Dr. Dieter Kissling im Interview mit A.Vogel: «Bei Burnout möglichst früh professionelle Hilfe suchen.»
A.Vogel (AV): Herr Dr. Kissling, wenn man die Medien verfolgt, bekommt man den Eindruck, das Burnout-Syndrom trete immer häufiger auf. Stimmt dieser Eindruck mit der Wirklichkeit überein?
Dr. med. Dieter Kissling (DK): Ja, dieser Eindruck stimmt vollkommen. Psychische Erkrankungen nehmen als Ursache von Arbeitsunfähigkeiten stark zu.
AV: Welche Personen sind besonders gefährdet, auszubrennen?
DK: Es handelt sich um Menschen mit einem hohen Pflichtbewusstsein, hoher Leistungsbereitschaft und Engagement, hoher Identifikation mit der Arbeit und einem Hang zum Perfektionismus. Sie haben die Fähigkeit verloren, ihre eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und haben eine geringe Sensibilität ihren Gefühlen gegenüber.
AV: Besteht für Frauen und Männer das gleiche Erkrankungsrisiko?
DK: In einigen Studien zeigt es sich, dass Frauen ein leicht erhöhtes Risiko haben.
AV: Was sind die Alarmsignale, wenn eine erhöhte Burnout-Gefahr besteht?
DK: Es handelt sich um die Symptome eines chronischen Stresszustandes. Körperliche Symptome wie Muskelverspannungen, Reizdarm, Herzrhythmusstörungen, nächtliches Schwitzen. Es kommt zu Schlafstörungen, Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, Gereiztheit, Unlustgefühlen, Traurigkeit, Sinnfragen zum Leben. Die Patienten fühlen eine starke Erschöpfung mit geringer Fähigkeit, sich wieder zu erholen. Sie distanzieren sich mental von der Arbeit und ihrem sozialen Umfeld. Diese Menschen verlieren zunehmend an Effizienz in der Arbeit.
AV: Was soll man unternehmen, wenn man an sich selber diese Warnzeichen bemerkt?
DK: Man sollte möglichst früh professionelle Hilfe aufsuchen. Dies kann der Hausarzt sein. Ich empfehle auch immer die Durchführung eines Selbsttests unter «www.swissburnout.ch». Problematisch am Burnout ist, dass die Patienten ihre Veränderung sehr lange nicht bemerken und nicht mehr wahrnehmen, dass es ihnen eigentlich schlecht geht. Dies ist ein typisches Merkmal von Burnout.
AV: Was ist für die erfolgreiche Behandlung eines Burnout-Zustandes wichtig?
DK: Vielfach erhalten die Patienten Schlafmedikamente und Antidepressiva. Diese Behandlung ist absolut ungenügend. Sie benötigen eine psychologische Unterstützung, um ihre Verhaltensmuster zu hinterfragen und zu ändern.
Sie müssen den Lebenssinn neu definieren und ihre Werte hinterfragen (z.B.: Ist die Arbeit das einzig Wichtige im Leben?) Des Weiteren müssen sie ihr Leben umstellen und wieder beginnen, Sport zu treiben, und lernen, sich zu entspannen.
Es genügt aber bei weitem nicht, nur die Person zu behandeln. Auch am Arbeitsplatz, der Mitauslöser des Burnout-Syndroms war, muss sich etwas ändern.
AV: Sind Menschen, die schon mal in einen Zustand des Ausgebranntseins hineingeraten sind, besonders rückfallgefährdet?
DK: Ja, denn sie zeigen gefährdende Verhaltensmuster. Wenn sie diese nicht ändern und an der Arbeitsplatzsituation nichts geändert wird, ist die Rückfallgefahr hoch.