Mittelohrentzündung, Angina, Bronchitis – so manches fünf- oder sechsjährige Kind hat schon etliche Male Antibiotika geschluckt. Aber es geht auch anders: Drei komplementärmedizinisch tätige Ärztinnen und Ärzte wissen, dass man Kinder auch ohne Antibiotika kurieren kann.
Ist das Kind krank, muss nicht zwingend immer ein Arzt konsultiert werden.
Es ist noch nicht lange her, da wurde fast jede Mittelohrentzündung in der Kinderheilpraxis mit einem Breitbandantibiotikum behandelt. Gegen Ende der 1990er Jahre nahm die Entwicklung der Antibiotika-Resistenzen so dramatisch zu, dass diese Standardbehandlung überdacht wurde. Fazit der damals aufgegleisten Studien: Bei routinemässigem, unspezifischem Einsatz schaden Antibiotika mehr als sie nützen.
Doch wann sind Antibiotika überhaupt nötig? «Nur in besonders schwerwiegenden Fällen», weiss die Kinderärztin Dr. med. Michaela Glöckler, Leiterin der medizinischen Sektion am Goetheanum in Dornach. «Die wichtigste Einschätzung, die der Arzt oder die Ärztin in diesem Zusammenhang treffen muss, besteht darin, ob der kindliche Organismus die Auseinandersetzung mit den Viren oder Bakterien aus eigener Kraft schafft oder nicht.»
Damit öffnen sich zwei Therapiewege: Kann das Kind die Krankheit alleine überwinden, sollte der Arzt keine Antibiotika geben, sondern lediglich die Selbstheilungskräfte fördern. Befindet sich ein Kind jedoch in schlechtem Allgemeinzustand, sind Antibiotika angezeigt.
«Am häufigsten sind Antibiotika bei Säuglingen und Kindern unter einem Jahr gerechtfertigt», sagt Michaela Glöckler. «Im ersten Lebensjahr absolviert das menschliche Immunsystem seine Grundreifung. Danach ist es meist in der Lage, Infekte ohne Antibiotika zu überwinden.»
Was nicht heisst, dass ein Kind mit einer Infektionskrankheit ohne ärztliche Betreuung auskommt. Im Gegenteil: «Ärzte und Ärztinnen, die Kinder ohne Antibiotika und fiebersenkende Zäpfchen kurieren wollen, müssen ihre kleinen Patienten besonders intensiv betreuen», findet Michaela Glöckler. Auch die Hilfe der Eltern gewinnt in diesem Heilungsprozess an Bedeutung: Mutter oder Vater sollten vom Arzt gut über ihre Pflegeaufgaben informiert werden und das Kind aufmerksam beobachten, damit sie es beim Auftreten allfälliger Warnzeichen sofort zum Arzt bringen können.
Das ändert jedoch nichts daran, dass das Weglassen von Antibiotika unter Ärzten nach wie vor häufig als Kunstfehler betrachtet wird – beispielsweise bei einer Mittelohrentzündung.
Weshalb? «Ärzte und Ärztinnen, die rein schulmedizinisch arbeiten, haben wenig Therapiemöglichkeiten», erklärt der Kinderarzt Dr. med. Victor von Toenges von der Paracelsus-Klinik in Lustmühle AR. «Hat das Kind eine bakterielle Erkrankung, gibt der Schulmediziner Antibiotika. Leidet das Kind unter einer viralen Infektion, sind seine Möglichkeiten rasch erschöpft.»
Das ist in der komplementärmedizinischen Kinderheilpraxis anders: Sie bietet eine grosse Anzahl von phytotherapeutischen und homöopathischen Arzneimitteln, die die Selbstheilungskräfte wirkungsvoll unterstützen. Sie werden innerlich und äusserlich eingesetzt und bei Bedarf mit physikalischen Anwendungen wie Bädern oder Wickeln kombiniert.
Kommen wir auf das Beispiel der Mittelohrentzündung zurück, einer häufigen Erkrankung im Kindesalter. In die naturheilkundliche Praxis kommen oft Kinder, die schon etliche Male an einer Mittelohrentzündung erkrankt sind und ebenso oft Antibiotika geschluckt haben.
«Die Mütter der Kleinen haben meist keine Ahnung, dass man mit den Antibiotika nur die Bakterien behandelt, nicht das Kind», hat von Toenges beobachtet. «Die Entzündung wird zwar vorübergehend gestoppt, doch der kindliche Organismus kann die Infektion nicht überwinden. Er wird also im Grunde geschwächt. Hinzu kommen die unerwünschten Nebenwirkungen der Antibiotika auf Darm und Immunsystem.»
Fazit: Werden Antibiotika unbedacht oder zu häufig eingesetzt, verschlechtern sie die Gesundheit des Kindes; gleichzeitig bleibt die Neigung zur Mittelohrentzündung oder anderen Infektionskrankheiten bestehen.
Dabei geht es auch anders: Gerade Mittelohrentzündungen lassen sich mit Hilfe homöopathischer Arzneien rasch zum Abklingen bringen. Victor von Toenges und Michaela Glöckler erzielen gute Therapieerfolge mit einer Arznei auf der Basis von Levisticum officinale (Liebstöckel).
«Der Liebstöckel hat einen Bezug zum Mittelohr», erklärt Dr. von Toenges. «In therapeutischer Anwendung regt er die Belüftung des Mittelohrs an und lindert Entzündungen.»
Derweil arbeitet der Kirchberger Naturarzt Fredi Käser besonders gerne mit dem homöopathischen Einzelmittel Oscillococcinum (Entenleberextrakt): «Wird dieses Homöopathikum bei den ersten Anzeichen von Ohrenweh gegeben, kann es die Entzündung in der Regel stoppen. Als Hochpotenz stärkt es ausserdem die Abwehrkraft gegenüber Erkältungskrankheiten und Grippe.»
Die Komplementärmedizin-Profis kennen etliche weitere Naturheilmittel, die eine Mittelohrentzündung kurieren helfen, zum Beispiel homöopathische Globuli mit Apis mellifica (Honigbiene) und Levisticum sowie homöopathische Komplexmittel mit Silicea, Argentum nitricum und Atropa Belladonna (Tollkirsche). «Auch die Schmerzen einer Mittelohrentzündung lassen sich mit homöopathischen Arzneimitteln zuverlässig eindämmen», berichtet Michaela Glöckler.
Immer wieder erinnern die drei Therapeuten zudem an bewährte Hausmittel. «Zwiebelwickel helfen bei Ohrenweh sehr gut», sagt Victor von Toenges. «Sie wirken rasch schmerzstillend und aktivieren die lokale Abwehr. Die gehackten Zwiebeln am besten in einem Mullsäckchen hinter und vor der Ohrmuschel befestigen.»
Michaela Glöckler achtet streng auf eine freie Nasenatmung, um die Abheilung der Mittelohrentzündung zu unterstützen: «Die Nase kann bei Bedarf mit Kinder-Nasenbalsam, Schnupfencreme, Nasenöl oder Nasenspray befreit werden.» Fredi Käser setzt zu diesem Zweck häufig Nasenspülungen mit isotonischer Kochsalzlösung ein, die gleichzeitig die Abwehrkraft gegen Schnupfen und Erkältungen fördern.
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Zu den unangenehmsten bakteriellen Erkrankungen im Kindesalter zählen Mandelentzündungen bzw. Angina tonsillaris. Die Diagnose wird meist durch einen Rachenabstrich bestätigt: Fördert der Abstrich Bakterien zu Tage, meist Streptokokken, kommen Antibiotika zum Einsatz.
Der Haken dabei: Streptokokken tummeln sich auch auf der Mundschleimhaut von gesunden Kindern und Erwachsenen. Mit anderen Worten: Nicht die Bakterien entscheiden darüber, ob das Kind erkrankt, sondern dessen Abwehrkraft. Zum Glück lassen sich die Selbstheilungskräfte naturheilkundlich so wirkungsvoll unterstützen, dass der kindliche Organismus mit einer Mandelentzündung in aller Regel selbstständig zu Rande kommt. Bewährte Helfer sind zum Beispiel homöopathische Tabletten mit Pyrit-Zinnober oder Anis-Pyrit (beides von Weleda) sowie anti-entzündlich wirkende homöopathische Globuli mit Atropa Belladonna, Apis mellifica und Mercurius solubilis (lösliches Quecksilber).
«Sehr hilfreich ist auch ein Pulver namens Bolus Eucalypti comp. Es ist in Drogerien und Apotheken rezeptfrei erhältlich», sagt Dr. Glöckler. «Seine Bestandteile Eukalyptusöl, Apis mellifica, Atropa Belladonna und Bolus alba (weisse Tonerde) – wirken entzündungshemmend und binden die Bakterien mitsamt ihren Toxinen.»
Sie empfiehlt folgendes Vorgehen: Dreibis fünfmal täglich einen Teelöffel Pulver in ein halbes Glas Wasser einrühren und damit gurgeln. Man kann auch drei- bis fünfmal täglich eine Messerspitze Pulver im Mund zergehen lassen.
Und wiederum sind es einfache Hausmittel, welche die Ausheilung unterstützen, beispielsweise das Anlegen von Halswickeln mit Quark oder Zitronensaft, das reichliche Trinken von Salbeitee, der mit etwas Zitronensaft versetzt wird, und das desinfizierende Gurgeln mit einer starken Salbei-Abkochung.
Lavendel: ein Duft, den auch Kinder lieben!
Wenn sich im Alter von 6 oder 7 Jahren die kindlichen Stirn- und Nasenhöhlen ausgebildet haben, kann es zu Entzündungen dieser luftgefüllten Hohlräume kommen. Das ist jedoch ebenfalls kein Grund, gleich Antibiotika einzusetzen. Zumal es eine alte Heilpflanze gibt, die Entzündungen in Stirn- und Nasennebenhöhlen wirkungsvoll lindert: Pelargonium sidoides, die Pelargonienwurzel. Fredi Käser verwendet die südafrikanische Heilpflanze seit vielen Jahren. «Phytotherapeutische und spagyrische Arzneien mit Pelargonienwurzel wirken stark schleimlösend und antibakterizid, besonders auf die Luft- und Atemwege», berichtet der 65-jährige Naturarzt. «Deshalb kann man mit Pelargonium auch eine beginnende Bronchitis stoppen.»
Mitunter empfehlen sich weitere Massnahmen: Michaela Glöckler und Victor von Toenges setzen auf wärmende Fussbäder und durchwärmende Salben, zum Beispiel mit Rosmarin und Kupfer (von Weleda/Wala). Die Salben sind über der erkrankten Stelle und/oder auf den Fusssohlen einzureiben, wo sie reflektorisch die Durchblutung und Abheilung der Nebenhöhlen anregen.
Von der Kinderärztin Glöckler stammt der folgende Rat: «Kinder mit einer Stirn- oder Nasenhöhlenentzündung sollten möglichst häufig Melodien summen! Das damit verbundene Durchvibrieren des Kopfes unterstützt den Heilungsprozess.»
Kinder über fünf Jahren profitieren zudem vom Inhalieren heisser Wasserdämpfe. Dem Wasser sollten ein Tropfen schleimlösendes ätherisches Öl (z.B. Thymian) oder Heilkräuter wie z.B. Kamillenblüten beigegeben werden. Auch Nasenspülungen mit isotonischer Kochsalzlösung haben sich laut Fredi Käser gut bewährt: «Die Spülungen wirken reinigend, befeuchtend und regenerierend. Und sie befördern mit dem Schleim auch Krankheitserreger aus der Nase.»
Das Vorgehen: Ein Plastikkännchen (z.B. von Emser, aus der Drogerie) mit warmem Wasser und einem gestrichenen Teelöffel Emser Salz füllen. Den Kopf schräg halten und die Flüssigkeit in ein Nasenloch hineinlaufen lassen. Ist die Nase nicht vollständig verschlossen, läuft die Flüssigkeit aus dem anderen Nasenloch heraus. Mehrmals wiederholen. Bei Säuglingen wird lediglich ein Tropfen isotonische Kochsalzlösung ins Nasenlöchlein gestrichen.
«Auf Dauer verbessert diese einfache Massnahme nachweislich die Abwehrkraft der Nasenschleimhaut gegen Viren und Bakterien», kommentiert Käser. Das ist beachtenswert, wenn man bedenkt, dass die meisten Erkältungskrankheiten mit einem Schnupfen beginnen.
Doch was kann man tun, wenn der Infekt «eine Etage tiefer» rutscht und in Form einer Bronchitis zuschlägt? Auch in diesem Fall besteht kein Grund zur Panik. Komplementärmediziner wie Michaela Glöckler, Victor von Toenges und Fredi Käser wissen, wie man selbst ausgewachsene Bronchitiden alleine mit Naturheilmitteln kuriert.
Wichtig: Bei Kindern ohne Fieber werden Brust und Rücken eingerieben, bei Fieber dagegen nur Brust oder Rücken, um einen Wärmestau zu verhindern. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass Bronchialbalsame mit ätherischen Ölen nicht bei Säuglingen und Kleinkindern angewendet werden dürfen, weil sie die Bronchien verkrampfen können. Die Kleinsten erhalten ersatzweise einen Brustwickel mit warmem Lavendelöl oder kühlem Quark, der schleimlösend, entkrampfend und entgiftend wirkt. Daneben haben Michaela Glöckler, Victor von Toenges und Fredi Käser eine Fülle weiterer Tipps auf Lager, beispielsweise den Rat, die Füsse des Kindes gründlich zu durchwärmen. Wobei auch hier die naturheilkundliche «Qual» der Wahl besteht: etwa zwischen Rosmarin- und Fichtennadelbad, Fussbädern mit Ingwerpulver oder Senfmehl sowie Salben mit Rosmarin und Kupfer.
Autorin: Petra Gutmann