Fast jeder kennt den Schmerz in der Schulter aus eigener Erfahrung. Wie kann man ihn wieder loswerden? Und was kann man tun, damit er gar nicht erst entsteht?
Text: Adrian Zeller
Würde auch der Natur für ihre Leistungen ein Nobeipreis verliehen, die Chancen stünden gut, dass sie ihn für die Schultergelenke bekäme: Sie sind eine kleine Meisterleistung an Ingenieurskunst. Mit ihrer Hilfe kann man so unterschiedliche Dinge tun wie Liegestütz machen, einen Pfeil von einem Bogen ins Ziel schiessen, eine Glühbirne in die Fassung drehen oder einen Handstand machen.
Mit anderen Worten: Schultergelenke ermöglichen sehr unterschiedliehe und komplexe Bewegungen. Gleichzeitig kann die Muskulatur um sie herum eine ungeheure Kraft entwickeln, Eindrücklich belegen dies die Leistungen der Gewichtheber. Die Energiepakete an den Oberkanten des Rumpfs sind aber auch mit der Gefühlsweit eng verbunden: Der Entmutigte lässt die Schultern hängen, der Ängstliche zieht sie hoch, der Unentschlossene zuckt mit ihnen.
Kein anderes Gelenk im menschlichen Körper hat einen dermassen grossen Bewegungsradius in verschiedene Richtungen. Möglich macht dies, dass der Gelenkkopf des Oberarmknochens in einer Schale liegt, die lediglich die ungefähre Grösse und Form eines Teelöffels hat.
Mit dicken Paketen aus Muskeln und Bändern sind die Arme gewissermassen am Rumpf festgezurrt. Dank ihnen lassen sie sich in viele Richtungen bewegen. Auch die Schultergelenke selbst sind nach oben, unten sowie nach hinten und vorne beweglich. An dieser Fähigkeit sind Schlüsselbein und Schulterblatt wesentlich beteiligt, sie gehen mit diesen Bewegungen mit, unterstützen sie und sorgen gleichzeitig für die Verbindung zum übrigen Skelett.
Damit die grosse Beweglichkeit dieser Körperregion gewährleistet ist, muss sie sehr flexibel sein. Doch mit Körperteilen ist es ähnlich wie mit Apparaten im Haushalt: Was besonders viel kann, ist meist auch besonders störungsanfällig. Verkrampfte und schmerzende Schultern sind ein weitverbreitetes Volksleiden: Rund 80 Prozent der erwachsenen Bevölkerung kennen sie aus eigener Erfahrung. Weshalb Frauen etwas öfter betroffen sind als Männer, ist bisher ungeklärt.
Ursache für schmerzende Schultern ist in erster Linie dauerhafte einseitige Beanspruchung, etwa durch stundenlanges Arbeiten am PC wie dies heute in vielen Berufen üblich ist. Auch bei Supermarkt-Kassiererinnen sowie bei Friseurinnen gehören häufige Beschwerden in dieser Region zu den typischen Berufskrankheiten.
Bei stundenlangen gleichförmigen Bewegungen kann es zu disharmonischen Spannungsverhältnissen im Schultergürtel kommen; die Folge sind schmerzhafte Verhärtungen. Erste wichtige Vorbeugemassnahme ist, die Schultern in den Pausen nach hinten zu dehnen und sie locker kreisen zu lassen. Damit werden die Spannungsdifferenzen etwas ausgeglichen. Gleichzeitig wird dabei die sehr wichtige Durchblutung der Muskeln angeregt. Sie sorgt für eine gute Versorgung mit verschiedenen Nährstoffen.
Auch wechselseitiges Dehnen der ausgestreckten Arme Richtung Decke lockert den Schultergürtel, ebenso wie seitliches Ausstrecken der Arme und wechselseitige Rotationsbewegungen. Auch durch Rückenschwimmen, Crawlen sowie durch Nordic Walking kann man für Spannungsausgleich und eine gute Durchblutung im Schultergürtel sorgen. Auch Massagen, Wärmekissen und -pflaster wirken gegen verhärtete Muskeln.
In den letzten Jahren wird bei Schulterbeschwerden vermehrt zur natürlichen Heilmethode des Schröpfens gegriffen. Dabei werden Glaskugeln, die zuvor erwärmt wurden, an verschiedenen Stellen angesetzt. Durch das Erwärmen entsteht ein Unterdruck. An der entsprechenden Stelle werden Durchblutung und Stoffwechsel intensiv angeregt. Die Methode sollte allerdings nur von Personen ausgeführt werden, die Fachwissen und Erfahrung besitzen. Auch durch Akupunktur lassen sich bei Schulterbeschwerden oft gute Erfolge erzielen.
Wie schon erwähnt, haben die Schultern einen engen Bezug zur Psyche: Sorgen, Angst oder auch Dauerstress können ein wesentlicher Mitauslöser für Schmerzen sein. Häufig kommt es auch im Zusammenhang mit Sport- oder Arbeitsunfällen zu Schulterbeschwerden. Sie müssen möglichst rasch von einem Facharzt abgeklärt werden. Werden sie zulange mit Hausmitteln behandelt, kann es in der Folge zu einer Schonhaltung kommen. Andere Körperpartien werden dadurch einseitig belastet, es entstehen zusätzliche Beschwerden. Gleichzeitig sind die Muskeln im Schulterbereich unterfordert. Sie bilden sich zurück, als Komplikation kann es zu Stabilitätsproblemen kommen. Mit zunehmenden Lebensjahren sind oft auch Gelenkabnutzungen Auslöser für Schmerzen, auch sie sollten frühzeitig fachkundig behandelt werden. Lange Inaktivität ist Gift für die Muskulatur.
Einseitige Beanspruchungen eines oder beider Gelenke erhöhen das Risiko von Schulterbeschwerden. Wer sich als Ungeübter voller Enthusiasmus in der ersten Golf- oder Tennisstunde verausgabt, wird die Folgen der starken Beanspruchung bald sehr schmerzhaft spüren. Auch mit Badminton kann man den Schultergelenken zu viel abverlangen, und bei einer Bootspartie sollten Ungeübte nicht allzu lange in die Ruder greifen.
Besonders heimtückisch ist Volleyball, denn dabei werden die Arme immer wieder über Kopf gehalten, eine Bewegung, die für die Schultergelenke sehr ungewohnt ist. Wer eine Sportart mit viel Schultereinsatz erlernt, muss die Muskeln und Sehnen behutsam an die verstärkte Beanspruchung gewöhnen. Eine besonders preisgünstige Möglichkeit um Schulterbeschwerden vorzubeugen, ist ein Latexband, mit dem man seine Muskeln aufbauen und die Gelenkstabilität verbessern kann. Es ist für wenig Geld in den Sportabteilungen von Grossverteilern und Warenhäusern erhältlich. Bücher mit entsprechenden Übungsanleitungen bekommt man im Handel.
Beim Tragen von schweren Einkäufen teilt man die Last besser auf zwei Taschen auf, um die Schultergelenke zu schonen. Als Alternative kann man einen Einkaufswagen oder einen Rucksack verwenden. Wer oft am Computer arbeitet, sollte den Oberkörper von Zeit zu Zeit ganz bewusst aufrichten, die Schultern nach hinten unten dehnen und mit ihnen einige Male locker rotieren. Andernfalls kann es mit der Zeit zu einer Verkürzung der Muskeln kommen. Falls möglich, sollten bei längerdauernden sitzenden Tätigkeiten die Unterarme auf der Tischplatte abgestützt werden, um die Schultern zu entlasten. Bei der Arbeit am Bildschirm sollte die Maus von Zeit zu Zeit mit der linken Hand bedient werden, falls das beim entsprechenden Modell möglich ist (kann man umstellen!) Während langen Autofahrten sollten die Armlehnen zur Entlastung genutzt werden.
Wenn Schultergelenke überbeansprucht wurden, beispielsweise nach einem Tag Gartenarbeit, können sie sich heiss und schmerzhaft anfühlen. Dies sind Anzeichen einer Entzündung. Quarkwickel verschaffen dann wohltuende Kühlung. Dazu wird eine zentimeterdicke Schicht Magerquark auf eine Kompresse gestrichen. Anschliessend wird diese für rund eine halbe Stunde auf die schmerzende Stelle gelegt, mit einem Tuch abgedeckt und fixiert. Bei Bedarf kann der Wickel mehrfach wiederholt werden.
Kohlwickel wirken ebenfalls entzündungslindernd, weil sie Senföle sowie Flavonoide enthalten. Die dicken Mittelrippen der Kohlblätter werden mit einem Messer entfernt. Anschliessend werden sie mit einem Teigroller oder einer Flasche platt gewalzt, damit die Wirkstoffe aus den Zellen austreten können. Sie werden wie Dachziegel über das Schultergelenk geschichtet und mit einem Tuch abgedeckt. Kohlwickel werden in der Regel über Nacht auf dem Gelenk belassen. Die Wickel werden so lange angelegt, bis die Schmerzen nachgelassen haben.
Zwei Drittel der Menschen mit Schulterschmerzen leiden an einem Schulterengpass-Syndrom. Dabei entstehen Schmerzen beim Anheben des Arms, beim Liegen auf der Seite oder bei Drehbewegungen. Ursache ist ein durch Verschleiss verengter Sehnenkanal zwischen dem Schulterblatt und dem Gelenkkopf des Oberarmknochens. Häuig wird dann ein Teil des Schulterblatts operativ erweitert, um den Druck von den Sehnen zu nehmen. Britische Forscher fanden nun in einer Studie heraus, dass dieser Eingriff in vielen Fällen womöglich keinen Nutzen bringt. Die im Fachblatt «The Lancet» publizierte Arbeit zeigte, dass diejenigen der rund 300 Patienten, die eine OP erhielten, keine klinisch relevante Verbesserung der Symptome gegenüber den Patienten ohne Therapie aufwiesen – ganz ähnlich wie beim Kniegelenk. Konservative Behandlungen mit Physiotherapie und Schmerzmitteln sollten zunächst ausgeschöpft und eine OP nur nach langer, erfolgloser Behandlung in Betracht gezogen werden.