Bei der Adipositas führen die Männer das Feld an: In den USA erreichen bereits 59 Prozent der Männer die gängige Definition von «Klinischer Fettsucht».
In der Schweiz sind 30 Prozent oder über zwei Millionen Menschen übergewichtig bis stark übergewichtig. In Deutschland schlagen sich mehr als 15 Millionen mit einem Body-Mass-Index (Body-Mass-Index berechnen) von über 30 herum. Überall steigt mit dem Alter auch der Anteil der Dicken. Doch leider sind auch immer mehr Kinder und Jugendliche betroffen.
Nach einer Untersuchung der Kinderpoliklinik an der Uni München ist jedes achte Kind zu dick, jedes zehnte in einer Grossstadt lebende Kind wiegt 30 Prozent mehr als es sollte.
Während Magersüchtige und Bulimikerinnen eher mit Mitleid als mit Verachtung rechnen können, werden Dicke hemmungslos diskriminiert. Adipositas wird oft als selbstverschuldet betrachtet und entsprechend wenig Pardon kennen die (schlankeren) Mitmenschen und die Ärzte. Die Leiterin einer Kasseler Selbsthilfegruppe sagt: «In unserer Gesellschaft werden Kontrolle und Konkurrenz grossgeschrieben. Viele erkennen in den Dicken, wie ihr eigenes negatives Ich aussehen könnte. Davor haben sie Angst.»
Tatsächlich gelten Dicke als faul, unbeherrscht, weniger intelligent und weniger leistungsfähig. Fettsüchtige haben wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt, bei der Partnerwahl und im alltäglichen Leben. Passende Sitzplätze in Strassenbahnen sind ebenso rar wie geeignete Möbel und schicke Kleider.
Die psychische Belastung durch Diskriminierung und Alltagsfrust führt dazu, dass Dicke unter Hemmungen, Kontaktschwierigkeiten und Minderwertigkeitsgefühlen leiden. Der einzige Trost in dieser tristen Situation ist das Essen: die Ernährung geht weit über eine physiologische Sättigung hinaus, sondern dient dazu, seelische Bedürfnisse zu befriedigen.
Doch längst nicht jeder Übergewichtige leidet an einer Essstörung. Dicke, die an einer Esssucht leiden, schämen sich ihres Körpers, träumen davon, schlank zu sein und bemühen sich immer wieder (erfolglos) um gezügelteres Essverhalten. Sie haben keine Lust, sich zu bewegen, aus Angst sich lächerlich zu machen und ihrem ungeliebten Körper zu «nahe» zu kommen.
Adipositas ist ein chronisches Leiden, das für die Patienten selbst einen erheblichen Leidensdruck verursacht und schwere körperliche Defizite nach sich zieht. Besonders bemerkenswert sind die häufigen und schwerwiegenden Sekundärerkrankungen, die unter Umständen das Leben ganz wesentlich verkürzen.
Fettsüchtige leiden neben reduzierter Beweglichkeit und mangelnder Ausdauer vor allem unter
So vielschichtig die Ursachen von Adipositas sind, so vielseitig muss die Behandlung aussehen. Adipositas-Forscher sind sich einig: Nur eine ganzheitliche und langfristige Therapie unter Berücksichtigung sowohl der biologischen als auch der psychologischen und sozialen Ursachen bringt Erfolg. Dabei ist die Devise «Schritt für Schritt» wirksamer als das «Alles oder Nichts», das nur zu neuen Frustrationen und Selbst-Belohnung für entbehrungsreiche Zeiten in Form neuer Essanfälle führt. Schon ein relativ bescheidener Gewichtsabbau kann als Erfolg für die Gesundheit gewertet werden, verbessert er doch das Wohlbefinden, reduziert die Krankheitsfolgen und erhöht die Chance auf die Beibehaltung eines gesünderen Lebensstils.
Stationäre Null-Diät und chirurgische Eingriffe (beispielsweise das Magenband) mögen in Extremfällen die letzte Lösung sein. Für die Mehrheit der Übergewichtigen kommen diese Methoden, die ja nicht ohne Risiko sind, nicht infrage, weil sie das eigentliche Problem nicht lösen. Nur eine allmähliche Änderung des Lebensstils und der Ernährungsweise verspricht langfristig Erfolg.
Auch die Pille mit dem neu entwickelten Wirkstoff Orlistat (Handelsname Xenical®), die ab einen Body-Mass-Index von 28 vom Arzt verschrieben werden kann, ist kein Wundermittel. Orlistat heftet sich im Dünndarm an fettspaltende Enzyme und hindert sie so an der Arbeit. Menschen, die Xenical einnehmen, müssen eine kalorienreduzierte, fettarme Diät einhalten, denn bei jeder Fettaufnahme, die 60 Gramm täglich übersteigt, verstärken sich die Nebenwirkungen wie fetter, öliger Stulgang, vermehrter Stuhlgang, unter Umständen sogar Stuhlinkontinenz.
Ein zweites, ebenfalls verschreibungspflichtiges Medikament gegen krankhaftes Übergewicht mit dem Wirkstoff Sibutramin (Handelsname in Nordamerika Meridia®, sonst Reductil®) verhindert die Wiederaufnahme der Botenstoffe Serotonin und Noradrenalin im Gehirn. Das Sättigungsgefühl nimmt zu, gleichzeitig steigt der Grundumsatz und damit der Energie- bzw. Kalorienverbrauch. Doch auch dieses deutsche Präparat, das erst in den USA und seit vergangenem Monat auch in Mexiko zugelassen ist, verspricht den richtigen Erfolg nur im Rahmen eines Begleitprogramms mit Motivationstraining, fettarmer Ernährung und Bewegung.
Chronische Entzündungen stehen im Zusammenhang mit Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Parkinson und Multiple Sklerose. Chinesische Forscher fanden einen Zusammenhang zwischen einer ungesunden Ernährung und einem Mangel des Hormons Testosteron. Sie ermittelten für die Probanden einen ernährungsbasierten Entzündungsindex (Dietary Infl ammatory Index, DII), der sich aus verschiedenen Faktoren wie beispielsweise der Aufnahme von Ballaststoffen, Kohlenhydraten, Fett, Omega-3-Fettsäuren, Vitaminen und Mineralstoffen zusammensetzt. Dabei zeigte sich, dass Probanden, die viele einfache Kohlenhydrate und Transfette zu sich nahmen, auch geringere Testosteronwerte aufwiesen. Für adipöse Männer war der Zusammenhang sogar doppelt so stark. Ein Testosteronmangel kann sich u.a. in eingeschränkter Libido, Antriebslosigkeit und Depressionen äussern.