Unter der Kneipp-Lehre (Kneipp-Therapie) versteht man ein ganzheitliches naturkundliches Gesundheitskonzept, das die fünf Säulen («Elemente») Wasser, Bewegung, Ernährung, Heilpflanzen und Lebensordnung umfasst.
Text: Andrea Pauli
Fotos: Kur- und Tourismusbetrieb Bad Wörishofen
In Zeiten wie diesen, in denen ein starkes Immunsystem mehr denn je gefragt ist, kann eine Rückbesinnung auf die Gesundheitslehre von Sebastian Kneipp nicht schaden. Denn: Der Mann hatte Recht! Nicht allein mit seiner «Wasserkur», sondern vielmehr mit seinem umfassenden Gesundheitskonzept (das Naturheilkundepionier Alfred Vogel in ähnlicher Weise propagierte). Das bestätigen nicht nur Erfahrungswerte von begeisterten und langjährigen Mitgliedern der Kneipp-Vereine, sondern zunehmend auch die Wissenschaft. Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe von Studien zu den Effekten von Kneipp-Elementen auf bestimmte Beschwerden. Tenor: positiv!
Viele mag es beim blossen Gedanken an bibberkaltes Wasser schütteln, gerade am frühen Morgen. Vielleicht hilft es, sich klar zu machen, was in unserem Körper dabei passiert. Ein Kaltwasserreiz führt zu einer Gefässengstellung. Kleinste Nervenpunkte nehmen den Reiz auf, leiten ihn zum Zentralnervensystem und von da zum vegetativen Nervensystem weiter. Dieses wiederum regelt den Kreislauf, den Blutdruck, das Herz, den Wärmehaushalt, Stoffwechsel und Hormonhaushalt. Unser Organismus erhält also einen wichtigen Impuls zum Ausführen bzw. Ankurbeln der Vitalfunktionen. Aber aufgepasst: Wer eine Vorerkrankung hat, sollte sich mit seinem Arzt besprechen. So müssen z.B. Menschen mit Bluthochdruck oder Durchblutungsstörungen genaue Temperaturanweisungen beachten. Gesunde Personen können Kneippanwendungen jedoch bedenkenlos ausführen.
Tautreten und Barfussgehen: mit nackten Füssen durchs Gras bzw. über speziell angelegte Pfade
Effekt: stärkt das Immunsystem, bewirkt eine reflektorische Stärkung der Unterleibsorgane, kräftigt die Fussmuskulatur, dient als Venenpumpe, hilft gegen Fussschweiss
Kalter Oberguss: geht prima z.B. mit einem Gartenschlauch
Effekt: kreislaufanregend, kräftigend, abhärtend, herzberuhigend, schweissreduzierend
Kalter Knieguss:
Effekt: stärkt Abwehrkräfte und Beckenorgane, Gefässtraining für die Vene, blutdrucksenkend, hilft gegen Kopfschmerzen
Kalter Gesichtsguss: von der rechten Schläfe über die Stirn zur linken und zurück, danach Gesicht dreimal mit dem Strahl umkreisen
Effekt: Hautstraffung, regt das Immunsystem an, lindert Kopfschmerz
Kalter Wadenwickel: reicht von den Fussknöcheln bis zur Kniekehle
Effekt: gut bei allen Überhitzungszuständen, bei Entzündungen, Neigung zu Bluthochdruck und gegen Einschlafstörungen
Mediziner und Wissenschaftler befassen sich erfreulicherweise zunehmend mit der Erforschung der traditionellen Kneipp-Anwendungen.
Die Kneippschen Güsse
Wissenschaftler aus München konnten im Journal «Complementary Medicine Research» die Wirksamkeit bei Erkrankungen wie Venenleiden, Bluthochdruck, Wechseljahrbeschwerden und Schlafstörungen belegen. Auch bei gesunden Probanden konnten verbesserte Immunparameter festgestellt werden. Das bestätigt auch ein Mini-Experiment von Essener Mediziner: Bei Probanden waren nach einer Woche mit Kneippschen Güssen die Abwehrkörper (Immunglobulin vom Typ A) um 25 Prozent höher. Diese Stoffe kommen im Speichel sowie in der Mund-, Nasen- und Rachenschleimhaut vor und heften sich an die Viren und verhindern das Andocken an die Schleimhaut. Ausserdem locken sie körpereigene Fresszellen an, die die Viren vernichten.
Ein systematischer Review, veröffentlicht im Oktober 2020, hat Wirksamkeitsnachweise der Kneipp-Therapie im Spiegel aktueller Erkenntnisse von 2000 bis 2019 beleuchtet. Die Schlussfolgerung daraus: «Die Kneipp-Therapie scheint bei zahlreichen Beschwerdebildern in verschiedenen Patientengruppen positive Effekte zu bewirken.» Konkret wurde festgestellt:
Sebastian Kneipp. Bereits 1929 wies Alfred Vogel in «Das neue Leben» (Vorläufer der Gesundheits-Nachrichten) auf das Barfusslaufen nach Kneipp hin. (Foto: Kur- und Tourismusbetrieb Bad Wörishofen)
Wie kam Sebastian Kneipp (1821–1897) überhaupt auf seine Lehre zur Stärkung des Immunsystems? Als junger Student erkrankte er 1846 schwer an Lungentuberkulose. In seiner Verzweiflung begann er sich selbst zu kurieren. Schon damals wusste er, dass kalter Wasserreiz im Körper eine starke Reaktion auslöst – in Form von Energie und Wärme. Dieses Wissen machte er sich zunutze, nahm regelmässig kurze Bäder in der eiskalten Donau, die er mit einem kurzen Sprint abschloss. Die Flussbäder ergänzte er um Halbbäder und Güsse und sein Zustand besserte sich stetig. Nach seinem Studienabschluss und der Weihe zum Priester vertiefte Kneipp seine Erkenntnisse und wendete sie erstmals auch bei Patienten an. So macht er sich als «Wasser-doktor» einen Namen. Zwischen 1855 und 1889 entwickelte er in Bad Wörishofen ein ganzheitliches Gesundheitskonzept für Körper und Geist, das auch die Kräuterheilkunde mit einschliesst.
Wer sich partout vor der Wasseranwendung scheut, kann als Alternative das Trockenbürsten wählen. Man verwendet eine nicht zu harte Bürste mit Naturborsten und sollte auch nicht zu fest rubbeln. Eine leichte Rötung ist gleichwohl die erwünschte Reaktion. Die beste Zeit dafür ist am Morgen, gleich nach dem Aufwachen (am Abend kann es zu Einschlafstörungen führen). Man bürstet fünf Minuten lang mit leichtem Druck.
So machen Sie es richtig: Mit dem Bürsten sollte mit kreisenden Bewegungen an einer vom Herzen entfernten Stelle begonnen werden, am besten mit dem rechten Fuss. Bei den Beinen bürstet man erst die Vorderseite, im Anschluss die Rückseite, danach die Innen- und Aussenseite. Anschliessend folgen Hüfte, Po und Arme (vorne, hinten, innen, aussen), zum Schluss der Oberkörper mit Schultern, Brust und Bauch. Diese Reihenfolge ist wichtig für einen gesunden Lymphfluss.
Bei Migräne wurden positive Erfahrungen mit dem Kneippschen Trockenbürsten gemacht. Körperregionen, die schnell auskühlen, wie Hände oder Füsse, werden besser durchblutet.
Weiterer Effekt: Durch das Bürsten werden abgestorbene Hautzellen entfernt, was den Regenerationsprozess anregt. Das tiefer gelegene Bindegewebe wird gestrafft und Cellulite gemindert.