Einkorn, Emmer und Dinkel waren in Europa fast verschwunden. Mittlerweile besetzen sie eine wachsende Nische. Weshalb sie in Vergessenheit gerieten und warum sie heute wieder angebaut werden.
Autorin: Gisela Dürselen, 12/16
In der Schweiz beginnt die aktuelle Geschichte von Einkorn und Emmer Ende der 1950er Jahre: Als der Agronom Peter Züblin auf einem Bauernhof in Buus im Baselland einige Körner weissen Emmers findet, übergibt er sie an die Organisation der Schweizer Bergheimat. Diese wiederum stellt sie Pro Specie Rara zur Verfügung, die sich für die Erhaltung alter Nutzpflanzen einsetzt.
In den 1990er Jahren landet auch Markus Jenny von der Vogelwarte Sempach bei Pro Specie Rara: Der Agrarökologe ist auf der Suche nach alten Anbausorten für die Landwirtschaft, weil er im schaffhausischen Klettgau Lebensräume für Rebhuhn und Lerche, Feldhase und Adonisröschen schaffen möchte.
Bei Pro Specie Rara findet er das Emmer-Getreide von Züblin, spricht daraufhin mit Bauern und legt einen Schau- und Forschungsgarten an. Das war der Ursprung für die 2006 gegründete Interessengemeinschaft zur Förderung von Emmer und Einkorn (IG Emmer & Einkorn). Die IG unterstützt mit Anbau und Vermarktung auch die Artenvielfalt. Denn fünf Prozent der Anbaufläche sind Biodiversitäts-Förderflächen; die Vertragsbauern verzichten auf chemischen Pflanzenschutz und düngen nur spärlich.
Emmer und Einkorn sind dankbare Getreide für den ökologischen Landbau: Sie besitzen viele Resistenzen gegen Krankheiten und Schädlinge, gedeihen auf trockenen und mageren Böden. Düngung kann die Erträge zwar steigern, lässt aber das Getreide höher wachsen, womit es an Standfestigkeit verliert.
In Deutschland hat sich die Landessaatzuchtanstalt der Stuttgarter Universität Hohenheim mit der Züchtung und Forschung zu Emmer, Einkorn und Dinkel weltweit einen Namen gemacht. Das Team um Dr. Friedrich Longin, den wissenschaftlichen Leiter des Arbeitsgebiets Weizen, entdeckte 2015, dass Emmer, Einkorn und Dinkel gut für die Augen sind: Ähnlich wie Spinat und Grünkohl besitzen sie besonders viel Lutein.
Dieses Carotinoid funktioniert als UV- und Blaulichtfilter und als hochwirksames Antioxidans für die Netzhaut. Insbesondere als Vorsorge für die altersbedingte Makuladegeneration ist Lutein schon länger bekannt. Vermutlich wird es in der Netzhaut angereichert und entfaltet dort seinen natürlichen Schutzmechanismus.
Einkorn enthält von allen alten Getreidesorten mit Abstand am meisten Lutein: das Sechs- bis Zehnfache im Vergleich zu modernen Weizensorten. Darüber hinaus besitzt Einkorn einen hohen Eiweiss-, Mineralstoff- und Aminosäurengehalt und ist reich an Zink und Selen sowie an Tocolen, einer Vorstufe des Vitamin E.
Auch Emmer und Dinkel sind äusserst gesund: In der italienischen Volksmedizin zählt Emmer zu den Heilkräutern – vor allem wegen seiner guten Verträglichkeit und der Verwendung als Schonkost für Alte und Kranke. Dinkel wurde schon von Hildegard von Bingen im 12. Jahrhundert als das wichtigste Getreide gepriesen.
Aktuelle Analysen bestätigen die Einschätzung der Äbtissin: Das Korn zeichnet sich aus durch reichlich Vitamin A, E, B1 und B2, weiter durch Mangan, Eisen und Phosphor, Magnesium und Chrom sowie Niacin, das die Nerven stärkt. Der Zink- und Selengehalt ist im Schnitt ebenfalls höher als in modernen Weichweizensorten. Grünkern, der halbreif geerntete Dinkel, schmeckt noch würziger als das reife Korn und soll eine anregende Wirkung auf den Stoffwechsel haben.
Derzeit untersuchen die Stuttgarter Wissenschaftler um Dr. Longin die Verträglichkeit von Dinkel. Denn obwohl das Getreide genauso wie Brotweizen das Klebereiweiss Gluten enthält und somit nichts für Zöliakiepatienten ist, berichten besonders junge Verbraucher, dass sie beim Dinkel keine solchen Unverträglichkeiten spüren wie beim Verzehr von Brotweizen.
Archäologen gehen davon aus, dass Einkorn und Emmer schon vor etwa 10 000 Jahren im Nahen Osten angebaut wurden. Damit gehören sie zu den ältesten Kulturpflanzen der Menschheit und werden häufig Urgetreide oder Urkorn genannt. Diese Bezeichnung umfasst alle Getreide, die zu den Süssgräsern gehören und von denen die heutigen Weizenzüchtungen stammen.
Auch Dinkel wird zu den Urgetreiden gezählt, weil er vermutlich aus Einkorn und Emmer entstand und wie diese eine uralte Weizenart ist. Bei Roggen, Gerste und Hafer gibt es ebenfalls Wildformen – für die menschliche Ernährung indes spielen die vielfältigen Formen des Weizens die grösste Rolle: Hartweizen für die Herstellung von Nudeln und Weichweizen zum Backen.
Wenn von Urgetreide die Rede ist, taucht oft auch Kamut® auf. Dieser Name ist allerdings kein botanischer, sondern ein geschütztes Markenzeichen für eine US-amerikanische Weizensorte, die vermutlich vom iranischen Khorasan-Weizen abstammt. Bisweilen ebenfalls unter die Kategorie Urkorn eingereiht wird Teff, eine glutenfreie Zwerghirse, aus der in Äthiopien das traditionelle Fladenbrot «Injera» gebacken wird. Wie Buchweizen, Quinoa und Amaranth ist Teff aber ein Pseudogetreide, weil es nicht zur Pflanzenfamilie der Süssgräser zählt.
Einkorn, Emmer und Dinkel gehörten einst zum Landschaftsbild in Europa; insbesondere der winterfeste Dinkel war das Getreide für Südwestdeutschland und die Schweiz. Dann kamen andere Ernährungsgewohnheiten, neue Anbaumethoden und Züchtungen – und die Bauern stiegen auf ertragreichere Hart- und Weichweizensorten um.
Denn Einkorn, Emmer und Dinkel haben auch Nachteile: Sie reifen langsamer als moderne Getreide, bringen eine geringere Ernte und sind weniger standfest, weil sie an langen Halmen reifen, die bei Wind leicht umknicken. An der Zuchtanstalt Hohenheim wurden deshalb ein paar standfeste Sorten von Dinkel gezüchtet; derzeit laufen Versuche mit Emmer und Einkorn.
Ein weiterer Nachteil liegt in der Eigenschaft von Einkorn & Co. als Spelzgetreide: Weil die Körner von einer festen Hülle umgeben sind, wird die Verarbeitung aufwendig und damit teurer. Die Hülle schützt zwar vor Schädlingen und Krankheiten, ebenso vor Pilzen, Hagel und Trockenheit, saurem Regen und UV-Strahlung. Doch nach der Ernte braucht das Korn einen extra Arbeitsgang, weil es entspelzt, also von seiner Hülle befreit werden muss.
Aufgrund ihrer Potenziale wurden Einkorn und Emmer bereits 1998 in die EU-Verordnung zur Förderung des Anbaus seltener Kulturpflanzen aufgenommen. In der Folge entstand in der toskanischen Region Garfagnana eine geschützte und mit rund 2000 Hektar die europaweit grösste Anbauregion für Einkorn und Emmer.
In der Schweizer Landwirtschaft spielen beide bislang nur eine Nischenrolle für Randlagen mit kargen Böden: 2015 betrug die landesweite Anbaufläche 66 Hektar. Doch die Produktion steigt – langsam, aber stetig: Für 2016 meldet allein die Interessengemeinschaft 62 Hektar für Emmer und 15 Hektar für Einkorn.
Dinkel wurde schon früher wiederentdeckt, ist verbreiteter als Einkorn und Emmer und heute vor allem in Süddeutschland zu finden. In der Schweiz verzeichnete das Landesamt für Landwirtschaft (BLW) für 2015 insgesamt 3880 Hektar landwirtschaftliche Fläche im Dinkelanbau – davon entfielen allein auf die Interessensgemeinschaft UrDinkel 3000 Hektar, die mit ungekreuzten UrDinkelsorten in IP-Suisse oder Bio-Suisse-Qualität bebaut wurden. Die Ernte 2016 muss allerdings als schlechteste Dinkelernte seit zehn Jahren eingestuft werden – schuld ist u. a. das nasse Frühjahr.
Weil die alten Getreide immer beliebter werden,gab es schon erste Engpässe. Ein paar Brauereien haben die geschmacklichen Vorzüge erkannt und brauen Bier; viele Verbraucher wollen zurück zu regionalen und hochwertigen Lebensmitteln und schätzen die charakteristische Würze der alten Getreide. Darum wird mittlerweile importiert: laut BLW im Jahr 2015 über 12 000 Tonnen Dinkel und 76 Tonnen Einkorn und Emmer.
Lange bevor gesunde Ernährung zum Trendthema wurde, war Alfred Vogel der Meinung, dass die Ernährung die Basis für unsere Gesundheit bildet – und dass, ohne dabei auf den Genuss zu verzichten.
Die Rezeptideen von Assata Walter sind deshalb nicht nur saisonal, frisch und leicht umzusetzen, sie enhalten auch immer einen Ernährungstipp, der Ihnen hilft, sich natürlich und gesund zu ernähren.
Markus Jenny, der Initiator und Präsident der IG Emmer & Einkorn, empfiehlt, sich über die speziellen Backeigenschaften zu informieren: «Emmer und Einkorn brauchen eine schonende Verarbeitung. Sie besitzen zwar Gluten – aber von einer anderen Art als zum Beispiel Dinkel und Weichweizen.
Das Gluten hat schlechte Klebereigenschaften, daher erhält man eher feste Teige – das Brot geht nicht auf.» Wer weiss, wie die Teige zu behandeln sind, könne trotzdem gute Resultate erzielen. Produkte aus Einkorn schmecken mild und sehen gut aus, weil ihr hoher Beta-Carotin-Gehalt den Teig auffallend gelb färbt. Der mit dem Nudelweizen verwandte Emmer hat ein griesiges Mehl und schmeckt kräftig-würzig, weshalb sich daraus herzhafte Teige für Pizza, Brötchen und Knödel herstellen lassen. Sowohl Einkorn als auch Emmer brauch eine lange Teigruhe und eignen sich laut Jenny auch sehr gut für Sauerteigbrote.
Ein weiterer Tipp: Mischmehle verwenden, die rund ein Drittel Weizen oder Dinkel enthalten, «das ergibt zufriedenstellende bis sehr gute Brote». Aus dem mit dem Brotweizen verwandten Dinkel liessen sich schmackhafte, kräftig-nussig schmeckende Hefeteige herstellen. Sie brauchen laut Jenny generell viel Flüssigkeit und sind meist schnell fertig gebacken.
In der industriellen Verarbeitung sind Einkorn und Emmer wenig beliebt, da der Teig leicht an Rührund Knetmaschinen haftet. Das haben einige kleinere Bäckereien als ihre Chance erkannt, die sich gegenüber den Grossbäckereien mit regionalen Spezialitäten und Geschmacksvielfalt absetzen. Damit bestehen sie im Wettbewerb dank unverfälschten Getreides, das lange Zeit über verschont blieb von Eingriffen ins Erbgut, und das mit Eigenschaften punktet, welche die heutigen Hochleistungssorten oft verloren haben.
Es spricht aber noch etwas für die Wiederverwendung alter Getreide: Moderne Weizen-Monokulturen sind anfällig für Krankheiten und Schädlinge und brauchen grosse Mengen Pestizide und Dünger. Darum sind die «Alten» auch für Landschaft und Natur eine Bereicherung.
Dass der Genpool alter Getreide in Zukunft eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen könnte, darauf deutet eine Studie hin, die sich mit Klimawandel befasst: Die Hohenheimer Wissenschaftler setzten heute gebräuchliche Weizensorten einem Klima mit einem höheren CO2-Anteil in der Atmosphäre aus – in der Weise, wie es für 2050 in Deutschland vorausgesagt wird. Als Modellpflanze nutzen die Forscher die qualitativ hochwertige Sorte Triso und die auf Ertrag gezüchtete Sorte Tybalt. Im Ergebnis verlor der in der Studie eingesetzte Weizen wichtige Inhaltsstoffe wie Calcium, Eisen, Magnesium, Zink und Aminosäuren. Zudem wies er weniger Klebereiweiss und schlechtere Backeigenschaften auf.