Fasten nützt auch schlanken Menschen. Denn eine kalorienarme Ernährung soll Krankheiten vorbeugen, das Altern verzögern und vielleicht auch das Leben verlängern können.
Text: Gisela Dürselen
Kalorienrestriktion, also eine Ernährungsweise, welche die Energieaufnahme reduziert, zugleich aber den Bedarf an essenziellen Nährstoffen deckt, fördert Studien zufolge die Gesundheit: Eine kalorienarme Ernährung soll unter anderem Entzündungen reduzieren, Darmmikrobiom, Stoffwechsel und Gedächtnis positiv beeinflussen und die Reparaturmechanismen der Zellen fördern.
Dass Menschen hierzulande nicht mehr hungern müssen, ist ein Segen – doch auch ein Leben im Überfluss hat seine negativen Seiten: Menschen in reichen Industrieländern ernährten sich nicht nur ungesund, sondern auch zu einseitig, schreibt der Fasten- und Ernährungsexperte Prof. Andreas Michalsen in seinem Buch «Mit Ernährung heilen». Viele Menschen würden krank durch «zu viele Kohlenhydrate, zu viele tierische Eiweisse, ungesunde Fette, zu viele Zusatzstoffe», so der Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde am Berliner Immanuel Krankenhaus und Inhaber einer Stiftungsprofessur an der Abteilung Naturheilkunde der Charité-Universitätsmedizin Berlin.
Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind in der Europäischen Union 59 Prozent der Erwachsenen und nahezu jedes dritte Kind übergewichtig oder adipös, also stark fettleibig. Die Situation in der Schweiz ist vergleichbar. Übergewicht und Fettleibigkeit sind aber nachweislich Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus Typ 2 und verschiedene Krebsarten. «Wenn den Zellen mehr Energie angeboten wird als sie brauchen, zirkulieren Zucker und Fette im Blut. Ein Zuviel an Zucker schädigt die Gefässe und ist ein Risikofaktor für Herzinfarkt und Schlaganfall; zirkulierende Fette können unter anderem eine Fettleber verursachen», sagt Prof. Michalsen. Überschüssige Zucker und Fette führten zu einer Zunahme von Entzündungsbotenstoffen, die wiederum die Neigung zu entzündlichen Krankheiten sowie zu bestimmten Krebsarten wie Brust-, Gebärmutter- und Prostatakrebs, aber auch Darmkrebs stärkten.
Erste Untersuchungen zur Kalorienrestriktion stammen bereits aus den 1930er-Jahren. Es folgten viele weitere Studien mit Fadenwürmern, Fruchtfliegen, Spinnen und verschiedenen Säugetieren, die vielversprechende Befunde lieferten. Ein internationales Team um Prof. Mirko Trajkovski von der Universität Genf veröffentlichte 2018 einen Artikel in der Fachzeitschrift «Cell Metabolism», der die Ergebnisse einer vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützten Studie an Mäusen resümierte. Dabei wurde eine Gruppe der Versuchstiere 30 Tage lang einer 40-prozentigen Kalorienrestriktion unterzogen, während die andere nach Belieben weiterfressen durfte.
Im Unterschied zur Kontrollgruppe wurden die Tiere mit eingeschränktem Nahrungsangebot nicht nur schlanker, sie reagierten auch besser auf Insulin, ihre Leber verarbeitete Zucker und Fett auf eine gesündere Weise und sie ertrugen kältere Temperaturen besser, sagt Prof. Trajkovski. Eine wichtige Ursache hierfür scheint in der Darmflora zu liegen: Im Zuge einer DNA-Sequenzierung der Darmbakterien (Mikrobiota) habe man eine veränderte Zusammensetzung der Mikroorganismen beobachtet, die dazu führte, dass weniger toxische Lipopolysaccharide (LPS) produziert wurden. LPS sind Verbindungen aus fettähnlichen und Zuckerbestandteilen in der äusseren Membran bestimmter Darmbakterien. Diese sind im Falle einer Infektion wichtig beim Wechselspiel zwischen Bakterien und Immunsystem. Wenn allerdings überschüssige LPS-Moleküle in den Blutkreislauf gelangen, können sie stille Entzündungen fördern, die wiederum langfristig das Gewebe schädigen und Stoffwechselprozesse negativ verändern. «Auch Menschen mit Fettleibigkeit haben einen erhöhten LPS-Spiegel, der zu einer unterschwelligen systemischen Entzündung beiträgt und negative Auswirkungen auf die Gesundheit hat», so Prof. Trajkovski.
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In der Genfer Studie entwickelten die Mäuse mit der kalorienreduzierten Diät auch mehr beiges Fettgewebe, das im Unterschied zum weissen Fettgewebe keine Energie speichert, sondern wie braunes Fettgewebe Kalorien verbrennt, um Wärme zu erzeugen. Ähnliche Effekte seien beim Ausdauertraining und intermittierenden Fasten beobachtet worden, schreiben Prof. Trajkovski und Kollegen in einem Fachartikel für das erste Badener Präventionssymposium, das 2020 am Kantonsspital Baden stattfand.
Der Mechanismus sei noch nicht klar: Möglicherweise führe die negative Energiebilanz, «der Fettabbau und die damit verringerte physikalische Wärme-Isolation zu einem Rückkopplungsmechanismus für eine erhöhte Wärmeerzeugung aus dem verbleibenden Fettgewebe». Alle Säugetiere besitzen sowohl weisses als auch braunes und beiges Fettgewebe, so auch der Mensch. Inwieweit sich jedoch die Ergebnisse aus Mäuseexperimenten auf den Menschen übertragen liessen, müssten in Zukunft Humanstudien zeigen, heisst es in dem Artikel.
Das «Geheimnis» der Hundertjährigen: kalorienarme Ernährung, die reich an Phytonährstoffen und Antioxidantien ist.
Humanstudien zur Kalorienreduktion sind bisher eher die Ausnahme: Die längere Lebensdauer von Menschen erschwert eine Messung der Auswirkungen des Fastens auf Alterungsprozesse. Eine verminderte Nahrungsaufnahme wie in Tierexperimenten um 30 bis 40 Prozent bedeutet ferner eine drastische Einschränkung im Alltag, die Probanden nicht immer längerfristig durchhalten; ausserdem stellt sich bei derartigen Versuchen die Frage nach der Überprüfbarkeit, ob die Diät auch tatsächlich eingehalten wird.
Es gibt einige indirekte Hinweise aus epidemiologischen Studien, die auf einen Zusammenhang zwischen energiearmer Nahrung und Gesundheit beziehungsweise Langlebigkeit beim Menschen hinweisen. Diese Beobachtungsstudien befassten sich z.B. mit Bevölkerungen, die in Kriegszeiten eine Periode des Hungers erlebten, und mit Orten wie der japanischen Insel Okinawa, die über Jahre hinweg berühmt war für ihre vielen über hundertjährigen Bewohner.
Ob die Langlebigkeit der meist Ende des 19. Jahrhunderts geborenen Senioren tatsächlich auf Lebensbedingungen zurückzuführen ist, die einer Kalorienrestriktion ähneln, ist noch nicht endgültig geklärt. Denn als Ursache kommen auch weitere Faktoren wie eine genetische Veranlagung und der traditionelle Gebrauch von medizinisch wirksamen Küchenkräutern infrage. Fakt jedoch ist, dass die traditionelle Okinawa-Kost in der Hauptsache aus Obst und Gemüse besteht und damit arm an Kalorien, dafür reich an wichtigen Phytonährstoffen und Antioxidantien ist.
Bei der sogenannten Calerie-Studie von 2007 bis 2011 wurden erstmals die Auswirkungen einer längerfristigen Kalorienrestriktion auf Menschen untersucht. Für ihre klinische Langzeitstudie unter der Leitung der Duke University School of Medicine wählten die Wissenschaftler 220 gesunde, nicht fettleibige Erwachsene zwischen 21 und 50 Jahren nach dem Zufallsprinzip in verschiedenen Regionen der USA aus. Ein Teil bildete die Kontrollgruppe, der andere Teil der Probanden hatte sich sich zwei Jahre lang einer 25-prozentigen Kalorienreduktion zu unterziehen.
Nach der Studie hatten sich bei den Probanden sämtliche kardiometabolischen Stoffwechselparameter wie HDL- und LDL-Cholesterin, Insulinsensitivität und Triglyzeride verbessert. Das internationale Forscherteam mass auch den Fortschritt der biologischen Alterung mittels chemischer Markierungen in weissen Blutkörperchen, die sich mit dem Alter verändern. Bei den Nachuntersuchungen zwölf und 24 Monate nach der Studie hatte sich der so gemessene Alterungsprozess verlangsamt, jedoch nur moderat. Allerdings hatten die Probanden ihr Ziel bei der Nahrungs-Reduzierung auch leicht verfehlt: Statt 25 Prozent hatten sie im Schnitt nur knapp 12 Prozent der Kalorien eingespart. Bei einer kleineren Vorgängerstudie schränkten die gesunden Teilnehmer mittleren Alters ihre Kalorienzufuhr nur um 14 Prozent ein. Dabei zeigten sich auch bei dieser moderaten Kalorienrestriktion positive Effekte: Unter anderem verringerte sich auch dabei die Anzahl entzündungsfördernder Zytokine im Blut und in der Thymusdrüse, einem wichtigen Element des Immunsystems. Ferner verbesserte sich auch die Reifung von Krankheitserreger bekämpfenden T-Zellen.
Laut den Autoren weisen die Daten der Studie darauf hin, dass durch die Kalorienrestriktion möglicherweise ein gewebeschützendes Programm im Zusammenspiel zwischen Immunsystem und Stoffwechsel aktiviert werden könnte. Derzeit wird in einer Folgestudie untersucht, ob sich die positiven Effekte auch noch nach mehr als zwei Jahrzehnten messen lassen.
Dass sich eine kalorienarme Ernährung auch positiv auf das Gehirn auswirkt, wurde bereits in Tierstudien nachgewiesen. Auch in mehreren Studien mit Menschen wurde beobachtet, dass eine Gewichtsreduktion durch Kalorienrestriktion zu einer Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten führt und womöglich auch das Fortschreiten neurodegenerativer Erkrankungen wie Alzheimer und Parkinson vorbeugen und verlangsamen könnte.
Künftig könnten aus den in Pilzen, Kurkuma und Traubenschalen vorhandenen Naturstoffen sogenannte Mimetika zur Kalorienreduktion gewonnen werden. (Foto: 123RF/barilos, smon und milanares)
Angesichts der bisherigen Befunde suchen Wissenschaftler aktuell nach sogenannten Mimetika, also chemischen Verbindungen, welche die positiven Wirkungen einer Kalorienreduktion nachahmen. Die Hoffnung ist, dass es eines Tages Medikamente gegen altersbedingte Erkrankungen gibt sowie gegen Fettleibigkeit und die damit verbundenen Krankheitsrisiken. Zu den potenziellen Kandidaten gehören unter anderem der Naturstoff Spermidin, der vor allem in Weizenkeimen, Pilzen und Hülsenfrüchten vorkommt, Curcumin aus den Wurzeln der Kurkuma-Pflanze und Resveratrol, eine antioxidativ wirkende, natürliche Verbindung, die in Traubenschalen vorkommt.
Prof. Trajkovski von der Universität Genf untersucht derzeit mit seinem Team einzelne Bakterienarten aus dem Darm, welche die Produktion von toxischem LPS einschränken und damit ebenfalls die Wirkung einer Kalorienrestriktion nachahmen könnten.
Noch bleibt eine Reihe von offenen Fragen: Welche Rolle spielen etwa Art und Dauer, Zeitpunkt und Intensität einer Kalorienrestriktion oder Diät? Bei welchen Symptomen und Erkrankungen hilft welche Intervention am besten? Und schliesslich: Wie lange bleiben die positiven Effekte erhalten? Insbesondere bei ernährungsbedingtem Übergewicht, bei entzündlichen Erkrankungen wie Multipler Sklerose (MS), Arthrose, Rheuma und Diabetes Typ 2, bei Fettleber sowie bei chronischen Herz-Kreislauf-Problemen ist Fasten laut Prof. Michalsen eine «wunderbare ergänzende Therapie».
In Eigenregie allerdings könnte eine drastische oder längerfristige Verringerung der Kalorienzufuhr wie bei der Calerie-Studie um 25 Prozent kaum eine gute Idee sein. Denn es gibt auch mögliche Nebenwirkungen. So kann chronisches Untergewicht Prof. Michalsen zufolge das Immunsystem schwächen, zu wenig Eiweiss zu brüchigen Knochen führen; Krankheiten wie Gicht und Gallensteine sowie Essstörungen können sich bei einer Diät verschlimmern, und Medikamente wie Blutdrucksenker und Diabetesmittel müssen beim Fasten in ihrer Dosis angepasst werden. Als Ausschlusskriterien fürs Fasten gelten Medizinern auch Schwangerschaft und Stillzeit und die Entwicklungsjahre während der Kindheit und Jugend.
Lange Zeit war Fasten auch ein Tabu bei einer Krebsdiagnose. Inzwischen weist jedoch eine Reihe von Studien darauf hin, dass Kurzzeitfasten eine Chemotherapie bei bestimmten Krebsarten möglicherweise effektiver und verträglicher machen könnte. Bei einer 2018 erschienenen, kleineren Pilotstudie, an der auch Prof. Michalsen beteiligt war, wurde der Effekt von Kurzzeitfasten bei Patientinnen mit einem Mamma- oder Ovarialkarzinom während der Chemotherapie auf die Lebensqualität untersucht. Dabei fasteten 34 normalgewichtige Patientinnen während sechs Behandlungszyklen; das Fasten begann jeweils 36 Stunden vor Beginn der Chemotherapie und endete 24 Stunden nach dem Ende. Laut Studie berichteten die Frauen im Vergleich zur Kontrollgruppe von einer verminderten Fatigue nach der Chemotherapie und einer weniger starken Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität.
Eine bessere Effektivität einer Chemotherapie durch Fasten könnte laut Prof. Michalsen damit erklärbar sein, dass gesunde Zellen beim Fasten ihr Wachstum zugunsten von Reparaturmechanismen einschränken, während Krebszellen diese Fähigkeit nicht besitzen und darum verwundbarer sind.
Für wen Fasten gesund und welche Art die optimale ist, hängt Prof. Michalsen zufolge von der Ausgangssituation sowie der individuellen Konstitution und Genetik ab. Da eine dauerhafte Kalorienreduktion für viele schwer sei, kämen auch andere Diäten mit ähnlich positiven Effekten infrage, z.B. Heilfasten, Intervallfasten und Scheinfasten nach Prof. Valter Longo, bei dem an jeweils fünf Tagen bei reduzierter Eiweiss- und Kalorienzufuhr nur bestimmte vegane Arten von Essen erlaubt sind. Solche periodischen Fastenkuren könnten zwei- bis dreimal pro Jahr wiederholt werden; ihre positiven Wirkungen hielten meist ein paar Monate lang an, sagt Prof. Michalsen.
Wichtig ist es der Erfahrung von Prof. Michalsen zufolge vor allem, dem Stoffwechsel Pausen zu gönnen. Das menschliche Verdauungs- und Stoffwechselsystem habe sich seit 100 000 Jahren kaum verändert, schreibt Prof. Michalsen in seinem Buch «Mit Ernährung heilen». Gene und Zellen seien immer noch in einem uralten Programm verankert, das den Rhythmus vorgebe: «Essen, gefolgt von Phasen des Hungerns, gefolgt von Nahrungsaufnahme ...» Ein weiterer wichtiger Aspekt bleibe die Art der Nahrung. Hierbei gelte die Devise: «Je pflanzlicher und weniger verarbeitet, je weniger Fleisch und Wurst, desto gesünder.»
Zuletzt aktualisiert: 07-02-2025