Er ist die starke Basis in unserem Körper. Der Beckenboden stützt unsere inneren Organe. Nur wenn er kräftig ist, kann er seine Aufgabe, die Harnröhre und den After zu schliessen, optimal wahrnehmen. Ausserdem sorgt er dann für eine gute Körperhaltung. Leider nehmen wir die Wichtigkeit des Beckenbodens meist erst wahr, wenn er geschwächt ist und zu Beschwerden wie Blasenschwäche führt. Höchste Zeit, den verborgenen Muskeln etwas Aufmerksamkeit zu schenken.
Text: Annette Willaredt und Christine Bielecki
Der Beckenboden besteht aus Muskeln, Sehnen und Bindegewebe, die sich wie ein Trampolin zwischen Schambein, Steissbein und Sitzhöckern spannen. Er ist aus drei Schichten aufgebaut, die wie ein überkreuztes Gitter übereinanderliegen. Die innere, breiteste Schicht führt vom Schambein zum Steissbein. Sie schliesst den Bauchraum nach unten ab und stützt alle Organe im Becken.
Die zweite Schicht ist fächerförmig aufgebaut und verläuft quer zwischen den Sitzhöckern im vorderen Beckenbereich. Diese Muskelschicht ist bei Frauen nur halb so stark ausgebildet wie bei Männern. Es ist die Schicht, die während der Schwangerschaft das Gewicht des Babys trägt und sich zur Geburt schliesslich aufdehnt. Die innerste Schicht liegt wie eine Schale im Beckenring, stützt die Unterleibsorgane und steht mit der Rumpfmuskulatur in Verbindung.
Die äussere Schicht spannt sich wieder von vorne nach hinten. Diese netzartige Struktur macht den Beckenboden so stabil. Die Muskeln umschliessen auch die Öffnungen von Harnröhre und After. Hier sollen diese Muskeln je nach Bedarf sich schliessen oder z.B. beim Toilettengang öffnen.
Fehlt es ihnen aber an Kraft, kann das zu einer Blasenschwäche führen. Bei Frauen kommt mit der Scheide eine weitere Öffnung hinzu. Dies und die Tatsache, dass der Beckenboden bei Frauen mehr Bindegewebe enthält, um die nötige Dehnung bei einer Geburt zu ermöglichen, sorgen dafür, dass diese Muskulatur beim weiblichen Geschlecht öfter geschwächt ist und Probleme macht als beim männlichen. Zwar ist der männliche Beckenboden viel stärker als der weibliche – er wird aber gerne unterschätzt.
Die Straffheit des Beckenbodens lässt zwar ganz natürlich mit Alter langsam nach. Verstärkt wird der Prozess aber durch langes Stehen, Übergewicht, Verstopfung, chronischen Husten, schweres Heben und eine Geburt. Auch Sportarten, bei denen der Körper immer wieder erschüttert wird, tragen dazu bei. Dazu gehören z.B. Joggen oder Tennis. Auch Bauchoperationen können sich auf die Stärke des Beckenbodens negativ auswirken.
Haben diese Muskeln allerdings an Kraft verloren, hat das Folgen. Oft kommt es dadurch zu einer Blasenschwäche mit unfreiwilligem Harnabgang z.B. beim Husten oder Niesen. Weniger auffällig ist es, dass auch die ganze Körperhaltung dadurch schlechter wird. Deshalb ist es ratsam, möglichst früh gegenzusteuern.
Der Beckenboden ist bei fast allen Aktivitäten und Bewegungen gefragt. Aktivieren wir die Beckenbodenmuskulatur, werden gleichzeitig auch die Musculi multifidi (kurze, über drei Wirbelsäulensegmente verlaufende, strangförmige Skelettmuskeln) des Rückens sowie der Musculus transversus abdominis (der tiefliegendste Muskel der Bauchmuskulatur) aktiviert. Das ist für unsere Körperhaltung sehr wichtig.
Für viele steht Beckenbodentraining nur in Zusammenhang mit Geburtsvorbereitung, Rückbildungsgymnastik oder Inkontinenz. Aber: «Würden wir den Beckenboden regelmässig trainieren, könnten Rückenschmerzen vermieden werden. Unser gesamter Oberkörper wäre stabiler. Vor Hunderten von Jahren war gezieltes Training der Tiefenmuskulatur gar nicht notwendig», sagt Elisa Dambeck, Fitness- und Personal Trainerin aus Erfurt. «Damals liefen die Menschen barfuss auf Waldboden, balancierten und kletterten, trugen schwere Lasten auf den Schultern. In genau solchen Situationen müssen die tiefliegenden Muskeln kontrahieren.
Unser heutiger Alltag besteht aus viel Sitzen, wir laufen in Schuhen über asphaltierte Wege und trainieren im Fitnessstudio die Muskeln, die äusserlich sichtbar sind, damit wir gut aussehen. Das führt dazu, dass die tiefliegenden Muskeln verkümmern. Und dann ist es kein Wunder, dass Rückenschmerzen entstehen.»
Ein Thema, das lange Zeit im Sportstudium zu kurz kam, ist die moderne Faszienanatomie. Aus ihr sind mittlerweile drei funktionelle Spannungszüge belegt, die den Beckenboden dreidimensional vernetzen und Spannung vom Bauch bis an den Rücken und in die Beine übertragen. «Sind diese myofaszialen Ketten wohlgespannt, dann ist es der Beckenboden auch», schreibt Divo G. Müller 2021 im Magazin «Leistungslust». Daher sei es ein Mythos, dass Beckenbodentraining nur isoliert funktioniere. (Hintergrund: In der Geburtsvorbereitung oder der Rückbildung hört man häufig davon, dass Frauen insbesondere isoliertes Training helfe, den Beckenboden zu spüren und ihn bewusst anzuspannen.)
Sehr wirksam ist ein regelmässiges Training des Beckenbodens. Dazu muss man aber zuerst lernen, diese verborgene Muskulatur wahrzunehmen. Entwicklungsgeschichtlich gesehen entspricht sie der Muskulatur, mit der z.B. Katzen ihren Schwanz bewegen. Für uns Menschen ist ein An- oder Entspannen dieser Muskeln leider nicht so offensichtlich. Deshalb eine kleine Anleitung:
Die Schliessmuskeln kurz zusammenkneifen, als wollte man den Harnstrahl anhalten. Wenn man es richtig macht, spürt man eine leichte Hebung der Muskeln nach oben und innen. Die Muskeln von Bauch und Po bewegen sich dabei nicht. Diese kleine Übung kann jederzeit und überall unauffällig durchgeführt werden – zum Beispiel in der Schlange an der Supermarktkasse. Tatsächlich ist es ratsam, möglichst oft – am besten täglich – zu trainieren. Nur dann spürt man auch einen deutlichen Effekt.
Wie lange es dauert, eine bereits vorliegende Blasenschwäche zu beheben, ist individuell unterschiedlich. Bei ausgeprägten Problemen kann es sinnvoll sein, sich von einem Profi anleiten zu lassen, bis man die Übungen optimal durchführen kann. Entsprechende Kurse bieten z.B. Fitness-Studios oder Physiotherapeuten.
Den Beckenboden stärken sollte man allerdings auch, wenn man noch keine Probleme hat. Der Lohn dafür ist eine bessere, aufgerichtete Körperhaltung.
Bei der Brücke stellen Sie die Füsse hüftbreit am Boden auf, die Beine sind angewinkelt. Die Arme liegen entspannt neben dem Körper. Atmen Sie ein und aktivieren Sie mit der Ausatmung den Beckenboden. Dabei heben Sie das Gesäss nach oben. Nun atmen Sie wieder ein und halten die Spannung. Mit der Ausatmung Wirbel für Wirbel abrollen und erst ganz zum Schluss die Beckenbodenspannung lösen. Diese Übung können Sie bis zu 10 Mal wiederholen.
Kommen Sie zunächst in die Rückenlage oder in eine sitzende Position. Der Beckenboden bildet den Abschluss des Rumpfes. Nun stellen Sie sich vor, dass sich genau an dieser Stelle eine Seerose befindet. Mit der Einatmung öffnet sich die Seerose, in diesem Moment weitet sich der Beckenboden, mit der Ausatmung verschliesst sich die Seerose, der Beckenboden hebt sich. Die Übung lässt sich aktiver gestalten, wenn der Beckenboden bei der Ausatmung hochgezogen wird.
Eine weitere Übung zur Schulung der Vorstellungskraft lässt sich im Stehen durchführen. Das ist auch insofern sinnvoll, weil der Beckenboden ein elastisch-dynamischer «Anti-Schwerkraft-Muskel» ist, der seine Aufgabe in der senkrechten Lebenssituation des Menschen zu erfüllen hat. Im hüftbreiten Stand werden die Hände in einer Raute auf den Bauch gelegt, so dass die Daumen den Bauchnabel und die Mittelfinger das Schambein berühren. Die Vorstellung, dass die Hüftknochen durch zwei diagonale Gummibänder miteinander verbunden sind, die sich in der Mitte kreuzen, hilft. In der Vorstellung sollen die Gummibänder nach oben in Richtung Bauchnabel gezogen werden. Wer alles richtig macht, fühlt, wie sich die Raute der Hände verkleinert und wie sich Daumen und Mittelfinger annähern. Diese Spannung für drei Atemzüge halten und mit der Ausatmung langsam wieder loslassen. Wiederholen Sie die Übung dreimal.
Mit hüftbreit gespreizten Beinen auf den Boden knien, die Unterarme auf den Boden legen, die Hände liegen übereinander. Nun die Stirn auf die Hände legen, die Fussspitzen zusammenbringen, das Gesäss nach oben schieben, die Knie schliessen und den Beckenboden anspannen. Dabei ausatmen. Wieder absenken und einatmen. Zehn Mal wiederholen.
Auf die Knie gehen, die Beine sind eng beieinander. Die Hände hüftbreit auseinander auf den Boden stützen. Einatmen. Nun den Rücken gerade halten und die Knie beim Ausatmen möglichst weit weg vom Boden drücken. Wieder absenken, einatmen. Zehn Mal wiederholen.
Übrigens: Der rhythmische Fluss der Atmung stimuliert den Beckenboden. Bei der Atmung sind die Beckenboden- und die Bauchmuskeln in die Atembewegung eingebunden, da sie übers Bindegewebe mit dem Zwerchfell verbunden sind. Darum beim Üben immer im Atemfluss bleiben.
Zuletzt aktualisiert: 02-11-2023