Egal ob das Einnässen nur nachts oder auch tagsüber geschieht – das Thema ist extrem schambehaftet. Je älter der Betroffene ist, desto mehr. Daniel G. aus dem Kanton Solothurn, Jahrgang 1994, hat das Tabu gebrochen und erzählt A.Vogel seine Geschichte.
Daniel G. hat bis zu seinem 21. Lebensjahr eingenässt. Womöglich hätten schon viel früher weiterführende Untersuchungen zur Abklärung und andere Massnahmen ergriffen werden müssen. Daher ist der 27-Jährige sicherlich ein besonderer Fall. Dennoch – und gerade aufgrund seiner langen Leidensgeschichte – möchte Daniel anderen Betroffenen Mut machen.
„Von Kind an hatte ich die primäre Enuresis nocturna. Mit etwa zehn Jahren fing ich an – zusätzlich zu jeder Nacht – auch tagsüber mehrmals einzunässen. Vermutlich war der Auslöser der Unfalltod meines Vaters. Es folgten zahlreiche Besuche bei Ärzten sowie sämtliche Behandlungsmethoden wie Klingelhose, Fussreflexzonenmassage, spezielle Bäder, Flüssigkeitsmanagement tagsüber, helles Licht im Schlafzimmer, synthetische Hormone, Psychopharmaka, Verhaltenstherapie, Strafen, mehrmaliges nächtliches Aufwecken – alles war dabei, nur das Wichtigste nicht: Zeit. Bis ich 16 war, hat mich meine Mutter dreimal täglich mit Stoffwindeln gewickelt und einmal für die Nacht. Danach kamen Einwegwindeln zum Einsatz.
Bettnässer sind ihrem Körper gegenüber machtlos. Deshalb finde ich Windeln nicht schlecht, sondern ein gutes Mittel. Mir haben sie geholfen. Niemand wacht gern in einem kalten, nassen, übel riechenden Bett auf, um sich danach noch Vorwürfe zu machen. Mit Windeln ist es meine persönliche Sache, die Selbstvorwürfe fallen dadurch weg. Erst mit 13 Jahren wurde bei mir eine körperliche Entwicklungsstörung diagnostiziert.
Als ich mit 16 Jahren für eine Lehre alleine in eine neue Stadt zog, habe ich das Einnässen offen kommuniziert und es als eine körperliche Störung bezeichnet. Das Verstecken und die Scham hatten dadurch endlich ein Ende: Meine neuen Freunde haben mich damit so akzeptiert, wie ich bin, auch mit den Windeln. Mit 17,5 Jahren wurde die Pubertät künstlich eingeleitet, mit 21 Jahren war quasi schlagartig alles vorbei.
Schlimmer als das Bettnässen selbst war für mich dieses permanente Korrigieren und nicht Akzeptieren, dieser Druck, endlich der Norm zu entsprechen. Deshalb rate ich Eltern, offen mit ihren Kindern darüber zu reden. Sie sollten durch Rollenspiele auf mögliche Hänseleien vorbereitet sein und coole, schlagfertige Sprüche an die Hand bekommen, um selbstsicher reagieren zu können. Denn ganz nüchtern betrachtet: Was ist eigentlich so schlimm daran, wenn das Trockenwerden länger dauert?“