribbeln in den Armen: Ist da etwa eine Nervenfaser unglücklich zwischen zwei Halswirbel geraten?
Für die einen ist der eingeklemmte Nerv gleichbedeutend mit «Hexenschuss» (Lumbago). Andere deuten ihn als Ischiasnervenreizung (Ischialgie), die in der Umgangssprache einfach als «Ischias» bezeichnet wird. Wieder andere sprechen bei einer schmerzenden Schulter-Nackenpartie von einem eingeklemmten Nerv. Für manche ist er gleichbedeutend mit häufigem Kribbeln einer Hand.
Jeder Mensch macht seine ganz persönlichen Erfahrungen mit seinem Nervensystem, beispielsweise in Form von quälendem Zahnweh. Auch über Sinneseindrücke wie Wärme oder Lärm spürt man es.
Die sensorischen Nerven machen allerdings nur einen Teil des komplexen Signalleitungssystems aus. Verschiedene weitere Vorgänge nimmt man selbst nicht oder nur indirekt wahr. Von jenen Nervenfasern, die der Niere und anderen Organen Steuerungsimpulse erteilen, spürt man kaum etwas. Und auch von jenen, die die autonomen Bewegungsveränderungen des Körpers im Schlaf organisieren, dringt nichts ins Bewusstsein.
Mit anderen Worten: Nur einen Teil der Nerventätigkeit kann man empfinden. Krankhafte Veränderungen an einzelnen Nerven verspürt man demnach nicht zwingend als Schmerz: Man wird eher über Missempfindungen, wie beispielsweise Taubheitsgefühle oder Bewegungsstörungen, auf sie aufmerksam.
Eine besonders häufige Funktionsstörung in den Nervenbahnen entsteht durch das Hinausquellen eines Stossdämpfers zwischen den Rückenwirbeln, einen Bandscheibenvorfall. Eine Bandscheibe ist ein gallertartiger Kern, der von einem Faserring umgeben ist. Durch Überbeanspruchung oder auch durch «Materialermüdung» kann sie sich aus ihrer ursprünglichen Position vorwölben oder diese ganz verlassen. Weitere Anlässe für eine solche Verschiebung können Übergewicht, Heben von schweren Lasten in ungünstiger Körperhaltung und auch Bewegungsmangel sein.
Wenn eine Bandscheibe auf eine entsprechende Nervenleitung drückt, können beispielsweise Kribbeln oder andere Missempfindungen in den Beinen auftreten. Ein Bandscheibenvorfall löst nicht immer Schmerzen an der betroffenen Stelle aus, manchmal bleibt er auch lange unbemerkt. In der Sprache des Computerzeitalters ist das Innere der Wirbelsäule so etwas wie eine Datenhauptverkehrsachse; von ihr zweigen viele Nerven in die Peripherie ab. Im Rückenmark zirkulieren viele Impulse vom Gehirn in die einzelnen Organe und Körperregionen sowie zu ihm zurück.
Bandscheiben verschleissen im Laufe der Jahre. Sie können spröde werden und brechen. Dadurch tritt der Gallertkern nach aussen und kann auf Nerven oder Rückenmarkskanal drücken.
Was hilft statt einer OP? Anfangs ist eine Stufenlagerung sinnvoll, also eine Stellung, in der die Wirbelsäule entlastet wird. Physiotherapie hilft, die Wirbelsäule muskulär zu stützen. Wichtig im akuten Stadium ist die Stabilisierung der Wirbelsäule, nicht ihre Beweglichkeit. Wärme in Form von Kirschkernkissen, Fango, Sauna oder wohligen Bädern mit Rosmarin und Lavendel entspannt die Muskulatur rund um die Wirbelsäule.
Massagen oder Akupunktur können ebenfalls helfen. Dr. Christian Kessler, Internist und Ayurveda-Spezialist am Berliner Immanuel-Krankenhaus, empiehlt Myrrhe, Weihrauch, Weidenrinde, Kurkuma und Ashwagandha (Schlafbeere) als Phytotherapeutika. Auch Tai-Chi oder Qigong in Einzelsitzungen unter Anleitung eines spezialisierten Therapeuten zeigen mitunter guten Erfolg. Häufig kommen zudem entzündungshemmende Medikamente und Schmerzmittel bis hin zu hoch dosiertem Kortison zum Einsatz. Nach drei bis sechs Wochen sollte man eine Besserung spüren.
Wann ist der Eingriff nötig? «Man muss sofort operieren, wenn eine Inkontinenz von Blase und Darm in infolge des Bandscheibenvorfalles auftritt. Andernfalls bleiben die davon betroffenen Nerven dauerhaft geschädigt», erklärt Prof. Bernd Kladny, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie. «Ausser bei gravierenden Lähmungserscheinungen kann man, muss aber nicht operieren. Das hängt vom Leidensdruck des Patienten ab. Strahlen zum Beispiel die Schmerzen ins Bein aus und bleibt die konservative Therapie erfolglos, hilft eine minimal-invasive OP. Dabei wird das Gewebe, das auf den Nerv drückt, entfernt. Danach sind 80 bis 90 Prozent der Patienten beschwerdefrei.»
Wie stärke ich das Organ? Eine kräftige Rücken- und Bauchmuskulatur stabilisiert die Wirbelsäule. Rückengerechtes Verhalten ist wichtig: Lasten nah am Körper tragen und nicht aus dem Kreuz hochheben. Ein ausgewogener Wechsel von Be- und Entlastung versorgt die Wirbelsäule gut mit Nährstoffen.
Aus: Silke Lorenz: Operieren oder abwarten?, Gesundheits-Nachrichten, März 2018
Ein Bandscheibenvorfall kann auch ein möglicher Auslöser für Kopfschmerzen und Empfindungsausfälle in den Armen sein. Häufiger jedoch ist die Ursache für diese Beschwerden weniger eine Behinderung der Nervenleitungen, sondern die Folge von stark verhärteten Nacken- und Schultermuskeln.
Das kann durch häufiges stundenlanges Arbeiten am Bildschirm mit unveränderter Kopfposition entstehen. Auch lange Autofahrten mit wenig Bewegungspausen sind mögliche Auslöser. Die Muskeln werden dabei unterfordert und weniger durchblutet.
Zusätzlicher psychischer Stress, beispielsweise durch persönliche Sorgen, begünstigt den so genannten steifen Hals. Für die Medizin ist es ein Halswirbelsäulensyndrom (HWS-Syndrom), auch als Zervikalsyndrom bekannt.
Um die Beschwerden zu lindern, kann man zu Wärmekissen, zu Wärmepflastern oder zur Rotlichtlampe greifen. Behutsam ausgeführtes Rückenschwimmen oder Nordic Walking lockert die erstarrte Muskulatur ebenfalls. Hilfreich sind auch Massagen, Akupunktur, Shiatsu, Schröpfen sowie therapeutische Handgriffe der manuellen Medizin und der Chiropraktik.
Vorsicht: Direkte Manipulationen an der Wirbelsäule sind nicht unbedenklich. Sie dürfen nur durch ausgebildete und erfahrene Fachpersonen ausgeführt werden!
Auch durchwärmende und entspannende Bäder mit Auszügen von Rosmarin, Wacholder oder Lavendel können die Halsmuskulatur lockern. Lektionen in Feldenkrais- oder Alexander-Technik sowie krankengymnastisches Training helfen, den Halsbereich besser zu bewegen und ihn weniger zu überfordern. Auch das chinesische Tai Chi kennt Übungen zur Lockerung und Stärkung der Halswirbelsäule.
Die Atlaslogie, eine Richtung in der Heilkunde, die der Komplementärmedizin zugerechnet wird, geht von möglichen Verschiebungen der obersten Halswirbel aus. In der Folge dieser sogenannten Subluxation kommt es zur eingeschränkten Impulsübertragung im Nervensystem. Die Auswirkung können Beschwerden in den Organen sein. Speziell ausgebildete Therapeutinnen und Therapeuten rücken mit sanften Manipulationen die entsprechenden Wirbel wieder in die optimale Ursprungsposition.
Wer oft in der gleichen Kopfposition arbeiten muss, sollte sich regelmässige Lockerungsübungen zur Gewohnheit machen. Abrupte und heftige Bewegungen können die Schmerzen verstärken und sollten daher vermieden werden. Kalter Luftzug verstärkt die Beschwerden ebenfalls.
Wie schon erwähnt, wird auch eine Reizung des Ischiasnervs als «eingeklemmter Nerv» umschrieben. Wer über Ischias klagt, meint einen intensiven, ziehenden Schmerz auf der Rückseite des Oberschenkels. Manchmal betrifft er zusätzlich das Gesäss und/oder den Unterschenkel. Typisch ist auch ein dumpf bohrender Schmerz, der vom Gesäss ausgeht und ins Bein schiesst. Es kann dabei zu Beweglichkeits- und Empfindungsstörungen kommen. Im Extremfall können die Patienten ihre Blase oder ihre Darmentleerung nicht mehr unter Kontrolle halten.
Ursache kann ein Bandscheibenvorfall sein. Dabei entsteht hoher Druck auf den Ischiasnerv, der ihn so reizt oder quetscht, dass er Schmerzimpulse aussendet. Ein weiterer möglicher Auslöser ist ein blockiertes, verspanntes oder entzündetes Becken-Kreuzbeingelenk (medizinisch: Iliosakralgelenk).
Bakterien, die von Zecken übertragen werden, können ebenfalls für die Beschwerden verantwortlich sein; diese Krankheit ist als Lyme-Borreliose bekannt. Auch auf eine Gürtelrose, eine durch Viren verursachte Nervenerkrankung, können die Schmerzen zurückzuführen sein.
Ist die Ursache ein Bandscheibenvorfall, ist manchmal ein chirurgischer Eingriff nötig (nicht selten wird jedoch auch unnötig und erfolglos operiert). Sind die Auslöser Bakterien, ist eine Antibiotikabehandlung notwendig. Bei Gürtelrose (Herpes zoster) werden vom Arzt virushemmende Medikamente verordnet.
Sozusagen ein enger Verwandter der Ischiasnervreizung ist der Hexenschuss, den die Heilkunde Lumbago oder akutes Lumbalsyndrom nennt. Dabei entsteht ein akuter, intensiver Schmerz im Kreuz, der vom unteren Rippenbogen über das Gesäss bis in die Leistengegend und in die Genitalien ausstrahlen kann.
Wenn zusätzlich Lähmungserscheinungen auftreten, kann eine Nervenwurzel gequetscht werden oder ein Wirbel gebrochen sein. Eine Untersuchung mittels Computertomografie schafft Klarheit über die Quelle des Schmerzes.
Kribbeln sowie Sensibilitätsausfälle in den Händen, manchmal ebenfalls als eingeklemmter Nerv bezeichnet, können ihren Ursprung in den oben erwähnten Verhärtungen der Schulter-Nackenmuskulatur oder auch in Verschiebungen der Halswirbel haben. Öfters wird aber auch der mittlere Handnerv im so genannten Karpaltunnel eingeklemmt. Damit wird ein breites Band bezeichnet, das sich zwischen Daumen- und Kleinfingerballen spannt.
Ursache können schlecht verheilte Knochenbrüche, Entzündungen, rheumatische Erkrankungen, hormonelle Veränderungen sowie häufige Arbeit am Computer sein. Oft strahlen die Schmerzen in den Arm aus. Eine ärztliche Untersuchung schafft Klarheit.
Zur Behandlung wird Kälte bzw. Wärme angewendet, durch Magnetfeldtherapie wird der Stoffwechsel angeregt. Falls die Beschwerden dauerhaft nicht nachlassen, ist ein operativer Eingriff erforderlich.
Taubheitsgefühle speziell im kleinen Finger und im Ringfinger haben ihren Ursprung oft in Nervenfasern, die im Ellbogen in ihrer Durchlässigkeit behindert werden. Grund dafür kann häufiges Aufstützen der Ellbogen sein.
Arnica montana wirkt entzündungshemmend, abschwellend und schmerzlindernd. Die Inhaltsstoffe unterdrücken eine Entzündung bereits im frühen Stadium. Die Pflanze wird ausser bei Rheuma bei Gelenk-, Muskel- und Wirbelsäulenbeschwerden eingesetzt.
Das in Chili enthaltene Capsaicin hemmt die Freisetzung eines Schmerzbotenstoffes. Capsaicin wird als Creme oder Pflaster bei Muskelschmerzen und Muskelverspannungen insbesondere im Bereich der Wirbelsäule äusserlich angewandt.
Das Rotöl des Johanniskrauts wird als Einreibemittel bei Hexenschuss, Gicht und Rheuma eingesetzt.
Rosmarin verwendet man am besten für warme Vollbäder. Das Heilpflanzen-Bad wirkt positiv auf die Durchblutung der Weichteile und damit schmerzlindernd.
Nicht die leuchtenden Blüten, sondern die Wurzeln der schönen Afrikanerin enthalten das medizinisch wirksame Harpagosid. Teufelskralle eignet sich gut zur Behandlung degenerativer Erkrankungen; sie wirkt entzündungshemmend und schmerzlindernd.