Giftpflanzen: Die vierteilige Serie von A.Vogel
Im 3. Teil unserer Serie über giftige Pflanzen geht es um einige der zahlreichen heimischen Pflanzen, deren toxische Inhaltsstoffe in der Heilkunde genutzt, gemieden oder entfernt werden. Dass stark giftige Pflanzenstoffe medizinisch Verwendung finden, mag verblüffen. Doch schon Theophrastus Bombastus von Hohenheim, alias Paracelsus, der mit nur 47 Jahren an einer Quecksilbervergiftung starb, wusste: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift sei.“
In der Pflanzenwelt wurden mehr als 20 verschiedene Giftstoffgruppen identifiziert, die über die Atmung, die Haut oder den Mund aufgenommen werden und in ihrer Wirkung sehr unterschiedlich sein können. Die wichtigsten sind:
Autorin: Ingrid Zehnder, 07.14
Äusserlich gebraucht, ist die goldgelbe Arnica montana ein fantastisches Mittel bei Rückenschmerzen, Hexenschuss, Prellungen, Quetschungen, Verstauchungen, Blutergüssen, oberflächlichen Venenentzündungen sowie rheumatischen Muskel- und Gelenkbeschwerden. Sie wirkt entzündungshemmend, schmerzstillend und antiseptisch.
Doch die gleichen Inhaltsstoffe, die Sesquiterpenlaktone, die äusserlich die wohltuende und heilende Wirkung veranlassen, bewirken im Körperinneren toxische Effekte; sie reichen von Schweissausbrüchen, schmerzhaftem Stuhl- und/oder Harndrang, Magen-Darm-Beschwerden, Herzrasen und Atemnot bis zur Veranlassung von Fehlgeburten.
Selbst wenn „Tee“ aus den Blüten der insgesamt als „wenig giftig“ klassifizierten Pflanze verordnet wird, darf er nur für äusserliche Umschläge verwendet werden.
Im Gegensatz zur Phytotherapie, die vorwiegend Blüten und Triebspitzen der Arnika verarbeitet, werden in der Homöopathie neben den Blüten auch die Wurzeln verwendet, und nur hier ist auch die innerliche Anwendung üblich.
Lesen Sie mehr darüber, wie die Arnika (Arnica montana) bei Rheumaschmerzen hilft.
Die Tollkirsche (Atropa belladonna) gehört zur Familie der Nachtschattengewächse und gilt als „sehr giftig“. Bei den Giftzentralen nehmen Notrufe wegen des Verzehrs der im Spätsommer reifen, schwarzen, glänzenden und süssen Beeren eine führende Stellung ein. Bei Kindern wird die tödliche Dosis mit drei bis vier Beeren angegeben, bei Erwachsenen mit zehn bis zwölf Beeren. Noch giftiger sind die Blätter.
Die Pflanze enthält zahlreiche toxische Substanzen, u.a. Tropan-Alkaloide, die auf das Zentralnervensystem wirken und zu rauschhaften Zuständen und Halluzinationen führen.
In der Medizin werden die aus der getrockneten Pflanze gewonnenen Alkaloide Atropin und Scopolamin bzw. deren synthetische Abkömmlinge verwendet. Wegen ihrer krampflösenden, erschlaffenden Wirkung auf die glatte Muskulatur werden Fertigarzneimittel bei spastischer Verstopfung, Koliken des Magen-Darmtrakts, der Galle und Harnwege eingesetzt. Es gibt auch einige Hustenmittel, die Atropin enthalten; der frühere Gebrauch als Asthmamittel wird nicht mehr praktiziert. Das den Herzschlag beschleunigende Atropin wird auch in der Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin bei der Behandlung einer zu niedrigen Herzfrequenz verwendet. „Belladonna“-Tropfen werden in der Augendiagnostik zur Weitstellung der Pupillen verabreicht. Ausserdem wird Atropin als Gegengift bei Fliegenpilz-, Pflanzenschutzmittel- und Nervengasvergiftungen gespritzt.
Diese Giftpflanze ist keine Arzneipflanze (Phytopharmakon) im eigentlichen Sinn, da ihr Hauptgift, das Colchicin, ausschliesslich in Form des Reinstoffs medizinisch verwendet wird. Colchicin in verschreibungspflichtigen Tabletten kommt nur noch bei akuten Gichtanfällen (oder kurzfristig zu deren Vorbeugung) zum Einsatz, nicht mehr wie früher zur Behandlung. Im Gegensatz zu Deutschland und den USA sind in der Schweiz keine Arzneimittel mit Colchicin zugelassen. In der Forschung laufen Versuche, das Gift, das verhindert, dass sich Zellen und Zellkerne teilen, in der Krebstherapie zu nutzen.
In homöopathischer Potenzierung wird Colchicin u.a. bei Übelkeit, Gastritis, Durchfall und Rheuma gegeben, ist aber bis inklusive D3 rezeptpflichtig.
Alle Teile der Herbstzeitlosen (Colchicum autumnale) sind für Mensch und Tier „sehr giftig“, am meisten die Blüten. Im Frühling sieht man nur die (geruchlosen) Blätter, und es passieren immer wieder Vergiftungsfälle, weil sie mit (nach Knoblauch riechenden) Bärlauchblättern verwechselt werden. Im Herbst sind die Blätter verschwunden, und auf den Wiesen und Weiden sind nur noch die rosa bis hell lila Blüten zu bewundern. Vergiftungssymptome treten nach zwei bis 18 Stunden auf und äussern sich als schwere Magen-Darm-Entzündung mit Brechdurchfall bis hin zu Atemlähmung und Organversagen. Es heisst, schon ein fünfzigstel Gramm Colchicin könne einen Erwachsenen umbringen.
Die Drimia maritima, auch Scilla oder Urginea maritima, ist im Mittelmeerraum und auf Teneriffa heimisch. Alfred Vogel berichtet von einem Fund auf der griechischen Halbinsel Peloponnes: „Als ich neben mir einen hohen Stängel von ungefähr einem Meter Länge mit einem Wedel voller Blüten bemerkte, prüfte ich die Pflanze genauer und sah, dass es sich um eine echte Meerzwiebel handelte. Da ich zur Tinkturbereitung ohnedies wieder eine solche benötigte, grub ich sie aus und siehe da, sie war so gross wie ein kleiner Kohlkopf. Weil ich einige Tage später nach Hause fahren musste, steckte ich die Zwiebel erfreut in meinen Proviantsack und flog mit ihr gemütlich mit der Swissair über Rom heimzu.“
Die ganze Pflanze und besonders die mächtige Zwiebel sind giftig. Kleingeschnittene Pflanzenteile provozieren Hautausschlag und Blasen. Gegessen führen schon kleinste Mengen zum Tod. Die Weisse Meerzwiebel enthält ähnliche Herzglykoside wie der Rote Fingerhut (Digitalis) und wird infolgedessen bei leichten Formen der Herzinsuffizienz angewendet.
Früher schnitt man die fleischigen Zwiebelschuppen klein, um die Wirkstoffe zu gewinnen, heute bedient man sich fast nur noch des Reinstoffs Proscillaridin. Die Wirkung ist schneller, weniger lang anhaltend und weniger kumulativ (Anreicherung bei mehrmaliger Anwendung) als bei Digitalis.
Die gelben, vierblättrigen Blüten sieht man von Mai bis Oktober in Gärten, an Wegrändern, auf Schuttplätzen, in Mauerritzen und sogar im Gebirge. Das etwa 70 Zentimeter hohe Grosse Schöllkraut (Chelidonium majus) gehört zu den Mohngewächsen und enthält in der ganzen Pflanze zahlreiche, mehr oder weniger stark toxische Alkaloide, die sich im Herbst in der Wurzel konzentrieren, die dann sehr giftig wird. Beim Abbrechen der Stängel tritt ein giftiger, bitterer, orange-gelber Milchsaft aus, der in der Volksmedizin gegen Warzen und Hühneraugen gebraucht wurde.
Im übrigen hat das Kraut auch bei innerlicher Anwendung (Tee, Tinktur) durchaus positive Effekte (gallentreibend, krampflösend, beruhigend), die aber nicht so recht zum Tragen kommen, da bei längerer Anwendung der Verdacht auf Leberschäden besteht.
Unser Tipp:
Die bizarren Blüten der Pestwurz (Petasites hybridus/P. officinalis) erscheinen an feuchten Stellen wie Bachufern zwischen März und Mai. Nach der Blüte wachsen die zunächst kleinen Blätter zu wahren Riesen heran – bis zu einem Meter Länge. Petasites selbst ist nicht giftig. Doch werden die in ihr enthaltenen Pyrrolizidinalkaloide im menschlichen Organismus, nämlich in der Leber, zu toxischen Verbindungen umgebaut. Bei längerem Gebrauch können Pyrrolizidinalkaloide leberschädigend, krebserregend und genotoxisch (erbgutschädigend) sein.
Daher wird Pestwurz ausschliesslich als Fertigarzneimittel empfohlen, aus dem die potenziell schädlichen Stoffe nahezu restlos entfernt sind. Dann wird aus der Wurzel der Pflanze ein wirksames Mittel bei Krämpfen im Verdauungs- und Urogenitaltrakt sowie bei Kopfschmerzen und zur Vorbeugung von Migräne. Aus den Blättern der Pestwurz wird ein antiallergisch wirkendes Präparat zur Behandlung bei Heuschnupfen gewonnen, das (bisher) allerdings nur in der Schweiz und in Südkorea zugelassen ist.