Nacht für Nacht schlafen wir mit grösster Selbstverständlichkeit. Wachsein und Schlafen wechseln sich unweigerlich und rhythmisch ab. Was ist Schlaf – und was tun, wenn man nicht schlafen kann?
Autorinnen: Dr. Claudia Rawer und Ingrid Zehnder-Rawer, 12.05
Der Schlafforscher Prof. Jürgen Zulley nennt den Schlaf «ein anderes Wachsein». Der Schlaf hat verschiedene, sich abwechselnde Phasen. Im Traumschlaf entspannt sich die Muskulatur, der Atem aber ist unregelmässig, und das Herz schlägt schnell.
Die Augen bewegen sich unter geschlossenen Lidern schnell hin und her; daher wird diese Phase auch REM-Schlaf (vom englischen Rapid Eye Movement) genannt. Das Gehirn arbeitet rege, fast so, als wäre es wach. Man geht davon aus, dass dieser lebhafte Traumschlaf beispielsweise für bestimmte Gedächtnisfunktionen besonders wichtig ist.
Im Tiefschlaf wird teilweise heruntergeschaltet: Atem und Herzschlag werden langsam, die Gehirnaktivität gemächlicher. Das Immunsystem aber arbeitet zu Beginn der Nacht im Tiefschlaf auf Hochtouren; Wachstumshormon (bei Erwachsenen zuständig für die Zellreparatur) wird ausgeschüttet, man verdaut.
Übrigens schläft man keineswegs die ganze Nacht. Im Gegenteil, wir wachen etwa 20 bis 30 Mal auf. Erinnern können wir uns aber nur an Episoden, die mindestens drei Minuten dauern. Auch Träume behalten wir nur dann, wenn wir danach mehr als drei Minuten wach waren.
Gegen Morgen dann bereitet der Körper sich ganz selbsttätig auf das Aufstehen vor, indem er ab drei Uhr nachts das Aufwachhormon Kortisol produziert. Der Schlaf wird leichter, man wacht mehrere Male ganz kurz auf und ist nach ein paar Minuten richtig munter. Wird man allerdings aus dem Tief- oder dem REMSchlaf geholt, dauert es bis zu einer halben Stunde, halbwegs wach zu werden.
Wie viel Schlaf braucht der Mensch denn nun? «Vier Stunden für Männer, fünf für Frauen und sechs für Dummköpfe» befand Kaiser Napoleon für angemessen, der selbst extrem wenig Ruhe brauchte und nachts meistens noch eine Schaffensphase einlegte.
Die moderne Schlafforschung sieht das ganz anders. Eine Regel für die ideale Dauer des Nachtschlafes gibt es nämlich nicht. Die meisten Menschen schlafen etwa sieben Stunden pro Nacht, das individuelle Schlafbedürfnis kann aber deutlich grösser oder geringer sein.
Heute weiss man, dass nicht die Dauer, sondern die Tiefe des Schlafes für die Erholung entscheidend ist. Etwa fünf Stunden Tiefschlaf sind zur Regeneration körperlicher und geistiger Funktionen ausreichend. Und auch der Schlaf vor Mitternacht gilt nicht mehr unbedingt als der beste: Wie erholsam der Schlaf ist, hängt vor allem davon ab, wie man schläft und nicht davon, wann man zu Bett geht. Allerdings sollte der Tiefschlaf vor drei Uhr nachts beginnen, damit sich der Rhythmus der körperlichen Funktionen nicht völlig verschiebt.
… verschläft sein Leben wie ein Hund», sagt schon ein altes Sprichwort. Ein neueres Ergebnis der Schlafforschung ist tatsächlich, dass Menschen, die etwa fünf bis sieben Stunden im Bett verbringen, länger leben als «Langschläfer» mit acht und mehr Stunden. Zumindest müssen also die Nachteulen, die um Mitternacht ins Bett gehen, auch wenn sie um sechs Uhr früh schon wieder raus müssen, kein schlechtes Gewissen mehr haben – offenbar leben sie damit nicht ungesund.
Wie zuvor gesagt, gibt es jedoch kein objektives Mass für die Menge des Schlafes, die für Erholung und Ausgeschlafensein notwendig ist. Die noch weit verbreitete Meinung, man müsse zu einer bestimmten Zeit und für eine bestimmte Dauer schlafen, kann sogar die Ursache von Schlafstörungen sein.
Denn schlafen unter Druck – das geht nicht. Die passive Aktivität Schlaf entzieht sich unserem Willen und erfordert entspanntes Loslassen. Je intensiver wir uns bemühen einzuschlafen, desto weniger gelingt es uns. Hat man Angst, nicht schlafen zu können, schläft man durch die Aufregung tatsächlich nicht. Daher wird bei so genannten Schlafrestriktions- Therapien Menschen mit Schlafstörungen gezielt Schlafzeit entzogen. Dadurch werden sie so müde, dass ein «Schlafdruck» aufgebaut wird, der sie nicht nur einschlafen, sondern auch durchschlafen lässt. Unser Körper ist also durchaus in der Lage, «effektiveres» Schlafen zu erlernen.
Woran kann es liegen, wenn dieser bewährte Ratschlag nicht mehr funktioniert? Über dreissig Prozent der Bevölkerung in den westlichen Industrieländern leiden mittlerweile an Schlafstörungen. Organische Ursachen für schlechten Schlaf sind sehr oft Schmerzen, gefolgt von Erkrankungen der Schilddrüse, hormonellen Störungen, Erkrankungen des Herzens, der Atemorgane, des Magen-Darm-Kanals, des Urogenitaltraktes und Durchblutungsstörungen. Deswegen ist es immer ratsam, einen Experten aufzusuchen, wenn man körperliche Gründe vermutet.
Natürlich können auch Sorgen und Probleme der Grund sein, warum man nicht einschläft oder mitten in der Nacht wieder aufwacht. Dann drehen sich die Gedanken im Kopf, der Wecker tickt leise im Hintergrund. Noch vier Stunden Schlaf wären möglich, noch drei, noch zwei, jetzt ist schon alles egal. In solchen Situationen ist natürlich die Frage wichtig: was belastet, was quält mich so, dass ich keinen Schlaf finde? Diese Probleme sollte man bei Tageslicht, mit klarem Kopf und gutem Rat, ob nun von Familie, Freunden oder einem Therapeuten, angehen. Kann man erkennen und besprechen, was belastet, Angst oder Sorgen macht, bessert sich zumeist auch der Schlaf wieder.
Wer unter Schlafstörungen leidet, hat häufig das Gefühl, dass er die gesamte Nacht lang wach liegt oder überhaupt keinen Tiefschlaf mehr hat. Schlafforscher wissen aber, dass Nächte mit häufigem Aufwachen und längerem Wachliegen besser in der Erinnerung haften bleiben als ungestörte Nächte und sprechen von einer Wahrnehmungsdiskrepanz, z.B. in der Form, dass die Einschlafdauer stark überschätzt und die Schlafdauer stark unterschätzt wird.
Diese verzerrte Wahrnehmung trägt aber zum Weiterbestehen der Schlaflosigkeit bei. Bei Menschen, die einen Teil der Nacht wach sind, grübeln, sich ärgern, kommt es recht schnell zu einem verhängnisvollen «Lernprozess».
Während für einen gesunden Schläfer Schlafzimmer und Bett angenehme Orte der Erholung sind, wird für viele Schlafgestörte das Bett zum Symbol des Grauens: unfreiwilliges Wachliegen, Kopfzerbrechen, Sorgen wälzen. Diese sich im Laufe der Zeit verfestigenden Assoziationen tragen dazu bei, dass der Körper schon mit einer entsprechenden Anspannung reagiert, wenn man tagsüber an die kommende Nacht denkt oder sich am Abend zu Bett begibt.
Im Alter verändert sich der Schlaf, auch bei vollkommen gesunden Menschen wird er leichter und störanfälliger. Während sich die Zeit des leichten Schlafs verlängert, verkürzen sich die Phasen des Tiefschlafs und des Traumschlafs. Dabei handelt es sich um biologisch bedingte Prozesse, keineswegs um eine krankhafte Erscheinung. Allerdings zeigen Studien, dass man selbst in einen solchen Veränderungsprozess (ähnlich wie z.B. hinsichtlich der körperlichen Fitness) eingreifen kann.
Ältere Menschen, die körperlich aktiv und geistig wach bleiben, ihren Tagesablauf durch Unternehmungen gut ausfüllen, sich Ziele und Aufgaben setzen, schlafen besser als Gleichaltrige mit einem passiven, langweiligen Tagesablauf.
Der Mittagsschlaf, den viele Senioren sich gönnen (können), wird nur dann problematisch, wenn man nachts schlecht schläft. Dann kann es nämlich sein, dass der Schlafdruck, den man nachts gern hätte, tagsüber schon so weit reduziert wird, dass später einfach nicht mehr viel übrig bleibt.
Frauen entwickeln mit zunehmendem Alter eine deutlich höhere Anfälligkeit für Schlafstörungen als Männer. Erste Anzeichen zeigen sich im Alter zwischen 35 und 40 Jahren. Mit Beginn der Wechseljahre wachsen die Schlafprobleme noch. Je älter Frauen werden, desto häufiger leiden sie unter Schlafstörungen.
Die meisten Menschen über 65 wachen allein wegen eines erhöhten Harndrangs mindestens einmal pro Nacht auf. Bei den psychischen Erkrankungen mit negativem Effekt auf den Schlaf stehen Depressionen ganz oben. Dabei sind Frauen deutlich häufiger betroffen.
Alle heute existierenden Schlafmittel (Benzodiazepine) können bestenfalls helfen, aber nicht heilen, denn sie bewirken keine Beseitigung der Ursachen, sondern nur eine (und häufig nur eine vorübergehende) Beseitigung der Symptome.
Synthetische Schlafmittel sollten in jedem Fall nur kurzfristig und verantwortungsbewusst angewendet werden, denn sie haben Nebenwirkungen (Veränderung des natürlichen Schlafmusters, Dämpfung des Atemzentrums, Reaktions- und Konzentrationsprobleme am Tag), sie verlieren schon nach zwei bis vier Wochen an Wirkung (was häufig zu einer Dosiserhöhung führt) und sie machen Probleme, wenn man sie (abrupt) absetzt (erneute, oft verstärkte Schlaflosigkeit, Entzugssymptome wie Zittern, Angst, Alpträume). Die Abhängigkeit von (verschreibungspflichtigen) Benzodiazepinen steht steht an der Spitze der Medikamentensucht.
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Wie bei vielen anderen chronischen (oder zur Chronifizierung neigenden) Gesundheitsproblemen sind Phytotherapeutika auch bei Schlafproblemen eine gute Alternative. Sie sind keine «Schlafmittel» im wörtlichen Sinne, da sie keine künstlich schlafeinleitende, betäubende Wirkung besitzen, und stören auch die für den erholsamen Schlaf so wichtigen Traumphasen nicht.
Allerdings benötigen sie häufig längere Zeit, bis die Wirkung eintritt, meist eine bis drei Wochen. Manchmal hilft schon ein Lavendelbad oder ein mit Lavendelblüten gefülltes Schlafkissen, denn Lavendel beruhigt und fördert das Wohlbefinden.
Bei Einschlafschwierigkeiten kann man Baldrian (Valeriana officinalis) ausprobieren, der mit der Zeit einen gestörten Schlaf normalisiert. Bei Baldrian ist es wichtig, die richtige Dosis zu finden. Seine Bedeutung wurde lange Zeit nicht erkannt, weil er vielfach zu niedrig dosiert war, so der Pflanzenheilkunde-Experte Prof. Volker Fintelmann. Phytotherapeuten empfehlen aufgrund naturwissenschaftlicher Studien daher «ein bis zwei Teelöffel auf ein Glas Wasser – oder auch mehr!»
Auch Hopfen (Humulus lupulus) ist ein altbewährtes Mittel bei Einschlafschwierigkeiten und nervös bedingten Schlafproblemen.
Die Passionsblume (Passiflora incarnata) wirkt mild beruhigend, krampflösend und schlaffördernd. Frauen schätzen Passiflora insbesondere während der Wechseljahre.
Nicht mehr zugelassen sind Mittel, die Kava-Kava (Piper methysticum) enthalten. Dem polynesischen Wurzelstock wurden angstlösende und beruhigende Wirkungen nachgesagt. Nachdem der Verdacht auf unerwünschte Nebenwirkungen wie Leberschäden auftrat, mussten solche Präparate vom Markt genommen werden.
Die Heilpflanzenexpertin Ursel Bühring empfiehlt die entkrampfende Melisse (Melissa officinalis) insbesondere dann, wenn das Einschlafen mit Ängsten und Herzklopfen verbunden ist sowie für Schlafstörungen bei Kindern, die durch Bauchschmerzen hervorgerufen werden.
Der Hafer (Avena sativa) hat sich laut Frau Bühring ganz besonders in den letzten Jahren einen guten Ruf bei Schlaflosigkeit erworben. Frisches, grünes Haferkraut wirkt mild beruhigend, fördert das Einschlafen und ist sogar für Kinder geeignet.
Ach ja: die alte Methode des Schäfchenzählens halten einige Schlafexperten übrigens für ganz ungeeignet. Nicht wegen der puscheligen Tierchen – aber das Zählen sei viel zu «anregend». Lieber solle man sich eine beruhigende Naturszene wie etwa einen Wasserfall vorstellen.
Aber auch der Saft des reifen Lattich hat eine beruhigende Wirkung und kann so einen erholsamen Schlaf unterstützen.
Magnesium trägt zur normalen Funktion des Nervensystems und normalen psychischen Funktion bei.