Verhärtete und verklebte Faszien sind in vielen Fällen die wahre Ursache für unerklärbare Rückenschmerzen, vermuten Forscher. Wir zeigen, was Faszien mögen und wie man sie gesund erhalten kann.
Autorin: Petra Horat Gutmann , 05.14
Er ist der heimliche Star der Spitzensportler: Klaus Eder, Chef-Physiotherapeut der deutschen Fussballnationalmannschaft. Der 61-jährige Therapeut ist bekannt dafür, dass er angeschlagene Sportler in Rekordzeit wieder fit macht. Zu seinen Geheimrezepten zählt eine spezielle Form der Bindegewebsmassage. «Bei Stress oder Überbeanspruchung reagiert das Bindegewebe wie ein zu heiss gewaschener Pullover: Es verhärtet sich», erklärt Eder. «Die Bindegewebeschichten müssen frei aufeinander gleiten. Mit Gegendruck kann man das verhärtete Bindegewebe wieder zum Schmelzen bringen.» Letzteres geschieht, indem Klaus Eder die Faszien manuell aufspürt und verhärtete oder verklebte Stellen mit gezielten Handgriffen löst.
Eders Erfolgsmethode ist nicht nur für Profisportler von Bedeutung, sie macht auch für Millionen «ganz normaler» Schmerzpatienten Sinn. Besonders für Rückenschmerzpatienten, denn die naturwissenschaftlichen Hinweise mehren sich, dass die wahre Ursache für idiopathische Rückenschmerzen – das heisst für Rückenschmerzen «ohne erkennbaren Grund» – bei den Faszien liegen könnte. Also bei jenen Bindegewebsstrukturen, die jeden Muskel und jede Muskelfaser im Körper hauchdünn bis millimeterdick umhüllen und mit anderen Strukturen verbinden.
Faszien enthalten zahlreiche Nervenendigungen, Schmerz- und Bewegungssensoren, Blutgefässe und eine zirkulierende Flüssigkeit. Sie sind intelligente Strukturen, welche die Muskeln und das vegetative Nervensystem beeinflussen, zum Beispiel, indem sie Signale aussenden.
Dennoch wurden die Faszien lange Zeit als belangloses Pack- und Hüllmaterial betrachtet. Das änderte sich erst, als sich einige Forscher ernsthaft für die Bindegewebsstrukturen zu interessieren begannen. Es folgte Meilenstein auf Meilenstein: Dank der Entwicklung einer Spezialkamera konnten Faszien erstmals durch die Haut eines lebenden Menschen hindurch «live» beobachtet werden.
Weitere Erkenntnisse folgten, zum Beispiel, dass sich Faszien in einem Arm, der sechs Wochen lang im Gips liegt, verdicken und «verfilzen». Oder dass die Faszien von Rückenschmerzpatienten im unteren Rücken weniger gleitfähig bzw. «verklebter» sind als bei beschwerdefreien Menschen.
In der internationalen Faszienforschung vorne mit dabei ist die Universitätsklinik Ulm. Hier hat ein Forscherteam um den Biologen Robert Schleip entdeckt, dass sich Faszien bei Stress unabhängig von den Muskeln zusammenziehen können. Die Wissenschaftler spannten Faszien in ein eigens entwickeltes Gerät und beträufelten sie mit einer Substanz, die im Körper bei Stress ausgeschüttet wird.
Laut Robert Schleip ist das Zusammenziehen der Faszien mit dem blossen Auge nicht sichtbar, doch es ist messbar. Zum «Eigenleben» der Faszien sagt Schleip: «Verklebte Faszien können Signale an das vegetative Nervensystem senden, die zur Verkrampfung der Muskeln und zum Ausschütten von Entzündungsstoffen führen. Auch können sie das reibungslose Funktionieren von Muskeln und Gelenken beeinträchtigen, indem sie Gewebe einklemmen und die venöse und lymphatische Versorgung behindern.»
Was ist Rheuma? Welche Heilpflanzen helfen bei rheumatischen Erkrankungen und welche Haus- und Hilfsmittel lassen sich zusätzlich verwenden? Antworten geben wir in unserem Newsletter "Aktiv gegen Schmerzen".
Dass Faszien ernstzunehmende Akteure sind, hat sich auch in der Fitnessbranche herumgesprochen. Landauf, landab werden immer mehr «Faszientrainings» angeboten, vor allem in Deutschland, wo die Forschung seit einigen Jahren auf Hochtouren läuft – im Gegensatz zur zurückhaltenderen Schweiz.
«Die Faszien sind dabei, ein medialer Hype zu werden, und jeder will dabei sein», bestätigt Nicolas Unternährer, Physiotherapeut des Schweizer Fussbalmeisters FC Basel. «Wichtig zu wissen ist, dass jedes körperliche Training mehr oder weniger ein Faszientraining darstellt, weil der Körper als Einheit funktioniert. Werden die Muskeln bewegt, bewegen sich die Faszien automatisch mit.» Allerdings sei zu beachten, räumt der 40-Jährige ein, dass es Faszien liebten, in fliessenden Bewegungen gedehnt und gestreckt zu werden. Das halte sie geschmeidig und widerstandsfähig. Sportarten mit dieser Ausrichtung seien deshalb besonders faszienfreundlich, zum Beispiel Tai Chi oder Qi Gong.
Auch für die Basler Fussballer sind starke, elastische Faszien wichtig. Nicht zuletzt, weil geschmeidige Faszien das Verletzungsrisiko reduzieren. Aus diesem Grund absolvieren die Profis ergänzend zum normalen Training mehrmals wöchentlich faszienstärkende Übungen. Konkret: Sie üben sich im dynamischen Dehnen und in elastisch-federnden Bewegungen wie Hüpfen oder Wippen.
Zusätzlich lässt Nicolas Unternährer die Fussballer mit sogenannten Faszienrollen arbeiten (aus Schaumstoff, erhältlich in Sportgeschäften). Sein Fazit: «Faszienrollen sind sehr effizient. Sie können Verklebungen und Verspannungen tatsächlich lösen.» Die Wirkung sei so gut, dass viele Leistungssportler am liebsten täglich mit den Rollen trainieren möchten. «Wir müssen sie richtiggehend bremsen, damit ihre Faszien nicht zu weich werden, denn für Fussballer ist eine fasziale Grundspannung wichtig.»
Nicht-Profisportlern rät Nicolas Unternährer, mehrmals wöchentlich fünf bis zehn Minuten mit einer Faszienrolle mittlerer Härte zu trainieren. Das könne am Anfang etwas weh tun, doch die Schmerzen liessen rasch nach, wenn sich die Verspannungen und Verklebungen der Faszien lösten, unterstreicht der Physiotherapeut.
Parallel zum Faszientraining bieten immer mehr Masseure spezielle «Faszienmassagen» an. Unternährer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Faszien bei einer Muskelmassage automatisch mitmassiert würden. Im Grunde sei jede herkömmliche Sportmassage und jede Bindegewebsmassage auch eine Faszienmassage.
Fragt sich also, warum die Spitzensportler bei Klaus Eder für eine «Faszienmassage» anstehen? Nicolas Unternährer hat eine Erklärung dafür: «Was Klaus Eder praktiziert, ist keine x-beliebige Massage. Da geht es um eine gezielte Faszienbehandlung beziehungsweise um eine Faszientherapie.»
Tatsächlich hat Klaus Eder die Grundlagen seiner Massage-Kunst bei Ida Rolf erlernt. Die Amerikanerin gehört zusammen mit Andrew Taylor Still zu den herausragenden Wegbereitern der Faszienbehandlungen. Rolf entwickelte die Rolfing-Therapie, Taylor Still die Osteopathie. Beide Methoden erkannten und nutzten von Anfang an die Bedeutung des muskulären Bindegewebes, also der Faszien.
Seit einigen Jahren fasst in Deutschland eine weitere Methode Fuss, die eine gezielte Behandlung der Faszien ermöglicht: Das Faszien-Distortions-Modell, kurz: FDM.
Der Osteopath und Faszienspezialist Thorsten Fischer, der am Ausbildungszentrum «Rehastudy» in Bad Zurzach unterrichtet, sieht die Vorteile der FDM-Therapie darin, dass sich die Methode an den «subjektiven Empfindungen und Beschwerden» des Patienten orientiere. Der Patient werde aktiv in die Behandlung integriert.
Dazu gehört auch, dass der FDM-Therapeut mit dem Patienten unterschiedliche Bewegungsabläufe durchspielt, um Erkenntnisse über die vorliegenden «Fasziendistorsionen» zu gewinnen; das heisst: über die Art der Schmerzen, über Schwäche, Bewegungseinschränkung, Instabilität und variable Symptome wie zum Beispiel Ameisenlaufen, Kribbeln, Schwellungsgefühl usw. Erst dann werden die gestörten Faszien mit gezielten Handgriffen korrigiert.
Ob Rolfing, Osteopathie, FDM oder Biokinematik: Die nächsten Jahre dürften weitere Erkenntnisse bringen, warum Faszien so gut auf manuelle Therapien ansprechen. An der Universitätsklinik Ulm wird bereits mit Hilfe der Ultraschall-Elastiographie untersucht, was bei Rolfing-Behandlungen in der grossen Rückenfaszie geschieht.
Für den Laien gut zu wissen ist, dass «grundlose» chronische Rückenschmerzen kein unabänderliches Schicksal sein müssen und dass man selbst einiges tun kann, um die Faszien stark und geschmeidig zu erhalten.
Eine Übersichtsarbeit von Medizinern der Universität Oxford analysierte, wie Haltungsfehler zu unspezifischen, also keiner Erkrankung zuordenbaren Rückenschmerzen beitragen. Dabei zeigte sich, dass die sogenannte anteriore Beckenkippung bei Betroffenen mit Schmerzen im unteren Rücken signifikant erhöht war, verglichen mit gesunden Kontrollpersonen. Die anteriore Beckenkippung zeigt sich anhand eines nach vorn geneigten Beckens und eines zu weit nach hinten geschobenen Gesässes, so dass die Person in ein Hohlkreuz fällt. Eine solche Hüftstellung bewirkt zudem eine permanente Dehnung der Oberschenkelrückseiten, wodurch diese sich irgendwann fest und verspannt anfühlen. Betroffene von unspezifischen Rückenschmerzen können mithilfe einer Röntgenaufnahme ihr Becken analysieren lassen. Allerdings besteht generell auch eine sehr grosse individuelle Variabilität der Beckenkippung, unabhängig von vorhandenen Beschwerden.