Wir leben im Überfluss, und das macht uns krank. Was den Bauch runder werden lässt, fügt dem Herzen Schaden zu: ungesunde Ernährung mit den falschen Fetten und viel zu wenig Bewegung.
Autorin: Dr. Claudia Rawer
Mit Mangel umzugehen, haben Menschen im Laufe einer langen Geschichte von karger Ernährung, Hunger, Missernten und Kriegen gelernt. Mit dem Überfluss leben wir – in Europa – erst seit relativ kurzer Zeit. Leider sind wir psychisch und körperlich nur unzureichend für ein Leben im Wohlstand gerüstet
Allzu leicht erliegen wir den Reizen von zu viel, zu fetter und zu süsser Nahrung, dem Lockruf der Bequemlichkeit und der Verführung durch so genannte «Genussmittel». Noch vor 50, 60 Jahren war das «tägliche Brot» keine Selbstverständlichkeit, Krankheit nur zu oft die Folge von Hunger und Mangelernährung.
Einzig die kleine Oberschicht lebte relativ gesund: Sie hatte die Mittel dazu, und das Angebot war beschränkt. Butter, Eier, Zucker, Salz etwa waren Kostbarkeiten, auch Fleisch oder Wurst kam keineswegs täglich auf den Tisch, und es brauchte schon die finanziellen Möglichkeiten von Königshäusern, um sich so richtig ungesund ernähren zu können.
Modernes Paradox: Heute verfügen wir über Lebensmittel aller Art im Überfluss und leiden doch unter Krankheiten, die auf falsche Ernährung zurückzuführen sind.
Obwohl die Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen leicht rückläufig sind, sterben in Europa etwa vier Millionen Menschen jährlich daran; in manchen Ländern ist das fast die Hälfte aller Todesfälle.
Dreissig Prozent der Sterbefälle durch Herz-Kreislauf-Leiden sind durch unge-sunde, vor allem zu fette Ernährung bedingt. Krankheiten, die Herz-Kreislauf-Leiden begünstigen, sind auf dem Vormarsch: Die Fettsucht nimmt zu, die Zahl der Diabetiker steigt durch den ungesunden Lebensstil ständig an. Übergewichtige und Zuckerkranke haben besonders häufig Herzleiden. Gesunde Ernährung wird damit immer mehr zu einem Akt der Vernunft und bewusster Erziehung in der Familie.
Die absoluten Zahlen sind oft nur schwer vergleichbar, denn unterschiedliche Erkrankungen werden zusammengefasst oder getrennt geführt, die Statistik mal für die Gesamtbevölkerung, mal nur für Männer ausgewertet.
Dennoch ist ein deutlicher Trend erkennbar: Am höchsten sind die Todesraten aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den Staaten Ost- und Zentral-europas; sie sind erschreckend hoch z.B. in Finnland, den baltischen Staaten, Slowenien, Tschechien und der Slowakei. In Westeuropa liegen Grossbritannien und Irland an der Spitze.
Deutschland, Österreich, Schweden und Norwegen nehmen ein Mittelfeld ein, die Schweiz schneidet etwas besser ab. Am niedrigsten ist die Zahl der Todesfälle pro 100 000 Einwohnern und Jahr in den Mittelmeerländern Italien, Spanien, Portugal und Frankreich, wobei letzteres in der europäischen Rangliste einen erstaunlichen Platz 1 einnimmt.
Wissenschaftler, die diese Statistiken analysieren, führen die dramatischen Unterschiede von Ost nach West auf den unterschiedlich ausgeprägten Konsum von Nikotin, Alkohol und tierischen Fetten zurück. Die häufige Aufnahme ungesättigter Fettsäuren in Westeuropa wirke sich deutlich positiv aus, während die bislang nahezu ausschliessliche Aufnahme gesättigter Fettsäuren in Osteuropa ein ebenso klarer Risikofaktor sei. Als Beleg führen sie unter anderem Polen an, wo eine Veränderung der Essgewohnheiten in den 90er-Jahren das Infarkt-Risiko um ein Viertel gesenkt habe.
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Immer deutlicher kristallisiert sich neben der Frage der Ernährung aber auch ein weiterer wesentlicher Faktor heraus: Wir sind unbeweglich und faul geworden. Nach Zahlen der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) gehen fast 40 Prozent der tödlich verlaufenden Fälle von Herzkrankheiten auf mangelnde Bewegung zurück.
Die (Deutsch-)Schweizer sind noch gut dabei: Laut einer Untersuchung aus dem Jahr 2002 bezeichnen sich hier nur 16,5 Prozent als sportlich inaktiv. Im Westen Deutschlands betreiben 30 Prozent keinerlei Sport, im Osten sind es sogar satte 35 Prozent. Noch fauler sind z.B. die Belgier (37,8 Prozent) und die Spanier (62,6 Prozent).
Dabei stärkt Sport nicht nur Arm- und Beinmuskeln, sondern auch den wichtigsten Muskel, das Herz. Bewegung kann sogar helfen, den Blutdruck zu senken. Selbst bei Herzpatienten gehört Sport unbedingt mit zur Therapie.
In einer ganzen Reihe von Untersuchungen wurde ein blutdrucksenkender Effekt von moderater sportlicher Aktivität festgestellt. Im Schnitt sank der systolische Blutdruck bei den zuvor trägen Studienteilnehmern um etwa 4 mm Hg und der diastolische Wert um knapp 3 mm Hg. Das klingt nach wenig, trägt aber doch dazu bei, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder einen Schlaganfall zu senken.
Dazu kommen die «Nebenwirkungen»: Sport verbessert die Sauerstoffaufnahme in der Muskulatur, was letztlich auch das Herz entlastet. Er baut die Muskulatur auf; ein höherer Muskelanteil des Körpers wiederum sorgt für höheren Energieverbrauch und bessere Fettverbrennung. Körperliche Aktivität hilft, schlank zu bleiben oder zu werden – und macht gute Laune. Ebenfalls nicht ausser Acht zu lassen: Bewegung baut Stress und Anspannung ab.
Gefordert ist nicht Leistungssport, sondern Bewegung, die Freude macht. Zwei bis drei mal pro Woche eine halbe Stunde Bewegungstherapie in Form von Laufen, Spazieren, Wandern, Velofahren, Schwimmen etc. halten viele Experten bereits für ausreichend. Gymnastik- und andere Körperübungen wie Feldenkrais oder Tai Chi eignen sich für zu Hause, ebenso wie Dehn-, Kraft-, Koordinations-, Atem- und Entspannungsübungen und das Fahrradergometer.
Auch neueste Studien zeigen, dass eine Belastung nahe der maximalen Pulsfrequenz gar nicht nötig ist: Schon ein zehnminütiger Spaziergang oder eine kleine Radtour zweimal in der Woche verbessern die Leistungsfähigkeit.
Wer allerdings bereits unter einer Herzkrankheit leidet, sollte sein Bewegungsprogramm unbedingt mit dem Arzt absprechen. Geeignet sind für Herzkranke (aber auch für solche, die ihr Herz stärken wollen) vor allem Ausdauersportarten. Inzwischen empfehlen Kardiologen aber auch Herzkranken moderates Krafttraining: Es hilft, die Leistung und Koordination zu steigern und damit unter anderem, Stürzen vorzubeugen. Auch Tanzen trainiert die Koordination und Geschicklichkeit und ist somit eine gute Sturzprophylaxe.
Vom Schwimmen dagegen raten Fachleute Herzpatienten eher ab. Durch den Wasserdruck kann der Blutdruck steigen, eventuell treten Herzrhythmusstörungen auf. Auch Sportarten wie Handball und Fussball beurteilen Mediziner skeptisch, weil der Kreislauf – je nach Spielsituation – zu unterschiedlichen Belastungssituationen ausgesetzt ist.
Viele Patienten mit Herzinfarkt schliessen sich einer Herzsportgruppe an. Diese Gruppen werden von Ärzten betreut, die Herztätigkeit und Leistungsentwicklung kontrollieren. Das nimmt die Angst, sich zu überanstrengen.