Jedes achte Kind leidet unter Asthma – ein Drittel mehr als noch vor zehn Jahren. Zum Glück haben sich auch die Therapiemöglichkeiten von Asthma erweitert. Sie ermöglichen Beschwerdefreiheit oder dauerhafte Heilung.
Autorin: Petra Horat Gutmann
Die Luft bleibt weg, das Atmen fällt schwer: Asthma ist bei Kindern die häufigste chronische Erkrankung. Die Ursachenforschung läuft auf Hochtouren: Kinder in umweltverschmutzten Regionen sind besonders häufig betroffen, so das Resultat mehrerer Studien. Die Pollen von Gräsern und Blütenpflanzen spielen bei rund 40 Prozent der Betroffenen eine mit auslösende Rolle, so andere Untersuchungen. Kinder, die in ländlicher Umgebung aufwachsen, etwa auf einem Bauernhof, sind weniger anfällig für Allergien und Asthma, so weitere Erkenntnisse der letzten Jahre.
Gleich ob Pollen, Schimmelpilze, Hausstaubmilben, Zigarettenrauch, Kältereiz, Küchendampf oder Umweltschadstoffe: Gemeinsam ist den unterschiedlichen Auslösern, dass die Bronchien der Betroffenen übermässig auf die verschiedenen Reize reagieren. Genauer gesagt: Die Bronchialmuskulatur verkrampft sich, die Bronchialröhrchen stellen sich eng, und die Schleimhaut produziert einen zähen Schleim, der das Ausatmen von Luft aus der Lunge erschwert. Bleibt das Asthma unbehandelt, nehmen Entzündung und Schwellung der Atemwege weiter zu. Schlimmstenfalls verwandeln sich die zarten, elastischen Bronchien mit der Zeit in dauerhaft versteifte Röhrchen. Das Resultat ist chronische Atemnot.
Dagegen muss man etwas tun. Aber was? «Als erstes sollen die Eltern ihre Kinder gut beobachten», rät Dr. med. Roger Lauener, Chefarzt des Allergieklinik-Zentrums für Kinder und Jugendliche an der Hochgebirgsklinik Davos. Denn nicht jedes pfeifende Atemgeräusch und nicht jeder Husten ist ein Zeichen für Asthma. Auch ein banaler Virusinfekt kann asthmaähnliche Symptome hervorrufen, vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern, deren Atemwege noch sehr eng sind.
Eltern sollten die folgenden Asthma-Symptome kennen:
Liegt bereits eine allergische Erkrankung vor, z.B. Heuschnupfen oder Neurodermitis, müssen die Eltern besonders sorgfältig auf Asthmasymptome achten.
Wird Asthma diagnostiziert, suchen die meisten Eltern Hilfe bei der Schulmedizin. Diese kann die bedrohlichen Anfälle rasch stoppen. Zu den häufigsten Asthma-Medikamenten zählen Beta-Mimetika. Bei mittelschwerem oder schwerem Asthma kommen Kortisonpräparate zum Einsatz – zum Leidwesen vieler Eltern, die von den bedrohlichen Nebenwirkungen kortisonhaltiger Medikamente gehört oder gelesen haben. «Diese Furcht ist in aller Regel unbegründet», sagt Roger Lauener. «Zum Problem werden Kortikoide erst, wenn sie geschluckt oder gespritzt werden, und zwar bei hoher Dosierung und bei langfristiger Einnahme.»
Die meisten Kinder in der Schweiz leiden jedoch unter leichtem oder mittelschwerem Asthma. Sie benötigen nur wenig Kortison. Ausserdem, so Roger Lauener, werde das Kortison inhaliert, wodurch sich die Menge auf einen Tausendstel Bruchteil der Dosis von Tabletten und Spritzen reduziere.
Verändert hat sich in den letzten Jahren auch die Häufigkeit der Medikamenteneinnahme. «Wir empfehlen nicht mehr in allen Fällen, Asthma-Medikamente in der immer gleichen Dosierung über lange Zeit einzunehmen», sagt Dr. Lauener. «Heute wird die Gabe der Medikamente der Befindlichkeit des Kindes und dem Krankheitsverlauf angepasst, oft sogar von Monat zu Monat.»
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Die schulmedizinische Asthmabehandlung will den kleinen Patienten ermöglichen, trotz ihrer Erkrankung beschwerdefrei und uneingeschränkt zu leben. «Dieses Ziel wird in der grossen Mehrheit der Fälle erreicht», freut sich Roger Lauener. «Liegt dem Asthma eine Allergie zugrunde, ist zudem eine ursächliche Behandlung, also eine Desensibilisierung, erfolgversprechend.»
Sinnigerweise setzt die Schulmedizin auf zusätzliche Massnahmen, insbesondere Atemübungen und Physiotherapie. Noch einen Schritt weiter geht die Hochgebirgsklinik in Davos, die jedes Jahr Hunderte von Asthma-Patienten im Kindesalter betreut. «Wir wollen den Kindern ermöglichen, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen», sagt Christian Caflisch, leitender Sozialpädagoge der Klinik. Hinter dieser schlichten Feststellung verbirgt sich ein ausgeklügeltes Sport- und Freizeitprogramm, das die körperliche und psychische Selbstständigkeit der Kinder fördert: Die Nachmittage verbringen die Kinder jahrein, jahraus draussen in der freien Natur, wandernd oder auf Velo, Schlittschuhen und Skiern.
Dabei spielen sie unter anderem «Lungendetektiv», das heisst: Sie lernen, ihren Körper und ihr Befinden genau zu beobachten und richtig einzuschätzen. Zudem erlernen die kleinen Patienten Entspannungstechniken – eine wichtige Massnahme, da «bei Asthma oft psychische Ursachen mitspielen, vor allem Stress», wie Dr. Lauener erklärt. Für Christian Caflisch steht im Vordergrund, dass sich die Kinder mehr zutrauen und dass sie einen Mittelweg finden zwischen «Wehleidigsein und Nicht-wahr-haben-wollen ihrer Krankheit.»
Brustwickel, Salben, Kräuterdämpfe, Tabletten und Tinkturen: Die Naturheilkunde kennt zahlreiche Pflanzen, die heilend auf die Atemwege einwirken. Denken wir nur an die Kraft von Königskerze und Isländisch Moos bei Reizhusten oder an die Pelargonienwurzel bei Infektionen der oberen und unteren Atemwege. Doch welche Therapieerfolge sind bei Asthma möglich?
«Ein Versuch mit Phytotherapie lohnt sich», sagt Stefan Fehr, Heilpflanzenspezialist und Drogist in St. Gallen. «Voraussetzung dafür ist die Zusammenarbeit mit einem erfahrenen Phytotherapeuten. Dieser ist in der Lage, die asthmatischen Beschwerden richtig einzuschätzen und die Symptome mit Hilfe geeigneter Naturarzneien zu lindern.» Stefan Fehr selbst arbeitet bei asthmatischen Kindern und Säuglingen fast ausschliesslich mit spagyrischen Essenzen, zum Beispiel mit Bischofskraut, Meerträubchen, Pestwurz, Sonnentau und Weihrauch.
Auch die Bieler Phyto-Spezialistin und Naturärztin NVS Madelaine Balmer vertraut bei Asthma auf die unterstützende Kraft von Naturarzneien: «Zu den wirkungsvollsten Heilpflanzen zählt der Thymian, der schleimlösend wirkt und die Bronchialmuskulatur entspannt. Er kann unter anderem zur Inhalation verwendet werden. Für kleine Kinder eignet sich eher ein Tee mit Quendel, der milder ist als Thymian. Der Spitzwegerich ist ebenfalls eine wichtige Heilpflanze bei asthmatischen Symptomen, da er schleimlösend, entzündungshemmend und reizmildernd wirkt.» Erhältlich sind diese und weitere Heilpflanzen in unterschiedlichen Zubereitungen, zum Beispiel als Hustensirup, Frischpflanzensaft, Tee oder Fertigarzneimittel.
Handfeste Erfolge bei Asthma – die kann auch die Traditionelle Chinesische Medizin vorweisen, wie das Beispiel der Zürcher TCM-Spezialistin Nina Zhao-Seiler zeigt. «Die TCM geht davon aus, dass bei allen Erkrankungen, also auch beim Asthma, ein Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen Funktionen des Organismus vorliegt», erklärt sie. «Diese müssen wieder in ihr natürliches Gleichgewicht gebracht werden.»
Nina Zhao-Seiler pflegt ihre kleinen Asthma-Patienten genau zu beobachten: «Worunter leidet das Kind am meisten? Ist es die Atemnot? Der Husten? Der Schleim oder die Erschöpfung? Diese und viele weitere Fragen und Symptome müssen in die Diagnose einfliessen.»
Es folgt eine einmonatige Basistherapie, die die Beschwerden in der Regel bereits bessere, sagt Frau Zhao-Seiler. Das wichtigste Hilfsmittel sind Kräuterpräparate, verordnet nach klassischen chinesischen Rezepturen. Sie enthalten unter anderem wärmende Heilpflanzen wie Ingwer und Süssholz sowie die Samen von bestimmten Wegerich-, Rettich- und Kressearten.
Bei Kleinkindern unter drei Jahren setzt die Naturärztin zusätzlich auf Akupressur. Die Eltern lernen die Griffe in der Praxis und machen sie zu Hause nach. Bei Kindern über drei Jahren wendet Zhao-Seiler eine sanfte Form der Akupunktur an. Ihre Bilanz: «Kommt eine Ernährungsumstellung hinzu, wird Asthma in der Regel stark gelindert oder sogar kuriert.»
Mit der Forderung nach einer Ernährungsumstellung nimmt die TCM eine Gegenposition zur Schulmedizin ein. Letztere geht davon aus, dass die Ernährung keinen Einfluss auf die Entstehung und den Verlauf von Asthma hat.
TCM-TherapeutInnen sehen das anders: «Für den Behandlungserfolg ist es wichtig, dass Asthma-Patienten bestimmte Nahrungs- und Genussmittel meiden», unterstreicht Nina Zhao-Seiler. «Dazu gehören vor allem Zucker-Eiweiss-Verbindungen wie sie in zahlreichen Fertigprodukten vorkommen, zum Beispiel in Schokolade, Riegeln, zuckerhaltigen Jogurts und Milchdrinks.»
Ähnlich klingt es aus dem Lager der ayurvedischen Medizin (Ayurveda). So hält der angesehene Ayurveda-Arzt Hans-Heinrich Rhyner fest: «Asthma-Kinder sollten alle Lebensmittel und Getränke meiden, die im Körper Schleim erzeugen, vor allem Milchprodukte.»
Doch kann man einem Kind wirklich zumuten, auf Milch, Käse und Jogurt zu verzichten? «Ein totaler Verzicht ist nicht nötig», erklärt Rhyner. «Wichtig ist jedoch, dass die Milchprodukte nie kalt genossen werden. Optimal ist es, die Milch mit wärmenden, verdauungsfördernden Gewürzen anzureichern und mit etwas Wasser zu mischen.» Konkret: Statt dem Kind ein Glas kalte Milch aus dem Kühlschrank zu reichen, gibt man ihm eine Schale warme Milch und würzt diese mit einer Prise Kardamom, Ingwer, Kurkuma oder Bio-Bourbonvanille.
Hans-Heinrich Rhyner hat bereits öfters erlebt, dass Asthma bei Kindern (und Erwachsenen) vollständig ausheilt. Auch die ayurvedische Asthma-Therapie beginnt mit einer sorgfältigen Diagnose, bei der festzustellen ist, welche «Grundenergien» im Ungleichgewicht sind. Im Ayurveda werden diese Energien Vata, Pitta und Kapha genannt. Vereinfacht ausgedrückt, liege ein «Kapha-Asthma» vor, wenn die schleimbildenden Krankheitsprozesse im Vordergrund stünden, erklärt Rhyner. Herrschten dagegen die anfallsartigen Atembeschwerden und ein eher trockener Husten vor, weise dies auf ein Vata- oder Pitta-Asthma hin.
Genau wie in der TCM gilt es nun, das natürliche Gleichgewicht der Energien wiederherzustellen. Erwachsene Asthma-Patienten profitieren von einer mehrwöchigen Reinigungskur (sog. Pancakarma), doch dies ist bei Kindern erst ab dem 12. Lebensjahr sinnvoll. Bei den Kleinen arbeitet Hans-Heinrich Rhyner deshalb vor allem mit ayurvedischen Naturheilmitteln, die das Immun- und Nervensystem harmonisieren, Hustenreiz stillen und Schleim verflüssigen; z.B. mit der uralten Heilpflanze Vasaka, auch Adhatoda vasica oder indisches Lungenkraut genannt. Sie wirkt schleimlösend und hat sich bei den meisten Formen von Asthma bewährt. Die Heilpflanze Ashwagandha alias Withania somnifera oder Schlafbeere hingegen ist besonders effizient bei allergischem Asthma. Im Weiteren kommen in der ayurvedischen Asthma-Therapie zahlreiche weitere Heilpflanzen zum Einsatz, darunter Ingwer, Süssholz und Spitzwegerich.
Entspannung, Atem- und Körperübungen – diese Massnahmen spielen in der ayurvedischen Asthma-Behandlung ebenfalls eine wichtige Rolle. Dazu Hans-Heinrich Rhyner: «Je nach Ursache und Konstitution des Kindes braucht dieses entweder beruhigende, erdende Massnahmen oder aber Einflüsse, die ihm mehr Bewegung und Leichtigkeit verschaffen.»
Einen etwas anderen Weg geht die biologische Ganzheitsmedizin, wie sie an der Paracelsus-Klinik in Lustmühle AR praktiziert wird. Der hier tätige Dr. med. Victor von Toenges zieht Bilanz: «Wir stellen fest, dass Asthma-Kinder häufig Nahrungsmittelallergien haben.»
Aus diesem Grund beginnt an der Paracelsus-Klinik jede Asthmatherapie mit umfassenden Tests: «Am häufigsten sind Unverträglichkeitsreaktionen auf Milch, Weizen und Eier», unterstreicht von Toenges. «Das Weglassen dieser Lebensmittel schafft eine gute Basis, auf der sich die Asthmatherapie entfalten kann.»
Zu den wichtigsten therapeutischen Massnahmen der Paracelsus-Klinik bei Asthma zählen Heilmittel, Vitalstoffe und Bakterienpräparate, die die Darmschleimhaut und das Immunsystem aufbauen bzw. harmonisieren. «Dieses Massnahmenpaket führt bei zirka 60 Prozent der Kinder innerhalb von ein bis zwei Jahren zur Beschwerdefreiheit», sagt Dr. von Toenges.
Bemerkenswerte Erkenntnisse für die Asthmatherapie liefern auch orthopädische Spezialärzte, unter ihnen der deutsche Mediziner Walter Packi. Der 58-Jährige hat schon vor Jahren beobachtet, dass Asthma muskelmechanisch bedingt sei. «Von der Kinematik des Körpers her betrachtet, ist Asthma ein Problem der unteren Halswirbelsäule», erklärt Walter Packi. «Atmet der Asthmatiker ein, senkt sich sein 5. oder 6. Halswirbel, anstatt dass die Rippen hochgehen.»
Diese Instabilität der unteren Halswirbelsäule beruhe auf einer Minderfunktion der tiefen Nackenmuskulatur. Die Folge: «Je kräftiger der Asthmatiker einatmet, weil er keine Luft bekommt, desto stärker wird die Instabilität und desto mehr verkrampfen sich die vorderen Halsmuskeln.» Um diesen Teufelskreis zu unterbrechen, müsse die natürliche Funktion der Halsmuskulatur wiederhergestellt werden, so der Muskelspezialist.
Das erinnert an die Erkenntnisse des Lungenpioniers Dr. med. Johannes Ludwig Schmitt, der bereits Mitte des letzten Jahrhunderts darauf hinwies, dass chronische Muskelverspannungen wesentlich am Zustandekommen des asthmatischen Symptomenbildes beteiligt seien. Als Therapiemöglichkeiten gegen Asthma empfahl der deutsche Arzt und Forscher, Fehlspannungen zu lösen, verkrampfungsfördernde Bewegungsmuster abzubauen und die Muskulatur zu kräftigen.
Der russische Arzt Konstantin Buteyko entwickelte eine ebenso einfache wie wirksame Behandlungsmethode, um Asthmatikern das Leben zu erleichtern. Diese Form von «Atem-Diät» hilft bei einer Vielzahl von Indikationen und kann ein Ansatz sein, zu einem natürlichen Atemgleichgewicht zurückzufinden. Ziel der Atemtherapie nach Buteyko ist es, sich mit einfachen Übungen zu entspannen, den Atem zu kontrollieren – und so die Häufigkeit und Schwere von Asthma- und sonstigen Symptomen zu reduzieren.
Mehr zur Buteyko-Methode erfahren Sie in der November-Ausgabe der Gesundheits-Nachrichten 2019.
Die Art der Ernährung kann das Asthmarisiko und den Schweregrad der Erkrankung beeinflussen. Diesen Zusammenhang bestätigen jetzt die Ergebnisse einer australischen Studie. Ballaststoffe verringern Asthmarisiko
Asthma gilt als typische Städterkrankheit. Kinder, die auf Bauernhöfen leben, leiden statistisch gesehen seltener an Asthma und Allergien.
Als Ursache wird der frühe und regelmässige Kontakt mit diversen Mikroben und Pilzen von Tieren und Pflanzen angenommen. Je vielfältiger dabei die Mikrobenwelt, desto wahrschein-licher bleiben Asthma oder Allergien aus. Asthma: Tierfelle sollen helfen