«Ich muss unter allen Umständen funktionieren!» Wer sich diesem Prinzip verpflichtet, gehört leider häufig zu den Kopfschmerz- und Migräne-Patienten, die immer öfter und sogar «vorsichtshalber» in die Tablettenschachtel greifen. Gibt es einen Ausweg aus dem Teufelskreis von Kopfschmerz und Tabletten?
Autorin: Angelika Eder
Der Griff zur Pillendose bei Kopfschmerzen, ist nicht immer die richtige Wahl!
Bei übermässigem Konsum bekämpfen synthetische Arzneimittel nicht mehr die Beschwerden, sondern lösen statt dessen selbst chronische Kopfschmerzen aus. Was helfen soll, verkehrt sich ins Gegenteil.
Laut Professor Dr. Hartmut Göbel von der Schmerzklinik Kiel handelt es sich bei diesem so genannten medikamenteninduzierten Kopfschmerz «um einen diffusen und pulsierenden Dauerkopfschmerz ohne die typischen Begleiterscheinungen der Migräne.»
Die Abkürzung MÜKS steht für einen Teufelskreis, der rund 100 000 Schweizer betrifft: der Medikamenten-Übergebrauchs-Kopfschmerz. «Bei Mischpräparaten ist die Gefahr grösser als bei Monopräparaten, die nur eine Substanz enthalten», heisst es bei der Schweizerischen Kopfweh-gesellschaft. Mit folgender Regel lässt sich der MÜKS vermeiden: Schmerz- und Migränemittel nicht häufiger als an 10 Tagen im Monat und nicht mehr als drei Tage hintereinander einnehmen.
Kopfschmerzen sind nach Rückenproblemen und Infektionserkrankungen der häufigste Grund, einen Arzt aufzusuchen. Rund 90 Prozent der Menschen leiden unter primären Kopfschmerzen, also jenen, die als eigenständige Erkrankung gelten und nicht aus anderen Krankheiten wie etwa Bluthochdruck oder Nebenhöhlenentzündung resultieren. Dazu zählen Spannungskopfschmerzen und Migräne oder eine Kombination aus beidem.
Der Begriff Migräne ist vom griechischen Wort «Hemikrania» abgeleitet, was Halbschädel bedeutet und damit auf den Umstand hinweist, dass dieses Leiden in der Regel einseitig plagt. Schon in der Antike war das Krankheitsbild mit möglicher Aura, also beispielsweise Sehstörungen, bekannt, wie die Beschreibung des griechischen Arztes Hippokrates beweist: «Es kam ihm häufig vor, als leuchtete aus dem rechten Auge ein Blitz hervor, nach kurzer Zeit aber stellte sich ein gewaltiger Schmerz in der rechten Schläfe ein, hierauf im ganzen Kopf und an derjenigen Stelle des Halses, an welcher der Kopf hinter den Wirbeln befestigt ist.»
Die Begleiterscheinungen einer solchen vier- bis 72-stündigen Attacke in Form von Übelkeit, Geräusch-, Geruchs- und Lichtempfindlichkeit sowie die Tatsache, dass sich die enormen Beschwerden bei körperlicher Betätigung noch steigern, erklären ein Faktum: Vor allem Migränikerinnen – Frauen sind deutlich öfter betroffen als Männer – zählen zu den Zehntausenden von Menschen, die aufgrund ihres übermässigen Tablettenkonsums jährlich stationär behandelt werden müssen.
Auch die für viele hilfreichen Triptane können als Migränemittel der neuen Generation dazu beitragen, dass Betroffene oft überhaupt keine Notwendigkeit mehr sehen, ihrem Leiden anders vorzubeugen: durch Verhaltensänderungen sowie dem Erlernen von Stressbewältigungsstrategien oder Entspannungstechniken.
Welche Formen der Raubbau am eigenen Körper schliesslich annehmen kann, zeigt sich im Gespräch mit Dr. Ronald Brand von der Migräne-Klinik in Königstein. Er berichtet von Patientinnen, die täglich beispielsweise zwischen zehn und 20 Mischpräparate mit Koffein einnähmen und ihm dazu erklärten: «Aber die verteile ich gut über den ganzen Tag, Herr Doktor, nicht dass Sie glauben, ich nähme die auf einmal.»
Laut einer amerikanischen Studie an 756 Patienten mit medikamenteninduzierten Dauerkopfschmerzen griffen die meisten regelmässig zu mehr als einem Wirkstoff – und das in Form von bis zu 30 Tabletten täglich. Der Verdacht, dass die Kopfschmerzbehandlung selbst die Kopfschmerzen auslöst, besteht laut Göbels «Migräne-Schule» dann, wenn die entsprechenden Präparate «länger als drei Monate an mehr als zehn Tagen eingenommen werden, mehr als 15 Kopfschmerztage pro Monat bestehen und eine Besserung innerhalb von zwei Monaten nach einer Einnahmepause auftritt.»
Zur Vermeidung eines derartigen chronischen Leidens wird also dringend empfohlen, solche Mittel keinesfalls an mehr als zehn Tagen im Monat einzunehmen – und höchstens an drei aufeinander folgenden Tagen. Bei häufigeren Beschwerden ist unbedingt eine Fachfrau oder ein Fachmann aufzusuchen.
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Warum Medikamente gegen Kopfweh und Migräne chronische Schmerzen auszulösen vermögen, während die meisten Rheumatiker regelmässig zu Schmerzmitteln gegen ihre Beschwerden ohne entsprechende Konsequenzen greifen können, vermag laut Brand heute «keiner einleuchtend zu erklären.»
Sicher scheint lediglich zu sein, dass die Schmerzschwelle unter permanenter Medikation sinkt. Bestimmte Rezeptoren reagieren immer weniger sensibel auf die ständigen Medikamente, die an sie andocken. Die Beschwerden lassen nicht nach. Folglich muss die Dosis erhöht werden: Der Teufelskreis von Pillen und Schmerz nimmt seinen Lauf.
Glücklicherweise lässt sich ein derart verursachter Dauerkopfschmerz heilen: mittels eines in der Regel stationären Entzugs. Je nach Häufigkeit und Höhe der eingenommen Dosen dauert das laut Brand zwischen sieben und 21 Tagen. Dabei sollen lindernde Medikamente und präventive Massnahmen dazu führen, dass die Patienten dauerhaft von ihrem chronischen Schmerz befreit werden und einen bestimmungsgemässen Arzneimittel-Gebrauch erlernen.
Der Entzug ist grundsätzlich eine unabdingbare Voraussetzung für eine Migräne-Prophylaxe. Als geeignete Mittel der «zweiten Wahl», also nach dem Entzug synthetischer Kopfschmerzmedikamente, nannte Professor Dr. Hans-Christoph Diener, Direktor der Neurologischen Klinik an der Universität Essen, auf dem jüngsten Internistenkongress neben speziellen Betablockern, Kalziumantagonisten und Antiepileptika auch Magnesium und Pestwurzextrakt. Bei der Behandlung mit dem Phytotherapeutikum Pestwurz reduzierte sich laut einer internationalen Studie die Zahl der Anfälle bei den Patienten um die Hälfte.
Bewährt hat sich bei Spannungskopfschmerzen auch entspannendes, kühlendes Pfefferminzöl. Untersuchungen Professor Göbels an der Kieler Schmerzklinik zeigten, dass Pfefferminzöl, auf Stirn und Schläfen aufgetragen, bei Spannungskopfschmerzen (nicht aber bei Migräne) ebenso gut wirkt wie herkömmliche Schmerzmittel.
Darüber hinaus ist es von grundlegender Bedeutung, potentielle Ursachen und Auslöser sowie die Möglichkeiten der Migräne-Beeinflussung zu kennen und Schmerz- und Stressbewältigungsstrategien zu erlernen.
Bei häufigem Kopfweh können auch chronische Muskelverspannungen im Nacken- und Schulterbereich die Ursache sein. Häufig leiden Betroffene unter drückenden bis ziehenden Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich. In diesem Fall sollten sie einen Arzt aufsuchen. Dieser kann in der Regel Verhärtungen an der betroffenen Muskulatur oder schmerzhafte Stellen ertasten. Bei verspannungsbedingten Schmerzen des Schulter-Nacken- und Kopfbereichs kann alternativ zu Nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) helfen.
Wichtig: Betroffene mit muskulär bedingtem Spannungskopfschmerz sollten nicht reflexartig zur Schmerztablette greifen. Besser ist es, die Ursache zu beseitigen und die Muskulatur zu entspannen, etwa durch progressive Muskelentspannung nach Jacobson, regelmässigen Ausdauersport (Walken, Schwimmen oder Fahrradfahren) und Stressbewältigung.
Regelmässig vor dem Aufstehen angewandt, erzielt man, so bekräftigt auch Brand, bemerkenswerte Erfolge: «Mit diesen zehn Minuten können Sie sich 48 Stunden Schmerzen ersparen», so Göbel.