Parkinson ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Die Krankheit gilt als unheilbar und schreitet immer weiter fort. Mit Medikamenten, die dem Dopaminmangel entgegenwirken, kann man die Symptome in den Griff bekommen. Genauso wichtig ist aber auch Bewegung. Das zeigt die Forschung ganz eindeutig.
Autorin: Andrea Pauli, 03/21
Für Parkinson-Patienten ist regelmässige körperliche Aktivität von zentraler Bedeutung. Ständiges Sitzen und Inaktivität kann die Prognose deutlich verschlechtern. Mindestens eineinhalb Stunden pro Tag sollten Parkinson-Betroffene aktiv sein. Leider setzen viele das nicht um – aus Zeitmangel, weil es schmerzt oder weil Fitness an Geräten ihnen keinen Spass macht.
Doch es gibt eine Alternative, die sich als sehr wirksam erwiesen hat und viel Freude bringt: Tango! Seit über zehn Jahren wird die Wirkung von Tangotanzen auf Krankheiten mit Störungen der Beweglichkeit erforscht. Bei Menschen, die an Morbus Parkinson, Enzephalitis disseminata oder demenziellen Prozessen in frühen Stadien erkrankt waren, konnten günstige Effekte auf den Krankheitsverlauf und auf die Bewältigung der Krankheitseffekte nachgewiesen werden. Speziell Tango Argentino hat sich dabei bewährt.
Gudrun Diermayr, Professorin für Physiotherapie an der SRH Heidelberg, hat in New York zum Thema Tanztherapie geforscht. Mit ihren amerikanischen Kollegen stellte sie fest, dass Tango für Parkinson-Patienten am wirksamsten ist. Vermutlich, weil man dabei oft anhalten und wieder losgehen und weil man fast immer für einen Moment das Gewicht von einem Bein aufs andere verlagern muss.
Eine der Ersten, die Tangokurse für Parkinson-Patienten in der Schweiz anboten, ist Tänzerin, Tanzpädagogin und Tanztherapeutin Sabina Seiler. Die Parkinson Gesellschaft Schweiz hatte bei ihr angefragt, ob sie sich vorstellen könne, Tangokurse für Parkinson-Patienten abzuhalten.
Und welche Elemente enthält ihr bewegungstherapeutisches Konzept? «Ich habe mir sehr viel selbst angeeignet im Austausch mit den Betroffenen und im Zuschauen, worauf sie reagieren.
Hauptelemente sind sicher Koordination, Bewegungen über Kreuz, zum Teil auch sehr grosse, raumgreifende Bewegungen, Übungen fürs Gleichgewicht, Körperstabilisierungen, ein guter Kontakt mit dem Boden und Haltungsfragen», erklärt sie. Wichtig ist Sabina Seiler, dass die Parkinson-Patienten in ihren Kursen Rhythmusgefühl entwickeln. «Der Rhythmus hilft. Rhythmisches Gehen ist ein guter Impuls, ob über die Musik oder sprachlich von mir angeregt, das wirkt sehr fördernd», beschreibt Seiler ihre Arbeit. Sie hat eine eigene Lehrmethode entwickelt, orientiert an den Bewegungen des Tango Argentino. Doch Sabina Seiler prüft auch: Welche Abläufe aus anderen Tänzen die Betroffenen fördern, wie kann Mentaltraining helfen und was ist sonst noch dienlich zur Bewegungsaktivierung?
Bewährt haben sich Einzel- und Gruppenunterricht gleichermassen. «In einer Einzelstunde profitiert man von der Intensität der Abläufe und der Korrekturen.» Seilers Kursteilnehmer schätzten aber auch die Gruppe und den damit verbundenen Austausch.
Die Parkinson-Patienten kommen in der Regel mit ihrem nicht betroffenen Partner bzw. der Partnerin. «Das ist eigentlich eine ideale Kombination», so die Tanztherapeutin. (Man kann auch mit einem Freund, einer Freundin kommen oder mit Sohn oder Tochter.) Die Parkinson-Patienten reagieren sehr stark auf einen tänzerischen Impuls ihres Gegenübers. Zugleich ist es für die Nicht-Betroffenen eine Herausforderung. «Auch sie müssen etwas schaffen und lernen und so haben beide zu tun. Das gibt mehr Gleichgewicht und ist sehr sinnvoll, gerade als Paar», so Seilers Erfahrung.
Natürlich ist es als Parkinson-Patient einfacher, in der geführten Rolle zu sein und einfach nur den Impuls zu nehmen, statt ihn auch noch geben zu müssen. «Doch gelegentlich probiere ich auch, die Rollen zu wechseln. Es ist beides sinnvoll und möglich», so die Erfahrung der Tanztherapeutin. Das Tanzen fördert und fordert die Betroffenen ebenso wie die gesunden Partner. Durch die neuen, gemeinsamen Erfolgserlebnisse erfährt die Partnerschaft nicht selten eine neue, stärkende Harmonie.
Neben der wichtigen körperlichen Herausforderung, welche Tango Argentino für Parkinson-Patienten mit sich bringt, beobachtet Sabina Seiler auch den mentalen Benefit: «Da ist ein Erfolgserlebnis zu verspüren, die Menschen haben ein Tanzerlebnis, das ihnen guttut und ihr Selbstwertgefühl stärkt. Hinzu kommt noch der Sozialaspekt; viele gehen nach dem Kurs noch miteinander essen, und es ergeben sich Freundschaften.» Was sie mit Freude erfüllt, ist die Tatsache, dass die Parkinson-Betroffenen «sich zum Teil in ihrem Körper fühlen wie vor der Krankheit, dass sie in ein Tanzgefühl hineinkommen und Parkinson einfach mal für eine Weile vergessen, im Fluss sind und Blockierungen ablegen."
Tango tanzen mit Parkinson ist nicht nur etwas für leicht Betroffene. «Ich habe Patienten in verschiedenen Stadien, da muss man dann einfach schauen, was möglich ist. Natürlich ist es besser, so früh als möglich mit dem Tanzen anzufangen und damit länger dranzubleiben. Doch Bewegung ist immer gut, ganz gleich in welchem Stadium der Krankheit», so Sabina Seiler. «Ich hatte auch Menschen mit Hirnstimulation im Kurs, auch bei ihnen ist ein Tanzerlebnis möglich, das funktioniert gut», berichtet die Therapeutin.
Tango Argentino ist anspruchsvoll, keine Frage. Dennoch ist er ideal, etwa aufgrund seiner gegengleichen Bewegungen, der Übungen zur räumlichen Orientierung und zum Gleichgewicht, dem Schreiten in diverse Richtungen (geradeaus, rückwärts, seitwärts, vorwärts), der Taktimpulse für Gehen und Pausen, der unterschiedlichen Dynamiken (Schrittlänge, Geschwindigkeit, Betonung) und des ausgesprochenen Multitaskings, das es braucht um zu gehen, zu führen, geführt zu werden, die Musik zu spüren, sich der Schritte zu erinnern und sich im Raum zu bewegen.
Bei Gruppen von Parkinsonpatienten, die ein Jahr lang wöchentlich eine Stunde an der Tangotherapie teilnahmen, wurden folgende Effekte festgestellt: