Von vielen Eltern – und ihren Babys – wird der Nuggi als probates Beruhigungsmittel geliebt. Wir gehen der Frage nach, welche Vor- und Nachteile das Nuckeln am Gummisauger hat.
Autorin: Ingrid Zehnder, 04.13
Saugen ist ein angeborener Reflex. Wie Ultraschallbilder zeigen, lutschen Ungeborene schon ab dem fünften Schwangerschaftsmonat am Handrücken oder Daumen. Bereits Minuten nach der Geburt saugen Babys kräftig an der Brust, wenn sie zum Stillen angelegt werden.
Stillberaterinnen plädieren dafür, wenigstens in den ersten vier bis sechs Wochen nach der Geburt keinen Schnuller zu verwenden. Sie befürchten eine so ge- nannte Saugverwirrung, die dadurch zustande komme, dass der Säugling den Mund, die Zunge und den Kiefer an der Brustwarze anders bewegt als beim Nuckeln am Schnuller. Allerdings machen nur 10 bis 20 Prozent aller stillenden Mütter diese Erfahrung.
Manche Kinder haben ein extrem starkes Saugbedürfnis, was sich dadurch ausdrückt, dass sie, auch wenn sie längst satt sind, einfach weiternuckeln möchten.
Sabrina V. klagt: «Meine Tochter ist jetzt 12 Tage alt und hat ein ganz starkes Saugbedürfnis. Ich stille sie praktisch ständig, weil sie verzweifelt schreit, wenn sie nicht an der Brust saugen und nuckeln darf. Dieses «Marathonstillen» ist extrem anstrengend.»
«Ich wollte bei Robin versuchen, ohne Schnuller auszukommen», erzählt Beate F. «Nach zwei Wochen hab ich ihm gerne den Schuller gegeben. Er hatte ein sehr starkes Saugbedürfnis und brauchte dann entweder meinen Finger oder die Brust zum Einschlafen. Dazu kam, dass er unter Dreimonatskoliken litt. Hätten wir den Schnuller nicht gehabt, ich glaube, ich wäre in der Nervenklinik gelandet.»
Es gibt Babys, die weder Schnuller noch Daumen brauchen und dabei sehr zufrieden und glücklich sind. Daher sollten sich Eltern zunächst abwartend verhalten und dem Säugling nicht gleich den Mund mit dem liebevoll gemeinten Geschenk der Patin oder der Oma stopfen. (Leider gibt es immer noch Säuglingstationen, die gesunden Neugeborenen Schnuller ohne Rücksprache mit der Mutter verabreichen. Ganz anders in stillfreundlichen Krankenhäusern: dort sind Schnuller verbannt.)
Ausser den Kindern, die keinen Schnuller brauchen, gibt es Babys, die Nuckel strikt verweigern. Sie spucken ihn in hohem Bogen aus und lassen sich auch nicht zur Akzeptanz des Gummidingens «überreden». So erging es Monika B.: «Ich beneidete die Mütter, deren Kinder am Daumen oder Schnuller lutschen. Mia wollte ständig an meine Brust; ich fühlte mich wie ein lebendiger Schnuller. Mein Mann konnte die Kleine gar nicht beruhigen. Die schlimme Zeit wurde erst besser, als Mia begann, Brei zu essen.»
Dann gibt es noch die Wählerischen: So winzig sie sind, sie bestehen auf ihrer «Marke» und dulden keinen anderen Schnuller.
Der Einsatz des Nuggis hat in den letzten Jahren stark zugenommen, nicht zuletzt deshalb, weil er – im Gegensatz zum Daumenlutschen – als kiefer- und zahnfreundlich gilt. Bis zu 80 Prozent aller Kinder in den Industrieländern bekommen zwischen ihrem ersten und sechsten Lebensmonat einen Schnuller.
Ein Schnuller beruhigt, tröstet, trocknet Tränen und erleichtert das Einschlafen. Nur wenige überforderte Eltern, die nicht die hilfreiche Wirkung des Schnullers bezeugen würden. Immerhin erleichtert er vielen Familien das Leben und sorgt für lebenswichtige Verschnaufpausen in durchschrieenen Nächten.
Doch nach dem Einschlafen fällt den Kleinen mehrmals in der Nacht der Bapf/Nunu/Nuckel/Nuggi aus dem Mund, und das geschieht erfahrungsgemäss meist dann, wenn Papa und Mama gerade wieder eingeschlafen sind.
Radikale Schnullergegner argumentieren, es seien die Eltern, die den Schnuller benötigten, nicht die Babys. Beim Plastiknuckel handle es sich bloss um eine künstliche Attrappe, die den Kleinen oftmals zur Ruhigstellung aufgedrängt werde.
Zu früh geborene Babys müssen das Atmen, Schlucken und Saugen oft noch lernen. Speziell entwickelte Schnuller helfen bei diesem Training. In den USA wird in Kliniken ein Schnuller mit einer Art Spieluhr eingesetzt (Pacifier Activated Lullaby, PAL). Saugt das Baby richtig, ertönt zur Belohnung eine sanfte, beruhigende Melodie. Frühchen, die viel nuckeln, wachsen schneller und können früher nach Hause.
Es gibt einen eindeutigen Zusammenhang zwischen dem häufigen Gebrauch von Beruhigungssaugern und frühzeitigem Abstillen. Verschiedene Studien zeigen zudem, dass Schnullerkinder häufiger nicht gestillt werden. Unklar ist die «Schuldfrage»: Zeugt der Einsatz von Nuggis für Stillprobleme bzw. mangelnde Motivation der Mütter oder liegt es am Schnuller.
Die Schweizerische Stiftung zur Förderung des Stillens betont: «Während der Entwicklungsschübe von Säuglingen im Alter von ca. 6 und 12 Wochen, bei denen sich das Bedürfnis nach Muttermilch sprunghaft erhöht, wird beobachtet, dass der Einsatz des Schnullers die sensible Balance zwischen Angebot und Nachfrage von Muttermilch empfindlich stört.»
So lautet eine immer wieder zitierte Frage, die sich auf einen Artikel in der englischen medizinischen Fachzeitschrift «Lancet» aus dem Jahr 1996 bezieht. Kolportiert wurde als Resultat, Schnullerbenutzer seien als Erwachsene weniger intelligent als Menschen, die als Wickelkinder an Fingern nuckelten. «Lancet» hatte berichtet, ehemalige Brustkinder erreichten als Erwachsene leicht höhere Punktzahlen bei Intelligenztests als Flaschenkinder, wobei Schnullerkinder noch eine Idee schlechter abschnitten. Was in den Zeitungsberichten jedoch unterschlagen wurde, war das Fazit der Wissenschaftler: Die spätere Intelligenz habe viel mehr mit der sozialen Umgebung des Kindes zu tun als mit der gefütterten Milchqualität oder der Art des Nuckelns.
Trotz einer Studie von 1993 und einigen Folgeuntersuchungen, die über einen schwach schützenden Effekt vor dem plötzlichen Kindstod (SIDS) für Babys, die mit Schnuller schliefen, berichteten, bestehen bis heute kein eindeutigen Beweise dafür. Experten betonen, das andere Faktoren in den letzten Jahren die Gefahr von SIDS merklich reduziert hätten (Rückenlage, passende Schlafsäckchen, Stillen, rauchfreie Umgebung, keine Überwärmung, kein «Nestbau» mit Kissen, Fellen, Schmusetieren o.ä.)
Kinder, die nach dem sechsten Lebensmonat auch tagsüber häufig am Schnuller lutschen, haben laut einer finnischen Studie deutlich öfter Mittelohrentzündungen.
Lassen Sie sich niemals dazu verführen, Zucker oder Honig auf den Nuggi zu geben, auch nicht, wenn das Kind kränkelt. So wird nicht nur die Lust auf Süsses programmiert, sondern auch einer frühzeitige Zerstörung der Milchzähne Vorschub geleistet.
Obwohl die heutigen Schnuller als «kiefergerecht» verkauft werden, können auch sie bei langem und häufigen Gebrauch zu Zahnfehlstellungen führen. Laut einer skandinavischen Studie dauert es zwei Jahre, bis sich Veränderungen am Oberkiefer, und drei Jahre, bis sich Veränderungen am Unterkiefer zeigen.
Ein Schnuller verhindert das Juchzen und Brabbeln des Babys, das eine wichtige Vorstufe zum Sprechen ist. Amerikanische Wissenschaftler kamen bei Untersuchungen von Kindergartenkindern zu dem Ergebnis, dass die Kleinen, die drei Jahre oder länger an einem Schnuller oder Daumen nuckelten, dreimal häufiger Sprachstörungen (z.B. Lispeln) aufwiesen als Kinder, die bereits früher entwöhnt worden waren.
Plopp, da liegt er im Dreck! Manche Mütter neigen dazu, den Schnuller durch eigenes Abschlecken zu reinigen. Dadurch können allerlei Mikroorganismen und Kariesbakterien übertragen werden. Besser ist es, einen Ersatznuckel dabei zu haben. Die beliebten Schnullerketten, die ein Herabfallen verhindern, haben ihre Schattenseiten: Sie führen zur unkontrollierten Selbstbedienung der Kleinkinder.
Hersteller in den deutschsprachigen Ländern versichern, ihre Schnuller seien frei von jeglichen Schadstoffen. Seit 2011/2012 ist auch die Chemikalie Bisphenol A (BPA) in Babyflaschen, Schnullern und Beissringen gänzlich verboten.
Ein Schnuller kann ein probates Hilfsmittel sein, doch er erfordert auch einen verantwortungsbewussten Umgang.
Ein Säugling, der weint, verlangt nicht nur nach Nahrung und der Stillung seines Saugbedürfnisses. Schmusen, plaudern, wickeln, herumtragen (Tragetuch), baden, massieren, singen, spazierenfahren, spielen – all das gibt Ihrem Baby Geborgenheit, hilft ihm, sich zu beruhigen und zu entspannen und macht sein Leben fröhlich und abwechslungsreich.
Keinesfalls dürfen Schnuller bei jedem Quengeln, jedem Mucks, jeder Unmutsäusserung in den Mund gestöpselt werden. Leider gibt es Kleinkinder, die man fast nie ohne Schuller sieht. Sie haben ihren ständigen Begleiter stets dabei: im Kinderwagen, im Auto, beim Einkaufen, bei Verwandtenbesuchen, auf dem Spielplatz, im Kindergarten. Je heftiger der Dauergebrauch, umso schwerer fällt die Entwöhnung.
Sobald das Baby feste Nahrung isst, nimmt das Saugbedürfnis ab. Nach dem ersten Lebensjahr sollte der Schnuller abgeschafft bzw. zum Schlafen reserviert werden. Es spricht auch nichts dagegen, ein krankes Kind mit dem Schnuller zu trösten, falls es das möchte.
Welche Form der Schnuller hat und ob er aus dem besonders klaren Silikon oder dem braunen Latex besteht, entscheiden Sie und Ihr Kind.
Nuckel gibts es in Knall- oder Pastellfarben, manche leuchten im Dunkeln. Es gibt Schnuller mit Vanilleduft, mit Botschaften wie «I love Mama» oder «Peace», mit Schnäuzer, Zähnen oder, ganz edel und teuer, mit Swaroswki-Steinen. Es gibt Oktoberfestschnuller, Nuggis mit Logos von Fussballclubs und Modeimperien, mit Comicfiguren, Landesfahnen und Totenköpfen.
In Mode gekommen sind Namensschnuller. Der eingravierte Vorname soll Verwechslungen und die Übertragung von Infektionen zuhause oder in der Krippe verhindern.
«Mama, ruf die Schnullerfee an, ich will einen Bagger!», sagt der dreijährige Jonas. In Anlehnung an die Zahnfee, erzählen viele Eltern ihren Kindern von der Schnullerfee, die alle Nuggis einkassiert und dafür ein Geschenk bringt. Oft lassen es die Kleinen dabei nicht bewenden, denn so mutig sie tagsüber sein mögen, abends kommt die Sehnsucht zurück – und den Eltern stehen zwei, drei schwere Nächte bevor.
Da kann es auch schon mal wie bei Jonas passieren, dass die blöde Schnullerfee den Nuckel wieder bringen soll und den Bagger haben kann.
In Dänemark ist es Tradition, die entbehrlichen Gummistöpsel an einen «Schnullerbaum» zu hängen.
In Deutschland wurde dieser Brauch von zahlreichen Städten und Gemeinden übernommen, die in Parks, bei Spitälern oder Kindergärten Schnullerbäume ausweisen und an bestimmten Terminen sogar Schnullerfeste mit Kinderprogramm veranstalten.
Manche Elternd sorgen auch dafür, dass Nuggi dem Osterhasen oder Nikolaus überlassen wird.
Je früher der Schnuller abgewöhnt wird, desto besser. Bis zum dritten Geburtstag sollte die Trennung spätestens vollzogen sein. Wichtig ist, einen geeigneten Zeitpunkt zu wählen: nicht kurz vor dem Eintritt in den Kindergarten, nicht sofort nach der Geburt eines Geschwisterchens, nicht gerade in den Ferien oder wenn Besuch da ist.