Migräne ist kein Schicksal – ihre Behandlung jedoch oft langwierig und schwierig. Der Arzt Walter Packi wendet die von ihm entwickelte Schmerztherapie Biokinematik auch bei Migränepatienten an – mit Erfolg.
«Niemand wird mit Migräne geboren», sagt Walter Packi. Laut Statistik sucht Migräne Menschen hauptsächlich zwischen dem 10. und 50. Lebensjahr heim; danach und davor ist sie selten. Migräne kommt und geht; wann und unter welchen Umständen, ist oft schwer zu erfassen. Wenn also Migräne von alleine wieder verschwindet, so der Gedankengang des Mediziners Packi, muss es auch Mittel und Wege geben, in diesen Prozess aktiv einzugreifen, um den Migränezustand zu beenden.
Autorin: Dr. Claudia Rawer
«Wie stark die Migräne das gesamte Leben beeinträchtigt hat, merkt man erst, wenn man sie los ist», atmen viele Patienten nach der Behandlung auf. Sechs bis acht Prozent aller Männer und etwa 15 Prozent der Frauen leiden unter Migräneanfällen. Auch Kinder können schon betroffen sein. Laut neueren Untersuchungen ist Migräne bei Jugendlichen auf dem Vormarsch: Die Zahl der Teenager, die an den heftigen Kopfschmerzattacken leiden, nimmt stetig zu. Auch hier ist der Unterschied zwischen den Geschlechtern deutlich: Etwa vier Prozent der Jungen leiden unter Migräne, aber schon 12 Prozent der Mädchen.
Betroffene beschreiben heftigste einseitige Kopfschmerzen, Übelkeit oder Erbrechen, Licht- und Lärmüberempfindlichkeit sowie Sehstörungen. Die Leistungsfähigkeit und die Konzentration sind eingeschränkt; dies und vor allem die Müdigkeit stellen eine wesentliche Behinderung im Alltag dar, insbesondere bei der beruflichen Tätigkeit.
Auf Grundlage der Biokinematik ist die Migräne als eine Doppelstörung zu verstehen, nämlich als kombinierte Störung zweier verschiedener Funktionen der Halswirbelsäule.
Die Halswirbelsäule ist zum einen zum Tragen des Schädels da, zum anderen ist sie ein Sinnesorgan: Sie ist dafür verantwortlich, die Informationen, die über die Sinnesorgane des Schädels (Auge, Nase, Ohr) aufgenommen werden, mit den Informationen, die die inneren Zustände des Körpers darstellen (Kraft, Lagezustand des Körpers, Gliederwinkel), zu koordinieren. Die Halswirbelsäule ist das funktionelle Bindeglied zwischen Schädel und Körper.
Bei einer Migräne geraten nach Walter Packis These die mechanische sowie die sinnesphysiologische Funktion der Halswirbelsäule in einen Entgleisungszustand. So kann es zu Sehstörungen (Schleiersehen), Gleichgewichtsstörungen (Schwindel) oder Hörstörungen (Tinnitus) kommen, wobei das zuständige Hauptorgan, Auge oder Ohr, völlig gesund ist. Schmerzen und Wahrnehmungsstörungen können einzeln oder in beliebiger Kombination auftreten.
«Bei Migräne herrscht ein gründliches Durcheinander zwischen Sinnesphysiologie und Bewegungsphysiologie», sagt Packi. «Die Mechanik und das Denken sind im Chaoszustand; nichts geht mehr. Es gibt übrigens auch Migräneanfälle ohne Schmerzen: Das sind Konzentrations- und Kreislaufstörungen, Schwindel, Tinnitus oder Angst- und Panikzustände.»
Damit sie richtig funktionieren, müssen die mechanischen Systeme der Augen und Ohren, des Gleichgewichtes, der Arterien und Venen, des Kauapparates, der Atmung sowie der Halswirbelsäule sorgfältig aufeinander abgestimmt sein.
Die verbindenden Elemente dieser Systeme sind die Halsmuskeln. Muskeln sind empfindlich und reagieren schnell auf Umgebungseinflüsse. Bei einseitiger Beanspruchung geht Beweglichkeit verloren, bei Gewalteinwirkung (Dehntrauma) wird ihre Funktion blockiert.
«Die Gesamtheit der Muskelfunktionen kann so durcheinander geraten, dass die Funktion der Halswirbelsäule in einen Zustand entgleist, der als Migräne empfunden wird», so der Freiburger Biokinematiker. Medikamente, Nahrungsmittel, das Wetter, ein Hormonwechsel, spezielle psychische Situationen und auch ein psychischer Entspannungszustand (Wochenendmigräne) können Anlass dieser Entgleisung sein.
Die eigentliche Ursache jedoch sieht Walter Packi stets in der gestörten Zusammenarbeit der Halsmuskeln. Daher behandelt er Migräne mit den Mitteln der Biokinematik: Die schmerzhafte Spannung wird durch therapeutische Massnahmen wie Injektionen, Lösen der Muskulatur durch Fingerdruck und assistierte Übungen behoben. Schliesslich soll die Synchronisation der Bewegungen und die Wiederherstellung der Beweglichkeitsmuster durch Eigenübungen des Patienten erreicht werden.
«So können wir Migräne mit recht einfachen und natürlichen Mitteln beseitigen», stellt Packis Assistentin Christine Trapp fest, «denn wir machen uns nur das therapeutisch zunutze, was der Körper natürlicherweise kann: Wir setzen gezielt Veränderungsreize, auf die der Körper adäquat reagiert, um die Ursache zu beseitigen. Der Patient lernt Übungen, die er im Sinne der Körperpflege durchführen muss, um den veränderten Zustand zu bewahren.»
Wie gut das funktionieren kann, zeigt das Beispiel einer 19-jährigen, die sich kürzlich bei Frau Trapp meldete. Ihr war es erstmals gelungen, durch die Übungen völlig selbständig einen Migräneanfall im Anflug abzufangen. Erleichtert erzählte sie, wie sehr ihre Lebensqualität durch die Behandlung gestiegen sei, da sie nun am sozialen Leben wieder vollständig teilnehmen könne – ein Zustand, der für Migränepatienten eben nicht selbstverständlich ist.