Mehl scheint etwas ganz Selbstverständliches in der Küche. Dabei macht es sehr wohl einen Unterschied, welches man wofür nimmt und welche Nährwerte enthalten sind. Ein Überblick.
Autorin: Gisela Dürselen, 09/20
Überall auf der Welt ist Mehl ein Grundnahrungsmittel, das nicht nur zum Backen dient, sondern auch Suppen und Sossen bindet und Bestandteil von Aufläufen und Breien ist. Je nach Klima, Region und Kultur werden andere Mehle verwendet: In Asien dient Reismehl der Herstellung von Nudeln und Süssigkeiten, in den Tropen und Subtropen ist Maniokmehl der beliebteste Stärkelieferant, in Italien entsteht aus Maismehl köstliche Polenta und aus dem ursprünglich in Kanada beheimateten Manitobamehl der Kuchen-Klassiker Panettone.
In Mitteleuropa dominierten lange Zeit Mehle aus Roggen – bis Weizen den Roggen als wichtigstes Getreide ablöste. Denn die Klebereiweisse des Roggens unterscheiden sich von jenen des Weizens: Roggen braucht beim Backen eine Sauerteigzugabe. Ohne Säure würden die Roggenenzyme schon vor dem Backen die Klebereiweisse abbauen, und das Gebäck würde in sich zusammenfallen.
Mit Weizen hingegen lassen sich auch ohne Säure all die herrlich hellen, lockeren, süssen Gebäckstücke herstellen, wie sie in der Schweiz beliebt sind. Ein Grund, warum hierzulande heutzutage viel weniger Roggen angebaut wird als etwa in Deutschland. Dort sind zwar auch helle Weizenmehle gefragt, doch besonders im Norden und in einigen Gegenden Bayerns werden kräftige Sauerteigbrote nach wie vor sehr geschätzt.
Speziell im Norden Deutschlands, wo einst auf kargen Böden fast nur Roggen kultiviert wurde, erleben traditionell hergestellte Sauerteigbrote seit einiger Zeit eine Renaissance. Beim Fermentationsprozess während der Sauerteigherstellung werden wegen der langen Quellzeiten und mithilfe von Mikroorganismen die Bestandteile eines Mehles optimal aufgeschlossen und schädliche Antinährstoffe wie Phytinsäure neutralisiert. Das verbessert die Bioverfügbarkeit von Mineralstoffen.
Sauerteige gelten somit nicht nur als aromatisch und haltbar, sondern auch als besonders bekömmlich. Der gesundheitliche Wert von Sauerteigprodukten war unter anderem Thema beim ersten internationalen Sauerteigkongress 2019 in Luzern. Zu den Sprechern gehörte Bernd Kütscher, der Direktor die Bundesakademie des Deutschen Bäckerhandwerks im baden-württembergischen Weinheim, an der seit 2015 die europaweit einzige Brot-Sommelier-Ausbildung stattfindet.
Kütscher berichtete über die Geschichte der Sauerteigherstellung und über neue Ernährungstrends.
Dabei kam er auf einen weiteren Vorteil von traditionell hergestellten Sauerteigen zu sprechen. Aus aromatischen Gründen seien selbst gezüchtete Sauerteige unerreicht, sagte Kütscher. Auch, weil man sich hiermit geschmacklich von anderen Anbietern unterscheiden könne: «Jede Backstube hat ihre eigene Mikroflora, insofern entstehen bei selbst hergestellten Sauerteigen Brote mit eigener Identität.»
Lange bevor gesunde Ernährung zum Trendthema wurde, war Alfred Vogel der Meinung, dass die Ernährung die Basis für unsere Gesundheit bildet – und dass, ohne dabei auf den Genuss zu verzichten.
Die Rezeptideen von Assata Walter sind deshalb nicht nur saisonal, frisch und leicht umzusetzen, sie enhalten auch immer einen Ernährungstipp, der Ihnen hilft, sich natürlich und gesund zu ernähren.
Peter Kasimow, seit 2019 der erste Brot-Sommelier in der Schweiz, arbeitet am liebsten mit Dinkel. Genauer gesagt mit regional-biologisch angebautem Urdinkelmehl: «Mit Dinkelmehl kann man so wunderbare Produkte herstellen, die eine schöne Gebäckfarbe haben, gut riechen und vor allem gut schmecken. Mit Dinkel zu arbeiten, zwingt einen, einen Gang zurückzuschalten. Dinkelteige müssen schonend und mit viel zusätzlicher Liebe behandelt werden. Es ist jedes Mal, auch nach so vielen Jahren Berufserfahrung, immer wieder eine Herausforderung. Und das macht richtig grossen Spass.»
Dinkel verhält sich Kasimow zufolge wie eine Diva, verlangt viel Erfahrung und duldet keinen Fehler: Die Knetung muss schonend sein, die Temperatur stimmen, und der Teig braucht Zeit zum Entspannen – allerdings nicht zu lange, weil sonst die Triebkraft verloren geht. Aus Dinkel, zusammen mit Einkorn, Emmer und Waldstaudenroggen, kreierte Kasimow ein Brot, das er «Urfein» nannte. Das Brot ist Ergebnis einer Projektarbeit, die er zum Abschluss seiner Ausbildung zum Brot-Sommelier machte und in der er sich mit alten Getreidesorten befasste.
Dinkel gilt als besonders gesund. Im Anbau ist das Spelzgetreide unkompliziert, somit werden weniger Pestizide verwendet als beim Weizen. Ferner ist Dinkel reich an Vitaminen und Mineralien, wertvollen Aminosäuren und Fettsäuren, und schon Hildegard von Bingen pries die Vorteile von Urdinkel.
Rezepttipp: Bio-Dinkelbrot aus Früchten und Joghurt
Wegen seines hohen Gehalts an Klebereiweissen ist das Getreide für Zöliakiepatienten allerdings tabu. Doch es gibt auch Menschen mit Glutenunverträglichkeit, die Nahrungsmittel aus Dinkel besser vertragen als solche aus Weizen. Warum, ist noch nicht gänzlich geklärt, doch es gibt starke Hinweise darauf, dass Verträglichkeit und Herstellungsprozess zusammenhängen.
An der Universität Hohenheim untersuchten Lebensmitteltechnologen in mehreren Studien den Zusammenhang zwischen Lebensmittelunverträglichkeiten und den Inhaltsstoffen in Backwaren. Die Ergebnisse unterstreichen die These, dass die Bekömmlichkeit wesentlich von der Verarbeitung der Mehle mitbestimmt wird: Sowohl die in Verruf geratenen Fodmaps (bestimmte Zuckermoleküle in Getreiden) als auch die als Anti-Nährstoffe bekannten Phytate, welche die Mineralstoffaufnahme negativ beeinflussen, werden laut Hohenheimer Forschern bei einer langsamen Teigverarbeitung abgebaut.
Dies gilt ebenso für Acrylamid, einen potenziell krebserregenden Stoff, der bei starker Hitzeeinwirkung wie beim Backen in stärkehaltigen Lebensmitteln entsteht. Eine schonende Verarbeitung mit langen Ruhezeiten für den Teig und geringerer Hitze beim Backen sei deshalb ratsam, lautet ein Fazit der Forscher. «In früheren Zeiten war die technische Ausstattung in handwerklichen Bäckereien noch sehr einfach gehalten», sagt dazu Peter Kasimow. «Aus diesem Grund brauchte man gezwungenermassen mehr Zeit für Teigherstellung und -reifezeit. Und dadurch gab es demensprechend auch geschmacklich bessere und gesündere Brote. Zeit gibt Geschmack, Aroma und eine bessere Frischhaltung.»
Kasimow arbeitet immer mit einem Vorteig, den er bis zu 24 Stunden ruhen lässt und erst dann dem Hauptteig zugibt. So wie in früheren Zeiten, als niemand mit standardisierten, mit Zusatzstoffen angereicherten Mehlen gearbeitet hat. «Das Resultat hing vom Geschick und der Erfahrung des Bäckers ab – ein Wissen, das mit der Zeit vielerorts verloren gegangen ist», sagt Kasimow.
Das Schöne an der heutigen Situation sei: «Immer mehr Bäcker erkennen, dass Quantität allein nicht ausreicht. Man weiss inzwischen, dass Konsumenten grossen Wert auf nachhaltige, gesunde Brote mit Geschmack und langer Frischhaltung verlangen: weg vom Einheitsbrei, auf zu neuen-alten Methoden.»
Die Bezeichnung Mehl stammt von dem mittelhochdeutschen Wort «mel» und bedeutet «Gemahlenes», «Zerriebenes». Dabei muss Mehl nicht unbedingt aus Getreide bestehen: Es gibt Fischmehl, Sojamehl und Insektenmehl – und auch die vielen verschiedenen Alternativen zum Getreidemehl. Sie bestehen aus zu Pulver vermahlenen Nüssen, Samen, Hülsenfrüchten oder sogar aus Früchten wie Kochbananen. In der Regel sind sie glutenfrei – unter der Prämisse, dass sie aus einer Anlage stammen, in der vorher kein Getreide mit dem Klebereiweiss verarbeitet wurde. Denn in diesem Fall können auch sie – wie bisweilen der glutenfreie Hafer – mit Spuren von Gluten verunreinigt sein.
Auch mit Mehlen aus Kirchererbsen und Amaranth, Teff, Mandeln oder Quinoa lassen sich vorzüglich Brot und Brötchen, süsse Muffins und herzhafte Quiches herstellen, allerdings nur in einer Backform. Denn die Stabilität eines Gebäckstücks entsteht durch das Gluteneiweiss, welches diesen Mehlen fehlt.
Aufgrund ihrer Eigenschaften kommen viele Spezial-mehle modernen Ernährungsvorlieben entgegen. So wie das mild-nussig schmeckende Lupinenmehl, das im Zuge des Low-Carb-Trends seit einigen Jahren eine steigende Nachfrage erfährt und besonders bei Sportlern beliebt ist. Die Vorteile dieses besonderen Mehls: Die Samen der für die Lebensmittelverarbeitung gezüchteten Süsslupine verfügen über einen hohen Eiweiss- und Ballasstoffanteil, gleichzeitig über wenig Kohlenhydrate.
Lupinenmehl gibt es entölt und teilentölt. Entsprechend wird das aus dem Presskuchen hergestellte Mehl ölreduziert. Dadurch enthält es weniger Kalorien als ein nicht-entöltes Mehl und ist dank des geringeren Fettanteils auch länger haltbar. Um zu verhindern, dass der Geschmack des Lupinenmehls im Gebäck dominiert, kann dieses z.B. mit Guarkern- oder Johannisbrotkernmehl kombiniert werden. Diese haben den Vorteil, dass sie durch ihre bindende Eigenschaft das fehlende Gluten im Lupinenmehl ersetzen und dadurch verhindern, dass das Backresultat bröselig wird.