Demenz beruht auf Hirnveränderungen, die vorwiegend altersbedingt auftreten und im Prinzip jeden treffen können. Die Krankheit des Gehirns mit fortschreitenden Verlusten von Gedächtnis, Denk- und Lernfähigkeit, Orientierungs- und Urteilsvermögen entwickelte sich mit dem Anstieg der Lebenserwartung zu einer wahren Volkskrankheit.
Eine Demenz kann verschiedene Ursachen haben. Mit 60 bis 70 Prozent ist die Alzheimer-Krankheit die weitaus häufigste Form, mit 15 bis 20 Prozent steht die vaskuläre Demenz (Durchblutungsstörungen im Gehirn bzw. Schlaganfälle) an zweiter Stelle. Der Rest ist bedingt durch andere Krankheitsbilder (z.B. Parkinson, seltene Stoffwechselstörungen, Depression, Alkoholmissbrauch).
Je älter ein Mensch wird, umso höher ist sein Risiko, an Alzheimer zu erkranken. Ab 65 beträgt das statistische Risiko rund fünf Prozent, bei den über 80-Jährigen wird bei fast jedem Fünften Alzheimer diagnostiziert, mit 90 und mehr Jahren trifft es jeden Dritten.
Nach wie vor seltener sind die Fälle, in denen jüngere Menschen an Alzheimer erkranken. Durch die Presse gingen prominente Namen wie Rita Hayworth oder Sugar Ray Robinson. Die schöne Schauspielerin erkrankte mit Mitte fünfzig und starb im Alter von 68 Jahren, der fünffache Box-Weltmeister litt etwa 15 Jahre lang an der Altersverwirrtheit vor seinem Tod mit 67. Der jüngste bisher bekannte Alzheimer-Patient erkrankte mit 27 Jahren und starb mit 33.
Einem Krebskranken ist das Mitleid seiner Umwelt sicher. AIDS ist seit langem im öffentlichen Bewusstsein und eine Talkshow-taugliche Erkrankung. Wie aber steht es mit der Alters-Demenz? Demente Menschen haben keine Stimme und keine Lobby. Bestenfalls wird über Demenz-Patienten gesprochen oder geschrieben.
Mit dem Hirnverfall ist nach wie vor ein demütigender Stempel verbunden. Angst, Scham, Ausweglosigkeit und Trauer sind die beherrschenden Gefühle sowohl der Demenzkranken als auch ihrer Angehörigen, und sie fühlen sich nur allzu oft von der Gesellschaft an den Rand gedrückt.
Der 67-jährige Psychologe Richard Taylor betonte auf einer Fachtagung im Februar dieses Jahres in Zürich, wie wichtig es sei, «den Demenzkranken nicht als anormal, sondern als Mitmenschen zu sehen – bis zum Tod». Taylor, dessen Buch «Alzheimer und Ich» (Huber Verlag, Bern) auch in Europa Aufsehen erregte, erhielt vor neun Jahren die Diagnose: Demenz, vermutlich Typ Alzheimer. Mit Unterstützung seiner Frau kämpft der Texaner auf seiner Website und mit Vorträgen in aller Welt dafür, dass Demenzkranke ernst genommen werden und sich der Blick der Gesellschaft auf sie ändert.
Entdeckt wurde die Krankheit in der Frankfurter «Heilanstalt für Irre und Epileptische». Dort war die 51-jährige Auguste Deter Patientin des Nervenarztes Alois Alzheimer. Auguste hatte vergessen, wie sie hiess, wo sie lebte und ob sie verheiratet war. Stundenlanges Schreien wechselte ab mit ziellosem Herumwirtschaften und vollkommener Apathie.
Alzheimers Vermutung, das Alter könne nicht die Ursache für diese Form des Schwachsinns sein, bestätigte sich, als er nach Auguste Deters Tod 1906 ihr Gehirn mit einem einfachen Mikroskop untersuchte und darin Eiweissablagerungen und tote Nervenzellen entdeckte. Noch im gleichen Jahr fasste Dr. Alzheimer bei der «Versammlung Südwestdeutscher Irrenärzte» in Tübingen seine Erkenntnisse in einem Vortrag mit dem Titel «Über eine eigenartige Erkrankung der Gehirnrinde» zusammen.
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Zwar zählt der Psychiater und Neuropathologe Alois Alzheimer, laut «Who's Who», heute zu den «populärsten Persönlichkeiten der Medizingeschichte», damals jedoch zweifelte man daran, ob es sich überhaupt um eine neue Krankheit handle.
Allerdings waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts weltweit nur zirka sechs Prozent der Bevölkerung älter als 65. Wenn einige aus dieser kleinen Gruppe durch geistige Verwirrung und merkwürdiges Verhalten auffielen, schrieb man das einer «normalen» Altersschwäche zu. Erschwerend kam (und kommt) hinzu, dass eine eindeutige Diagnose erst nach dem Tod der Betroffenen erstellt werden kann.
Eines ist inzwischen völlig klar: Hirnleistungsstörungen sind nicht Ausdruck des normalen Alterns, sondern recht genau umschriebene Krankheitsbilder. Genauso richtig ist allerdings auch: Bis heute gibt es keinen hundertprozentig sicheren Test zur Diagnose von Alzheimer. Die Diagnose geschieht im Ausschlussverfahren. Gestützt wird sie durch kognitive (auf Denken und Erkenntnis beruhende) Tests beim Neurologen, Psychiater, in einer Gedächtnis-Ambulanz oder Memory-Klinik. Unter Umständen werden zusätzlich bildgebende Verfahren eingesetzt.
Die Alzheimer-Krankheit ist unheilbar. Sie betrifft sowohl die Leistungsfähigkeit des Gehirns als auch das Verhalten bzw. die Persönlichkeit. Der Verlauf ist individuell verschieden, kann jedoch durchaus in verschiedenen Stadien systematisiert werden.
Es fängt recht harmlos und unmerklich an. Und doch ist die Alzheimer-Krankheit mehr als Schusseligkeit oder das Vergessen von Namen. Zwar ist der Dings von Dingens typisch, aber das passiert jedem älteren Menschen.
Alzheimer-Patienten reagieren und lernen langsamer als gewohnt, unterliegen Gemütsschwankungen. Am auffälligsten sind Defizite des Kurzzeitgedächtnisses.
Nach einiger Zeit beginnen die Erkrankten, vor allem Neuen zurückzuschrecken, und bevorzugen das, was ihnen gut bekannt ist. Unbezahlte Rechnungen bleiben liegen, Bankgeschäfte werden nicht mehr erledigt. Auf Auto- und Fahrradfahren muss verzichtet werden.
Oft merken die Erkrankten selbst, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Verständlicherweise fällt es ihnen aber aus Angst und Scham schwer, die Veränderung zuzugeben. Stattdessen versuchen sie, die «normale» Fassade aufrecht zu erhalten. Mit Routine und Cleverness überspielen sie Gedächtnislücken, mit höflichen Floskeln oder Allgemeinplätzen vertuschen sie den mangelnden Überblick.
So werden uninformierte Angehörige dazu verleitet, die Folgen der Krankheit völlig falsch einzuschätzen, und erkennen nicht, wie durcheinander und unsicher die Erkrankten wirklich sind, dass sie schnell vergessen und Dinge falsch beurteilen.
Wenn Alzheimer-Kranke spüren, dass sie die Kontrolle verlieren, können sie beschämt, depressiv, irritiert oder gereizt bis aggressiv reagieren.
Die Medizin unterscheidet drei Stadien, die unterschiedlich lange dauern (man spricht von durchschnittlich drei Jahren, wobei die Übergänge fliessend sind). Der Tod tritt im Schnitt sieben bis zehn Jahre nach der Diagnose ein, manchmal früher oder auch erst nach zwanzig Jahren.
Reise in den Sonnenuntergang des Lebens … … so bezeichnete der US-Präsident Ronald Reagan in einem persönlichen Brief an die US-Bevölkerung seinen künftigen Weg, nachdem bei ihm die Alzheimer-Krankheit diagnostiziert worden war. (Er war der erste Prominente, der sich öffentlich zu der tabuisierten Krankheit bekannte.)
Im Endstadium können Patienten nicht mehr kauen und schlucken, die Kontrolle über Blase und Stuhlgang geht verloren. Das Gedächtnis ist nun sehr schwach, und niemand wird wiedererkannt. Körpertemperatur, Stoffwechsel und Atmung funktionieren nicht mehr, wie sie sollen. Deshalb ist Alzheimer eine tödliche Krankheit, auch wenn die meisten Patienten vorher an irgendeiner Infektion, oft an einer Lungenentzündung, sterben.
Erschreckend ist die Tatsache, dass das Absterben von Nervenzellen schon jahrelang seinen Lauf nimmt, bevor sich die ersten Symptome bemerkbar machen. Man spricht davon, dass bereits 60 bis 70 Prozent der Nervenzellen zerstört sind, bevor der Schwund auffällt. Trotzdem betonen sämtliche Fachleute die Wichtigkeit einer frühen Diagnose.
Zur medikamentösen Behandlung stehen zwei Substanzgruppen zur Verfügung: Acetylcholinesterase-Hemmer und Memantin. Sie beeinflussen die Botenstoffe Acetylcholin beziehungsweise Glutamat.
Acetylcholinesterase-Hemmer halten den Verfall der Signalübertragung in den Nervenzellen auf, bessern also die geistige Leistungskraft. Allerdings nützen sie nur in einem frühen Krankheitsstadium und auch nicht bei jedem. Darüber hinaus verlieren die Medikamente mit diesem Wirkstoff, die übrigens zahlreiche Nebenwirkungen haben, ihre Wirksamkeit nach neun bis zwölf Monaten.
Memantin, für das mittelschwere und schwere Stadium geeignet, verbessert alltägliche Fähigkeiten wie einem Gespräch oder TV-Programm folgen, sich anziehen, essen und trinken. Mögliche Nebenwirkungen sind: Schwindel, Unruhe und Reizbarkeit.
Doch alle Experten sind sich einig: Diese Medikamente (Antidementiva) haben allenfalls eine schwache Wirkung. Die Hoffnung auf neue Medikamente oder Impfstoffe ist inzwischen recht gedämpft. Zuvor müssen die Ursachen der Krankheit besser erforscht werden – und da gibt es noch viele ungelöste Rätsel.
Der Vorteil einer frühen Diagnose besteht vor allem auch darin, dass die Betroffenen eine Chance haben, Vorkehrungen für den voraussichtlichen Verlust ihrer Selbstständigkeit zu treffen und rechtzeitig Verfügungen und Vollmachten zu verfassen.
Eine geeignete Medikation (auch der Begleitsymptome wie Depression, Unruhe, Schlaflosigkeit) ist eine Sache. Ebenso wichtig – oder gar noch wichtiger – ist die Kombination mit guter Pflege und so genannten psychosozialen Massnahmen. Beispielsweise:
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Eine Studie kalifornischer Wissenschaftler an Personen im Alter von 74 bis 92 Jahren zeigte, wie sich die Feinstaubbelastung auf das Demenzrisiko auswirkt. Über zehn Jahre lang wurden die Probanden kognitiven Tests unterzogen sowie Messungen der Luftqualität am jeweiligen Wohnort durchgeführt. Dabei zeigte sich, dass eine 10-prozentige Reduktion der Feinstaubpartikel (2,5 µm) eine Verringerung des Demenzrisikos um 14 Prozent zur Folge hatte. Und das unabhängig von Alter, Bildungsstand oder kardiovaskulären Erkrankungen.
Das Risiko, an der frühen Form zu erkranken (im mittleren Alter; unter 65 Jahren), wird vererbt. Das heisst aber nicht, dass der Familienangehörige unbedingt erkrankt, andere Faktoren müssen hinzukommen. Auch bei Erkrankung mit spätem Beginn scheint Vererbung eine gewisse, wenn auch geringere Rolle zu spielen. Verwandte ersten Grades (Eltern, Geschwister, Kinder) tragen ein zwei- bis vierfach höheres Risiko, bei Verwandten zweiten Grades (Grosseltern, Onkel, Tante, Neffe, Nichte) beträgt das statistische Risiko das Zweifache.
Warum es den einen trifft und den anderen nicht, kann bisher nicht hinreichend erklärt werden.
Solche (irreführenden) Schlagzeilen tauchen immer wieder auf. Sie beruhen auf der Entdeckung, dass sich die typischen Veränderungen in Alzheimer-Gehirnen ähnlich verhalten wie infektiöse Prionen. Die Prionen, die vermutlich Rinderwahn (BSE) und die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit auslösen, können zelleigene, an sich harmlose Proteine dazu bringen, ihre Struktur zu verändern und dadurch die Hirnfunktionen zu beeinträchtigen. Die Infektiosität bezieht sich also auf die Proteine und könnte eine Erklärung dafür sein, weshalb die anormalen Eiweisse sich von einer einzigen Stelle aus über das ganze Gehirn verbreiten. Man muss also keine Angst haben, dass man sich bei einem Alzheimer-Patienten ansteckt.
Wie sich Betroffene mit der Diagnose Alzheimer/Demenz fühlen, lässt sich nur schwer nachempfinden.Gefangen in einem Labyrinth ohne Ausgang, erdrückt sie die Angst. Besonders schwerwiegend ist, dass die Patienten ihre Hilflosigkeit und den schleichenden Verfall ihres Gehirns lange Zeit durchaus erkennen. Umso deprimierender ist für sie die eigene Hilflosigkeit. Und das umso mehr, je mehr ihnen das eigene «Versagen» vor Augen geführt wird. Ungeduldige Aussagen von Angehörigen oder Pflegenden wie «Ja, weisst Du das denn nicht mehr?» oder «Das habe ich Dir jetzt doch schon x-mal gesagt» können Depressionen verstärken und gar zu Aggressionen oder Wutausbrüchen führen.
Man vermutet, dass die ersten Jahre der Demenz für die Betroffenen schwieriger sind als das spätere Stadium. Es heisst, dann hätten sie die traumatische Erfahrung, dass der Körper den Geist überlebt, bereits hinter sich. Doch niemand ahnt, was sie tatsächlich noch mitbekommen. Die an Alzheimer leidende englische Schriftstellerin Iris Murdoch horchte inmitten ihres sinnlosen Murmelns auf, wenn ihr Mann John Bailey etwas von Byron vorlas, und nickte ihm zu. Dann habe sich, berichtet Bailey, «die starre Maske für ein Lächeln aufgelöst», bevor ihr Gesicht wieder in die typische Teilnahmslosigkeit des Spätstadiums fiel.
Der Magenkeim Helicobacter pylori wird in der Forschung schon länger als Risikofaktor für Alzheimer untersucht. Bekannt ist, dass das Bakterium bis ins Gehirn vordringen und zu Entzündungen, Schädigungen und dem Verfall von Nervenzellen führen kann. Ein durch den Keim geschädigter Magen kann Vitamin B12 und Eisen weniger gut verwerten, was zusätzlich das Demenz-Risiko erhöht. Der Einfluss auf das Alzheimer-Risiko blieb in bisherigen Studien jedoch unklar. Wissenschaftler konnten nun erstmals im Fachmagazin «Alzheimer's & Dementia» zeigen, dass bei Menschen über 50 Jahren das Risiko nach einer Infektion mit Symptomen um durchschnittlich 11 Prozent erhöht sein kann – und zehn Jahre nach der Infektion sogar um 24 Prozent.