Für viele Eltern ist ein durchschlafendes Baby wie ein Lottogewinn: Die wenigsten haben eins. Gibt es sanfte Massnahmen, um dem «schlafenden Glück» auf die Sprünge zu helfen?
«Der Kleine soll augenblicklich schlafen lernen!» sagt Manuela M. genervt. Erschöpft sitzt die 32-Jährige im Büro der Mütterberaterin Astrid Held in Thun im Arm den acht Monate alten Max, der sie Nacht für Nacht durch Quängeln und Schreien mehrmals aus dem Bett holt. Max ist ein «schlechter Schläfer».
Autorin: Petra Gutmann
Für Astrid Held sind solche Szenen Alltag: «Wir sprechen in der Mütterberatungsstelle mit vielen Eltern, die Probleme mit dem Schlafverhalten ihres Nachwuchses haben. Manche Mütter kommen erst, wenn die Nerven blank liegen. Dann soll das Problem ruckzuck gelöst werden, notfalls mit drakonischen Massnahmen.»
«Wieviel Schlaf braucht mein Kind?» Diese Frage steht dabei häufig im Mittelpunkt des elterlichen Interesses. «Darauf gibt es keine Antwort», erklärt Astrid Held. «Die einen Kinder brauchen viel Schlaf, andere deutlich weniger. Das ist bei den Kleinen nicht anders als bei uns Erwachsenen. Bereits mit sechs bis neun Monaten kann das Schlafbedürfnis Gleichaltriger um mehrere Stunden täglich voneinander abweichen.»
Um herauszufinden, wieviel Schlaf ein Baby oder Kleinkind tatsächlich braucht, wird in Mütterberatungsstellen und Kinderkliniken als erstes ein Schlafprotokoll erstellt. Dieses erfasst, wann ein Baby oder Kind isst, wann, wie lange und wie regelmässig es schläft, auf welche Weise es einschläft, ob es durchschläft sowie wann, wo und wie lange es schreit.
Astrid Held: «Während Tagen bis Wochen durchgeführt, vermittelt das Schlafprotokoll ein genaues Bild des kindlichen Schlafverhaltens. Dann können gezielte Massnahmen ergriffen werden.»
Fragt sich nur welche? Der Bogen der guten Ratschläge ist ebenso imposant wie widersprüchlich: Das Kind soll nur im Bettchen schlafen, nur im Elternbett oder immer und überall. Es soll im Bettchen vor sich hin brüllen oder ganz im Gegenteil herausgenommen, geschaukelt, gestreichelt, gefüttert, herumgetragen bzw. -gefahren werden, usw. usf.
Für einen problemlosen Schlaf brauchen Babys in den ersten Lebenswochen in der Regel nur die «beiden B»: Brust und Berührung. Ein gesunder Säugling schläft selig, wenn er satt und in engem Körperkontakt mit seiner Mutter ist.
«Babys brauchen enorm viel Körperkontakt», bestätigt die österreichische Kindertherapeutin und Psychologin Christine Rankl. «Ein Zuviel gibt es nicht. Wer will, dass ein Kind lernt, selbständig einzuschlafen, also sich später problemlos von seiner Bezugsperson zu lösen, muss zuerst einmal eine enge Bindung zu ihm knüpfen.»
Bei Naturvölkern wird dieses Wissen ganz selbstverständlich umgesetzt: Die Frauen schlafen mit ihren Babys und Kleinkindern auf dem gleichen Lager und nehmen sie tagsüber in einem Tragetuch überall hin mit.
In der modernen westlichen Gesellschaft steht diese «24-Stunden-Symbiose» weniger hoch im Kurs. Dafür gewinnt eine alte Einschlaf- und Beruhigungsmethode wieder an Beliebtheit, die in (fern)östlichen Ländern bis heute praktiziert wird: das «Pucken». Es besteht da-rin, das Baby so fest in ein Tuch einzubinden, dass es weder Arme, Händchen, Beine noch Füsschen bewegen kann.
«Das straffe Einwickeln vermittelt dem Säugling ein Uterusgefühl. Was für einen Erwachsenen unerträglich wäre, bewirkt bei vielen Babys Wunder», weiss die Solothurner Hebamme Regula Meister aus Erfahrung. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass das Baby schon bei den ersten Anzeichen von Müdigkeit eingepackt wird, und nicht erst auf dem Höhepunkt eines Schreikollers.
Aus dem gleichen Grund empfiehlt die Münchner Kinderärztin Mechthilde Pa-pousek, ein alleine daliegendes Baby oder Kleinkind stets mit hautnah anliegenden Kissen oder Tuchrollen zu umgeben. «Babys und kleine Kinder brauchen einen begrenzten Raum, eine rundum feste Begrenzung, damit sie ihren Körper spüren», erklärt Dr. Papousek, die sich intensiv mit dem Phänomen der schlafgestörten «Schreikinder» befasst hat.
Der umfassende Gesundheits-Newsletter von A.Vogel erscheint 1 x pro Monat und enthält Informationen, Tipps, Wettbewerbe und vieles mehr – rund um alle Gesundheitsthemen.
Viele Mütter befolgen diesen Rat instinktiv. Doch häufig entstehen den Schlafrhythmus störende Stressfaktoren ganz woanders. Neugeborene werden meist wie ultrazarte Porzellantässchen behandelt, selbst der lauteste Mensch verlegt sich in ihrer Nähe aufs Flüstern. Im Ge-gensatz dazu haben «ältere» Babys häufig einiges auszuhalten nach dem Muster: Raus aus dem vertrauten Bettchen, baden, Nägelchen schneiden, an-ziehen, rein in den Buggy, quer durchs neonlichtbestrahlte, musikberieselte Einkaufszentrum rattern, anschliessend zum Coiffeur, noch bei Bekannten oder Verwandten vorbei schauen, wo das Baby hingebungsvoll herumgereicht wird, dazwischen Spieldose aufziehen, die Rassel vor die Nase halten
Wie soll sich ein Kind vor dieser Reizflut schützen? Wenn Babys im Verlauf der Lebensmonate immer besser sehen und hören, sind sie den einprasselnden Sinneseindrücken hilflos ausgeliefert, zumal sie nicht mehr in den Dauerschlaf eines Neugeborenen flüchten können.
Christine Rankl: «Da hilft nur eins. Die Eltern müssen ihre Sprösslinge konsequent vor einem Zuviel an Umgebungsreizen schützen.» Der kindliche Schlaf-Wach-Rhythmus wird davon profitieren.
Zwischen drei und vier Monaten beginnen Kinder im Durchschnitt, einen regelmässigen Schlaf-Wach-Rhythmus zu entwickeln. Ist dies nicht der Fall, kann die Entwicklung des guten Schlafes gezielt unterstützt werden.
«Die wichtigste Massnahme besteht darin, dem Kind einen regelmässigen, zuverlässigen Tagesablauf zu geben», sagt Dr. med. Bernhard Wingeier, Kinderarzt an der Ita Wegman Klinik BL.
Das bedeutet: Regelmässige Mahlzeiten zu etwa gleich bleibenden Zeiten, verbindliche Schlafzeiten und immer gleiche Einschlafrituale. Das erzeugt ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit Gefühle, die das Kind braucht, um loszulassen, um ein- und durchzuschlafen.
«Die meisten Schlafstörungen beruhen auf erworbenen Verhaltensweisen, die durch die Persönlichkeit des Kindes und das Umfeld beeinflusst werden», erklärt Bernhard Wingeier.
Mit anderen Worten: Wer einem Kind als Einschlafhilfe regelmässig die Brust oder den Schoppen gibt, darf sich nicht wundern, wenn das Kind nicht mehr ohne einschlafen kann. Der Ausweg heisst in einem solchen Fall: «Brust und Zubett-gehen werden getrennt. Das Kind bekommt weiterhin mütterliche Nähe, aber nicht mehr das volle Programm», rät Bernhard Wingeier. «So können sich neue Gewohnheiten formen.»
Laut japanischen Forschern sind folgende Massnahmen am erfolgreichsten, um ein schreiendes Baby zu beruhigen:
Dabei verringerte sich die Herzschlagfrequenz der untersuchten Babys innerhalb von 30 Sekunden, so dass nach fünf Minuten alle Babys aufhörten zu schreien und die Hälfte davon schlief.
Wächst das Kind heran, erschliessen sich immer mehr geeignete Einschlafhilfen: Man kann es z.B. vor dem Einschlafen massieren oder baden, mit ihm ein Liedchen singen, ein Buch anschauen oder daraus vorlesen, ein kleines Gebet sprechen oder gemeinsam den Tag mit den wichtigsten Erlebnissen «zurückdenken». Manche Kinder schlafen leichter ein, wenn ein Nachtlichtlein brennt oder die Türe des Kinderzimmers offen bleibt.
«Was auch immer die Eltern tun das Einschlafritual sollte in etwa gleich bleiben. So entsteht im Kind ein Gefühl der Ruhe, Stabilität und Geborgenheit», un-terstreicht die Beraterin Astrid Held.
Für Kinder, die nachts häufig aufwachen und nicht mehr selbständig einschlafen, machen auch Hilfsgegenstände im Bettchen Sinn: etwa ein Kuschelbär, ein weiches Tuch oder ein Nuggi, sofern das Kind diesen selbst erreichen kann. Abgesehen davon schlafen viele Kinder tiefer und länger, wenn das Zimmer abgedunkelt ist.
Und wie steht es mit naturheilkundlichen Einschlafhilfen? Z.B. homöopathischen Globuli? Bach-Blüten? Osteopathie oder Craniosacral-Therapie?
«Das kann bei manchen Kindern durchaus sinnvoll sein. Etwa wenn ein Kind infolge einer schweren Geburt verspannt ist. Wesentlich ist jedoch, dass es nicht beim Medizinalkonsum bleibt, sondern eine Verhaltensänderung der Eltern hinzukommt», ist Dr. Wingeier überzeugt.
Der kleine Max schläft mittlerweile durch. Möglich wurde dies allerdings erst nach einer «Sanierung» der Familiensituation.
«Familiäre Probleme wie Arbeitslosigkeit, Depressionen oder Erschöpfung der Mutter können den kindlichen Schlafrhythmus empfindlich stören», berichtet Astrid Held. «Bei hartnäckigen Schlafproblemen schaut die Mütterberatungsstelle deshalb immer die Eltern an.»
In eine ähnliche Richtung weist Kinderarzt Wingeier: «Viel hängt davon ab, wie die Eltern auf das Schlafverhalten des Kindes reagieren. Dabei macht es einen wesentlichen Unterschied, mit welchen Intentionen und Gefühlen Eltern handeln. Verändert eine Mutter beispielsweise ihr äusseres Verhalten, ist von diesem aber innerlich nicht überzeugt, spürt dies das Kind und wird sich auflehnen. Ein bestimmtes, liebevolles Handeln und ein gelassenes Durchsetzen der neuen Verhaltensregeln führt leichter und müheloser zum Ziel.»