Unser grösstes Organ ist eine vielschichtige Angelegenheit: wehrhaft und zugleich empfindlich, produktiv und degenerativ. Entscheidend ist die richtige Pflege, erklärt Fachärztin für Haut-, Geschlechts- und Gefässerkrankungen, Dr. Yael Adler.
Text/Interview: Andrea Pauli, 04.17
Sie schützt vor Verletzungen und Austrocknung, sie stellt eine Barriere für Krankheitserreger dar, regelt den Wasser- und Salzhaushalt sowie die Körpertemperatur, nimmt Berührungs- und Schmerzreize auf und aktiviert unter Einwirkung von UV-Strahlen die Vitamin-D-Bildung: Unsere Haut ist ein Schwerarbeiter!
Und mit einer Oberfläche von rund 1,6 Quadratmetern zudem unser grösstes Organ. Faszinierend ist, welch raffinierten Aufbau die Haut hat und was in den einzelnen Schichten geleistet wird. Man unterscheidet drei Etagen: Oberhaut (Epidermis), Lederhaut (Dermis) und Unterhaut (Subkutis). Was wir direkt sehen und fühlen, ist die Epidermis, normalerweise zwischen 0,05 bis 0,1 Millimeter dick und Trägerin der wichtigen Hautschutzbarriere. Die Oberhaut unterteilt sich wiederum in vier Zellschichten: Basalschicht, Stachelzellschicht, Körnerzellschicht und Hornzellschicht. Die darf man sich, von innen nach aussen, vorstellen wie Entwicklungsstufen von Geburt bis Tod.
Sterben die Zellen der Körnerschicht ab, werden sie zu Hornschichtzellen – und diese bilden die wichtige Schutzbarriere gegen äussere Einflüsse. Das «Horn» wiederum, also das Eiweiss Keratin, wird von den Stachelzellen produziert. Die permanente Zellerneuerung, die in der Epidermis stattfindet, wird von Nährstoffen unterstützt, welche aus den Blutgefässen der Lederhaut in die gefässfreie Oberhaut gelangen. Die rund zwei Millimeter dicke Dermis schenkt der Haut Stabilität und Elastizität. In ihr Bindegewebe eingelagert sind Haare, Talgdrüsen, Schweissdrüsen, Nervenenden, Blut- und Lymphgefässe. Wichtige Bestandteile des Immunsystems sind hier stationiert.
Auch die Unterhaut besteht aus (lockerem) Bindegewebe. Ihre Dicke variiert je nach Körperstelle und hängt vor allem von der Ernährung ab. Das Unterhautzellgewebe dient als Speicher für Nährstoffe und Wasser. Die Subkutis darf man sich als unseren «Stossdämpfer» vorstellen, das in ihr enthaltene Unterhautfettgewebe als «Isolierschicht». Dank des Fettgewebes ist die Haut nicht nur unser grösstes, sondern auch schwerstes Organ: Mit Unterhautfettgewebe wiegt sie satte 20 Kilo und mehr, ohne nur drei Kilogramm.
Bemerkenswert an der Haut ist auch ihre Produktivität: Täglich entstehen rund zwei Gramm Hauttalg (die Hälfte davon auf der Kopfhaut), unbemerkt scheidet sie zwischen 0,5 und einem Liter Flüssigkeit pro Tag aus und sie stösst laufend tote Hornschuppen ab – 40 000 pro Minute, das sind bis zu zehn Gramm pro Tag.
Gesunde Haut weist einen wirkungsvollen Säureschutzmantel auf, der den menschlichen Organismus als Barriere vor dem Eindringen von Krankheitserregern bewahrt und vor Umwelteinflüssen schützt. Er ist ein durch die Schweiss- und Talgdrüsen und Bestandteile der Hornzellen gebildeter Wasser-Fett- Film auf der Haut, der vor allem durch den Schweiss leicht sauer ist. Was seine Schutzfunktion genau ausmacht, darüber streiten Experten. Den natürlichen Hautschutz in erster Linie einem erniedrigten pH-Wert zuzuschreiben, greift wohl zu kurz. Vielmehr dürfte der besondere Schutz aus dem Zusammenspiel diverser Sekrete der Hautdrüsen resultieren.
Mit zunehmendem Alter sinkt die Erneuerungsfähigkeit der Hautzellen und die Versorgung mit Nährstoffen lässt nach. Die Talgdrüsen bilden weniger Fett, die Haut bindet weniger Feuchtigkeit. Die Epidermis wird dünn und knittrig, die Hautoberfläche trocken, Runzeln und Falten zeigen sich, es kann zu schuppigen Veränderungen der Hautoberfläche kommen.
Der Alterungsprozess unserer Haut ist sehr komplex – und lässt sich nicht aufhalten. Vielmehr hängt es von der Lebensweise und genetischen Faktoren ab, wie schnell sich Falten und Hautschlaffheit bemerkbar machen. Für alternde wie auch für empfindliche und trockene Haut ist es wichtig, verlorene Feuchtigkeit zuzuführen, in der Haut zu binden und sie mit natürlichen Fetten zu versorgen.
«Alles über unser grösstes Organ» zu erklären, hat sich die Fachärztin für Haut-, Geschlechts- und Gefässerkrankungen, Dr. Yael Adler, mit ihrem 2016 erschienenen Bestseller «Haut nah» zum Ziel gesetzt. Sie arbeitete viele Jahre für die klinische Forschung, hat eine Zusatzausbildung als Ernährungsmedizinerin und leitet seit 2007 eine eigene Praxis in Berlin.
A.Vogel Gesundheits-Nachrichten (GN): Frau Dr. Adler, zur Körperreinigung empfehlen Sie synthetische Reinigungsmittel. Für Menschen, die auf handgemachte Bio-Seife schwören, klingt das nach Chemie. Wo liegt der Unterschied?
Dr. Yael Adler (YA): Eigentlich empfehle ich Wasser mit Handtuch (lacht). Natürlich sind handgemachte Bioseifen besser als Industrieseifen, weil die ja auch mit schönen Naturölen angereichert werden. Der Unterschied liegt im pH-Wert. Seifen haben einen pH-Wert um die 9, unser Säureschutzmantel der Haut einen zwischen 4,8 und 5,5. Durch das Benutzen von Seifen kommt die Haut in einen pH-Bereich zwischen 8 bis 9 und braucht sechs bis acht Stunden, um dann wieder «sauer» zu werden. In dieser Zeit ist sie schutzlos krankmachenden Bakterien, Viren und Pilzen ausgeliefert. Vertragen werden synthetische Detergenzien viel besser, insbesondere bei sparsamem Umgang nur an den schwitzigen Stellen bzw. bei der Handwäsche; zudem sind sie von den Berufsgenossenschaften für Menschen mit Hautproblemen empfohlen. Ich verstehe Leute, die Seifen mögen und natürliche Seifen sind auch nichts Schlimmes. Doch man sollte sie selten nutzen, um zu vermeiden, dass man ein Problem damit bekommt.
GN: Manche Alternativmediziner gehen davon aus, der gängige pH-Wert sei ein Konstrukt und das Konzept, den Wert der Körperpflegeprodukte dem pH-Wert der Haut anzupassen, ein Denkfehler. Jahrhundertelang sei Körperpflege basisch gewesen. Bei Personen, die sich basisch pflegen und ernähren, habe man einen Rückgang von Hautproblemen feststellen können. Wie ist Ihre Haltung dazu?
YA: Die Steinzeit ist das Mass und nicht das, was man seit etwa 400 Jahren macht, nämlich alkalische Seife nutzen. Die menschliche Entwicklung hat Seife nicht vorgesehen. Der gesunde Haut-pH-Wert ist messbar sauer, die Vagina ist noch saurer und der Magen am sauersten. Alle Grenzregionen und Abwehrposten unseres Körpers sind sauer. Sie dienen dem Milieu und erhalten den Säureschutzmantel. Sogar das Fruchtwasser ist etwas saurer als normales Wasser, obwohl da ja noch kein Kontakt und keine Besiedlung des Körpers mit Bakterien geschehen ist. Basische Seifen trocknen aus und verjagen die seit der Steinzeit für eine gesunde Haut vorgesehene Flora, die die Haut gesund hält. Einmal in der Woche Waschtag mit Seife, wie noch bis in die 70er Jahre üblich, verkraftet die Haut, jedoch täglich mehrfaches Waschen nicht mehr. Die Ökoszene hat unrecht damit, dass nur, weil Basenkost «in» ist, Basen auch an die Haut gehören.
GN: Die Verwendung von Öl zur Körperpflege ist aus Ihrer Warte, vor allem beim Baby, «fahrlässige Körperverletzung». Viele sagen aber aus Erfahrung, dass naturreines Pflanzenöl ihrer Haut guttut. In der Ayurveda-Medizin werden Öle seit Jahrtausenden erfolgreich in unterschiedlichsten Zusammensetzungen und in verschiedensten Anwendungen eingesetzt. Ihr positiver Behandlungseffekt ist bei fachkompetentem Einsatz in unzähligen Fällen dokumentiert, so der Verband Schweizer Ayurveda-Mediziner und -Therapeuten. Wie sehen Sie das?
YA: Es gibt in der Biologie immer Dinge, die sind bei einem Organismus so, beim anderen so. Es wird immer wieder Öle geben, die der Einzelne verträgt. Aber ich habe viele Masseure und Physiotherapeuten als Patienten, die durch die Ölmassagen Austrocknungsexzeme an den Händen bekommen haben. Weil die Öle sich durch ihre flüssige Form mit den hauteigenen Ceramiden und anderen Lipiden verbinden, welche in der obersten Hautschicht nach rund vier Wochen ankommen – und die werden dann ausgewaschen durchs Ölen. Das kann man als Laie insofern nachvollziehen, als man Öl ja als Reinigungsmittel nutzt, etwa zur Schuppenentfernung und als Hornaufweicher am Kopf (bei Gneis, bei Schuppenflechte), für hartnäckiges Augen-Make-up oder um das «Kindspech» zu entfernen. Pures Öl ist ein Reinigungs- und kein Pflegemittel. Wenn man ein Öl trotzdem als Pflegemittel benutzen möchte, dann sollte man es quasi auf die Haut auflegen und nicht mehr verreiben. Damit erzeugt man so eine Art Einschliesseffekt von Feuchtigkeit, was hilft, die oberste Hautschicht geschmeidig zu machen. Das Problem beginnt in dem Moment, wo man das Öl auf der Haut herumschiebt – dann kommt der Auswascheffekt zustande. Schwangere Frauen, die ihren Bauch ölen, bekommen oft juckende, trockene Haut, das liegt am Öl.
Wir haben in der Klinik oft Babys gesehen, die richtig trockengeölt worden waren von ihren Mamis, und deshalb warne ich so stark davor. Man sollte sich das Öl lieber in eine fettige Salbe oder Lotion einarbeiten lassen, dann hat man die wertvollen Fettsäuren, aber ohne den Auswascheffekt.
GN: Die Haut ist das grösste Hormonorgan unseres Körpers, schreiben Sie. Was bedeutet dies für Frauen in der Menopause?
YA: Die Östrogenproduktion in den Eierstöcken lässt nach, doch in der Haut wirkt sie noch weiter. Sie produziert Östron und Östradiol, Abkömmlinge des klassischen Östrogen. Es führt dazu, dass Frauen weiterhin eine einigermassen schöne Haut und eine Libido haben und nicht immer nur schlimme klimakterische Beschwerden. Leisten kann das eine Haut, die nicht ganz abgemagert ist. Man soll nicht übergewichtig sein, aber ein bisschen Depotfett in der Unterhaut ist durchaus gesundheitsförderlich.
GN: Was lässt sich von aussen während der Wechseljahre noch tun?
YA: Klar ist, dass die Haut trockener wird. Wer viel seift, verstärkt dies. Wenn man sein Waschverhalten auf Wasser umstellt, dann muss man weniger cremen. Wenn eine menopausale Frau trockene Haut hat, kann sie schon mit einer fetten Creme nachhelfen – jedoch immer nur an den Stellen, wo es tatsächlich trocken ist. Also nicht gleich das ganze Gesicht einfetten. Frauen in der Menopause haben nicht selten eine fettige T-Zone, dort ist folglich keine Creme nötig. Und man sollte darauf achten, sich in einer Form zu ernähren, die evolutionsgerecht ist, also nicht so viel Zivilisationskost zu sich nehmen. Man kann viel positiv beeinflussen über die Nahrung. Frauen in der Menopause sollten ihre Darmflora im Blick haben.
GN: Altersflecken, erklären Sie, sind Protestreaktionen der Haut auf Sonneneinstrahlung und das Lebenszeit-UV-Limit sei damit erreicht. Doch gerade im Alter ist Sonne immens wichtig zur Bildung von Vitamin D. Wie verhält man sich also richtig?
YA: Wenn man schon masslos war, dann muss man das ernst nehmen, weil das Hautkrebsrisiko steigt – genauso wie das Faltenrisiko. Die Alternative wäre, und das habe ich in meinem Buch auch dargestellt, dass man den Po in die Sonne hält. Mit heller Haut haben wir eine Eigenschutzzeit von 15 bis 20 Minuten, das heisst, während dieser Zeit könnte man den Po ungeschützt in die Sonne halten oder die Unterschenkel, den Bauch, den Rücken und darüber Vitamin D selbst synthetisieren. Dann ist die Tagesdosis erreicht, und man muss sich wieder bekleiden. Wer länger draussen bleibt, bekommt automatisch mehr Sonne ab, auch wenn er Sonnenschutzcreme nutzt. Ich rate auf jeden Fall allen dazu, das Gesicht gut zu schützen.
GN: Was schützt die Altershaut am besten, welche Pflege ist sinnvoll?
YA: Wichtig ist auch im Alter, dass man sich daran erinnert, was die Haut alles selbst kann und sie darin unterstützt. Also nur mit Wasser duschen, schweissbildende Stellen mit einer sauren Waschsubstanz reinigen und eincremen, falls die Haut trocken ist. Wichtig ist der Verzicht auf Duftstoffe, Konservierungsstoffe, Farbstoffe und Glitzerpartikel. Und immer wieder daran denken: Viel schafft die Haut von innen! Man muss sich gesund ernähren und für eine gesunde Darmflora sorgen. Mein Tipp: Jeden Tag ein Glas Karottensaft trinken, das unterstützt die Reparaturmechanismen der Haut und beugt durch die zarte Färbung der Haut auch der Hautalterung vor. Man gibt am besten einen Tropfen Leinöl mit entzündungshemmenden Omega-3-Fettsäuren in den Saft. In Anwesenheit von Fett kann das Provitamin A gut aufgenommen werden.
GN: Gesunde Haut sollte man am besten gar nicht eincremen, ist Ihre These. Kann man sich denn das Cremen nach Jahrzehnten überhaupt noch abgewöhnen? Welche Wirkung hätte ein völliger Creme-Verzicht?
YA: Natürlich kann man es sich abgewöhnen, weil die oberste Hautschicht sich alle vier Wochen erneuert. Der Talg, den unsere Haut über Nacht produziert, ist quasi unsere körpereigene Gesichtscreme. Das sollte man nutzen und darum in der Früh nur Katzenwäsche mit Wasser machen. Es lohnt sich immer, das einmal auszuprobieren. Wer dennoch cremen möchte: ausschliesslich die trockenspannenden Stellen, alle anderen nicht. Und wenn schon cremen, dann ohne Zusätze. Ich bin eine grosse Anhängerin von Sheabutter, die ist preiswert, ein reines Naturprodukt und verursacht so gut wie keine Allergien. Sie bildet eine Protektschicht und ihre Fette ähneln unseren Hautfetten.