Von Sommer bis Herbst locken in Wald und Flur saftige Beeren. Prall voll mit Vitaminen und wertvollen sekundären Pflanzenstoffen, sind die wilden Schätze Naschwerk und Naturmedizin zugleich. Und Sammeln macht Spass!
Text: Claudia Rawer/Gisela Dürselen
„Weich, klein, rundlich“, so könnte man die Kriterien für Beerenfrüchte umschreiben. Tatsächlich handelt es sich nicht immer um echte Beeren wie bei Heidel- und Johannisbeeren. Der Handel rechnet auch Erdbeeren (im botanischen Sinne eine Sammelnussfrucht) und Granatapfel (Scheinfrucht) dazu.
Wildes Obst wird heute oft wenig geschätzt. Die süssen Beeren sind meist kleiner als solche, die im Garten wachsen oder in den Geschäften angeboten werden. Andere sind säuerlich oder gar ein wenig bitter. Einige wehren sich mit kratzigen Dornen gegen das Pflücken oder machen Arbeit, weil sie zubereitet werden müssen. Aber wer genauer hinschaut, lernt die bunte Truppe der einheimischen Wildbeeren-Arten wieder zu schätzen. Etliche enthalten beeindruckend viel Vitamin C. Umgeben von Fruchtsäuren und Gerbstoffen, bleibt das Vitamin, das leicht zerfällt, erstaunlich stabil. Alle Beeren, auch die aufgeführten Gartenbeeren, stecken voll mit wertvollen sekundären Pflanzenstoffen wie Carotinen, Anthocyanen und anderen Flavonoiden.
Sie können Blutdruck und Cholesterinwerte senken sowie den Zuckerspiegel regulieren und so den zu Volkskrankheiten gewordenen Leiden Bluthochdruck und Diabetes vorbeugen. Die auch Phytamine genannten Stöffchen schützen Augen und Haut vor Schäden durch UV-Licht, stärken das Immunsystem, beugen Entzündungen vor und fördern die Verdauung. Insbesondere bei den recht gut untersuchten Flavonoiden gehen Forscher davon aus, dass sie das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie für Lungen-, Brust- und Darmkrebs senken können. Eine neuere amerikanische Langzeitstudie mit über 25000 älteren Männern legt zudem nahe, dass Flavonoide das Impotenz-Risiko deutlich mindern können. (Besonders gross war dieser Ernährungs-Effekt übrigens in Kombination mit Sport!) Zu den Flavonoiden gehören auch die Anthocyane, die gerade Beeren leuchtend knallrot oder tief nachtblau färben.
Erdbeeren, Heidelbeeren, Himbeeren und Brombeeren haben alle mal klein angefangen - als zufällige oder gewollte Kreuzungen und Zuchten aus Wildformen. Was bei uns im Garten wächst, süss, wohlschmeckend und leicht zu pflücken, braucht sich in aller Regel weder bezüglich Geschmack noch Inhaltsstoffen vor den wilden Schwestern zu verstecken. Doch bei der Ware in den Supermärkten, fast ganzjährig zu haben und oft von weither importiert, gelten längst andere Kriterien: Lager- und Transportfähigkeit sind viel wichtiger als das Aroma, das dann deutlich zu wünschen übrig lässt. «Italienische Klicker!», pflegte schon meine Mutter verächtlich zu kommentieren, wenn die ersten, damals noch aus Südeuropa stammenden Früchte viel zu früh in den Läden auslagen. Hart wie Murmeln seien die, und völlig geschmacklos.
Wer frische, vollreife Beeren aus dem Garten ernten kann, darf sich also glücklich schätzen. Weniger Bevorzugte sollten aber ab Mai bzw. Juni unbedingt einmal die wilden Alternativen ausprobieren. Insbesondere Walderdbeeren und wilde Heidelbeeren (Kulturheidelbeeren sind nur deren entfernte Verwandte) werden Ihnen unter Garantie den Ausruf entlocken: «Oh, dieses Aroma!»
All diese süssen Beeren haben übrigens trotz des enthaltenen Fruchtzuckers wenig Kalorien - und schmecken sowieso am besten, wenn man sie nicht mit viel Zucker zudeckt. Und noch ein Vergleich: Die bezüglich Vitamin-C-Gehalt hochgerühmten, teuren und weitgereisten Gojibeeren erreichen gerade einmal zwölf bis 20 Milligramm pro 100 Gramm.
Lange bevor gesunde Ernährung zum Trendthema wurde, war Alfred Vogel der Meinung, dass die Ernährung die Basis für unsere Gesundheit bildet – und dass, ohne dabei auf den Genuss zu verzichten.
Die Rezeptideen von Assata Walter sind deshalb nicht nur saisonal, frisch und leicht umzusetzen, sie enhalten auch immer einen Ernährungstipp, der Ihnen hilft, sich natürlich und gesund zu ernähren.
Brombeeren (Rubus fruticosus) enthalten zehn bis zwanzig Milligramm Vitamin C pro 100 Gramm, Lutein (gut für die Augen) und andere Carotinoide und platzen geradezu vor Anthocyanen.
Hagebutten (Rosa canina L.) glänzen mit einem Vitamin-C-Gehalt, der den der Zitrusfrüchte um ein Zwanzigfaches schlägt. Die Scheinfrüchte der wilden Rose sind das vitaminreichste Nahrungsmittel, das uns die Natur in unseren Breiten liefert. Zu finden sind sie an Hecken, auf Halden, an Waldrändern. Sie enthalten etwa 800 bis 1200 Milligramm Vitamin C pro 100 Gramm (wobei bei allen genannten Früchten der Gehalt je nach Sorte, Tageszeit, Erntezeitpunkt und sogar Wetter schwankt). Selbst nach der Verarbeitung zu Konfitüre («Hagebuttenmark»), Gelee, Saft, Sirup oder Sauce (eine besondere Delikatesse z.B. zu Wild) sind oft noch beträchtliche Mengen Vitamin C vorhanden. Ausserdem bieten Hagebutten 800 Mikrogramm Vitamin A pro 100 Gramm und damit mehr als den Tagesbedarf, etliche B-Vitamine und Vitamin E, Carotinoide (darunter Lycopin) und Anthocyane.
Essbar sind die Hagebutten aller Wildrosen, am fleischigsten und ergiebigsten sind die Früchte von Apfel- bzw. Kartoffelrose (Rosa rugosa) und Hundsrose (R. canina). Bei der Ernte (August/September bei Apfel-/Kartoffelrose, Mitte September/Oktober bei Hundsrose) trägt man am besten spezielle Rosenhandschuhe. Hagebutten sind etwas für Feinschmecker, die bereit sind, sich für gesunde und genussvolle Küche etwas mehr Arbeit zu machen.
Heidelbeeren (Vaccinium myrtillus) weisen etwa 30 Milligramm Vitamin C pro 100 Gramm auf und enthalten raue Mengen an wertvollen Polyphenolen.
Jeder Pflanzenteil des weit verbreiteten Strauchs bzw. Baums ist für Mensch und Tier nützlich, was ihm die Bezeichnung «Bauernapotheke» eingebracht hat. Holunderblütentee oder warmen Holundersaft haben schon unsere Urgrossmütter kleinen und grossen Patienten gegen Schnupfen, Fieber und Husten verabreicht. Ob die lindernde und schweisstreibende Wirkung wirklich am Holunder (Sambucus nigra) liegt oder eher am warmen Getränk als solchem, ist nicht nachgewiesen - aber gut tut es allemal, und immerhin gibt es in einigen kleinen Studien Hinweise, dass eine Erkältung mit Hilfe von Holunder schneller wieder abklingt. Zweifellos gesund sind die Flavonoide in den Holunderbeeren: unter anderem Rutin (wirkt antioxidativ v.a. in Blutgefässen und Darm), Hyperosid, das auch in Johanniskraut vorkommt, sowie die Anthocyane Sambucin und Sambucyanin, die die Beeren so tief schwarzblau färben. Ausserdem stecken in Holunderbeeren B-Vitamine, Vitamin C (etwa 18 Milligramm pro 100 Gramm) sowie die wichtige Folsäure. Wenig bekömmlich ist dagegen das giftige Sambunigrin in (besonders unreifen) Holunderbeeren, aus dem Blausäure freigesetzt werden kann. Der Stoff kann Übelkeit und Erbrechen hervorrufen.
Daher sollte man Holunder nicht roh essen, nur reife Früchte verzehren und diese kochen. Das Erhitzen auf mindestens 80 Grad zerstört den unerwünschten Begleiter. Ernten kann man Holunder ab Mitte August. Saft und Gelee aus den dunklen Beeren sind spätsommerliche Köstlichkeiten.
Um an Preiselbeeren (Vaccinium vitis-idea) zu kommen, müssen Sie ein wenig in die Höhe steigen. Sie wachsen auf mageren, sauren Böden der Alpen und höheren Mittelgebirge und reifen etwa ab Mitte Juli. Die leuchtend roten Früchte enthalten viel Provitamin A, die Vitamine B1, B2 und B3 sowie etwa 12 Milligramm Vitamin C auf 100 Gramm. Daneben bieten sie mit 14 Milligramm einiges an Kalzium. Auf den Gehalt an Anthocyanen wird unter anderem ihre Schutzwirkung vor Blasen- und Nierenentzündungen zurückgeführt, da diese wahrscheinlich das Einnisten von Bakterien in den Schleimhäuten verhindern. Die ebenfalls nützlichen Gerbstoffe machen die Beeren aber ziemlich herb-säuerlich, daher werden sie meist zu Kompott oder Konfitüre verarbeitet, also mit viel Zucker versetzt. Versuchen Sie einmal eine Linzer Torte, Rotkohl oderZiegenfrischkäse mit nicht zu stark gesüssten Preiselbeeren. Sehr fein ist auch Apfelkompott mit den säuerlichen Früchtchen - das schmeckt sogar ganz ohne oder mit sehr wenig Zucker.
Der dornige Strauch aus der Familie der Ölweidengewächse mag es sandig und salzig, weshalb er an der Nord- und Ostseeküste zuhause ist, aber auch an der Uferböschung von Alpenflüssen und an Autobahngrünstreifen. Die säuerlich schmeckenden, orange-roten Beeren sind ein ausgezeichnetes
natürliches Stärkungsmittel und enthalten zehnmal soviel Vitamin C als Orangen und Zitronen. Sanddorn (Hippophae rhamnoides) kann mit durchschnittlich 450 Milligramm pro 100 Gramm aufwarten, aber auch mit bis zu 900 Milligramm. Ausserdem enthalten die Beeren Lycopin, reichlich Beta- Carotin (mehr als Karotten!) sowie weitere Vitamine, in geringen Mengen sogar Vitamin B12, das sonst fast ausschliesslich in tierischer Nahrung vorkommt. Die orangefarbenen, säuerlichen Beeren können roh gegessen werden, aber auch sie schmecken verarbeitet besser. Ernte ist im September/Oktober, wobei die Sanddornfrüchte zu Beginn ihrer Reife die meisten wertvollen Inhaltsstoffe aufweisen.
Die schwarze Johannisbeere ist in Mittel- und Osteuropa, in Australien und Kanada beheimatet. Die wichtigsten Importländer in unseren Breitengraden sind heute Polen, Ungarn und Rumänien. Der Strauch wird bis zwei Meter hoch. Sein wanzenartiger, unangenehmer Geruch (in der Umgangssprache sagen viele auch «Stinkstrauch» oder «Stinkstruk») kommt von zahlreichen gelblichen Harzdrüsen auf der Unterseite der Blätter. Die dunkle Farbe der Beere rührt von dem hohen Anthocyangehalt in der Schale, die etwas fester ist als die ihres roten Pendants. Das saftige Fruchtfleisch duftet angenehm und hat einen säuerlichen, herb-aromatischen Geschmack.
Schwarze Johannisbeeren werden bevorzugt als Saft getrunken, zu Likör oder Fruchtbonbons verarbeitet, seltener roh gegessen. Sie sind in England sehr beliebt und werden dort «black current» genannt. In Frankreich heissen die Beeren und daraus hergestellte Produkte «cassis», am bekanntesten ist wohl der berühmte schwarze Johannisbeerlikör aus dem Burgund.
Die Frucht ist reich an Kalium, Kalzium, Magnesium und Eisen. Zweifelsohne ist sie die gesundheitlich wertvollste Beerenart, nicht zuletzt wegen des ungewöhnlich hohen Vitamin-C-Gehalts. 100 Gramm schwarze Johannisbeeren enthalten 175 mg Vitamin C. Zum Vergleich: dieselbe Menge an roten Johannisbeeren enthält 35 mg, an Orangen 50 mg und an Äpfeln 12 mg.
Ob als frische Früchte, Saft oder Zutat in der Küche – Ihrer Gesundheit zuliebe sollten Sie die Saison der dreifarbigen Power-Beeren ausgiebig geniessen!
Wacholder (Juniperus communis) wird auch die «Zypresse des Nordens» genannt, sie liebt Moor- und Heideböden und ist seit jeher als Räuchermittel bekannt.
(Wald-)Erdbeeren (Fragaria vesca) erreichen durchschnittlich 65 Milligramm Vitamin C (also mehr als Zitronen; der Tagesbedarf eines Erwachsenen liegt übrigens bei etwa 100 Milligramm), für eine Frucht aussergewöhnlich viel Folsäure (65 Mikrogramm pro 100 Gramm; Tagesbedarf Erwachsene und Kinder ab 13 Jahren: 300 Mikrogramm) sowie sehr viele Sekundärstoffe wie Catechin, Quercetin, Lutein und Zeaxanthin.
Waldhimbeeren (Rubus idaeus) bringen es auf etwa 25 Milligramm Vitamin C, 15 Mikrogramm Beta-Carotin und immerhin 30 Mikrogramm Folsäure.
Gesund scheint heute nicht mehr auszureichen: «Superfood» muss es sein. Exoten, für die es einheimische Alternativen gibt. Eine kritische Betrachtung des Ernährungsphänomens Superfoods.