Die sehr vielschichtige Gruppe der Ballaststoffe spielt eine grosse Rolle bei der Prävention ernährungsbedingter Krankheiten wie Übergewicht, Diabetes und rheumatoider Arthritis. Ein Überblick.
Autor: Tino Richter, 12/20
Ein Panda ernährt sich bekanntermassen fast ausschliesslich von Bambus, welcher zu einem Grossteil aus unverdaulichen Ballaststoffen besteht. Dafür muss der Bär grosse Mengen des Süssgrases vertilgen. Bis zu 16 Stunden täglich verbringt er deshalb mit der Nahrungsaufnahme. Dabei können seine Verdauungsorgane eigentlich gar keinen Bambus verwerten. Genetisch ist er, wie seine Vorfahren, immer noch ein Fleischfresser. In seinem Darm befinden sich jedoch Mikroben, die einen Teil der Ballaststoffe aufspalten und in Mikronährstoffe umwandeln können. Das Beispiel zeigt, dass Ballaststoffe in zweierlei Hinsicht wichtig für die Gesundheit sind: als Mittel für eine im wahrsten Sinn reibungslose Verdauung, und als Bakterienfutter. Ballaststoffe sind demnach eine uneinheitliche Gruppe bioaktiver Substanzen, die im Dünndarm durch Enzyme nicht gespalten und im Dickdarm ganz oder teilweise fermentiert werden.
Ballaststoffe werden grob nach ihrem Einfluss auf die Darmfunktion und -aktivität (unlösliche Ballaststoffe) sowie nach ihrer Wirkung auf den Stoffwechsel von Glukose und Fetten (lösliche Ballaststoffe) unterteilt.
Zu den unlöslichen Ballaststoffen zählen z.B. Zellulose (Getreidevollkornmehl, Weizen- und Haferkleie) und Lignin (Getreide und verholzende Gemüse). Im Vergleich zu ballaststoffarmer Kost verlangsamen diese durch die Bindung von Wasser und eine Vergrösserung des Nahrungsvolumens die Magenpassage, ohne dass der Energiegehalt zunimmt. Es kommt zu einer Dehnung des Magensacks, der die Ausschüttung des appetitanregenden Hormons Ghrelin drosselt, so dass das Sättigungsgefühl früher eintritt.
Im Dünndarm passiert genau das Gegenteil, denn der Druck, den der durch die Ballaststoffe vergrösserte Speisebrei auf die Darmwand ausübt, regt die Peristaltik an. Der Brei wird schneller nach draussen befördert. Neben Wasser werden im Dünndarm Toxine, Gallensäuren und in geringem Masse auch Mineralstoffe gebunden.
Lösliche Ballaststoffe wie Pektin (z.B. in Schalen von Äpfeln und Quitten), Inulin (Topinambur, Artischocke, Schwarzwurzel) oder Beta-Glucan (Gerste- und Haferkörner) entfalten ihre besondere Wirkung erst im Darm, denn sie dienen wie beim Panda als Bakterienfutter. Das Darmmikrobiom produziert daraus kurzkettige Fettsäuren, die sich positiv auf den Zucker- und Fettstoffwechsel auswirken und für das Funktionieren von Immun- und Nervensystem benötigt werden.
Die sogenannte Hemizellulose (z.B. in Weizenkleie, Flohsamenschalen, Obst und Gemüse) ist nur teilweise in Wasser löslich, weshalb sie beiden Gruppen zuzuordnen ist.
Resistente Stärke ist Bestandteil verschiedener Lebensmittel wie Vollkorngetreide, Kartoffeln, Nudeln und Hülsenfrüchten. Gekochter Reis enthält zwar nur sehr wenige Ballaststoffe. Wer jedoch gekochten Reis (oder Kartoffeln) zwischen 12 und 24 Stunden abkühlen lässt, kann die Vorteile der sogenannten resistenten Stärke nutzen. Durch einen chemischen Prozess beim Abkühlen wandelt sich Stärke, die im Dünndarm in Zucker zerlegt wird, in resistente Stärke, einen unlöslichen Ballaststoff, um. Selbst erneutes Erhitzen zerstört sie nicht. Sie besteht aus unverdaulichen Fasern und entfaltet dadurch eine präbiotische Wirkung im Darm. Dies wiederum dient z.B. Milchsäurebakterien als Nahrung. Die dabei entstehende kurzkettige Fettsäure Butyrat (Buttersäure) wirkt positiv auf den Organismus.
Lebensmittel mit resistenter Stärke:
Löwenzahn, Chicorée, Artischocken und Topinambur enthalten u.a. den wasserlöslichen Ballaststoff Inulin, aus welchem Darmmikroben entzündungs- und krebshemmende Stoffe produzieren. Ein Forscherteam aus Leipzig kam zudem zu dem Schluss, dass die Darmmikroben auch das Essverhalten steuern. Hierzu verabreichten Sie Probanden mit einem BMI zwischen 25-30 zwei Wochen lang 30 Gramm isoliertes Inulin pro Tag. Mittels Magnetresonanztomographie wurde festgestellt, wie das Gehirn auf energiereiche Lebensmittel reagierte. Dabei zeigte sich, dass kalorienreiche Lebensmittel im Gehirn ein geringeres Hungergefühl auslösten als bei der Placebogruppe ohne Inulingabe. Die Einnahme von Inulin hatte zwar zur Folge, dass die Artenvielfalt des Darmmikrobioms abnahm. Dafür wurden einzelne günstige Bakterienstämme wie die Bifidobakterien begünstigt. Diese Bakterien produzieren gesundheitsförderliche kurzkettige Fettsäuren, die, so vermuten die Forscher, auch das Hungergefühl und damit das Essverhalten regulieren. Bislang gingen Experten davon aus, dass nur Bifidusbakterien Inulin verstoffwechseln können. Forscher des Zentrums für Mikrobiologie und Umweltsystemwissenschaften (CeMESS) an der Universität Wien haben herausgefunden, dass Inulin einer weit grösseren Palette von nützlichen Darmbakterien als Nahrungsquelle dient. Also Löwenzahn & Co. auf den Teller!
Der gesundheitliche Nutzen von Ballaststoffen ist dementsprechend als hoch einzuschätzen. Eine 2019 im Fachjournal «The Lancet» veröffentlichte Übersichtsarbeit kam zu dem Schluss, dass eine hohe Ballaststoffzufuhr von 25 bis 29 g pro Tag mit einem geringeren Risiko für Darmkrebs, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen einherging, verglichen mit dem Konsum von weniger als 15 Gramm pro Tag. Herzinfarkte und Schlaganfälle traten bei ballaststoffreicher Ernährung jeweils um 24 und 20 Prozent, ein Typ-2-Diabetes um 15 Prozent seltener auf. Darmtumore wurden zu 16 Prozent seltener beobachtet, die Darmkrebssterblichkeit war um 13 Prozent reduziert. Zwar gibt es Studien, die diese Zahlen nicht oder nur teilweise bestätigen können. Fakt ist aber: Eine hohe Ballaststoffzufuhr hat direkt oder indirekt ein erhebliches Präventionspotenzial für ernährungsbedingte Erkrankungen.
Aufgrund der geringeren Kaloriendichte von Ballaststoffen, der aufquellenden Wirkung und damit verbundenen Senkung des Hungergefühls sowie der schnelleren Darmpassage besteht ein Zusammenhang zwischen einer hohen Ballaststoffzufuhr und einem senkenden oder vorbeugenden Effekt in puncto Übergewicht.
Eine ballaststoffreiche Ernährung kann das Asthmarisiko und den Schweregrad der Erkrankung beeinflussen. Diesen Zusammenhang bestätigen jetzt die Ergebnisse einer australischen Studie. Demnach konsumierten Patienten mit starkem Asthma mehr Fett und weniger Ballaststoffe als gesunde Vergleichspersonen. Die Ballaststoffe in Obst, Gemüse und Getreideprodukten könnten vor krankhaften Entzündungsreaktionen in den Lungen schützen, eine ungesunde Ernährung dagegen kann das Asthmarisiko erhöhen, fassen die Forscher ihre Studie zusammen. Buttersäure, die von Darmbakterien aus Ballaststoffen hergestellt wird, hat beispielsweise eine entzündungshemmende Wirkung – möglicherweise auch auf die Atemwege. Dagegen kann fettreiches Essen Entzündungsprozesse in den Lungen verstärken. Die Ergebnisse stehen im Einklang mit früheren Studien, nach denen ein hoher Fast-Food-Konsum mit einer grösseren Wahrscheinlichkeit für eine Asthmaerkrankung verbunden ist.
Es gilt als wahrscheinlich, dass ein erhöhter Ballaststoffverzehr das Risiko für eine Hypertonie senkt. Denn Darmkeime stellen aus den Ballaststoffen Propionsäure her, welche die Aktivität von bestimmten Immunzellen dämpft. Letztere können Entzündungen verstärken und den Blutdruck in die Höhe treiben.
Die Kohlenhydrate in ballaststoffreichen Lebensmitteln werden im Darm langsamer aufgenommen, was wiederum zu einem langsameren Blutzuckeranstieg führt. Eine Studie konnte bei Personen im Vorstadium des Diabetes mellitus zeigen, dass unlösliche Ballaststoffe aus Hafer den Blutzuckerspiegel verbessern.
Ballaststoffe haben nachgewiesenermassen einen positiven Effekt auf das LDL-Cholesterin. Im Darm werden Cholesterol und Gallensäuren gebunden, so dass für die Bildung neuer Gallensäuren mehr LDL-Cholesterol aus dem Blut herangezogen wird. Je höher die Ausgangs-Cholesterinwerte, desto grösser der Senkungseffekt. Besonders wirksam sind Haferkleie, Bohnen und Guarkernmehl. Ausserdem hemmen die Fettsäuren, die bei der Fermentation von Ballaststoffen im Darm entstehen, die Herstellung des körpereigenen Cholesterins in der Leber zusätzlich.
Eine zusätzliche positive Wirkung entsteht durch die bessere Fettsäurezusammensetzung von pflanzlichen Lebensmitteln. Keine Auswirkung konnte auf das HDL-Cholesterol beobachtet werden, lediglich geringfügig durch die Ballaststoffe Psyllium und Guar sowie auf die Triglyzeridkonzentration (körpereigene Blutfette, dienen als Energiespeicher) durch Beta-Glucane aus Gerste. Verzehrfertige Lebensmittel, die mindestens ein Gramm Hafer-Beta-Glucan pro Verzehrportion enthalten, dürfen daher mit cholesterinsenkendem Effekt beworben werden (für den Effekt sind insgesamt 3 g Beta-Glucane pro Tag erforderlich, ca. 4 EL Haferkleie à 40 g). Vermutlich ist das auf eine verbesserte Insulinsensitivität zurückzuführen.
Laut einer Studie der Harvard School of Public Health in Boston besteht nach der Auswertung von Beobachtungsstudien ein Zusammenhang zwischen ballaststoffreicher Ernährung und der Sterberate. Dabei wurden Daten von über 4000 Frauen und Männern verwendet, die einen ersten Herzinfarkt überlebt hatten. In den folgenden neun Jahren starben 682 der weiblichen und 451 der männlichen Teilnehmer, davon 336 beziehungsweise 222 an einem Herzinfarkt oder anderen Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Studie zufolge waren vor allem Männer und Frauen betroffen, die sich ballaststoffarm ernährt hatten. Am meisten profitierten die Teilnehmer, die den Herzinfarkt tatsächlich zum Anlass genommen hatten, den Verzehr von Ballaststoffen zu erhöhen. In dieser Gruppe sank die Mortalität um fast einen Drittel. Aufgrund der hohen Teilnehmerzahl und den detaillierten Befragungen konnte die Studie eine Reihe von anderen Lebensstilfaktoren und medizinischen Diagnosen als Ursache ausschliessen.
Die bisherigen Erkenntnisse zur vorbeugenden Wirkung von Ballaststoffen auf die Entstehung von Krebs sind für eine Empfehlung momentan noch nicht ausreichend. Eine Cochrane Review aus dem Jahre 2017 kam zu dem Schluss, dass es vor allem an randomisierten klinischen Studien fehle, da die häufig durchgeführten Beobachtungsstudien nur eine geringe Aussagekraft haben. Es besteht aber mit wahrscheinlicher Evidenz ein Zusammenhang zwischen der Zufuhr von Ballaststoffen aus Getreideprodukten und der Risikosenkung bei bösartigen Tumoren im Dick- und Mastdarm sowie im Magen. Die schnellere Darmpassage sorgt auch für ein rascheres Ausscheiden von Toxinen und anderen karzinogenen Stoffen. Das seltenere Übergewicht bei einer ballaststoffreichen Ernährung sowie die genannten Fettsäuren verhindern womöglich zusätzlich eine Schädigung des Erbguts, steigern die Aktivität von Entgiftungsenzymen und stoppen das Tumorwachstum.
Die bei Obstipation verlängerte Transitzeit des Stuhls beruht unter anderem auf einem geringen Stuhlvolumen bzw. Stuhlgewicht infolge einer niedrigen Ballaststoffzufuhr. Ein höherer Ballaststoffgehalt in der Nahrung sorgt für eine stärkere Darmtätigkeit. Der eingangs erwähnte Panda nutzt rund 100 «Toilettengänge» täglich, um die vielen Ballaststoffe wieder loszuwerden.
Studien deuten darauf hin, dass ein erhöhter Ballaststoffverzehr das Risiko senkt, an Morbus Crohn, Colitis ulcerosa oder dem Reizdarmsyndrom zu erkranken. Eine mögliche Ursache ist eine verminderte Produktion entzündungsfördernder Stoffe. Ballaststoffen aus Gemüse und Obst sollte gegenüber Weizenvollkornprodukten der Vorrang gegeben werden, da diese ihrerseits entzündliche Prozesse im Darm fördern können. Des Weiteren sind Leinsamen oder Weizenkleie empfehlenswert.
Die kurzkettige Fettsäure Butyrat (Buttersäure) hat einen positiven Einfluss auf entzündliche Erkrankungen wie die rheumatoide Arthritis. Studien belegen, dass eine ballaststoffreiche Ernährung bei Arthritisbetroffenen die Aktivität der Immunantwort dämpfen kann.
Aufgrund der Ergebnisse der oben genannten Studie empfehlen WHO sowie die DACH-Ernährungsgesellschaften eine Aufnahme von 30 g oder mehr Ballaststoffen pro Tag. Für Kinder gelten etwa 10 g Ballaststoffe pro 1000 kcal. Denn ein Gipfeli von 70 g enthält zwar gleich viele Ballaststoffe wie ein Knäckebrot von 10 g, nämlich 1,5 g. Im Verhältnis zur aufgenommenen Energie enthält das Gipfeli aber nur 4,2 g, das Knäckebrot dagegen 46,9 g pro 1000 kcal. Deshalb sollte ungefähr die Hälfte der Ballaststoffe aus Getreideprodukten, die andere Hälfte aus Obst und Gemüse stammen.
Als ballaststoffreich gelten Lebensmittel mit einem Gehalt von 6 g Ballaststoffen auf 100 g. Lebensmittel mit dem Vermerk Ballaststoffquelle müssen mindestens 3 g pro 100 g enthalten. Wer bereits unter einem hohen Cholesterinspiegel oder Diabetes leidet, benötigt mehr Ballaststoffe (bis zu 40 g), denn Zellulose und Pektin können die Wirkung cholesterinsenkender und schmerzstillender Medikamente herabsetzen.
Wer den Ballaststoffkonsum erhöhen möchte, sollte das langsam und schrittweise vollziehen, damit sich das Darmmikrobiom an die veränderte Nahrungszusammensetzung anpassen kann. So verringern sich unerwünschte Begleiterscheinungen wie Blähungen. Am besten sind Vollkornprodukte ohne Zusätze. Wichtig dabei ist, viel zu trinken. Bei 10 g Haferkleie sollten es etwa 250 ml Flüssigkeit sein.
Zölliakiebetroffene müssen auf Mischungen mit Mais- (9,2 g pro 100 g), Soja- (18,5 g) oder Erbsenmehl (12,2 g) zurückgreifen. Auch Zusätze von Guarkernmehl (80 g) oder Leinsamen (22 g) können hilfreich sein.
Nur eine ausgewogene, vielseitige Ernährung stellt sicher, dass dem Körper ein möglichst breites Spektrum an verschiedenen löslichen und unlöslichen Ballaststoffen zur Verfügung steht. Das sorgt für eine geregelte Verdauung und dafür, dass die nützlichen Darmbakterien die notwendigen Stoffe herstellen.
30 g Ballaststoffe werden erreicht mit
Getreideprodukte
Roggenknäckebrot 14,1 g
Haferflocken 9,5 g
Bulgur 10,3 g
Couscous 6,1 g
Roggenvollkornbrot 4,1 g
Gemüse
Schwarzwurzel, gegart 18,4 g
Topinambur 12,1 g
Sojabohnen, gegart 10,0 g
Artischocken 7,1 g
Erbsen, Konserve 6,6 g
Rosenkohl 4,4 g
Obst
Quitten 5,9 g
Heidelbeeren 4,9 g
Kiwi 3,9 g
Apfel 2 g
Trockenobst/Nüsse
Mandeln 9,8 g
Feigen 9,6 g
Pflaumen 9 g
Haselnüsse 7,4 g