Wenn man den Urlaub auf das individuelle Befinden abstimmt, kann man sich gleich doppelt gut erholen. Bei uns finden Sie heraus, welche Reiseziele für bestimmte Beschwerden optimal sind.
Autorin: Claudia Rawer, 05/17
Sage mir, was dich plagt, und ich sage, wohin du reisen solltest – so könnte man ganz kurz die Wissenschaften der Bioklimatologie und Medizinmeteorologie umschreiben. Erstere beschäftigt sich mit den Auswirkungen des Klimas auf Pflanzen, Tiere und Menschen; die Medizinmeteorologie geht detaillierter auf die Beurteilung klimatischer Faktoren nach ihren Auswirkungen auf den Menschen ein, wobei insbesondere das allgemeine Wohlbefinden und der Verlauf von (chronischen) Krankheiten von Interesse sind.
Reisen für die Gesundheit ist natürlich nicht neu. Lungen- und Tuberkulosekranke wurden bereits im 19. Jahrhundert nach Davos geschickt, den europäischen Adel zog es zur Molkenkur in die Alpen, und Kinder mit Asthma erholten sich – wenn man es sich denn leisten konnte – an der Nordsee. Doch leider ist diese Art des Verreisens, zur Erholung und Heilung, zur «Wellness» im besten Sinne, ein wenig in Vergessenheit geraten.
Verreisen mit offenem Geist und offenen Sinnen tut Körper und Seele wohl. Reisen macht uns weltoffen und tolerant, hält uns jung und frisch, beschert uns Erlebnisse, an die wir tatsächlich noch jahrelang mit guten Gefühlen denken können. Und wählt man das richtige Ziel, findet man wahre Erholung, und die Gesundheit profitiert. Es muss dabei gar nicht immer so sehr weit weg gehen – eine weite, eventuell tagelange Anreise ist nicht nur ökologisch bedenklich, sondern auch ein Stressfaktor, den wir uns gerne sparen können.
Wirklich erholsame Ferien sollten im Übrigen mindestens zwei, besser drei Wochen dauern und nicht mit einem allzu anspruchsvollen Programm – gleich, ob Sehenswürdigkeiten, Naturerlebnisse oder Sport – gefüllt werden. Körperliche Betätigung sollte nicht übertrieben werden, und man sollte sich gewisser Risiken, z.B. bei fordernden Wanderungen, grossen Höhen, beim Schwimmen oder Tauchen, bewusst sein. Im Zweifelsfalle ist weniger mehr.
Da man Erholung nicht aufsparen kann, haben neben einem längeren Jahresurlaub auch Kurzreisen oder lange Wochenenden ihre Berechtigung – immer unter der Voraussetzung, dass sie Freude und Entspannung und nicht zusätzlichen Stress bieten.
Berge oder Meer, Höhenluft oder Städtereise, warmes, kühles, feuchtwarmes oder trockenes Klima, Alaska oder Andalusien, Belgien oder Bali? Das sollte man nicht nur nach persönlichen Vorlieben (oder gar nach den Präferenzen anderer) entscheiden. Für unterschiedliche Erkrankungen gibt es perfekte und ungeeignete Reiseziele. Wie wohl man sich am Urlaubsort fühlt, trägt entscheidend dazu bei, wie gut man sich erholt.
Wie schön, wenn einem drei Wochen lang nichts wehtut! Dieser Stossseufzer entfuhr mir, schon in vergleichsweise jungen Jahren von Arthrosebeschwerden geplagt, nach einem Frühlings-Aufenthalt in der amerikanischen Wüste. Das warme, trockene und zwischen März und Mai nicht zu heisse Klima hatte Finger- und andere Gelenke wieder geschmeidiger gemacht und Schmerzen verschwinden lassen. Trotz durchaus anstrengender Wandertouren fühlte ich mich pudelwohl, von der Freude an den herrlich blühenden Kakteen und dem unerwartet reichen Tierleben der Wüste, angefangen bei den munteren Vogelgesängen am frühen Morgen über kopfstehende Käfer bis hin zu fluffigen Baumwollschwanzkaninchen, ganz zu schweigen.
Tatsächlich ist bei den meisten Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises das Wüstenklima sehr zuträglich. Entscheidend ist dabei nicht so sehr grosse Hitze (die man eher meiden sollte), sondern gleichmässige Wärme bei geringer Luftfeuchtigkeit. Ein doppelter Wüsten-Genuss ist eine Reise ans Tote Meer, wo sich der Aufenthalt im trocken-warmen Klima mit dem Baden im lauen Wasser vereinen lässt.
Feucht-warmes, tropisches Klima mit hoher Luftfeuchtigkeit vertragen die meisten Rheumatiker sehr schlecht. Kälte, besonders trockene Kälte, verkraften viele Menschen mit rheumatischen Erkrankungen besser oder sogar gut, mit Ausnahme von Patienten mit Arthrosen und solchen mit empfindlich reagierenden Gefässen und/oder Durchblutungsstörungen, z.B. einem Raynaud-Syndrom.
Bei einer Reise in Wüstengebiete sollte man die Zeiten bevorzugen, in denen es angenehm warm, aber noch nicht extrem heiss (und nachts nicht zu kalt) ist. Günstig sind in aller Regel Frühjahr oder Herbst. So sehr man die Wärme geniessen wird, muss man sich doch vor der starken UV-Strahlung sorgfältig schützen. Intensive Bestrahlung mit ultravioletten Strahlen kann bei einigen rheumatischen Erkrankungen sogar zu einer verstärkten Krankheitsaktivität bzw. einem Schub führen.
Weniger geeignet sind trocken-heisse Regionen für Menschen mit Übergewicht, Krampfadern, Neigung zu Thrombosen oder Lungenemphysem und bei schwereren Fällen der chronisch obstruktiven Lungen-erkrankung COPD. Auch bei Kindern und Senioren mit labilem Kreislauf sollte man Vorsicht walten lassen, da ihr Risiko für Hitzeerschöpfung und -kollaps erhöht ist.
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In gemässigtem Klima mit allergenarmer, sauberer und möglichst salzhaltiger Luft können belastete Lungen Kräfte tanken. Allergiker, Asthmatiker und Patienten mit chronischer Bronchitis oder COPD profitieren von einem Gesundheitsurlaub im Reizklima der Meeresküsten oder in (Mittel-)Gebirgslagen. Frischer Wind, Temperaturschwankungen, hohe UV-Strahlung und die salzhaltige Luft an Nord- und Ostsee fordern das Immunsystem heraus und regen es dazu an, sich besser zu rüsten. Wo man sich am wohlsten fühlt, ist recht individuell und auch von den Beschwerden und ihrer Ausprägung abhängig.
So sind beispielsweise Allergiker, die auf Pollen und Hausstaubmilben reagieren, im Gebirge über 1500 (und unter 2000) Meter gut aufgehoben. Dort ist die Luft sauber und pollenarm, Milben gibt es in dieser Höhe deutlich weniger.
Bei Menschen mit Asthma oder COPD, Lungenemphysem oder Herzerkrankungen können jedoch die «dünnere» Luft und die kühlen Tagestemperaturen in grosser Höhe zu Unwohlsein, Atemnot und einer Verschlimmerung der Beschwerden führen. Sie können in der salzhaltigen Luft der nördlichen Küsten befreit aufatmen. Die Meerwassertröpfchen, die beim Brechen der Wellenkämme in die Luft gelangen, das Brandungsaerosol, befeuchtet die Schleimhäute auf natürliche Art und Weise. Tief sitzender Schleim wird gelöst, Bakterien und andere unerwünschte Stoffe werden aus Lunge und Bronchien abtransportiert und können abgehustet werden. Salzhaltige Luft regt auch die Flimmerhärchen der oberen Atemwege zu grösserer Aktivität an. Menschen, die mit dem starken Reizklima am Meer nicht zurechtkommen, können befreiende Luft auch in Heilbädern im gemässigten Mittelgebirgsklima atmen, in denen Salz- und Soleinhalationen angeboten werden. Inhalationen in Gradierwerken, Salzhütten und natürlichen Salzstollen sind eine wahre Wohltat für die belasteten Atemwege und zudem entspannend und kreislaufschonend. Sie sind sogar für Babys und Kleinkinder geeignet.
Extreme sollten Lungenpatienten meiden: Hitze kann den Kreislauf strapazieren und das Herz belasten; sehr trockene, kalte Luft kann die Atemwege überempfindlich machen.
Auf jeden Fall meiden sollten Allergiker, Asthmatiker und andere Lungenpatienten die belastete Luft der Grossstädte, insbesondere Orte mit erhöhter Luftverschmutzung wie z.B. einige asiatische Metropolen.
Salzwasser und Salzluft sind auch für Menschen mit Hautproblemen wie Ekzemen, Neurodermitis oder Psoriasis (Schuppenflechte) eine Wohltat. Die Seeluft mit ihrem hohen Gehalt an Jod, Magnesium und Spurenelementen regt nicht nur die Immunreaktion der Atemorgane, sondern auch die der Haut an.
Patienten mit solchen Hauterkrankungen können von einem Aufenthalt im Reizklima der Nord- oder Ostsee profitieren; optimal ist ein Badeurlaub am Toten Meer. Dessen mineralhaltiges Wasser wirkt entzündungshemmend. Die schädlichen UVB-Strahlen der Sonne reizen die Haut nicht so stark, weil das Gebiet 400 Meter unter dem Meeresspiegel liegt und die Strahlung durch die dickere Luftschicht besonders gut absorbiert wird. Einen Sonnenbrand kann man jedoch auch hier bekommen! Die optimale Reisezeit für das Tote Meer sind also ebenfalls Frühjahr und Herbst; richtiger und ausreichender Sonnenschutz ist unabdingbar.
Letzterer ist für Menschen mit der Hauterkrankung Rosacea nicht nur an sonnigen Tagen eine Selbstverständlichkeit, da die UV-Strahlung das Krankheitsbild verschlimmert. Hitze kann ebenso wie Kälte und starke Temperaturschwankungen unangenehm sein und einen Schub auslösen. Viele Betroffene berichten jedoch, dass ihnen ein Urlaub am Meer und das Baden im Salzwasser sehr gut tut und sich positiv auf ihr Hautbild auswirkt. Trockenes Klima wird von vielen Rosacea-Patienten besser vertragen als Schwüle und hohe Luftfeuchtigkeit.
Für alle Patienten gilt: Im Zweifelsfalle mit der Ärztin absprechen; auf jeden Fall bei Fernreisen, die mit langen Flügen und Impfungen verbunden sind. An mögliche Notfälle denken und gegebenenfalls eine Reiserückholversicherung abschliessen. Dafür sorgen, dass notwendige Medikamente in ausreichender Menge vorhanden sind. Bei Flugreisen gehören Medikamente ins Handgepäck, damit man bei einem eventuellen Verlust des Koffers nicht in die Klemme gerät. Meist können Arzneimittel problemlos mitgeführt werden; eine ärztliche Bestätigung, dass man z.B. Spritzen aus gesundheitlichen Gründen benötigt, kann nicht schaden (ebenfalls im Handgepäck mitführen).
Natürlich sollte man als akut oder chronisch Kranker eine Reise vernünftig planen, je ferner das Ziel, umso genauer. Faktoren wie Infektionsrisiko, möglicherweise schlechte Hygiene, ungewohntes Essen und eventuelle Unbequemlichkeiten sollte man berücksichtigen. Wichtig ist auch, sich über die medizinische Versorgung vor Ort zu informieren.