Man denkt an dunkelgrüne Blätter, fast so gross wie Kinderregenschirme, an säuerliches Kompott und Gelierhilfe für die Erdbeerkonfitüre. Man bereitet ihn zu wie Obst, und doch gehört er botanisch zum Gemüse. Unser Speise-Rhabarber aus der artenreichen Familie der Knöterichgewächse ist ein Nachfahre jenes wilden Arznei-Rhabarbers aus China, dessen Wurzeln seit jeher in der Heilkunde verwendet wurden.
Die wildwachsende Rhabarberstaude kam im 16.Jahrhundert aus Asien über Russland nach Europa, wobei es sich meist um die Sorte handelt, deren Wurzeln medizinisch verwendet wurden. Nachdem der Genuss von Rhabarberblättern einige Opfer gefordert hatte, entdeckte man erst im 18. Jahrhundert die Stiele des aus verschieden Sorten gezüchteten Gemüserhabarbers als Nahrungsmittel.
Die Engländer, die heute noch führend im Anbau von Rhabarber sind, gehörten zu den ersten Liebhabern der säuerlichen Stengel und waren auch erfolgreich in der Züchtung. Um 1850 finden sich in britischen Kochbüchern schon Rezepte für Kuchen, Puddings, Konfitüren und sogar Wein. Bald darauf entdeckten auch die Holländer und die deutschsprachigen Länder das eigenartige Gewächs. In der romanischen Küche spielte Rhabarber eher eine Aussenseiterrolle.
Autorin: Ingrid Zehnder-Rawer, 05.98
Die Botaniker rechnen den mehrjährigen Rhabarber seiner Staudenform wegen zum Gemüse. Die Staude kann 20 bis 30 Jahre alt und an die zwei Meter hoch werden. Die Stengel entspringen einem unterirdisch stark verdickten Wurzelstock. Am Stielende befinden sich grosse, gelappte und gewellte Blätter.
Der markante Blütenstand bildet von Mai bis Juni mächtige Blütenrispen, die bald nach ihrem Erscheinen an der Basis abgeschnitten werden sollten, damit die Kraft den Blattstängeln zugute kommt. Die Samen werden sowieso meist nicht gebraucht, da die Vermehrung viel besser durch Wurzelteilung älterer Pflanzen geschieht.
Der Zuchtrhabarber wird heute in drei Hauptsorten eingeteilt:
Vom Speiserhabarber verwendet man nur die Stengel, niemals die Blätter oder Wurzeln. Die kantigen Rhabarberstiele sollten möglichst frisch und knackig sein. Muss man grössere Mengen Rhabarber aus dem eigenen Garten verarbeiten, sollte man die Stiele möglichst jung abschneiden. In ein feuchtes Tuch eingeschlagen, halten sie sich einige Tage im Kühlschrank. Man kann den rohen, in Stücke geschnittenen Rhabarber aber auch gut einfrieren.
Die erfrischende durstlöschende, verdauungsanregende und antibakterielle Wirkung der Stengel beruht auf einem hohen Gehalt an Apfel- und Zitronensäure. Nicht umsonst gehört der Rhabarber zur gleichen Pflanzenfamilie wie Sauerampfer und Sauerklee.
Von den übrigen Inhaltstoffen sind noch Wasser (94.5%), reichlich Vitamin C, Fruchtzucker, Gerbstoffe und Pektine zu erwähnen, wobei letztere dazu beitragen, dass schlecht gelierende Früchte, wie beispielsweise Erdbeeren, bei der Konfitüren-Herstellung dicker einkochen. Wegen seiner blutreinigenden, darmregulierenden Wirkung und seiner Kalorienarmut (13 kcal/100 g) wird Rhabarber oft bei Frühjahrskuren und zur Entschlackung empfohlen. Alfred Vogel bezeichnete den Rhabarber als gute Heilnahrung für Leber und Galle.
Immer wieder taucht die Frage auf, ob Rhabarber überhaupt empfehlenswert sei und ob man Kindern das Obst /Gemüse lieber nicht geben sollte. Denn neben allem anderen enthält Rhabarber auch Oxalsäure, die im allgemeinen in grösseren Mengen als unerwünschter Inhaltsstoff und Kalziumräuber gilt. Oxalsäure bindet Kalzium, das dann für den Organismus nicht mehr verfügbar ist.
Hohe Mengen Oxalsäure können bei Menschen, die zu Harnsteinbildung neigen, als abgelagertes Kalziumoxalat die Nierenkanälchen verstopfen. Als oxalsäurereich gelten Gemüse die mehr als 100 mg pro 1 g enthalten, wie zum Beispiel Petersilie, Mangold, Randen, Spinat und Sauerampfer. 100 g roher Rhabarber enthalten durchschnittlich 460 mg Oxalsäure (Randen 180 mg, Spinat 440mg, Mangold 650 mg).
Manche glauben, dass der grüne und sehr saure Rhabarber mehr Oxalsäure enthält als die anderen Sorten, was aber nicht zutrifft.
Der Oxalsäuregehalt von Rhabarber lässt sich durch folgende Massnahmen in Grenzen halten:
Die kalkzehrende Wirkung der Oxalsäure kann dadurch gemildert werden, dass man zusätzlich kalziumreiche Nahrungsmittel isst. Nicht von ungefähr passen Griessbrei, Milchreis, Schlagrahm, Joghurt, Müesliflocken, Vanillecreme, Erdbeeren und getrocknete Feigen besonders gut zu Rhabarber.
Kleinkinder (mit ihrem erhöhten Kalziumbedarf) und Menschen mit Rheuma, Gicht, Arthritis, Blasenentzündungen oder Nierenproblemen (Nierenstein) sollten eher auf Rhabarber verzichten. Grössere Kinder und Erwachsene dürfen ihn unbesorgt geniessen, solange er nicht täglich auf der Speisekarte steht. Bei stillenden Müttern gehen Bestandteile des Rhabarbers in die Milch über und wirken beim Säugling leicht abführend.
Zu beachten ist, dass Rhabarber nicht in Aluminiumtöpfen gedünstet oder Alufolie eingeschlagen werden sollte, weil sonst gesundheitsschädliche Verbindungen zwischen dem Metall und den Rhabarbersäuren entstehen können. Bevorzugen Sie zum Kochen und Aufbewahren (feuerfeste) Glas- und Porzellangeschirre oder säurebeständige Kunststoffe.
Der asiatische Medizinal-Rhabarber (Rheum palmatum und Rheum officinale), der vorwiegend in Nordwestchina und im Osten Tibets zu Hause ist, aber heute auch in Österreich und Süddeutschland angebaut wird, liefert die bittere Rhabarber (oder Barbara-)Wurzel, die seit Jahrtausenden ein bewährtes Heilmittel ist.
Sie wirkt appetitanregend und wird je nach Dosierung bei Verstopfung oder Durchfall eingesetzt. Die getrockneten Wurzelstücke werden als Körnen oder Pulver in Drogerien oder Apotheken verkauft.
In kleineren Mengen (0.05 bis 0.5 g) wirkt die Rhabarberwurzel wegen der vorherrschenden Gerbsäure leicht stopfend und bei gastritischen Beschwerden entzündungshemmend. In grösserer Dosierung (1 bis 3 g) stellt sie ein mildes, gut wirkendes Abführmittel dar, das im Gegensatz zu Aloe, Sennesblättern und Faulbaumrinde keine Schleimhautentzündungen hervorruft und daher bei Kindern und älteren Menschen gut zu gebrauchen ist. Erschrecken Sie nicht: bei Einnahme von Rhabarberwurzel (Rhei radix, oft fälschlicherweise als Rhei rhizoma bezeichnet) färbt sich der Urin gelbrot.
Die Körner und das Pulver eignen sich auch zur Teezubereitung. Bei Verstopfung nimmt man 3 bis 5 g auf 1dl/100 ml heisses Wasser, bei Durchfall 2g auf einen halben Liter heisses Wasser. In beiden Fällen etwa 15 Minuten ziehen lassen, abseihen, mehrmals täglich einen Schluck trinken.
An Fertigprodukten gibt es neben verschiedenen Kombinationspräparaten auch Rhabarbersirup, Rhabarbertinktur mit Wasser und Zimtwasser (Tinctura Rhei aquosa) oder mit Xereswein (Tinctura Rhei vionosa), die alle mild abführend wirken.
In der Homöopathie wird Rheum palmatum häufig bei Kindern mit sauer riechendem Durchfall, Koliken und bei Schmerzen während des Zahnens eingesetzt.
Rhabarberkompott und -kuchen sind köstlich. Doch der recht hohe Gehalt an Oxalsäure in den Blättern und den rohen rötlich-grünen Stangen könnte rein theoretisch zu Vergiftungen führen. In der Praxis ist eine andere Funktion der Fruchtsäure wichtiger: Sie bindet Kalzium. Das kann dazu führen, dass sich Kristalle aus körpereigenem Kalzium und Oxalsäure bilden und sich als Nieren- oder Harnsteine ablagern. Zudem greift die Säure den Zahnschmelz an.
Vermindern lässt sich die Oxalsäure durch das Ernten junger roter Stangen, durch Schälen und Garen. Beim Blanchieren oder Erhitzen geht ein guter Teil der Oxalsäure ins Wasser über, das man wegschüttet. Ein weiterer Trick, die gesundheitsschädliche Wirkung der Oxalsäure zu entschärfen, ist, Rhabarber zusammen mit Milch, Sahne, Joghurt, Milchpudding oder Vanillesosse zu essen. Dadurch bindet die Säure das Kalzium aus den Milchprodukten und nicht das im Körper.