«Cupping ist ein Stressenthebungsverfahren für Körper und Geist», sagt Kay Bartrow, Physiotherapeut, Gesundheitsberater und Buchautor, «es setzt bei den körperlichen Symptomen von Stress an, z.B. Kopfschmerzen und Verspannungen, und lindert dadurch oft auch mentale Symptome wie Schlafstörungen.»
Text: Lisa Alix Brandau, 6/2021
Ein besonderer Vorteil: Anders als das Schröpfen lässt sich das Cupping überall und ohne therapeutische Hilfe anwenden.
«Als Physiotherapeut bin ich immer auf der Suche nach Möglichkeiten, um meinen Patienten zu helfen. Vor über fünf Jahren stiess ich auf das Cupping und nutze es seitdem in der Praxis», erzählt Bartrow. «Die Methode ermöglicht es den Menschen, auch selbstständig zu Hause an sich zu arbeiten und weniger abhängig von einem Therapeuten zu sein.» Cupping beeinflusse die Körpersysteme, z.B. das Immun- und das Durchblutungssystem und zähle daher zu den Regulationstherapien, so Bartrow.
«Bei einer optimalen Zusammenarbeit der Systeme sind wir gesund, gerät das Zusammenspiel jedoch ins Stocken, kommt es zu gesundheitlichen Problemen», erläutert Bartrow. Zwei dieser Systeme, das Muskel- und das Nervensystem, spielen beim Cupping eine besondere Rolle. Unser Körper entwickelt über die Zeit automatisierte Bewegungsabläufe, die wir durchführen, ohne besonders darüber nachzudenken. Wir nutzen z.B. unwillkürzlich die richtige Menge an Kraft, um ein Glas anzuheben. Da diese Bewegungsprogramme durch ständige Wiederholungen in unserem Nervensystem gespeichert sind, führen wir sie automatisch effizient aus.
Kommt es jedoch zu Veränderungen im Bewegungsapparat, funktionieren die abgespeicherten Programme nicht mehr reibungslos. «Häufig reicht schon eine kleine Verletzung, um Schonhaltungen einzunehmen, die dann bestimmte Strukturen überbeanspruchen, Funktionsstörungen und Schmerzen erzeugen», so Bartrow. Auch Fehlhaltungen sind häufig Ursache von Schmerzen.
Gängiges Beispiel: eine verkürzte und abgeschwächte Muskulatur an der Oberschenkelrückseite infolge ständigen Sitzens. Muskuläre Dysbalancen wie diese beeinflussen die Ausrichtung unserer Gelenke, hier speziell des Hüftgelenkes und der Wirbelsäulenausrichtung. Mit der Zeit speichert das Nervensystem die neuen Gelenkwinkel und die damit verbundenen Spannungen in Muskeln, Sehnen und Faszien als «normal» ab. Und nach und nach passen sich alle Körperstrukturen dieser neuen (Fehl-)Haltung an und verändern ihre Beweglichkeit, Elastizität und Form. Wie man sich unschwer vorstellen kann, stört dies die natürliche Ausrichtung des Körpers und damit die reibungslose Zusammenarbeit von Muskeln, Gelenken, Nerven, Organen und Faszien. Bewegungseinschränkungen, muskuläre und fasziale Verkürzungen sowie Schmerzen sind die Folge. Auch die Verletzungsgefahr erhöht sich, denn werden Strukturen durch Fehlhaltungen dauerhaft überreizt, kommt es zu Entzündungen und Gewebeveränderungen.
Manche Fehlhaltungen entstehen aber auch durch mentalen Stress. Wer unter Ängsten leidet, zieht oft unbewusst die Schultern hoch, was zu Nackenverspannungen und Kopfschmerz führen kann. «Um Schonhaltungen und Entzündungen entgegenzuwirken, müssen die fehlerhaften Daten des Nervensystems erneut überschrieben werden. Äussere Reize wie das Cupping helfen dem Nervensystem dabei, denn sie regen die einzelnen Körpersysteme an, die sich dann wieder unterstützen.»
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Ein Vorteil der modernen Cups gegenüber herkömmlichen Schröpfgefässen ist das Material, aus dem sie bestehen. Traditionelle Gefässe aus Ton oder Glas könnten im schlimmsten Fall auch mal platzen und die Haut verletzen. Das Silikon mache die modernen Cups unzerbrechlich und sei damit ideal für unterwegs, so Bartrow. Aufgrund ihrer elastischen Form und verschiedener Grössen lassen sich die Cups problemlos an unterschiedlichen Körperteilen anlegen. «Die grossen Cups mit einem Durchmesser von3,5 bis 5 Zentimer eignen sich für Rumpf, Arme, Beine und Hals. Die kleineren Cups haben einen Durchmesser von 1,5 bis 2 Zentimer, weshalb sie ideal für Hände, Füsse und Gesicht sind.» In der Regel werden die klassischen Schröpfglocken von einem Therapeuten aufgebracht und bleiben während der gesamten Behandlungsdauer fest auf einer Körperstelle. Die Silikoncups hingegen kann jeder leicht selbst am Körper anbringen.
Durch die auf der Haut platzierten Cups entsteht ein Unterdruck, der sich positiv auf das Gewebe auswirkt. Manche Cups haben eine höhere Materialstärke als andere, erzeugen folglich einen stärkeren Unterdruck und dadurch eine höhere Sogwirkung. Als Anwender kann man so die Intensität der Behandlung selbst wählen. Durch den Sog werden Rezeptoren aktiviert und chemische, elektrische sowie physikalische Reaktionen ausgelöst. Der mechanische Reiz durch den Unterdruck und das Bewegen der Cups wirkt gezielt auf die Gewebezellen und den Interzellularraum. In diesem Zellzwischenraum befinden sich unter anderem Immunstoffe, Hormone, Neurotransmitter, Wasser und Enzyme. Durch den äusseren Reiz verändert sich das Milieu im Gewebe, wodurch sich pH-Wert und Entzündungswerte ändern. «Dies hat einen positiven Einfluss auf die Wahrnehmungsfähigkeit und Beweglichkeit der Zellen», beschreibt Bartrow. Auch steige die Durchlässigkeit der Zellmembran für wichtige Nähr- und Baustoffe, und die Fähigkeit zur Flüssigkeitsspeicherung verbessere sich.
Das Gewebe wird vitalisiert, gedehnt und massiert. «Bei Entzündungen kommt hinzu, dass die Zugwirkung durch den Unterdruck im Cup die obere Faszienschicht, die unzählige Schmerzrezeptoren und freien Nervenenden enthält, anhebt. Das erzeugt einen Sogeffekt bis in die unteren Faszienschichten, was den Druck auf das darunter liegende entzündete Gewebe mindert.» Tatsächlich kommt es durch diesen Effekt zu einer verminderten Schmerzwahrnehmung, da der mechanische Reiz des Cups den ursprünglichen Schmerzreiz überlagert. Dadurch wiederum entspannt sich schliesslich die Muskulatur, das Gewebe wird gelockert, die Durchblutung verbessert; Lymph-abfluss und Wundheilprozesse werden unterstützt.
«Cupping ist für Jung und Alt geeignet, da es kaum Nebenwirkungen gibt», erklärt Bartrow. «Je nach Empfindlichkeit der Haut und Dauer der Anwendung kann es zu Rötungen oder Blutergüssen kommen. In manchen Fällen sind Blutergüsse sogar erwünscht, weil die gezielten Einblutungen die Mikrozirkulation im Gewebe und das Immunsystem aktivieren. Sinnvoll ist das bei Muskelverletzungen, allerdings sollte dies nur unter therapeutischer Aufsicht erfolgen», so der Experte. Möglich ist auch ein stechendes oder ziehendes Gefühl, ein sogenannter ischämischer Schmerz, während der Anwendung. Denn durch die Sogwirkung des Cups kommt es zu einer Umverteilung des Blutes: In manchen Bereichen staut es sich, in anderen fehlt es. «Der Schmerz verschwindet aber, sobald der Cup entfernt wird», betont Bartrow.
Auch beim Cupping gibt es Kontraindikationen. «So sollten die Cups nicht auf Krampfadern oder entzündete Venen gesetzt werden, da die Wirkung des Cuppings abhängig vom Gewebetyp ist und es in diesem Fall die Gefässwände schädigen kann», warnt Bartrow. Auch Hautpartien mit Muttermalen und Warzen sollten ausgelassen werden, damit sich die Warzen nicht ausbreiten und um andere nachteilige Hautveränderungen zu vermeiden. Und ganz klar gehören die Cups nicht auf offene Hautverletzungen oder auf Sonnenbrand. Vollständig auf das Cupping verzichten sollte man bei Blutungsneigung durch Bluterkrankheit, bei Einnahme blutverdünnender Medikamente und bei Neurodermitis. Bestehen Vorerkrankungen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt, sollte zuerst ein Arzt konsultiert werden. Natürlich gibt es immer auch Menschen, die das Cupping gar nicht vertragen, da ihnen die Druckveränderung im Gewebe nicht bekommt. «Das ist aber eher die Ausnahme», so Bartrows Erfahrung.
Der Umgang lässt sich leicht erlernen. «Um die Cups anzubringen, drückt man sie zusammen und setzt sie auf die gewählte Körperstelle. Zum Üben eignet sich die Innenseite des Unterarms. Wichtig ist, dass der gesamte Rand des Cups Kontakt mit der Haut hat. Dann löst man den Druck auf den Cup langsam auf, um einen Sog zu erzeugen. Manchmal braucht man ein, zwei Anläufe, bis der Cup hält, aber in der Regel hat man es schnell raus. Nach ein paar Minuten zieht man den Cup einfach ab und beobachtet, ob es zu Reaktionen kommt. Dann weiss man, wie der Körper auf das Cupping reagiert und kann loslegen. Zum Erlernen der verschiedenen Techniken eignet sich übrigens der Unterarm gut», so Bartrows Tipp.
Cupping-Technik Pinching: Cup ansaugen und sofort wieder abziehen. (Foto: Trias Verlag/ H.Muench)
Die Grundtechniken des Cuppings bestehen aus verschiedenen Zug- und Druckmechanismen, die gezielte Anpassungsreaktionen im Gewebe erzeugen. Viele der Techniken sind nach ein, zwei Minuten bereits effektiv. «Natürlich können sie auch miteinander kombiniert werden, um die Anpassungseffekte des Körpers zu verstärken», erklärt Bartrow. «Sinnvoll ist auch, mit wenigen Wiederholungen zu beginnen und diese mit der Zeit zu erhöhen. Auch die Zahl der Anwendungen pro Woche sollte langsam gesteigert werden.»
Insgesamt beschreibt Bartrow in seinem Buch zehn verschiedene Cupping-Anwendungen. «Die Techniken und ihre Bezeichnungen kommen vom Hersteller der Cups, ich habe sie jedoch aufgrund von Erfahrungen in der Praxis etwas modifiziert», sagt der Physiotherapeut. Für die meisten Techniken empfehlen sich drei bis sechs Durchgänge mit je 15 bis25 Wiederholungen. «Allgemein lassen sich die Techniken in zwei Gruppen einteilen», so Bartrow, «anregende und ausgleichende.»
Cupping-Technik Pumping: Cup ansaugen, anheben und wieder absinken lassen. (Foto: Trias Verlag/ H.Muench)
Das Mobilizing-Activating beschreibt eine Technik, bei der die Cups auf der Haut nahe eines schmerzenden Gelenkes oder auf einem verspannten Muskel angebracht werden und der betreffende Körperbereich dann bewegt oder trainiert wird. Die Verbindung mechanischer Reize mit aktiven Bewegungen intensiviert hier vor allem die Durchblutung und den Stoffwechsel.
Das Placing ist die unkomplizierteste Technik. Hier wird der angesaugte Cup bis zu 60 Sekundenregungslos an einer Stelle gelassen. Ein Vorteil ist hier, dass an mehreren Stellen zugleich gearbeitet werden kann. Auch diese Technik zielt besonders auf eine gesteigerte lokale Gewebedurchblutung ab.
Beim Sliding wird der angesaugte Cup über die Haut gezogen. Die Bewegung erfolgt in verschiedenen Richtungen von der Schmerzregion weg. Das Ergebnis ist eine intensive Aktivierung des Bindegewebes.
Das Stretching ist die einzige Technik, für die man zwei Cups braucht. Diese setzt man nebeneinander auf die Haut und zieht sie dann voneinander weg. Dadurch wird die Elastizität der Haut erhöht. «Natürlich kann man auch nur einen Cup bewegen während der andere fixiert bleibt, wodurch die Zugkräfte vor allem im Bereich des fixierten Cups wirken.»
Für das Tipping wird der Cup angesaugt und auf der Stelle leicht in verschiedene Richtungen gekippt, wodurch vor allem die Elastizität des Gewebes erhöht wird.
Cupping-Technik Spinning: Cup ansaugen und drehen. (Foto: Trias Verlag/ H.Muench)
Beim Circling wird der zuvor angesaugte Cup kreisend auf der Haut bewegt. Je nach Bedürfnis können Grösse, Geschwindigkeit und Richtung der Kreise variiert werden; man kann ganze, halbe oder viertel Kreise ziehen. Durch das Circling wird gezielt Druck auf das Gewebe ausgeübt.
Beim Pinching wird der Cup angesaugt, und nach ein bis drei Sekunden wieder abgezogen, wodurch es zu einer lokalen Stoffwechselverbesserung kommt.
Beim Pumping wird der Cup auf der Haut angesaugt und dieser dann mitsamt der Haut angehoben und wieder abgesenkt. Ziel ist hier vor allem ein Druckausgleich durch Flüssigkeitsverteilung und Flüssigkeitsaustausch.
Das Spinning bezeichnet eine Technik, bei welcher der angesaugte Cup bis zu 25 Mal gedreht wird, wobei man ihn schnell oder langsam erst in die eine, dann in die andere Richtung bewegt. Der Effekt gleicht einer Gewebedrainage, weshalb sich das Spinning besonders eignet, um Schwellungen zu mindern.
Bei der Trigger-Technik wird der Cup umgedreht und mit seiner Oberseite ins Gewebe gedrückt. Dies hilft besonders gut bei Verspannungen und sollte direkt auf der schmerzenden Stelle erfolgen. Der Druck kann bis zu zwei Minuten gehalten werden. Das Ganze sollte man bis zu vier Mal für 120 Sekunden wiederholen.