Dass Mütter nach der Geburt eines Kindes unter Gefühlschwankungen bis hin zur Depression leiden können, ist bekannt. Aber auch frischgebackenen Papis kann der Baby-Blues den Alltag schwer machen.
Bis vor wenigen Jahren galt der Baby-Blues von Vätern als ein von den Medien aufgebauschtes Thema ohne grosse Bedeutung. Ab dem Millennium haben sich verschiedene Studien diesem Thema gewidmet. Fazit: Bei den Depressionen von Männern nach einer Geburt handelt es sich um eine nicht zu unterschätzende Gesundheitsstörung. Das psychische Tief kann sich ungünstig auf die Entwicklung des Kindes auswirken.
Er könne das Leben nicht mehr so leicht nehmen wie früher, klagt ein 35-jähriger IT-Experte. «Ich fühle mich niedergeschlagen, schlafe schlecht, bin einsilbig geworden und reagiere oft ungeduldig und gereizt auf meine Frau und mein Kind.» Stimmungs- und Verhaltensveränderungen, wie sie Klaus W. bei sich feststellte, betreffen laut Studien zehn Prozent der Väter. Bei ihnen herrschen nicht Freude und Stolz über den neuen Erdenbürger – sie zeigen Anzeichen einer Depression.
Dazu zählen gehäufte Wutreaktionen, Gereiztheit, verstärkte Neigung zu Konflikten und sogar zu Gewalt, missbräuchlicher Konsum von Alkohol und von Drogen, ständige Müdigkeit oder Schlafstörungen, Antriebsschwäche, Konzentrationsstörungen, Pessimismus, Hoffnungslosigkeit, sozialer Rückzug sowie das Gefühl, den Aufgaben des Alltags nicht gewachsen zu sein. Auch wenn sich das Körpergewicht auffällig verändert, kann dies ein warnender Hinweis sein.
Nicht immer steht bei depressiven Erkrankungen ein negativ verändertes Gefühlsleben im Vordergrund. Auch gehäufte körperliche Beschwerden sind ein mögliches Anzeichen: Schwindel, Kopfwehattacken, Herzrasen, Verdauungsstörungen, hartnäckige Verspannungen im Nacken, in den Schultern und im Rücken.
Autor: Adrian Zeller
Rund 13 Prozent der Frauen leiden während der Schwangerschaft oder nach der Geburt an psychischen Beschwerden, typisch sind ausgeprägte Stimmungsschwankungen, anhaltende Niedergeschlagenheit sowie Panikattacken. Bis vor wenigen Jahren war das Thema «postpartale Depression» weitgehend tabuisiert. Frauen, die keine Freude über das Baby empfanden, durften kaum auf Verständnis hoffen. Ausbleibende Muttergefühle passten nicht ins Bild einer guten Mutter. Betroffene ihrerseits hatten Scham- und Schuldgefühle und machten sich Vorwürfe. Damit steigerte sich ihre innere Not zusätzlich. Mittlerweile wird das Thema vermehrt von den Medien aufgegriffen, Aufklärung findet statt. Erkrankte finden in der Schwangerschafts- und Mütterberatung Verständnis und werden an kompetente Fachpersonen zur Behandlung vermittelt.
Bei den väterlichen Verstimmungen gelten auch die gesellschaftlichen Umwälzungen der letzten Jahre als Einflussfaktoren. Dazu gehören die teils sehr widersprüchlichen Erwartungen, mit denen sich frischgebackene Väter heute konfrontiert sehen. Seit der Generation der Grosseltern hat sich die Dynamik innerhalb der Familien erheblich verändert. Wo einst eine unangefochtene Hierarchie und Aufgabenverteilung herrschte, ist heute der Familienalltag Verhandlungssache geworden. Partnerschaften werden auf Augenhöhe gelebt. Die Kehrseite der Medaille sind vermehrte Diskussionen und auch Konflikte um die Aufteilung der Kinderbetreuung und die Hausarbeit. Sie belasten die Harmonie in der Beziehung der Eltern. Während der Spitzenzeiten der Emanzipationsbewegung war das Verhältnis in der Arbeitsaufteilung ausgeglichener, in den letzten Jahren stellen die Forscher teilweise eine Trendumkehr zuungunsten der Frauen fest.
Der Spagat zwischen Arbeits- und Familienwelt ist für Mütter wie für Väter grösser geworden. Die Vorgesetzten erwarten engagierten Einsatz für die Firma, die Partnerinnen fordern Mithilfe bei der Kinderbetreuung. Nicht alle Arbeitgeber bieten Hand, wenn Mitarbeitende einen Antrag auf Teilzeitarbeit stellen, um damit mehr Zeit für ihre Familien zu haben. Arbeitsmodelle wie beispielsweise Jobsharing und Homeoffice sind in manchen Unternehmen noch Zukunftsmusik. Und auch Karrierestreben und Teilzeittätigkeit sind in manchen Betrieben nur schwer zu vereinbaren. Zudem zeigen Arbeitskollegen und Sportkameraden nicht immer Verständnis, wenn die Familie Vorrang hat. Männern stehen heute kaum Vorbilder für ihre Rolle als moderne Väter zur Verfügung, an denen sie sich orientieren können.
Im Zeitalter der Globalisierung wird von den Mitarbeitenden mehr denn je Flexibilität gefordert, manche Mütter oder Väter sind infolge einer längeren Weiterbildung oder einer Versetzung an einen anderen Firmenstandort während längerer Zeit von ihrer Familie getrennt. Diese Art der Fernbeziehung fordert die Psyche, nicht alle Menschen kommen damit gleich gut klar. Die Ankunft eines Babys verändert zudem das Gefüge in der Partnerschaft. Väter müssen die Zuwendung der Partnerin mit dem Kleinkind teilen. Manche Männer tun sich schwer damit. Frustration, Enttäuschung und Neid können auftreten. Es kann auch zu offenen oder zu schwelenden Konflikten beim körperlichen Liebesleben kommen.
Damit noch nicht genug: Manche Mütter erreichen mittlerweile eine höhere berufliche Qualifikation und Hierarchiestufe mit einem höheren Salär als ihre Männer. Nicht alle Partner können sich leicht mit diesem Umstand arrangieren. Vielfach sind Ehen binational, in der Schweiz stammt laut Statistik jede zweite Braut und jeder zweite Bräutigam aus einem anderen Land. In einigen Herkunftsstaaten von Müttern und Vätern ist die traditionelle Rollenaufteilung kulturell tief verankert.
Die Ankunft eines Kindes verändert viel im Alltag eines Paares, es muss sich neu organisieren und arrangieren. Dies ist anfänglich mit Stress und mit Unsicherheit verbunden. Innerhalb dieser Umbruchphase ist nicht immer leicht zu erkennen, wann eine Veränderung im Verhalten und in der Stimmung eine vorübergehende Erscheinung ist, und ab wann sie krankhafte Ausmasse in Richtung Depression annimmt.
Überforderung einzugestehen und Hilfestellungen anzunehmen, fällt vielen Männern aufgrund ihrer Sozialisation besonders schwer. Manche flüchten sich stattdessen in die Arbeit, in den Sport, zu Spielen im Internet oder konsumieren Alkohol und hoffen, dadurch ihre Schlafstörungen sowie ihre unangenehmen Empfindungen in den Griff zu bekommen. Oft werden die Probleme durch ihr ausweichendes Verhalten vergrössert. Meinungsverschiedenheiten können unter Alkoholeinfluss leichter eskalieren. Männern fehlt oft ein guter Freund, mit dem sie offen über ihre Ängste und inneren Nöte sprechen können. Das Gefühl von Schwäche verträgt sich schwer mit der eigenen Vorstellung von Männlichkeit. Die frischgebackenen Väter sind daher nicht immer leicht für eine therapeutische Behandlung zu gewinnen.
Am ehesten lassen sich Betroffene laut Fachleuten zu einem Arztbesuch bewegen, wenn sie mit dem Argument motiviert werden, dass sie damit zum Wohl der Familie und vor allem ihres Kindes beitragen. Eine Behandlung der anhaltenden Niedergeschlagenheit kommt auch dem Baby zugute. Säuglinge, bei denen ein Elternteil oder beide depressive Symptome zeigen, werden in ihrer Sprachentwicklung gestört und neigen später vermehrt zu Verhaltensauffälligkeiten.
Erste Anlaufstellen zur Weitervermittlung an erfahrene Fachpersonen sind die Hausärztin sowie auch Familienberatungsstellen und sozialpsychiatrische Ambulatorien. Auch die Dargebotene Hand in der Schweiz (Tel. 143) und die Telefonseelsorge in Deutschland (Tel. 0800 111 0 111) helfen kostenlos bei der Bewältigung von Krisen mit der Elternschaft. Bei beiden findet man auch ohne Nennung des Namens Hilfe. Beratungen sind zudem per E-Mail unter Pseudonym möglich.
Die Behandlung einer nachgeburtlichen Verstimmung bei Männern verläuft gleich wie die bei jeder anderen Depression. Ziel ist es, die Alltagsbewältigung zu verbessern, destruktive Denkmuster zu korrigieren und Beschwerden zu lindern. Je nach Situation werden auch die auslösenden Faktoren und Mechanismen ins Blickfeld gerückt. Nötigenfalls wird eine familienunterstützende Begleitung organisiert. Bei besonders ausgeprägten Verstimmungen ist eine ergänzende medikamentöse Therapie erforderlich.