Würziger Wacholder Die blauen Beeren sind als Gewürz etwas in Vergessenheit geraten, als Aromazutat in der Trendspirituose Gin aber seit Jahren gefeiert. Nicht zu verachten ist die traditionell geschätzte Heilwirkung des Gewächses.
Text: Andrea Pauli
Der Gemeine Wacholder (Juniperus communis) gehört zur Familie der Zypressen und ist innerhalb seiner Art etwas Besonderes, denn im Gegensatz zu vielen anderen Wacholderarten besitzt er keine schuppenförmigen, sondern spitze, nadelförmige Blätter. Er kommt nur auf der nördlichen Erdhalbkugel vor, ist dort aber weit verbreitet: Von der Küste des Eismeeres bis zu den Gebirgen Nordafrikas und bis zum 30. Breitengrad in Nordamerika und Asien. In den Alpen begegnet man ihm bis auf 3570 Meter, damit ist er das am höchsten steigende Gehölz Europas.
Der immergrüne Wacholder wächst eigentlich überall, denn er stellt keine Ansprüche an den Boden und verträgt sowohl Trockenheit als auch tiefe Temperaturen. Das Einzige, was er wirklich braucht, ist Licht; im Schatten anderer Bäume kümmert er vor sich hin. Besonders liebt der Wacholder offene Landschaften wie die Heide oder die Macchia. Je nach den Gegebenheiten wächst er – vor allem in Höhenlagen – niedrig, verzweigt und buschig in die Breite, als drei bis fünf Meter hoher, säulenförmiger Strauch und manchmal auch als zypressenartiger Baum mit einer Höhe bis zu zehn Metern. Im deutschen Sprachraum kennt man mehr als 150 verschiedene, regional gebräuchliche Bezeichnungen für den Wacholder. Zu den bekanntesten zählen Kranewitt, Queckholder, Reckholder und Machandelbaum (z.B. in einem Grimm'schen Märchen).
Wacholderbeeren sind die Früchte des gleichnamigen Baumes. Nimmt man es botanisch genau, handelt es sich nicht um Beeren (Früchte gibt es bei Nadelgehölzen generell nicht), sondern um kugelförmige Zapfen, die den Samen einschliessen. Die Beerenzapfen brauchen Zeit zu reifen: Im ersten Jahr sind sie grün, hart und schmecken nicht. Erst im Sommer des zweiten oder dritten Jahres werden sie fleischig, schwarzblau und bekommen einen Wachsüberzug.
Wacholderpflanzen stehen unter Naturschutz, die Beeren dürfen aber gepflückt werden. Tun Sie das von September bis November aber nur, wenn Sie sehr widerstandsfähig sind, denn es ist ein beschwerliches und schmerzhaftes Geschäft. Die spitzen Nadeln des Wacholders reizen nämlich die Haut und stechen ganz schön zu. Daher ist das Kaufen getrockneter Wacholderbeeren die bequemere Alternative. Ganze Beeren halten sich, trocken und lichtgeschützt aufbewahrt, drei Jahre, gemahlene etwa 18 Monate.
Der Sadebaum (Juniperus sabina), auch Stink-Wacholder genannt, trägt ähnliche Beeren wie der Wacholder. Er ist jedoch in allen Teilen giftig (siehe auch: Giftige Pflanzen). Junge Sträucher haben spitze, nadelförmige Blätter, später werden sie schuppenförmig. Beim Zerreiben riechen sie unangenehm. In Europa kommt der Sadebaum in der spanischen Sierra Nevada, in den Gebirgen des Balkans, in Südtirol, in Kärnten und Tirol, in Graubünden, im Wallis und Unterengadin sowie in Südbayern vor.
Die schwarzbraunen Beeren riechen kräftig, schmecken süsslich-würzig, leicht harzig-bitter und passen besonders gut zu Fischsud und -marinaden, Geflügelterrinen, Pasteten, Wildgerichten und Sauerbraten, Rotkohl und Sauerkraut, Rote Beete/Randen, eingelegten Gurken und anderen Essiggemüsen. Ein Hauch von Wacholder rundet Suppen und dunkle Saucen ab. Die Beeren werden zerdrückt und mitgekocht; will man sie aus einem Gemüse oder einer Sauce nicht herausfischen, füllt man sie am besten in einen Teefilter. Wacholder, der schwere Speisen besser verdaulich macht, sollte sparsam dosiert werden, denn seine Würze kann jedes andere Aroma übertönen.
Zu Zeiten, als ein saftiger Sonntagsbraten noch als Krönung des wöchentlichen Speisezettels galt, waren Wacholderbeeren regelmässig im Einsatz. Im Zuge neuer Ernährungsgewohnheiten gerieten sie etwas ausser Mode. Der spezielle Wacholdergeschmack feierte in den vergangenen Jahren indes an den Bartresen der Metropolen neue Urstände: in Form von Gin (britisch), Genever (holländisch/belgisch), Steinhäger (deutsch) oder Borovička (ungarisch). In der Schnapsbrennerei werden Wacholderbeeren vergärt und destilliert. Die Beerenzapfen enthalten neben ätherischen Ölen auch etwa 30 Prozent Zucker, woraus das besondere süss-bittere Aroma resultiert. Aus der perfekten Mischung mit dem passenden Tonic Water wurde beinahe eine Wissenschaft gemacht.
Dieser Trend flacht allmählich ab. Kein Grund jedoch, das Gewächs zu verschmähen – in der traditionellen Naturheilkunde hat Wacholder schon immer seinen Platz und das seit Jahrhunderten. Er gilt aufgrund seiner stark wärmenden Wirkung als Universalheilmittel.
Die bitter-würzigen Beeren enthalten Gerbstoffe, Flavonoide, Zucker und ätherisches Öl. Die moderne Phytotherapie schreibt der Droge besonders wegen ihres ätherischen Öls Wirkungen auf den Verdauungstrakt zu, etwa die Förderung der Darmbeweglichkeit und der Drüsensekrete sowie krampflösende Effekte an der glatten Muskulatur.
Das «Committee on Herbal Medicinal Products» der europäischen Arzneimittelbehörde hat Wacholderöl als traditionelles pflanzliches Arzneimittel bei dyspeptischen Beschwerden eingestuft. Hauptwirkstoff ist α-Pinen, ein Monoterpen-Kohlenwasserstoff, der u.a. antibakterielle, antimykotische und entzündungshemmende Eigenschaften aufweist. Wissenschaftler gehen jedoch davon aus, dass erst das Zusammenspiel mit weiteren Wirkstoffen im Wacholder die positiven Effekte hervorruft.
Zudem wird die Droge traditionell unterstützend zur Durchspülungstherapie bei leichten Harnwegsbeschwerden eingesetzt. Man sagt ihr auch eine antiseptische Wirkung nach, was die Atemwege betrifft. Zudem soll sie eine geregelte Monatsblutung fördern.
Hinweis: Der Gemeine Wacholder (Juniperus communis) gilt als leicht giftig. Bei einer Überdosierung können die Nieren gereizt werden. Wacholderbeeren und pflanzliche Juniperus-Präparate sollten in der Schwangerschaft nicht verzehrt bzw. eingenommen werden.
Bereits in der Antike wurde Wacholder zur Wunddesinfektion und als galle- und harntreibendes Mittel genutzt. Im Mittelalter gehörte er zu den wichtigsten Heilpflanzen. Tee, Tinktur, Sirup oder das ätherische Öl wurden bei Husten, Appetitlosigkeit, Durchfällen, Leber- und Gallenleiden sowie zum Entwässern eingesetzt.
Zweige und Holz wurden in grossen Mengen verbrannt, um die Pest einzudämmen. Kranken- und Sterbezimmer wurden mit Wacholder ausgeräuchert. Die Wertschätzung des Holunders/Holders sowie des Wacholders/Reckholders drückt sich in vielen ähnlichen Sprüchen aus, von denen eine schweizerische Version so lautet: «Vor de Holdere sell me de Huet abziehe und vor der Reckholdere 's Chnü biege.» In neuerer Zeit schätzte besonders Sebastian Kneipp die Wacholderkur. Bei Sodbrennen, Magenbeschwerden, Blähungen und Verdauungsproblemen empfahl er das Kauen der Beeren. (Vier Beeren am ersten Tag gut kauen und dann schlucken, darauf steigert man die Dosis pro Tag um eine Beere bis zu 15 Stück. Dann wird die Menge täglich um eine Beere verringert, bis man wieder bei vier am Tag angelangt ist.)
Bei lang andauernder Einnahme (mehr als sechs Wochen) der Beeren oder Überdosierung von Wacholderbeeröl sind Nierenschädigungen nicht auszuschliessen. Nierenkranke sollten ganz auf Wacholder verzichten. Schwangere dürfen weder die Beeren noch das Wacholderbeeröl zu sich nehmen und sich auch nicht damit einreiben, weil die Uterusmuskulatur angeregt wird, was abtreibend wirken könnte.
Anwendung und Einsatzbereiche Wacholderbeeren werden in Teemischungen und als Gewürz verwendet. Das aus den Beerenzapfen gewonnene Öl kommt in Form von Badezusätzen und Einreibungen bei rheumatischen Erkrankungen zum Einsatz.
Tipps für ein Rheumabad und ein Rheumaöl:
Wacholderbeeröl kommt für die äusserliche Anwendung zum Einsatz, die getrockneten Beeren für die innerliche.